Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LIEBGARD

(getauft am 24.03.2020)

 

Gewöhnlich bilden sich Tiefs, die das Wetter in Mitteleuropa prägen, über dem Atlantik, ziehen mit der Westwindströmung gen europäisches Festland und beeinflussen mit ihren Wolken-, Wind- und Niederschlagsfeldern unser Wetter an zumeist 2-3 Tagen. Bei Tief LIEBGARD verhielt es sich jedoch anders. Das Tiefdruckgebiet, das sich in der letzten Märzdekade bildete, hatte seinen Ursprung in Nordafrika.

Die Ursache für die ungewöhnliche Entstehung ist in der mittleren Troposphäre zu finden. Seit Mitte März war es in Luftschichten zwischen 3 und 6 km Höhe zu wiederholten Kaltluftvorstößen vom Nordatlantik in Richtung subtropischer Breiten, genauer vor die iberische bzw. nordafrikanische Küste gekommen. Ab und an löste sich aus diesen Gebieten niedrigen Drucks und niedriger Temperaturen ein kleinräumiger Anteil heraus und formte ein abgeschlossenes Höhentief. Dies geschah zum Beispiel in der Nacht vom 23. zum 24.03. über Nordwestafrika. Dieser Prozess griff bis ins Bodenniveau durch und mündete schließlich am 24. März in einer Tiefneuentwicklung, der Geburtsstunde von Tief LIEBGARD.

Diese Zyklogenese ist eindrucksvoll im Satellitenfilm zu beobachten, wobei sich im Umfeld des neuen Tiefs hochreichende Quellbewölkung, verbunden mit Schauern und Gewittern ausbildete und bereits an jenem Tag neben Marokko und Algerien auch Teile Spaniens, die Balearen und Tunesien erfasste. Der Schwerpunkt der Niederschläge war rund um die Straße von Gibraltar zu finden, wobei die Wetterstationen zwischen 06 und 18 UTC etwa aus Gibraltar 22 l/m² meldeten, 39 l/m² waren es am Hafen von Tanger und sogar 44 l/m² im nordmarokkanischen Tétouan am Flughafen Sania-Ramel. Aber auch über dem spanischen Festland entwickelten sich stellenweise kräftige Regengüsse, vor allem in der Region um Murcia und Valencia, wo beispielsweise in Alicante 6 l/m², in Murcia 16 l/m² und in Cartagena sogar 46 l/m² fielen. Die Zeitangabe UTC steht für Weltzeit, die Differenz zur Mitteleuropäischen Zeit beträgt 1 Stunde.

In der sich anschließenden Nacht setzten sich die Regenfälle über dem westlichen Mittelmeerraum fort. Entlang der spanischen, aber auch der algerischen Küste brachten die leichten bis mäßigen Schauer meist etwa 5 l/m² in 12 Stunden. Etwas mehr Regen gab es an der Costa del Sol (Algarrobo 18 l/m²), aber auch weiter östlich in Tunesien (Tunis 10 l/m²) sowie auf Sizilien (Palermo 10 l/m²), wohin sich die die Niederschläge ausdehnten. Ferner griffen die Regenschauer über das Atlasgebirge bis an den Rand der nördlichen Sahara aus. In der algerischen Oasenstadt Ghardaia, knapp 460 km südlich von Algier, wurden 2 l/m² gemessen.

Unterdessen konnte das Tief LIEBGARD in den frühen Morgenstunden des 25.03. erstmals in der Berliner Wetterkarte analysiert werden. Das Zentrum des flachen Bodentiefs befand sich dabei über der algerischen Sahara, wo der Luftdruck bei knapp unter 1000 hPa lag. Zunächst war mit dem Kern nur eine schwache Okklusionsfront, also eine Mischform aus Warm- und Kaltfront, verknüpft, die sich bis nach Sizilien zog. In den folgenden Stunden verlagerte sich das Tief mitsamt seiner Ausläufer über Tunesien und Westlibyen hinweg in Richtung Sizilien. Dabei griff der Wolkenwirbel mit kompakter Bewölkung rasch auf Italien und die Balkan-Halbinsel über und die Regenfälle dehnten sich vom westlichen bis in den zentralen Mittelmeerraum aus. War der Niederschlagsschwerpunkt tags zuvor noch am westlichen Mittelmeerausgang zu finden, so lag er an jenem Tag bereits zwischen Süditalien und Tunesien. Bei mitunter kräftigen Schauern und Gewittern kamen Mengen von über 10 l/m² in 12 Stunden zusammen, punktuell wurde ein Vielfaches mehr gemessen, wie beispielsweise im tunesischen Kelibia mit 24 l/m², in Palermo mit 26 l/m² und gar 77 l/m² in Catania. Aber auch über dem westlichen mediterranen Raum waren die Schauer nicht viel schwächer. Ähnlicher der vorangegangenen Nacht fielen meist um oder etwas unter 5 l/m², punktuell auch knapp über 10 l/m². Begleitet wurden die Schauer und Gewitter von einzelnen starken bis stürmischen Böen. Im tunesischen Nabeul blies der Wind in Spitze bis 76 km/h, in Pula in Istrien gar bis 80 km/h.

Das sich der Tiefdruckwirbel in der Nacht zum 26.03. weiter kräftigten konnte, lag an Vorgängen in der mittleren Troposphäre. Genauer kam es zu einem Zusammenschluss des mit Tief LIEBGARD assoziierten, nordafrikanischen Höhentiefs mit einem weiteren Höhentief über der Apenninen-Halbinsel. Dieser neue Impuls ließ die Schauer- und Gewittertätigkeit weiter aufleben und bis nach Mittelitalien sowie über die Adria bis Griechenland ausgreifen. Zwischen 18 UTC und 06 UTC des Folgetages wurden beispielsweise in Rom und Neapel, wie auch im griechischen Zakynthos 10 l/m² Niederschlag registriert. Noch mehr war es über Sizilien und Kalabrien, wo sich das Tiefdruckzentrum mittlerweile befand. In Catania regnete es weitere 33 l/m², in Catanzaro sogar 79 l/m². Unwetterartig fielen die Niederschläge gar im Serre-Gebirge aus, an der Messstation Serralta di San Vito auf 997 m Höhe wurden 111 l/m² in nur 12 Stunden gemessen.

Die Tiefdrucktätigkeit hatte natürlich auch einen Einfluss auf die Temperaturen. Mit Tiefstwerten von meist unter 5°C, in Küstennähe an 10°C, blieben die Temperaturen in Italien für die Jahreszeit etwas zu kühl. Örtlich, wo es länger aufklarte wurde untypischerweise sogar leichter Luftfrost festgestellt, wie etwa in Cagliari auf Sardinien (-0°C), in Figari auf Korsika (-2°C) oder in Cannes (-1°C).

In der weiteren Entwicklung zog das Tief am 26.03. mit Schwerpunkt Richtung Tyrrhenisches Meer, wo es stationär wurde. Nachdem der Luftdruck laut Analyse des britischen Met Office um 06 UTC mit 995 hPa den niedrigsten Wert erreichte, stieg er im Laufe des Tages langsam wieder auf knapp über 1000 hPa an. Dies tat der Schauer- und Gewittertätigkeit rund um Apenninen, Adria und Ägäis jedoch keinen Abbruch. Der Antrieb hierzu kam weiter aus der Höhe, genauer aus dem scharfen Temperaturgradienten zwischen bodennahen Luftschichten und höhenkalter Luft. Radiosondenmessungen am Decimomannu Observatorium auf Sardinien ergaben um 12 UTC eine Temperatur von -25°C in knapp 5,4 km Höhe, während zur gleichen Zeit am Boden +13°C gemessen wurden.

Der Niederschlagsschwerpunkt lag weiterhin über Italien (bis 48 l/m² in Catanzaro), den griechischen Inseln (Athen 6 l/m²) und der Türkei (Bodrum 7 l/m²). Zu teils kräftigen Regenschauern kam es aber auch noch über den Balearen (bis 35 l/m² in Capdepera), Katalonien (bis 28 l/m² Reus bei Taragona), sowie Nordalgerien (Algier 24 l/m²). Dagegen blieb es in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, die sich ebenfalls unter Tiefeinfluss befanden, meist trocken.

Auf der Vorderseite des Tiefs, wo ein Schwall nordafrikanischer Saharaluft nach Süd- und Südosteuropa gelenkt wurde, erreichten die Maxima in Tirana 21°C, in Podgorica 19°C, im italienischen Lecce 16°C und im griechischen Kalamata 19°C. Im Vergleich dazu blieb es im Norden Italiens bei vielen Wolken mit meist unter 10°C deutlich kühler. In der Region Emilia-Romagna erreichten die Temperaturen nicht mal 5°C (z.B. in Parma), örtlich schneite es zeitweilig bis in tiefe Lagen herab, wie z.B. in Bologna.

Nachts ließen die Schauer über dem westlichen Mittelmeerraum nach, während sie sich über dem zentralen Mittelmeerraum fortsetzten. Größere Mengen traten zwischen italienischer Adriaküste bis nach Pindos und Peloponnes auf, also im Bereich der Okklusionsfront. Durchschnittlich regnete es 5-10 l/m² in 12 Stunden, vereinzelt wurden auch deutlich höhere Mengen gemeldet, wie im italienischen Pescara mit 47 l/m² oder im griechischen Methoni mit 22 l/m². Weiterhin frisch blieb es beispielsweise über Sizilien, mit Temperaturen von 4°C in Catania oder 3°C in Sigonella, mild dagegen im südlichen Adriaraum mit Minima von etwa 14°C im montenegrinischen Bar und 11°C in Dubrovnik.

Auch am 27. März sorgte das Tief LIEBGARD für Niederschläge im Mittelmeerraum, im Vergleich zum Vortag wurden die Schauer jedoch insgesamt weniger und schwächer. So blieb es an zahlreichen Messstationen zwischen Balearen, Apenninen und Ägäis trocken. Etwas aktiver zeigte sich die Zyklone noch zwischen Korsika, Sardinien, Süd- und Mittelitalien bis hin zu den griechischen Inseln. Hier traten örtlich noch zweistellige 12-stündige Niederschlagsmengen auf, wie etwa in Neapel (15 l/m²). Dass das Tief schwächer wurde, zeigte sich auch am Himmelbild, wo die Wolkenlücken etwas zahlreicher und der Sonnenschein häufiger wurde. In Rom schien die Sonne bereits 8 Stunden lang, in Tunis immerhin 6 Stunden. Und auch das Temperaturniveau veränderte sich. Über Italien wurde im Vergleich zum Vortag ein Temperaturanstieg um 4 bis 5 Grad gemessen.

In der weiteren Entwicklung verblieb Tief LIEBGARD über der zentralen Mittelmeerregion und schwächte sich dort am Boden wie in der Höhe langsam weiter ab. Im Bodenniveau stieg der Luftdruck nun deutlich. Hatte er in den Frühstunden des 27.03. noch bei knapp unter 1005 hPa gelegen, stieg er bis zum darauffolgenden Tag auf knapp unter 1015 hPa an.

Letzte vereinzelte Regenschauer am 28.03. zeugten noch von der Existenz des Tiefs über Italien, mehr als 2-3 l/m² kamen aber nicht mehr zustande. Und auch wettertechnisch stellte sich ein freundlicher Mix aus Sonne und Quellwolken bei Temperaturen von 15-20°C ein. Schließlich fielen letzte Schauer in den Abendstunden in sich zusammen und Tief LIEBGARD verschwand aus dem Bodendruckfeld, respektive den Wetterkarten.