Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
LARS
(getauft
am 23.01.2021)
Ein neues Tief, was einmal das Wetter
in Mitteleuropa beeinflussen sollte, entstand um den 22. Januar aus dem Zerfall
eines Sturmtiefs vor der nordostamerikanischen Küste. Genau genommen spaltete
sich dieser Sturmwirbel in zwei Kerne auf, wobei der eine vor die kanadische
Ostküste zog, der andere hingegen mit der Höhenströmung ostwärts über den
Nordatlantik transportiert wurde.
Am frühen Morgen des darauffolgenden
Tages wurde Tiefdrucksystem LARS, so der Taufname, erstmals von den
Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf der Bodenwetterkarte analysiert.
Dabei befand sich der eine Kern (LARS I) einige hundert Kilometer nordöstlich
von Neufundland, mit einem Luftdruck von knapp unter 990 hPa. Der andere Kern
(LARS II) hingegen wurde über dem mittleren Nordatlantik, etwa 1000 Kilometer
nördlich der Azoren mit einem Luftdruck knapp unter 1005 hPa detektiert. Beide
Tiefs waren durch eine langgezogene, sogenannte Okklusion miteinander
verbunden, so bezeichnet man in der Meteorologie eine Mischform aus Warm- und
Kaltfront. Während mit dem westlicheren Kern nur eine weitere schwache
Mischfront (über der Labradorsee) verknüpft war, besaß der östlichere Kern, wie
für ein Tief der mittleren Breiten typisch, eine Warmfront (südostwärts bis
Madeira), sowie eine Kaltfront (südwestwärts bis zu
den Azoren reichend). LARS I verblieb in den folgenden Stunden im Raum Neufundland,
wo es sich am folgenden Tag auflöste. LARS II dagegen sollte bald schon
Einfluss auf das Wetter über dem europäischen Kontinent bekommen. Es zog am 23.
Januar, dem Tauftag, rasch vom mittleren Atlantik bis
zur Iberischen Halbinsel, dabei setzte mit Eintreffen der Warmfront leichter
Regen über Portugal und Spanien ein. Mit Ankunft der Kaltfront in den
Nachmittagsstunden kam es zu einer Intensivierung des Niederschlags. Nicht
überall regnete es gleichermaßen, während es im Osten und Süden Spaniens bis
zum Abend noch trocken blieb, regnete es über Portugal, Galizien, Asturien bis
ins Baskenland mitunter länger anhaltend. Bis zum Abend 18 UTC, was 19 Uhr MEZ
entspricht, fielen 12-stündlich z.B. in Vigo 15 l/m², in der nordspanischen
Hafenstadt Llanes 10 l/m², und im portugiesischen Port Alegre 13 l/m². Im Weststau
der Gebirge gab es auch stärkere Niederschläge, etwa in der Serra da Estrela, mit knapp 1800 m die höchste Erhebung in Portugal,
wo an der exponiert gelegenen Messstation Penhas Douradas sogar 53 l/m² zwischen 06 und 18 UTC gemessen
wurden.
In der Nacht zum 24. Januar befand
sich das Zentrum von Tief LARS bereits über Katalonien, wo der Luftdruck auf
knapp unter 1005 hPa gefallen war. Ausläufer des bereits teilokkludierten
Tiefs, spannten sich um 00 UTC des neuen Tages vom Zentrum aus bogenförmig über
den Osten und Süden Spaniens, die Warmfront reichte bis Marokko, die Kaltfront
weiter bis zum nahen Ostatlantik. Doch dies war nur eine Momentaufnahme, denn
in den folgenden Stunden zog die Zyklone rasch über das westliche Mittelmeer,
Norditalien und die Adria und erreichte am Tagesende schon den Westbalkan. Über
dem verhältnismäßig warmen Mittelmeer, mit Wassertemperaturen von etwa 13-15°C
über dem Tyrrhenischem Meer, konnte der Wirbel viel Energie aufnehmen und sich
auf unter 995 hPa verstärken. Aber nicht nur das, gleichzeitig erfassten Regen
und Regenschauer nun auch die Apenninen- und Balkan-Halbinsel. Bereits am
vorangegangenen Tag und in der Nacht hatte es hier Niederschläge gegeben, die
sich unter Tief LARS am 24. Januar fortsetzten. Dabei wurden zwischen 06 und 18
UTC verbreitet zweistellige Regenmengen über Italien beobachtet, etwa 12 l/m²
in Pisa oder 15 l/m² in Rimini. Noch kräftiger fielen die Niederschläge über
Kroatien und Montenegro aus, wo etwa in Split 23 l/m², in Zadar
25 l/m² und im montenegrinischem Nikšić 49 l/m²
in 12 Stunden gemessen wurden. Gebietsweise kam es auch zu Gewitter, wie etwa nachmittags
und am Abend über Süditalien, die Station Bonifati
meldete um 18 UTC starke Gewitterschauer. Mit der Tiefdruckentwicklung
einhergehend hatte es bereits in der Nacht über Iberico, den Balearen und dem
westlichen Mittelmeer starke bis stürmische Böen gegeben, vereinzelt auch
Sturmböen (z.B. am Flughafen Valencia um 06 UTC Böen bis 81 km/h). Nun waren
der Süden der Apenninen-Halbinsel und die östliche Adriaküste betroffen,
wenngleich Windgeschwindigkeiten von über 75 km/h nur an exponierten Stellen
anzutreffen waren, beispielsweise an der dalmatinischen Adriaküste in Dubrovnik
mit bis zu 87 km/h. Nachts setzten sich die mitunter kräftigen Regenfälle über
der Balkanhalbinsel fort, dehnten sich gleichzeitig bis zur Ägäis nach
Griechenland und die Türkei, aber auch ins südöstliche Mitteleuropa aus. Da das
Tief, mit Drehsinn gegen den Uhrzeiger, auf seiner Nordwestflanke höhenkalte
Luft (Temperaturen in 850 hPa über Zentraleuropa unter -5°C) anzapfte, wurden
in einem Gebiet zwischen Westbalkan, Karpatenbecken und Westkarpaten aus den
Regen- bald Schneefälle. Auf der anderen, der warmen Seite des Tiefs wurde
feuchte und milde Mittelmeerluft nordwärts gelenkt (+5°C über Ägäis), was zu
weiteren Schauern und Gewittern an der albanischen und griechischen
Mittelmeerküste (Ionisches Meer), vereinzelt auch an der türkischen Ägäis
führte. Teils über 50 l/m² wurden bis zum nächsten Morgen aus Albanien,
Montenegro und Mazedonien vermeldet (z.B. aus Tirana 52 l/m²). Zum Vergleich:
zwischen Nordkroatien, Ostungarn, Westrumänien bis in den Osten der Slowakei
waren es 10-20 l/m² in 12 Stunden, was trotz leichter Plusgrade für 2-5 cm
Neuschnee sorgte.
Unterdessen befand sich Tief LARS am
Morgen des 25. Januars mit Zentrum über Serbien mit einem Luftdruck von unter
995 hPa. In Belgrad wurde um 00 UTC sogar ein Luftdruck von 989,8 hPa gemessen.
Das Tief selbst hatte sich etwas umstrukturiert. Ausläufer reichten jetzt vom
Kern aus als Warmfront nordwärts bis zur ukrainisch-polnischen Grenze, als
Kaltfront südwärts über die griechischen Gebirge und das Ionische Meer bis nach
Nordafrika, und die ursprüngliche Front als Okklusion vom Kern weg über die
Adria bis nach Süditalien. Der Wirbel zog der Höhenströmung folgend über
Rumänien, den Westen der Ukraine bis zum Tagesende nach Weißrussland. Dadurch
gelangte auf der Vorderseite ein Schwall Warmluft aus Südosteuropa, respektive
der Schwarzmeerregion weit nordwärts. Milde Temperaturen von bis zu +7°C in
Kiew, +8°C in Bukarest und bis zu +10°C in Sofia konnten beobachtet werden.
Allerdings bestand der Tiefdruckeinfluss über Osteuropa schon seit einigen
Tagen, wodurch die Warmluft stufenweise einsickerte und die Frostluft schon
eher abgedrängt hatte. Gleichwohl setzten sich die Niederschläge im Bereich des
Tiefdruckzentrums und entlang der ost- und nordostwärts vordringenden Ausläufer
fort. Nun regnete es verstärkt über dem Westen der Türkei (z.B. Istanbul 8
l/m², Izmir 13 l/m², Muğla 22 l/m² zwischen
06-18 UTC), sowie über dem Ostbalkan und den Ostkarpaten (Constanta 7 l/m²,
Bukarest 3 l/m², Sliwen 5 l/m², Chișinău 6
l/m²). Dagegen kam es auf der kalten Seite des Tiefs zu weiteren Schneefällen,
in einem Gebiet zwischen dem Osten Polens und dem Westen Weißrusslands über den
Osten der Slowakei bis in den Norden Ungarns. Aufgetaut betrugen die
Niederschlagsmengen beispielsweise im weißrussischen Brest 12 l/m², im
südpolnischen Rzeszów 14 l/m² und im westukrainischen Uschgorod
20 l/m². Dort wo es zu länger anhaltenden Schneefällen kam, lagen die
Temperaturen im östlichen Mitteleuropa nur noch bei um oder wenig über Null
Grad, z.B. im ungarischen Eger bei +2°C, im slowakischen Košice bei +1°C oder
im polnischen Lublin bei -0°C.
Schon in der Nacht zum 26. Januar
verlagerte sich der Niederschlagsschwerpunkt mit dem Tiefdruckzentrum weiter
nordwärts Richtung Baltikum und Weißrussland. Während etwa die Niederschläge
über der Türkei und Ägäis rasch nachließen, kam es nun zu mitunter kräftigeren
Regen, Schneeregen oder Schneefällen, je nachdem, ob man sich auf der warmen
Seite, der kalten Seite oder im Grenzbereich der Luftmassen befand. Dies führte
bis zum darauffolgenden Morgen zu 10-20 Zentimeter Neuschnee, vor allem in
einem Streifen zwischen Litauen, Ostpolen und dem Westen Weißrusslands.
Beispielsweise meldete die Messstation in Białystok um 06 UTC eine
Schneehöhe von 35 cm, nach 11 cm tags zuvor, im litauischen Kaunas waren es 16
cm, nach 3 cm am Vortag. Anders auf der warmen Seite des Tiefs, wo es über
Teilen Weißrusslands und dem Westen Russlands durch Regen und vergleichsweise
milde Luft zu einer Abnahme der dort vorhandenen Schneedecke um etliche
Zentimeter kam. In Minsk etwa schmolz die Schneedecke von 16 cm auf 12 cm, in
Smolensk von 15 cm auf 8 cm und in St. Petersburg von 3 cm auf 0 cm. Nach
Analyse des britischen MetOffice erreichte Tief LARS
am 26. Januar den tiefsten Druck in seiner Entwicklung, als in den
Mittagsstunden der Kerndruck bis auf 986 hPa fiel. Dabei „kringelte“ sich der
Wirbel über Osteuropa ein und die Kaltfront, am Morgen noch vom Kern aus
südwärts bis zum Schwarzen Meer und die Türkei reichend, holte die Warmfront,
am Morgen nordwärts über das Baltikum bis ins Leningrader Gebiet reichend, ein.
Mit Verschwinden des Warmsektors wurde zumindest bodennahe die Warmluft
ausgeräumt und die schwachen, teils mäßigen Niederschläge gingen mehr und mehr
in Schnee über. Mit durchschnittlich 5-10 l/m² in 12 Stunden hielten sich die
ergiebigsten Niederschläge über Weißrussland (Minsk sogar 14 l/m²).
Gleichzeitig erreichten die Schneewolken auch Finnland und Karelien (St. Petersburg
2 l/m², Helsinki 3 l/m², Wyborg 6 l/m²). Mit der Vertiefung der Zyklone
einhergehend frischte der Wind erneut frisch und böig auf. Zwischenzeitlich
hatten die mittleren Windgeschwindigkeiten nur im schwachen bis mäßigen Bereich
gelegen, von einzelnen Schauer- und Gewitterböen über Adria, Ägäis und
Schwarzmeer mal abgesehen. Vor allem südlich und östlich des Kerns kam es an diesem
Tag zu einzelnen starken bis stürmischen Böen von bis zu 65 km/h. Beispielsweise
wurden in Vilnius Böen bis 54 km/h gemessen, im weißrussischen Gomel bis 61
km/h (beides entspricht Stärke 7) und im westrussischen Trubtschewsk
nachmittags sogar Böen bis 65 km/h (Stärke 8). Erste Anzeichen für die
allmähliche Abschwächung der Zyklone gab es in der sich anschließenden Nacht,
wo der Wind sich etwas abschwächte und die Niederschlagsintensitäten
zurückgingen. Schneefälle meist leichter Intensität ereigneten sich
hauptsächlich zwischen mittlerer Ostsee, Baltikum, Weißrussland und dem Westen
Russlands, meist wurden unter 5 l/m² in 12 Stunden beobachtet (z.B. in Wjasma 5 l/m² und in Helsinki 3 l/m²). Unterdessen zogen
vom Schwarzen Meer aus schon wieder neue Regen- und Schneewolken nordwärts. Sie
gehörten zu Ausläufern eines sich neu formenden Tiefs über Südosteuropa.
So stellte sich am Morgen des 27.
Januars um 06 UTC die Situation über Osteuropa wie folgt dar. Tief LARS mit
Kerndruck von etwas unter 995 hPa befand sich weiter über Weißrussland. Von
dort aus spannten sich die okkludierten Ausläufer in einem langen Bogen über
das Baltikum und dem Finnischen Meerbusen, weiter als Warmfront über
Südfinnland, Karelien und dem Weißen Meer bis nach Nordwestrussland und zum
Ural. Eine weitere Front verlief dagegen östlich des Kerns über Westrussland,
die Ukraine und dem Schwarzmeer, gehörte aber bereits zur sich weiter
kräftigenden Zyklone über der Ägäis und der Westtürkei. Wirbel LARS
"wanderte" in den folgenden Stunden unter allmählicher Abschwächung;
der Luftdruck stieg bis zum Tagesende auf nur noch wenig unter 1000 hPa;
nordwärts Richtung Finnland. Dies sorgte für weitere, wenngleich nur noch
schwache Schneefälle, nicht nur über dem Baltikum und Finnland, sondern auch
über dem Westen, bzw. Nordwesten Russlands. Vielfach kamen bis zum Abend Mengen
von 1-2 l/m² und damit deutlich weniger als an den Vortagen zusammen. Lediglich
gebietsweise, wie über dem Baltikum (Riga 4 l/m²) oder Finnland (Tampere 5
l/m²), sowie über Nordwestrussland (Tscherepowez 4 l/m²) fiel etwas mehr. So
erhöhte sich die Schneedecke nur noch unwesentlich. Denn meist lagen nördlich
von Prypjat, Dnepr und Don 10-20 Zentimeter, örtlich
auch 30-40 cm, wie etwa im Gebiet zwischen Wilna (29 cm), Bialstok
(41 cm) und Sulwalki (39 cm).
Bereits am nächsten Morgen existierte
Tief LARS in den Bodendruckkarten nur noch als diffuse Tiefdruckzone, welche
sich mit einem Luftdruck von knapp unter 1000 hPa von Südfinnland bis
Nordwestrussland erstreckte. Mit dem Tief in Verbindung stand noch eine
schwache Okklusionsfront, die vom Kern weiter bis zum Nordural
reichte. Während sich das Tief am 28. Januar schließlich über Südfinnland
auflöste, sorgte es hier, wie auch über dem Norden des europäischen Russlands
noch für zeitweilige Schneefälle.
Der Tiefdruckeinfluss über Osteuropa
und Russland sollte sich übrigens bis in die erste Februardekade hinein halten.
Durch das weitere „Ringen“ zwischen kalten subpolaren Luftmassen und milden,
südosteuropäischen Luftmassen setzte sich das wechselhafte, nur mäßig kalte
Winterwetter mit zeitweiligen Schnee- oder Regenfällen fort.