Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LEONHARD

(getauft am 23.01.2015)

 

Anfang der letzten Januardekade 2015 zog ein Tief entlang der Ostküste Nordamerikas nach Nordosten, sodass es im Tagesverlauf des 23.01. Neufundland auf dessen Nordostseite passierte. In einer Höhendruckfläche von 500 hPa, was etwa 5,5 km Höhe entspricht, befand sich um 01 Uhr MEZ außerdem ein ausgeprägter Trog, d.h. ein Kaltluftvorstoß aus Norden, mit seiner Achse ebenfalls über Neufundland. Am Boden verlagerte sich das Tief bis auf die entwicklungsgünstige Vorderseite des Troges und wurde in der Prognose für den Folgetag auf den Namen LEONHARD getauft.

Der Wirbel besaß um 01 Uhr MEZ am 24.01. einen Kerndruck von etwa 980 hPa und in dessen Nähe eine kurze Mischfront, die von Meteorologen Okklusion genannt wird, die sich am sogenannten Okklusionspunkt wenig südöstlich des Kerns in eine in südöstliche Richtung weisende Warmfront und eine nach Süden reichende Kaltfront aufteilte. Der als Warmsektor bezeichnete Bereich zwischen Warm- und Kaltfront war, wie für die Entwicklung einer Zyklone üblich, anfangs noch recht breit.

Die Zugbahn eines solchen hochreichenden Tiefdruckgebiets wird in der Regel von der Windströmung in höheren Luftschichten bestimmt. Da diese in 500 hPa kräftig aus südwestlicher Richtung wehte, verlagerte sich das Bodentief LEONHARD unter Verstärkung bis zum 25.01. um 01 Uhr MEZ weiter nach Nordosten. Es befand sich nun wenig östlich von Südgrönland mit einem minimalen Luftdruck von knapp unter 965 hPa. Von Zentrum verlief eine Okklusion über Island, wo sie sich am Okklusionspunkt in eine westlich von Irland verlaufende Warmfront sowie in eine nach Südwesten weisende und westlich der Azoren verlaufende Kaltfront aufteilte. In Zentrumsnähe wies das Tief teils erhebliche Druckgegensätze auf, die starken Wind hervorriefen. Um 19 Uhr MEZ wurde im grönländischen Ikermit ein Windmittel aus Nordwest der Stärke 12 auf der Beaufortskala gemessen, was einem Orkan entspricht. Die hervorgerufenen Böen lagen wesentlich höher. Aus Keflavik in Island wurden 113 km/h als ganztägige Spitzenböe gemeldet. Das Tief LEONHARD führte zusätzlich auch milde Luft nach Island. Diese sorgte für Höchstwerte z.B. in Dalatangi von 8°C oder in Bolungarvik von 6°C. Dazu fiel Niederschlag, der durch milde Luft in der Höhe zum Teil als Regen fiel.

Die Zyklone LEONHARD hatte sich bis zum Folgetag um 01 Uhr MEZ weiter nach Nordosten verlagert und konnte nun mit einem Kerndruck von ca. 956 hPa über der norwegischen Insel Jan Mayen analysiert werden. Das Tief besaß zwei Okklusionen, die eine reichte vom Zentrum aus nach Südwesten bis über Island und die zweite bis nach Südnorwegen. Dort spaltete sie sich in eine über Dänemark bis über die Bretagne reichende Warmfront und eine über Großbritannien und Irland verlaufende Kaltfront auf. Der Warmsektor verkleinerte sich, wie im Entwicklungsprozess eines solchen Tiefs üblich. Seine Okklusion wurde immer länger, da die Kaltfront schneller als die Warmfront ist und diese im Entwicklungsprozess einholt, sodass eine Okklusion entsteht, wo die milde Luft nur noch in höheren Luftschichten vorhanden ist. Hinter den Fronten des Tiefs floss in Island wieder kältere Luft ein, wodurch die Höchstwerte fielen. So etwa in Egilsstadir, wo der Höchstwert um 5 Grad auf 1°C fiel. Das winterliche Skandinavien ist oftmals von starken Temperaturgegensätzen geprägt. Während an der norwegischen Atlantikküste durch die vom Golfstrom hervorgerufenen milden Wassertemperaturen auch nachts die Temperatur nicht unter den Gefrierpunkt fällt, wird es im Landesinneren rasch kälter. Wenn nun ein solcher Tiefausläufer über die Region zieht, erwärmt sich vor allem das Landesinnere auf nur noch leichte Fröste, da die Fronten Wolken und oftmals mildere Luft mit sich führen. So erhöhte sich der Höchstwert am Osloer Flughafen Gardermoen um 10 Grad auf +2°C, in Schweden in Lycksele von -15°C am Vortag auf -3°C. Dabei kam es zu Niederschlägen, die an der norwegischen Küste größtenteils als Regen fielen. So gab es innerhalb von 24 Stunden um 19 Uhr MEZ in Seljelia 30 mm oder in Nedre Vats 29 mm Niederschlag. Dabei wurden an der Küste durch das norwegische Bergland die Wolken verstärkt gestaut, weshalb dort höhere Niederschläge auftraten als im Lee des Gebirges. So blieb es an einigen Stationen in Norwegen und Schweden komplett trocken oder die Mengen lagen in 24 Stunden unter 1 mm. Auch in Mitteleuropa fielen Niederschläge, die aber abgesehen vom Bergland meist als Regen fielen. So wurde 12-stündig bis 19 Uhr MEZ an der belgisch-deutschen Grenze in Mont-Rigi 12 mm registriert, am Flughafen Köln/Bonn noch 7 mm.

Im Tagesverlauf des 26.02. bildete sich auf der Vorderseite des bestimmenden Höhentroges im Bereich des Okklusionspunktes im Lee der Skanden ein weiteres Tief, das als LEONHARD II bezeichnet wurde. Dieses war am 27.01. um 01 Uhr MEZ mit etwa 1006 hPa über Südschweden vorzufinden und besaß eine Okklusion, die über Polen, Deutschland und Frankreich bis westlich der Biskaya reichte. Währenddessen befanden sich das Bodentief LEONHARD I und das mit diesem korrespondierende Höhentief etwa senkrecht übereinander, sodass keine weitere Entwicklung mehr möglich war und sich das Tief langsam auffüllte. Es befand sich mit etwa 970 hPa zwischen Jan Mayen und dem Nordkap über dem Nordmeer. Es besaß eine Okklusion, die spiralförmig vom Kern bis über die Barentssee reichte und sich dort in eine bis zum Nordural erstreckende Warmfront und eine weitere Okklusion, die die Verbindung mit dem Teiltief LEONHARD II herstellte, aufspaltete. Deutschland wurde im Verlauf des Vortags bis zum Morgen von der Okklusion des Tiefs LEONHARD II überquert, wodurch verbreitet in 24 Stunden bis 07 Uhr MEZ 3 bis 8 mm Niederschlag fielen. Durch die Staueffekte am Gebirge wurde auf dem Brocken mit 14 mm und auf der Zugspitze 20 mm besonders große Niederschlagsmengen gemessen. Auf dem schweizerischen Säntis sogar 49 mm im gleichen Zeitraum. In Polen erhöhten sich die Höchstwerte aufgrund der Heranführung milderer Luft. So stieg das Maximum in Rzeszow-Jasionka im Vergleich zum Vortag um 4 Grad auf +3°C, ebenso in Zamosc. Im Winter kühlt sich im Allgemeinen milde vom Meer kommende Luft auf ihrem Weg nach Osten ab. So fiel in Polen im Gegensatz zu Deutschland der Niederschlag teilweise bis ins Tiefland auch als Schnee. Die 24-stündigen Niederschlagssummen beliefen sich bis 19 Uhr MEZ auf 8 mm in Gorzow/Wielkopolski oder 9 mm auf der Schneekoppe. Während Norwegen an seiner Westküste nun vermehrt von rückseitigen Schauern getroffen wurde, die sich durch den starken Temperaturgegensatz zwischen hohen und niedrigen Luftschichten entstehen, kam es in Schweden und Finnland noch zu frontalen Niederschlägen. In 24 Stunden wurden bis 19 Uhr MEZ im finnischen Kankaanpaa Niinisalo Aws 10 mm Niederschlag und im südschwedischen Hano noch 6 mm gemessen. Die eingeflossene mildere Meeresluft kühlte sich im kontinental geprägten Teil Skandinaviens teilweise wieder ab, der Meteorologe spricht von einer Alterung der Luftmasse. Beispielsweise gab es im schwedischen Krangede nun wieder ein Höchstwert von -10°C, während tags zuvor noch -2°C gemessen wurde.

Das Tiefdruckgebiet LEONHARD, das nun nur noch aus dem ehemaligen Teiltief LEONHARD I bestand, blieb bis zum 28.01. um 01 Uhr MEZ auf nahezu unveränderter Position stationär. Es hatte sich weiter abgeschwächt und besaß nun einen Kerndruck von etwa 980 hPa. Das Teiltief LEONHARD II hatte sich aufgefüllt, es war nur noch als kleine Welle über dem Osten Polens in der Bodendruckkarte erkennbar. Vom Zentrum des Wirbels LEONHARD führte eine Okklusion nach Westen bis nach Ostgrönland und eine weitere bis knapp nördlich der Kola-Halbinsel. Von dort aus reichte eine kurze Warmfront über die Barentssee bis zu einem unbenannten Tief an der russischen Nordküste. Die Okklusion verlief von der Kola-Halbinsel weiter nach Südwesten über das Baltikum und Polen bis nach Ungarn. Im südlichen Finnland traten bis 07 Uhr MEZ verbreitet noch 24-stündige Niederschläge von 2 bis 4 mm auf. In Rautavaara Yla-Luosta wurden sogar 5 mm gemessen. Im westlichen Russland waren die Niederschläge meist nur schwach ausgeprägt, so wurde beispielsweise in Kosharovo noch 1 mm registriert. Durch den kontinentalen Einfluss fielen diese Niederschläge meist als Schnee. In der Mitte Schwedens stiegen die Tiefstwerte durch neue Tiefausläufer erneut an, im Norden Finnlands sanken sie dagegen durch Alterung der ehemals milden Meeresluft. Während im nordfinnischen Kevo am Vortag minimal -15°C gemessen wurden, fiel sie nun auf -21°C oder im benachbarten Kittila Pokka von -5°C auf -16°C.

Schon im Tagesverlauf des 28.01. wurde das Tiefdruckgebiet LEONHARD in die Zirkulation des heranziehenden Sturmtiefs MISCHKA vollständig aufgenommen, sodass es am Folgetag nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte namentlich verzeichnet werden konnte.

 

 

Geschrieben am 28.02.2015 von Dustin Böttcher

Berliner Wetterkarte: 27.01.2015

Pate: Leonhard Jäger