Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LÉO

(getauft am 10.09.2015)

 

Zu Beginn der zweiten Septemberdekade wurde das Wetter über weiten Teilen Europas durch eine kräftige und hoch reichende Antizyklone mit Zentrum über Fennoskandien bestimmt. Diese wurde in der mittleren und oberen Troposphäre, also einer Höhe von etwa 3 bis 9 km von zwei Kaltlufttrögen flankiert, der eine über dem Nordostatlantik, der andere Trog über Nordwestrussland. Ein Kaltlufttrog ist dabei ein Gebiet niedrigen Luftdrucks in der Höhe, welches aus einem Vorstoß polarer Kaltluft gen Süden entstanden ist. Der wetteraktivste Bereich eines solchen Druckgebildes ist dabei die Trogvorderseite, auf der es bevorzugt zur Entstehung neuer Tiefdruckgebiete kommt. Auch hierbei entwickelte sich im Tagesverlauf des 10. September über dem mittleren Nordatlantik, mehrere hundert Kilometer nördlich der Azoren, ein zunächst nur schwaches Bodentief, welches der Höhenströmung folgend bis zum Tagesende über das Seegebiet südwestlich der Britischen Inseln gesteuert wurde.

Nach Prognose verschiedener Wettermodelle sollte sich das Tief in den darauffolgenden Tagen zwar nicht gegen das weitaus mächtigere Hoch mit Namen LAJANA durchzusetzen. Trotzdem sollten die Ausläufer der Zyklone Mitteleuropa noch streifen und uns damit auch ein Schwall warmer Mittelmeerluft erreichen. Und so wurde das bisher noch namenlose Tief am 10. September auf den Namen LÉO getauft.

In den Frühstunden des 11. September konnte das Tief LÉO erstmals im Bodendruckfeld einige hundert Kilometer südwestlich der irischen Küste analysiert werden. Dabei war das Tief in eine wellende Luftmassengrenze eingebettet, die die Abgrenzung des atlantischen Kaltlufttroges am Boden markierte. Die Front verlief über das westliche Nordmeer und den nahen Ostatlantik südwärts bis über das Seegebiet der Azoren und ging über dem mittleren Atlantik in die Ausläufer eines nachfolgenden Atlantiktiefs über.

Bereits in der Nacht hatten kräftige Niederschläge im Zusammenhang mit der Luftmassengrenze Großbritannien und Irland erreicht. Der Schwerpunkt lag dabei an der südirischen Küste, wo z.B. auf Sherkin Island bis 06 Uhr UTC, was 08 Uhr MESZ entspricht, bis zu 38 l/m² in 12 Stunden verzeichnet wurden. Tagsüber setzten sich die Niederschläge mit ähnlich starker Intensität über dem Westen und Süden Irlands fort. Dabei kam es bis zum Abend um 18 Uhr UTC zu weiteren 35 l/m² Regen, wie etwa auf Valentia Island. Während sich der Wirbel unter Verstärkung bis zum Tagesende allmählich nach Irland verlagerte, strömte in höheren Luftschichten wärmere Luft von Südfrankreich ein. Dies machte sich allerdings noch nicht direkt an den Temperaturen bemerkbar. So lagen die Maxima etwa über Zentral- und Südfrankreich mit 25 bis 28°C ähnlich hoch wie die Tage zuvor. Auch in Deutschland blieben die Temperaturen mit unter 20°C gegenüber dem Vortag kaum verändert.

Am Morgen des 12. September wurde das Tief LÉO dann als abgeschlossene Zyklone mit einem Kerndruck von knapp unter 1000 hPa über Irland analysiert. Dabei hatten sich die frontalen Strukturen weiterentwickelt. Die in ihrer Lage kaum veränderte Luftmassengrenze verlief nun vom Zentrum ausgehend in nördliche Richtungen als Warmfront und in südliche, bzw. südwestliche Richtungen als Kaltfront. Zudem hatte sich durch den Warmluftvorstoß über Frankreich eine weitere Warmfront gebildet.

Schon in den Nacht- und frühen Morgenstunden erreichten die mit der Kaltfront verknüpften, teils kräftigen Niederschläge vom Atlantik her Frankreich und Spanien. Bis morgens um 06 Uhr UTC fielen im französischen Cognac 12-stündlich etwa 13 l/m², in Nordwestspanien waren es am Capo Vilan sogar 23 l/m². Allerdings bildeten zweistellige Regenmengen eher die Ausnahme, meist regnete es weniger als 5 l/m² in 12 Stunden. Weitaus kräftiger fielen dagegen die Niederschläge im Bereich des Tiefdruckzentrums über den Britischen Inseln aus, vor allem über Irland und England. Hier fielen bis um 06 Uhr UTC verbreitet 5 bis 10 l/m², stellenweise auch über 20 l/m², so wie beispielsweise im irischen Glenanne. Da das Tief im weiteren Tagesverlauf zudem zu okkludieren begann, sprich Warm- und Kaltfront zusammenliefen, verstärkten sich die Niederschlagsintensitäten sogar noch und bis zum Abend kam es verbreitet zu weiteren 10 bis 15 l/m², örtlich bis knapp 30 l/m² Regen wie im irischen Dundrennan.

Ein weiterer Niederschlagsschwerpunkt entwickelte sich im Tagesverlauf über Frankreich. Hier wurde noch vor der eigentlichen Kaltfront mit südlicher Höhenströmung vom Mittelmeer feuchtwarme Luft herantransportiert, in der sich ein großräumiger Niederschlagskomplex, mit eingelagerten Schauern und Gewittern ausbilden konnte. Bis zum Abend fielen teils mehr als 30 l/m², so wie etwa in Limoges mit 37 l/m² oder in Vichy mit 36 l/m², in Paris waren es um die 20 l/m² in 12 Stunden.

Die Temperaturen erreichten unter den vielen Regenwolken in Nord- und Zentralfrankreich sowie den Benelux-Staaten kaum über 20°C, dagegen stiegen sie über Süddeutschland, bis wohin sich die mediterrane Luft bereits durchsetzen konnte mit zeitweiliger Sonnenunterstützung auf über 25°C. Beispielsweise waren es in Freiburg 27,4°C.

In der Nacht zum 13.09. zog das Niederschlagsfeld unter Abschwächung von Frankreich und den Benelux-Staaten aus über die Westhälfte Deutschlands weiter nordostwärts. Dabei fielen im Schnitt noch 5 bis 10 l/m² Regen in 12 Stunden. Am Flughafen Köln-Bonn waren es beispielsweise 12 l/m², in Hamburg-Fuhlsbüttel noch 7 l/m². Dagegen ließen die schauerartigen und gewittrigen Niederschläge über dem Süden Frankreichs nicht nach, sondern intensivierten sich noch. Dabei kam es im Stau der Cevennen und der französischen Alpen zu teils schweren Unwettern durch extrem kräftige Regenfälle. So wurden in einem 24-stündigen Bezugszeitraum bis zum Morgen des 13. September vielfach an oder über 100 l/²m registriert. In Cannes waren es etwa 93,3 l/m², in La Grande-Combs 129,5 l/m² und in Les Plans westlich von Montpellier 301,7 l/m². Letzteres entspricht etwa 60% des durchschnittlichen Jahresniederschlages von Berlin.

Währenddessen befand sich das Zentrum von Tief LÉO in den Morgenstunden mit knapp unter 995 hPa nordwestlich von Schottland, nahe den Hebriden. Vom Kern ausgehend erstreckten sich die Ausläufer nach Norden über Island und die Grönlandsee bis Spitzbergen als Warmfront, und in östliche bzw. südöstliche Richtung als Okklusion, welche sich über der Nordsee in Warm- und Kaltfront aufspaltete. Eine Okklusion stellt dabei eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften dar, welche aus dem Zusammenschluss der beiden Frontenarten entsteht. Während die Warmluft subtropischen Ursprungs bis in den Osten Deutschlands vorgedrungen war, hatte sich die Meereskaltluft vom Atlantik aus ostwärts bis zu einer Linie Amsterdam - Paris - Madrid - Madeira vorgearbeitet.

Im Tagesverlauf zog die Zyklone allmählich weiter nordwärts Richtung Island, wodurch auch das Frontensystem weiter vorankam. Während die Okklusion samt sich anschließender Warmfront unter Abschwächung Südskandinavien erreichte, kam die Kaltfront allerdings kaum weiter ostwärts voran. Ursache hierfür war die Bildung eines Teiltiefs entlang der Front, etwa im Umfeld der Pyrenäen, welches die Ausläufer in seine Zirkulation mit aufnahm. Trotzdem setzten sich die Niederschläge über den Westalpen unvermindert fort. Dabei regnete es zwischen 06 bis 18 Uhr UTC etwa in Turin 22 l/m², in Cannes 13 l/m² und in Lugano im Tessin 24 l/m². Einzelne Niederschlagsfelder zogen mit deutlich abgeschwächter Intensität auch über Deutschland hinweg, viel mehr als 1 bis 5 l/m² wurden aber nicht registriert.

Aufgrund des Regens und der oftmals dichten Bewölkung machte sich die mittlerweile über Deutschland befindliche Luft subtropischen Ursprungs kaum an den Temperaturen bemerkbar, meist blieb es bei Werten um 20°C. Lediglich in einem Streifen von Bayern über Sachsen bis zur Niederlausitz konnte die Sonne für einige Stunden scheinen und so die Luft auf sommerliche Werte erwärmen. So wurden beispielsweise in München 26°C, in Nürnberg 28°C oder in Cottbus 27°C erreicht.

Währenddessen zog vom Ostatlantik bereits ein neuer Tiefdruckwirbel unter rascher Verstärkung in Richtung Britischer Inseln. Dieser sollte in den kommenden Stunden mehr und mehr die Rolle des steuernden Tiefs übernehmen, während das Tief LÉO allmählich an Einfluss auf unser Wetter verlor.

Letztmalig konnte das Tief LÉO am Morgen des 14. September einige hundert Kilometer südlich von Island, mit einem Kerndruck von knapp unter 995 hPa analysiert werden. Mit dem Tiefdruckkern stand weiterhin eine Okklusion in Verbindung, die bogenförmig bis vor die norwegische Küste verlief, wo sie aber in die Ausläufer des Randtiefs, welches sich mittlerweile über der Nordsee befand, überging. Zumindest an diesem Tag aber sorgte der Wirbel LÉO nochmals für zeitweilig leichte bis mäßige Niederschläge über Island, ehe es sich im weiteren Tagesverlauf immer weiter abschwächte und schließlich bis zum Tagesende vollständig im Tiefdruckkomplex MICHAEL aufging.


Geschrieben am 05.10.2015 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 12.09.2015

Pate: Léo Metz