Lebensgeschichte

 

 Tiefdruckgebiet KAMIL

(getauft am 31.05.2015) 

 

Auf der Rückseite des südlich von Island liegenden Tiefdruckkomplexes JÜRGEN strömte am 31.05.2015 von Grönland aus kommend maritime Arktikluft über den nördlichen Atlantik in Richtung Süden. Da zu diesem Zeitpunkt bereits fest stand, dass es weiter südlich beim Überströmen von wärmeren Atlantikwasser zur Entstehung eines Tiefdruckgebietes kommen würde, welches dann mit der vorherrschenden Westströmung in Richtung Europa zieht, wurde dieses Tief in der Prognose für den Folgetag auf den Namen KAMIL getauft.

In der Nacht zum 01.06. bildete sich ca. 1000 km westlich der irischen Küste südwestlich des Zentrums des Tiefs JÜRGEN I eine Welle in den Isobaren, aus der es nachfolgend zur Zyklogenese kam. Von seinem Kern, in dem ein Luftdruck von ca. 999 hPa herrschte, gingen eine kurze, nach Süden gerichtete Warmfront und eine nach Westen ausgedehnte Kaltfront aus. In den Vormittagsstunden zog das Tiefdruckgebiet KAMIL unter rascher Intensivierung weiter in Richtung Großbritannien, wobei die Fronten langsam zu okkludieren begannen. Eine Okklusion ist eine Mischfront aus Kalt- und Warmfront, die entsteht, wenn die nachfolgende und schneller ziehende Kaltfront die vorhergehende Warmfront einholt. Der Punkt, an dem Kalt- und Warmfront zusammenlaufen heißt Okklusionspunkt. In der 500-hPa-Höhenwetterkarte, was in etwa einer Höhe von 5 km über dem Erdboden entspricht, war zu erkennen, dass sich an der Südflanke des Tiefs KAMIL zudem eine starke Drängung der Isothermen, also der Linien gleicher Temperatur, befand. Dieser Bereich bezeichnet in der Meteorologie die Grenze, die Polarfront, welche kalte Arktikluft von warmer Tropikluft trennt. Im oberen Teil der Polarfront ist der Jetstream eingelagert, ein Starkwindband, welches im Falle von Tief KAMIL für diese Jahreszeit besonders stark ausgebildet war. Dies begünstigte die starke und schnelle Entwicklung des Wirbels. Zum Mittag erreichte die Okklusionsfront die irische Küste, wo schauerartig verstärkter Regen einsetzte. Der Luftdruck im Zentrum war rasch auf unter 985 hPa gefallen. Am Nachmittag zog die Okklusion über Irland hinweg und erreichte zum Abend mit starken Niederschlägen und Sturmböen Schottland, Wales und England. Die Warmfront reichte vom Okklusionspunkt über der irischen See bis über den Golf von Biskaya. Die Kaltfront war nur noch schwach ausgeprägt und reichte ca. 300 km über den Atlantik. An der schottischen Station Tiree wurde um 21 Uhr UTC, d.h. 23 Uhr MESZ, des 01.06. ein Luftdruck von 974 hPa gemessen. Da davon ausgegangen werden kann, dass der Luftdruck im Zentrum des Tiefs noch geringer war, betrug der Luftdruckabfall in weniger als 24 Stunden mehr als 25 hPa. Bei solch schnellen und starken Absenkungen des Zentrumsdruckes in einem Tief spricht man in der Meteorologie von einer Bombogenese, also einer rapiden Zyklogenese. Bei diesen Tiefs treten häufig, wie auch im Fall von Tief KAMIL, starke Windböen bis zur Orkanstärke auf. Entlang der Küsten an der irischen See wurden am 01.06. vermehrt Böen von mehr als 100 km/h gemessen, im walisischen Capel Curig sogar bis 126 km/h und auf dem Great Dun Fell, einem 848 m hohen Berg im Norden Englands sogar bis 141 km/h.

Das Tief KAMIL zog weiter nordostwärts und überquerte mit seinem Zentrum in der Nacht zum 02.06. den Norden Schottlands. Gegen Mitternacht erreichte die Warmfront auf Höhe der Bretagne die französische Küste, wo auch Regenfälle einsetzten. Die Niederschläge, welche seit dem Vortag andauerten, brachten bis 06 Uhr UTC 24-stündig summiert vor allem von den Schottischen Highlands bis nach Wales und in den Südwesten Englands hohe Niederschlagssummen. So wurden in Capel Curig 60,0 mm Niederschlag registriert, im schottischen Tulloch Bridge 36,0 mm und in Cardinham in der englischen Grafschaft Cornwell 29,2 mm. Der Wirbel KAMIL zog zügig weiter über die Färöer-Inseln hinweg, wobei die Okklusion in den Mittagsstunden die norwegische Küste und den Norden Dänemarks erreichte und dort starke Niederschläge einsetzten. Die Warmfront zog unter Abschwächung über den Norden Frankreichs und den Ärmelkanal hinweg, sorgte jedoch nur noch für schwachen Niederschlag. Im Bereich der Okklusion traten an der Küste Norwegens und im skandinavischen Gebirge bei Schauern Sturmböen auf, wie mit 108 km/h in Obrestad oder 148 km/h in Bjorli am Fuße des 1250 m hohen Berges Bjorliho.

Am 03.06 um 00 Uhr UTC erreichte auch das Zentrum des Tiefs KAMIL die norwegische Küste, insgesamt hatte sich der Wirbel aber wieder abgeschwächt. Der Luftdruck im Zentrum war auf 987 hPa angestiegen. Die Okklusionsfront führte von Trondheim bis zum Okklusionspunkt über der estnischen Hauptstadt Tallinn, wo sie sich in eine kurze, südwärts reichende Warmfront und eine sich im Kaltluftsektor neu gebildete und bis kurz vor die Azoren reichende Kaltfront aufteilte. Bis 06 Uhr UTC kamen besonders im Süden Norwegens im Gebirgsstau Niederschlagssummen von verbreitet 30 bis 40 mm zusammen, an der dänischen Station Tylstrup sogar über 84 mm in nur 24 Stunden.

Im Verlauf des 03.06. zog Tief KAMIL nordwärts über Skandinavien hinweg, wobei sich neben starken Böen zwei Hauptniederschlagsgebiete herausbildeten. Das eine befand sich im Bereich der Frontenaktivität von der Mitte Finnlands bis zur russischen Halbinsel Kola. Das zweite wurde entlang der norwegischen Küste zwischen Trondheim und Bergen durch starke Schauer, welche in der Höhenkaltluft auf der Tiefrückseite entstanden, hervorgerufen. Bis 00 Uhr UTC des 04.06. hatte sich das Tiefzentrum unter leichter Verstärkung bis über die Barentssee verlagert, eine langgezogene Kaltfront reichte vom Okklusionspunkt südlich der russischen Insel Nowaja Semlja bis zum Alpenraum, die Warmfront ebenfalls vom Okklusionspunkt bis über das nördliche Westsibirien. Der Kerndruck war mit unter 985 hPa wieder leicht gesunken. Im Bereich der Atlantikküste erreichten die 24-stündigen Niederschlagssummen bis 06 Uhr UTC dabei Werte von verbreitet 15 bis 30 mm, wie beispielsweise an der Station Fiskabygd mit 26,7 mm und in der russischen Stadt Lovozero auf Kola sogar 46,7 mm.

Bis zum 05.06. war der Wirbel KAMIL nordwärts entlang der Küste Nowaja Semljas gezogen, die Kaltfront hatte sich bis etwa auf eine Linie vom Ural bis zum Schwarzen Meer verlagert. Im Umfeld des Tiefzentrums traten kaum noch Niederschläge auf, lediglich im Bereich der Kaltfront kam es noch zu vereinzelten Gewittern im Norden und Südwesten Russlands, welche bis zu 20 mm Niederschlag, an der Station Pechora am Ural sogar bis 46,0 mm im Zeitraum vom 04.06. 06 Uhr UTC bis zum 05.06. 06 Uhr UTC brachten.

Im Folgenden zog das Tief KAMIL unter starker Abschwächung sowie Auflösung der Fronten nordwärts in Richtung Nordpol und befand sich ab dem 06.06.2015 außerhalb des Analysebereichs der Berliner Wetterkarte.

Das Tief KAMIL beeinflusste das europäische Wettergeschehen insgesamt 5 Tage vom 01.06. bis zum 05.06. und hatte sich dabei zwischenzeitlich zu einem für die Sommermonate ungewöhnlich starken Tiefdruckgebiet entwickelt, welches vor allem in Großbritannien für hohe Niederschlagssummen und sogar Orkanböen sorgte.

 


Geschrieben am: 07.08.2015 von Maximilian Steinbach

Berliner Wetterkarte: 02.06.2015

Pate: Kamil Isler