Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LINA

(getauft am 31.12.2014)

 

Zum Ende des Monats Dezember begann sich die Höhenströmung über dem atlantisch-europäischen Raum allmählich wieder zu zonalisieren, sodass die Tiefdruckaktivität über dem Europäischen Kontinent an den Folgetagen spürbar auflebte. Die Frontalzone, also der Übergangsbereich zwischen subtropischen und subpolaren Luftmassen und zugleich das Gebiet mit den kräftigsten Höhenwinden waren dabei westwärts in Richtung Britische Inseln gerichtet. Darin eingebettet waren mehrere kleinräumige Störungen, sogenannte Wellentiefs, wobei eines davon entwicklungsgünstig auf der Vorderseite eines flachen Höhentroges über dem mittleren Atlantik lag.

Da eines dieser kleinräumigen Wellenstörungen Einfluss auf das Wettergeschehen in Mitteleuropa haben sollte, wurde die in Entstehung begriffene Zyklone am 31. Dezember 2014 in der Prognose für den Folgetag auf den Namen LINA getauft. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Wirbel noch weit entfernt über dem Zentralatlantik, etwa 1200 km westlich der Azoren.

In der Neujahrsnacht um 00 UTC, was 01 Uhr MEZ entspricht, konnte die Wellenstörung bereits über dem Ostatlantik, auf einer Schnittachse zwischen den Längengraden Reykjaviks und den Breitengraden Paris, etwa 900 km westlich der Irischen Küste identifiziert werden. Der Luftdruck im Umfeld der Störung betrug zu diesem Zeitpunkt knapp unter 1010 hPa. Ferner waren die für ein Tief typischen Fronten in Form einer vom Zentrum aus ostwärts gerichteten Warmfront, sowie eine westwärts gerichtete Kaltfront vorhanden.

In den folgenden Stunden zog das Tief LINA unter Intensivierung rasch nordwestwärts über Schottland hinweg in Richtung Norwegische See. Dabei erfassten umfangreiche Niederschlagsgebiete sowie das Windfeld des Tiefs die Britischen Inseln. Vor allem über Irland und Schottland, aber auch in Wales und Nordengland kam es zu länger anhaltendem Regen, gefolgt von weiteren Schauern. Bis zum darauf folgenden Morgen um 06 Uhr UTC wurden 24-stündig verbreitet zweistellige Regenmengen um die 10 l/m² beobachtet, örtlich auch deutlich darüber. Vor allem im Stau der Highlands und Pennines fielen bis zu 60 l/m², so wie in Capel Curig in Wales, 53 l/m² waren es in Eskdalemuir in Schottland und 51,2 l/m² in Shap in Nordengland. Infolge der raschen Vertiefung des Kerndruckes wehte der Südwest- bis Westwind hier zunehmend stark-stürmisch und erreichte im Flachland in Böen Stärke 8 bis 10, in exponierten Lagen sowie in höheren Mittelgebirgslagen zum Abend hin sogar Orkanstärke, wie auf dem Cairngorm Mountains mit bis zu 154 km/h.

In der Nacht des 02. Januar befand sich Tief LINA mit etwas unter 985 hPa Kerndruck bereits über Südnorwegen, mit Zentrum nahe Ålesund. Von hieraus spannte sich eine Okklusion bis über Südengland, die Kaltfront verlief südwestwärts über die Nordsee und den Südosten Englands hinweg einige hundert Kilometer über den nahen Ostatlantik hinaus, um im Bereich der Azoren in die Warmfront eines nachfolgenden Atlantiktiefs überzugehen. In den folgenden Stunden kam die Kaltfront über Deutschland zügig südwärts voran. Die frontalen Niederschläge, meist um die 5 l/m², fielen durchweg als Regen, was in den westlichen Mittelgebirgen in Hessen und Rheinland-Pfalz, sowie der Südhälfte Deutschlands zu einer gefährlichen Glatteissituation führte, da die Niederschläge hier bei leichten Minusgraden auf noch gefrorene Böden als Eisregen trafen. Davon besonders betroffen war das Donautal in der Region Passau, wo sich Kaltluftreste der alten Luftmasse bis in den Abend hinein noch halten konnten, beispielsweise lag das Temperaturmaximum in  Fürstenzell bei -0,2°C. Gleichzeitig gelangte das nördliche Mitteleuropa in das Sturmfeld der sich weiter vertiefenden, ostwärts nach Finnland verlagernden Zyklone LINA. Dies führte vor allem im Norddeutschen Tiefland, aber auch den deutschen Mittelgebirgen verbreitet zu stürmischen Böen zwischen 60 bis 90 km/h, an den Küsten auch zu schweren Sturmböen, in exponierten Lagen gar zu Orkanböen, gemessen am Leuchtturm in Kiel mit bis zu 115 km/h, oder auf dem Brocken mit bis zu 137 km/h.

Bis zum 03. Januar hatte sich die Zyklone auf knapp unter 960 hPa vertieft und mit Zentrum bereits nach Karelien verlagert. Gleichzeitig hatte die Kaltfrontokklusion Mitteleuropa vollständig süd- und ostwärts überquert und Westrussland, die Ukraine, den Westbalkan, sowie Norditalien erreicht. In den folgenden Stunden verlagerte sie sich zügig nach Osten und erreichte bis Tagesende bereits den Ural und das Schwarze Meer.

Die frontalen Niederschläge fielen nach Osteuropa hin anfangs noch als Regen, gingen aber über Zentralrussland mehr und mehr in Schnee über. Über dem Balkan hingegen fiel durchweg Schnee, wobei die registrierten Mengen meist unter 1 l/m² blieben, so dass sich die dort vielerorts vorhandene Schneedecke nicht nennenswert erhöhte. So wurde beispielsweise in Zagreb-Pleso vor, wie auch nach dem Frontdurchgang eine Schneehöhe von 8 cm gemessen.

Das Sturmfeld hatte sich bis in den Vormittag hinein insgesamt ostwärts, nach Polen, Weißrussland und zum Baltikum verlagert, wo es verbreitet zu stürmischen Böen bis 90 km/h, vereinzelt auch schweren Sturmböen kam. Im Flachland wurden zum Beispiel in Väike-Pakri nahe Tallinn 101 km/h, in Leba an der polnischen Ostseeküste bis zu 97 km/h gemessen.

Aus exponierten Berglagen, wie der Niederen und Hohen Tatra wurden vereinzelt auch weiterhin Orkanböen gemeldet, so wie in Chopok in Niedere Tatra mit 130 km/h oder auf der Lomnitzer Spitze in Hohe Tatra mit 122 km/h. Zum Nachmittag und Abend hin ließ der Wind aber auch hier allmählich nach, da das Tief bereits den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht, bzw. überschritten hatte. So stieg der Luftdruck im Kern von nun an allmählich aber beständig wieder an und lag am Tagesende des 03. Januar bei knapp unter 975 hPa.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Zentrum von Tief LINA bereits über Nordwestrussland, circa 200 bis 300 km östlich von St. Petersburg. Dabei hatte sich die Struktur der Zyklone LINA weiterentwickelt. Während die „alte“ Kaltfrontokklusion bereits den Europäischen Kontinent ostwärts in Richtung Sibirien verlassen hatte, hatten sich vom Zentrum ausgehend eine ostwärts gerichtete Warm- sowie eine westwärts gerichtete Kaltfront neu ausgebildet. Denn aufgrund des zyklonalen Drehsinns, also der Bewegung der Luftmassen gegen den Uhrzeigersinn um das Tiefdruckzentrum herum, gelangte zum Einen auf der Vorderseite des Tiefs etwas weniger kalte Subpolarluft über der Mitte Russlands gen Norden. Zum Anderen wurde auf der Rückseite der Zyklone nun maritime Arktikluft aus polaren Breiten transportiert und über Finnland-Karelien hinweg südwärts geführt. Dies schlug sich deutlich in den Temperaturwerten nieder. Während in Petrosawodsk am Onegasee beispielsweise am 03. Januar noch Höchstwerte von +1°C gemessen wurden, erreichte die Temperatur am 04. Januar nicht mehr als -11°C. Anders herum stieg die Temperatur in Biser im mittleren Ural, ca. 130 km östlich von Perm auf -3°C, nachdem das Maximum am Vortag lediglich -17°C betragen hatte. Dagegen blieben die Niederschläge entlang der Luftmassengrenzen mit 2 l/m² innerhalb von 6 Stunden eher gering.

Bis zum 05. Januar hatte sich das Zentrum von Tief LINA weiter ostwärts verlagert und befand sich mit knapp unter 985 hPa nun nördlich von Nishnij Novgorod. Die Warmfront erstreckte sich weiterhin nordostwärts bis nach Sibirien, die Kaltfront nunmehr bogenförmig in westliche Richtungen über den Moskauer Raum, Weißrussland und Litauen hinweg bis zur mittleren Ostsee. Rückseitig des Tiefdruckzentrums hielt der Zustrom arktischer Kaltluft in Richtung Süden weiter an, was sich eindrucksvoll am Temperaturverlauf von Moskau belegen lässt. Während morgens um 00 UTC vor der Kaltfront noch -4°C gemessen wurden, sank die Temperatur nach der Frontenpassage in den folgenden Stunden kontinuierlich auf -10°C um 12 UTC, -15°C um 18 UTC und schließlich auf -18°C bis zum Tagesende.

Bis zum 06. Januar hat Tief LINA sich weiter ostwärts bis zur mittleren Wolga in den Raum Perm-Kazan verlagert und im Kern auf etwas unter 1000 hPa abgeschwächt. Weiterhin waren mit dem Tief eine Warmfront verbunden, die sich nordostwärts bis zum Westsibirischen Tiefland erstreckte sowie eine Kaltfront, die in südliche Richtungen etwa dem Lauf der Wolga stromabwärts bis zum Asowschen Meer folgte. In den folgenden Stunden verlagerte sich Tief LINA unter weiterer Abschwächung allmählich ostwärts über den Ural hinweg in Richtung Sibirien. Entlang der Ausläufer kam es verbreitet noch zu leichten Schneeschauern oder leichtem Schneefall, ohne das jedoch nennenswerte Niederschlagssummen registriert wurden.

Schließlich konnte Tief LINA in den Frühstunden des 07. Januars letztmalig einige hundert Kilometer nordöstlich von Jekaterinburg analysiert werden, ehe sich die Zyklone im weiteren Verlauf noch weiter ostwärts verlagerte und bis zum 08. Januar über dem Westsibirischen Tiefland auflöste.

 


Geschrieben am 07.01.2015 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 03.01.2015

Pate: Lina Wang