Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet LENNART
(getauft am 28.01.2013)
Über dem
Nordatlantik konnte sich im Verlauf der zweiten Januarhälfte eine sehr starke
Westströmung etablieren. Besonders der Bereich in ca. 5,5 km Höhe war durch
einen starken Temperatur- und Luftdruckgegensatz gekennzeichnet. Dies führte
dazu, dass sich ein zonales Starkwindband über dem Atlantik entwickeln konnte,
unter dessen steuernde Wirkung sich immer wieder kräftige Tiefdruckgebiete
entwickeln konnten. In der Nacht vom 27. auf den 28. Januar verlagerte sich
eine dieser Zyklonen unter rascher Verstärkung vom Nordwestatlantik in Richtung
Osten. Dieses Tief wurde am Morgen des 28. Januar in der Berliner Wetterkarte
etwa 1000 km südöstlich Neufundlands analysiert. Da es nach den Wetterprognosen
das europäische Wetter maßgeblich beeinflussen sollte, wurde es noch am
gleichen Tag auf den Namen LENNART getauft.
Rasch nach Osten
verlagernd und sich stetig vertiefend erreichte es am Morgen des folgenden
Tages, den 29. Januar, den mittleren Nordatlantik. Dabei befand sich das
Tiefzentrum, dessen Kerndruck knapp 970 hPa betrug, etwa 1500 km westlich von
Irland. Sein Frontensystem setzte sich zu diesem Zeitpunkt aus einer
sogenannten Okklusionsfront, die eine Mischform aus Warm- und Kaltfront darstellt,
zusammen. Diese erstreckte sich vom Kern ausgehend wenige Hundert Kilometer in
Richtung Osten. Im dortigen Anschlussbereich befand sich der Okklusionspunkt,
an dieser Stelle liefen die Warm- und Kaltfronten des Tiefs reißverschlussartig
zur Okklusionsfront zusammen. Während die Warmfront nach Südosten bis an die
Südwestspitze Englands reichte, erstreckte sich die dahinterliegende Kaltfront
nach Südwesten. Letztere reichte mit ihrer Länge von mindestens 2000 km über
den Analysebereich der Berliner Wetterkarte hinaus.
Wegen der
bemerkenswert hohen Verlagerungsgeschwindigkeit des Tiefs und seiner Fronten
wurden noch am selben Tag weite Teile Nordwest- und Mitteleuropas von den
Tiefausläufern beeinflusst. Bis zum Abend überquerte die Warmfront die britischen
Inseln vollständig, sodass im Laufe der Nacht bereits auch die Kaltfront auf
europäisches Festland traf. Im Vorfeld der Warmfrontpassage regnete es
besonders in Frankreich und Deutschland
kräftig. So fielen im nordrhein-westfälischen Lüdenscheid 21 l/m² und 32 l/m² in Elsenborn
innerhalb von 24 Stunden bis 7 Uhr des Folgetages. In Südengland sorgten vor
allem die mit der Kaltfront verbundenen Schauer für kräftigen Regen. Das in
Südostengland befindliche Kenley registrierte in der
Nacht 10 l/m² in 6 Stunden. Nahe dem Tiefkern konnten dagegen extrem hohe
Windgeschwindigkeiten gemessen werden. Betroffen vom Sturmfeld des Tiefs war
Schottland, hier wurden an der Station auf Tiree
Island Orkanböen von 124 km/h gemessen. Auf der Hebrideninsel South Uist konnten sogar 135 km/h registriert werden.
Der Kern des Tiefs
konnte sich bis zum frühen Morgen des 30. Januar zu den Färöer Inseln
verlagern. Dabei vertiefte sich der Druck im Zentrum auf etwas weniger als 960
hPa. Vom Kernbereich ausgehend reichte eine rückläufige Okklusionsfront einige
Hundert Kilometer in westliche Richtung. Daneben existierte eine weitere
Okklusionsfront, die sich spiralförmig nördlich um den Kern zog und weiter nach
Südosten bis zur Stadt Bergen erstreckte. Dort befand sich der Okklusionspunkt,
der wieder Ausgangspunkt einer Warm- und Kaltfront war. Die Warmfront reichte
südwärts bis zum östlichen Alpenvorland. Hinter ihr folgte die Kaltfront,
welche sich vom Okklusionspunkt nach Südwesten über Südengland bis über den
Atlantik etwa 1000 km südlich der Azoren erstreckte.
Insbesondere
Norddeutschland war vom Wettergeschehen betroffen, das sich in Form von
kräftigen Windböen und Niederschlagsereignissen bemerkbar machte. So wurden
z.B. in Bremerhaven innerhalb von 6 Stunden zwischen 07 Uhr und 13 Uhr MEZ 12
l/m² gemessen. Im Zeitraum zwischen 13 und 19 Uhr MEZ konnten auf dem Brocken
sogar 23 l/m² registriert werden. Dort
wurde zudem eine Orkanböe von 148 km/h erfasst. Aber auch an der Nordseeküste,
wie z.B. in Sankt Peter-Ording mit 102 km/h, erreichte der Wind schwere
Sturmstärke. Neben den kräftigen Windböen auf der Rückseite der Kaltfront,
wurden auch einige Gewitter beobachtet, wie in Berlin-Tegel in der Nacht auf
den 31. Januar. Mit dem Fortschreiten des Frontensystems in Richtung Osten
gingen die Niederschläge in der Nacht auf den 31. Januar im osteuropäischen
Raum zum Teil in Schnee über. Zeitweise starke Schneefälle wurden insbesondere
in der Nordukraine und Südweißrussland beobachtet.
Am frühen Morgen
des 31. Januar wurde der Tiefkern über dem mittleren Skandinavien mit einem
Kerndruck von ca. 975 hPa analysiert. Das Frontensystem bestand aus zwei lang
gestreckten Okklusionsfronten. Eine rückläufige Okklusion reichte vom Kern
ausgehend leicht bogenförmig nach Südwesten über Bergen hinweg bis zur
nordschottischen Küste. Auf der anderen Seite des Kerns zog sich die zweite
Okklusion bis zum Nordende des Bottnischen Meerbusens, wobei die Front von dort
aus anschließend nach Süden reichte. Sie erstreckte sich über Südfinnland und
Weißrussland bis zum bei Minsk gelegenen Okklusionspunkt. Die sich dort
anschließende Warmfront reichte nach Süden bis zur Stadt Sofia. Hinter ihr
folgte die Kaltfront, welche sich ebenfalls in Bogenform über die Karpaten und
Norditalien bis über das französische Rhonetal
erstreckte.
Typisch für den
Okklusionsprozess eines Tiefdruckgebietes konzentrierten sich die höchsten
Niederschlagsmengen um den Okklusionspunkt. Da das Frontensystem
verhältnismäßig milde Meeresluft transportierte, glitt diese auf die dichtere
und kältere Kontinentalluft Osteuropas auf. In der Folge kam es durch die somit
entstandenen Hebungsprozesse zu den erwähnten Schneefällen, die bei der Passage
der Okklusionsfront teilweise in gefrierenden Regen übergingen. In der Stadt
Kiew z.B. wuchs dadurch die Schneedecke trotz der eingeflossenen milderen Luft
von 24 cm am Vortag auf 29 cm an. Innerhalb von 12 Stunden zwischen 07 Uhr und
19 Uhr MEZ fiel dort eine Niederschlagsmenge von 8 l/m². Westrussland gelangte
im Tagesverlauf auch in den Einflussbereich der Fronten, wobei die
Niederschlagsmengen, wie in Smolensk mit 4 l/m² innerhalb von 12 Stunden, etwas
geringer ausfielen.
Während die
Verlagerungsgeschwindigkeit der Zyklone im Tagesverlauf deutlich zurückging,
begann sich das Tief zu teilen. Bis zum Morgen des 1. Februar konnten zwei
Tiefkerne über Skandinavien lokalisiert werden. Das Zentrum LENNART I wurde
knapp vor der norwegischen Küste bei Tromsö mit einem Druck von etwa 975 hPa analysiert. Das
Zentrum LENNART II, dessen Druck ca. 980 hPa betrug, befand sich an der
Nordküste des Bottnischen Meerbusens direkt an der Grenze zwischen Schweden und
Finnland. Während Tief LENNART II frontenlos war, besaß das erste Zentrum ein
umfangreiches Frontensystem. Das Frontensystem des Tiefs LENNART I setzte sich
hingegen aus einer langgestreckten Okklusionsfront zusammen, die sich zunächst
hakenförmig wenige Hundert Kilometer um Nordskandinavien herum bis zur
russischen Stadt Archangelsk erstreckte. Von dort aus reichte sie in süd- bis
südwestlicher Richtung über Moskau und die Halbinsel Krim bis zur
nordwesttürkischen Schwarzmeerküste. Zudem spaltete sich eine Warmfront von der
Okklusion ab. Diese reichte von der Mitte eines gedachten Dreiecks zwischen dem
Nordkap, Spitzbergen und der russischen Insel Nowaja
Semlja bis zur Jenesseieinmündung in die Karasee.
An der
Okklusionsfront hielten die überwiegend leichten Aufgleitschneefälle
an, wobei sich der Schwerpunkt auf den Nordwesten Russlands konzentrierte. Auf
der Rückseite der Okklusion gab es hingegen Schnee- und Regenschauer, die am
frühen Morgen das Wettergeschehen in Weißrussland dominierten. Aufgrund der
Schneefälle wurden im westlichen Russland bis zum folgenden Tag meist Niederschlagsmengen
um 1 bis 2 l/m² ermittelt. An einzelnen Stationen, wie z.B. in St. Petersburg,
konnten 4 l/m² oder etwas mehr registriert werden.
Im Tagesverlauf
schwächten sich beide Tiefs weiter ab, wobei sich die Teilzyklone LENNART II
auflöste. So wurde am Morgen des 2. Februar das Tief LENNART I in LENNART
umbenannt und mit einem Kerndruck von etwa 985 hPa über der mittelnorwegischen
Westküste analysiert. Das Frontensystem setzte sich zu diesem Zeitpunkt aus
einer Okklusionsfront zusammen, die sich zunächst parallel zur norwegischen
Westküste nach Norden erstreckte. Anschließend reichte sie nach Süden und
Südosten über St. Petersburg, Moskau und Wolgograd bis über den Analysebereich
der Berliner Wetterkarte hinaus. Daneben besaß das Tief eine Warmfront, die
sich zwischen dem Nordkap und Spitzbergen an die Okklusion anschloss und nach
Osten über den Analysebereich hinaus reichte. In Perm wurde am 2. Februar unter
dem Einfluss der Okklusion eine Höchsttemperatur von -6°C bestimmt. Einen Tag
später, als es hinter der Front wieder aufklarte, fiel der Tageshöchstwert auf
-9°C zurück.
Im weiteren
Tagesverlauf verblieb der Tiefkern quasistationär bei Norwegen. Der Druck im
Kernbereich konnte am Folgetag, dem 3. Februar, auf etwa 995 hPa bestimmt
werden. Die Okklusion reichte bogenförmig um Nordskandinavien über die Barentssee
herum und verlief in südliche Richtung ca. 200 bis 300 km westlich des
Uralgebirges aus dem Analysebereich hinaus. Die Warmfront hatte sich etwa 100
km nordwärts verlagert. In Westrussland kam es überwiegend zu leichten
Schneefällen an der Okklusion. Meistens wurden Niederschlagsmengen von etwa 1
l/m² innerhalb von 24 Stunden registriert. Zudem sorgte die Bewölkung im
Frontbereich für eine kurzfristige Erwärmung.
Der Druck im Zentrum
konnte sich während dieses Tages nochmals leicht vertiefen, sodass es am
Folgetag 200 km westlich der Stadt Tromsö mit einem Druck von etwa 990 hPa analysiert
wurde. Neben dieser Vertiefung hatte sich auch das Frontensystem gewandelt und
war nun vollständig okkludiert. Die Okklusionsfront besaß am Boden
Warmfrontcharakter und erstreckte sich vom Kern ausgehend nach Nordosten bis
zur Barentssee zwischen dem Nordkap und Spitzbergen. Dort spaltete sie sich in
zwei Okklusionen, wobei eine ostwärts bis über Nowaja
Semlja reichte und eine weitere nach Süden bis zum südlichen Uralgebirge verlief.
Im Tagesverlauf
lösten sich die Fronten allmählich auf, sodass auch die Schneefallaktivität
langsam zurückging. Gleichzeitig begann sich das Tief wieder aufzufüllen.
Die Zyklone LENNART
schwächte sich in der Folge weiter ab und konnte schon am nächsten Tag nicht
mehr in der Berliner Wetterkarte analysiert werden.
Geschrieben am 09.05.2013 von Alexander Bütow
Berliner Wetterkarte: 30.01.2013
Pate: Lennart Plath