Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet JUDITH

(getauft am 22.01.2016)

 

Zu Beginn der zweiten Januardekade befand sich zwischen Kanada und Europa ein breiter Langwellentrog, der vom arktischen Raum südwärts bis in subtropische Breiten reichte. Ein Trog bzw. Höhentrog bezeichnet dabei in der Meteorologie ein Gebiet niedrigeren Luftdrucks in höheren Luftschichten der Troposphäre, welches mit, im Verhältnis zur Umgebung, kälterer Luft angefüllt ist. 

Um den 21. und 22. Januar herum kam es einige hundert Kilometer vor der nordostamerikanischen Küste an einer kleinräumigen Störung zu einer Zyklogenese. Aufgrund günstiger Bedingungen in der mittleren und unteren Troposphäre konnte sich hieraus schon bald ein abgeschlossener, kleinräumiger Tiefdruckwirbel bilden, der mit der Höhenströmung weiter ostwärts gen europäischen Kontinent gesteuert wurde. Da dieser Wirbel Einfluss auf das Wettergeschehen in Mitteleuropa nehmen sollte, wurde dieser am 22.01.2016 in der Prognose für den Folgetag auf den Namen JUDITH getauft.

In den Frühstunden des 23. Januar konnte Tief JUDITH mit einem Kerndruck von knapp unter 980 hPa erstmals in den Wetterkarten analysiert werden, wobei es sich dabei über dem mittleren Nordatlantik, etwa 1300 km nordwestlich der Azoren befand. Im Umfeld des Kerns hatten sich bereits die typischen Strukturen einer Zyklone herausgebildet. Während sich die noch schwach ausgeprägte Warmfront zonal, also in West-Ost-Orientierung über den Ostatlantik bis etwa zur Biskaya erstreckte, verlief die Kaltfront vom Kern weg bogenförmig südwestwärts über das Seegebiet der Azoren bis über den subtropischen Atlantik. Dieser war eine Höhenkaltfront in einigen Hundert Kilometern Abstand vorgelagert. Während der Wirbel JUDITH unter weiterer Intensivierung in den folgenden Stunden unter eher nördlicher Zugbahn sich in Richtung Island verlagerte, erreichten auf der Vorderseite des Tiefs erste kompaktere Wolkenfelder die Britischen Inseln. Sie standen im Zusammenhang mit der weiter nordwärts vordringenden Warmfront und brachten vor allem Irland, Wales und dem Süden Englands leichten Regen. Die zwölfstündigen Mengen blieben bis zum Abend um 18 Uhr UTC, also 19 Uhr MEZ, aber bei meist unter 5 l/m², in Cork waren es 7 l/m² und an der südirischen Küste auf Valentia Island auch bis zu 10 l/m². In der Nacht zogen die frontalen Niederschläge mit unverändert schwacher Intensität über Großbritannien langsam weiter nordostwärts Richtung Nordsee und streiften dabei auch den Norden Frankreichs und die Benelux-Staaten. Zweistellige Regenmengen blieben dabei weiterhin die Ausnahme. So wurden etwa an der walisischen Messstation Capel Curig, einem der nassesten Orte Großbritanniens, 20 l/m² gemessen.

Währenddessen hatte sich die Zyklone JUDITH bis zum Morgen des 24. Januar auf einen Druck von knapp unter 965 hPa vertieft. Östlich des Kerns ging eine Okklusion aus, die sich in einem Bogen nördlich um den Kern erstreckte. Bei einer Okklusion holt die hintere und schneller ziehende Kaltfront die vordere Warmfront im sogenannten Okklusionspunkt ein, wodurch die neu entstandene Front Eigenschaften beider in sich vereint. Die vom Okklusionspunkt, südwestlich von Island ausgehende Warmfront hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Nordsee und Nordfrankreich erreicht, die Kaltfront befand sich dagegen noch mehrere Hundert Kilometer westlich des europäischen Festlands über dem Ostatlantik. In den folgenden Stunden breiteten sich die leichten Warmfront-Niederschläge langsam bis in den Westen Deutschlands aus. Hier, wie auch über Nordfrankreich und den Benelux-Staaten, fielen selten mehr als wenige Zehntel Liter pro Quadratmeter, vereinzelt wurden zwischen 06 und 18 UTC auch bis zu 2 l/m² am Flughafen Köln-Bonn und in Amsterdam oder 4 l/m² in Bremerhaven gemessen. Gerade Irland und Großbritannien erreichte hinter der Warmfront vom Atlantik aus ein kräftiger Schwall maritime Subtropikluft, sodass die Temperatur auf Werte von 13 bis 14°C, im Londoner Raum sogar bis auf 16°C stieg. Ähnliche Temperaturen und damit meist 4 bis 5 Grad mehr als noch am Vortag, wurden auch über großen Teilen Frankreichs gemessen. In Deutschland blieb dagegen noch größtenteils die zuvor eingeflossene erwärmte Subpolarluft wetterbestimmend, wobei ein Nordwest-Südost-Gefälle der Temperaturen beobachtet wurde, zwischen 9°C am Nieder- und Oberrhein, 4 bis 5°C in Mittel- und Ostdeutschland und nur 1 bis 2°C in Niederbayern. Dieser nach Osten größer werdende Temperaturunterschied, führte hinter der Front in der anschließenden Nacht über Mitteleuropa, speziell über Deutschland, zu einer Intensivierung der Niederschläge. So wurden in einem Zeitraum zwischen 18 UTC bis um 06 UTC des Folgetages meist 2 bis 5 l/m² oder etwas mehr registriert. In Berlin waren es beispielsweise 3 l/m², in Bamberg 5 l/m² und in Rostock 8 l/m². Gleichzeitig erreichte die Warmfront von der Nordsee her den Südwesten Skandinaviens. So registrierte beispielsweise eine Messstation knapp 50 km nördlich von Bergen 12 l/m². 

In den Frühstunden des 25. Januars befand sich das Tief JUDITH bereits über der Irminger See, also zwischen Grönland und Island und hatte sich im Kern auf knapp unter 960 hPa vertieft. Während die Warmfront zu diesem Zeitpunkt vom Nordmeer ausgehend über Südskandinavien bis zum Osten Deutschlands verlief, befand sich die Kaltfront nach wie vor noch über dem nahen Ostatlantik. Sie war durch die Entwicklung eines schwachen Randtiefs westlich der Britischen Inseln in ihrem weiteren Vordringen zurückgehalten worden. Dieses Randtief, was später den Namen JUDITH II erhielt, verlagerte sich im Tagesverlauf weiter nordostwärts Richtung Nordmeer, wodurch die Kaltfront ostwärts gedrückt wurde und das europäische Festland erreichte. Im Westen der Iberischen Halbinsel kamen Regenschauer auf, die in Lissabon für 10 l/m² Regen bis zum Abend sorgten, in der südportugiesischen Hafenstadt Sines sogar für bis zu 24 l/m². Ähnliche Niederschlagsmengen wurden mit der Überquerung der Kaltfront auch von den Britischen Inseln gemeldet, wobei in den schottischen Highlands mit bis zu 24 l/m² am meisten fiel, während es über weiten Teilen Englands bis zum darauffolgenden Morgen trocken blieb. Die Warmfront kam derweilen über dem östlichen Mitteleuropa und Skandinavien etwas langsamer voran. Der Schwerpunkt der Regen-, bzw. über Skandinavien auch Schneefälle konzentrierte sich dabei auf das südöstliche Mitteleuropa, speziell Österreich, Slowakei und Ungarn. Beispielsweise fielen in Wien tagsüber 13 l/m² in 12 Stunden bis 18 Uhr UTC, in Bratislava noch 6 l/m², in Prag dagegen nur 0,5 l/m². Zwischen den Fronten gelangte weiterhin sehr milde Luft subtropischen Ursprungs nach West- und Mitteleuropa, was sich deutlich an den Tageshöchstwerten zeigte. Vor allem zwischen Zentralfrankreich und dem Niederrhein wurde mit Sonnenunterstützung zumeist mehr als 15°C gemessen. In Deutschland meldete Geilenkirchen mit 18,3°C den Spitzenwert, was außergewöhnlich mild für den Monat Januar ist.

In den folgenden Stunden kam es zu einer Weiterentwicklung von Tief JUDITH und der Ausläufer. Während der Hauptkern ohne wesentliche Druckänderung über der Irminger See quasi stationär lag, befand sich der Wirbel JUDITH II am Morgen des 26. Januars mit knapp unter 970 hPa Luftdruck im Bereich der Nordmeersinsel Jan Mayen. Gleichzeitig begannen Warm- und Kaltfront des Tiefs sich über Skandinavien zu vereinigen. Nicht nur hierdurch, sondern auch aufgrund der größer werdenden Temperaturkontraste zwischen kurzfristig einfließender Luft subtropischen Ursprungs, die Maxima lagen in Westnorwegen bei +17°C, und Kaltluft, die Temperaturwerte erreichten im schwedischen Lappland teils nicht mehr als -20°C, kam es zu einer weiteren Intensivierung der Niederschläge. Während es in der Nacht vor allem entlang der westnorwegischen Küste zu kräftigeren Regenschauern mit vielfach 10 bis 15 l/m² in 12 Stunden kam, verlagerte sich der Schwerpunkt tagsüber nach Lappland, Finnland und zum Baltikum. Trotz negativer Temperatur und mehrerer Zentimeter mächtiger Schneedecke regnete es zeitweilig bis nach Mittelschweden, Südfinnland und dem Baltikum. Die Niederschlagsmengen lagen dabei meist zwischen 5 bis 10 l/m², in Tallinn etwa bei 11 l/m², in Nurmijärvi, nördlich von Helsinki, bei 13 l/m² und im lappischen Kittilä bei 11 l/m². Südlich dieser Niederschlagszone ließ die Wetterwirksamkeit des Tiefs JUDITH rasch nach. Über Deutschland erwärmte sich die Luft erneut auf Werte zwischen 8 bis 9°C an Nord- und Ostsee und 13 bis 14°C in Süddeutschland. In Stuttgart und Freiburg wurden 16,0°C bzw. 16,2°C erreicht. Weiter nördlich dagegen wurde die Okklusionsfront allmählich Richtung Nordwestrussland und Osteuropa abgedrängt, was nicht zuletzt der Entwicklung eines neuen Tiefs über dem nahen Ostatlantik geschuldet war. So zog der nachfolgende Wirbel KARIN rasch über die Britischen Inseln und bis zum Tagesende zur Norwegischen See. 

Währenddessen verblieb Tief JUDITH mit den beiden Kernen auch am 27. und 28. Januar quasi stationär über dem äußersten Norden des europäischen Nordatlantik. Gleichzeitig kam auch die Okklusion über Nordwest- und Westrussland nur noch sehr langsam weiter ostwärts voran. Im Übergangsbereich entlang der Luftmassengrenze kam es unverändert zu leichten, teils mäßigen Niederschlägen, die auf der kalten Seite als Schnee, auf der wärmeren Seite als Regen, dazwischen auch als Schneeregen, gefrierender Regen oder Graupelschauer fielen. Gleichzeitig kam es rückseitig der Front über Osteuropa zu einer langsamen Erwärmung und einem Abtauen der Schneedecke. Während in Tallinn bis zum 26.01. noch eine bis zu 30 cm mächtige Schneedecke lag und seit Weihnachten Dauerfrost herrschte, stiegen die Temperaturen durch die wiederholten Warmluftvorstöße in den leichten Plusbereich und die Schneedecke taute bis zum Ende des Monat vollständig auf.

Letztmalig analysiert werden konnte Tief JUDITH am Morgen des 29. Januars mit einem Kerndruck von noch knapp unter 975 hPa wenig südlich von Spitzbergen. Die Okklusion spannte sich zu diesem Zeitpunkt von der Barentssee ausgehend südwärts über Nordwestrussland und das Gebiet der mittleren Wolga bis nach Südrussland. An ihr kam es auch in den folgenden Stunden noch zu leichten bis mäßigen Niederschlägen.


Geschrieben am 18.04.2016 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 25.01.2016

Pate: Judith Branoner