Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet LINDA
(getauft am 05.06.2020)
Bereits im Laufe des 03.06.2020 hatte in der nahe
Islands vorherrschenden kalten Polarluft im Grenzbereich zu einem, in der Höhe
in Richtung Grönlands vorstoßenden Keils subtropischer Luftmassen, die Bildung
eines flachen Bodentiefs begonnen. Sich langsam verstärkend zog dieses zunächst
noch unbenannte Tief in den darauffolgenden 48 Stunden über den Nordatlantik
und Schottland hinweg nach England und wurde am 05.06. anhand der Analysekarte
für 00 Uhr UTC als eigenständiger Wirbel analysiert und auf den Namen LINDA
getauft.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Wirbel mit
einem auf unter 1000 hPa gefallenem Kerndruck unweit von London, an der
Westflanke des noch ungleich stärkeren und ihn somit steuernden Zentraltiefs
JULIANE, welches mit einem Druck von circa 990 hPa über Norddänemark lag. Vom
Kern des Tiefs LINDA zog sich eine Okklusionsfront über Southampton hinweg bis
zum Okklusionspunkt südlich von Plymouth über dem Ärmelkanal von wo aus sich
eine Kaltfront in nordwestlicher Richtung und eine Warmfront nach Südwesten hin
aufspalteten. Die Kaltfront, welche gebietsweise warmfrontähnliche
Eigenschaften annahm verband sich südlich von Island mit einer Warmfront eines
Tiefs bei Grönland. Als Okklusionsfront wird dabei eine Mischfront verstanden,
die in diesem Fall bereits am Vortag aus dem Zusammenschluss einer Warmfront
mit der ihr nachfolgenden Kaltfront hervorgegangen war. Sich zunehmend
verstärkend wurde das Tief im Tagesverlauf um das sich von Dänemark nach
England verlagernde Zentraltief JULIANE herum Richtung Südskandinavien gelenkt.
War das Tief LINDA auf ihrem Weg über den Nordatlantik zunächst nur geringfügig
wetterwirksam gewesen, hatten Hebungsprozesse im Kernbereich des Wirbels als
auch entlang seines Frontensystem in der Zwischenzeit zur Ausbildung eines markanten
Niederschlagsfeldes geführt. Dieses verlagerte sich im Tagesverlauf von England
über Nordfrankreich hinweg nach Deutschland und brachte dabei besonders in den
Beneluxstaaten und im Westen des Landes vielerorts über 10 mm innerhalb von 24
Stunden.
So waren bis 06 Uhr UTC des Tages nach der Taufe
durch anhaltenden, teils schauerartigen und in einigen Regionen auch
gewittrigen Regen in St. Peter-Ording 24-stündig 10,8 mm, am Flughafen von
Rotterdam 15,9 mm und in Saarbrücken 20,2 mm gefallen. Aus Freudenstadt wurden
gar 26,1 mm und aus dem belgischen Koksijde bis zu 27,0 mm gemeldet. Über
Baden-Württemberg kam die Front nur sehr langsam voran, wodurch die
Niederschläge dort besonders ergiebig ausfielen, sie brachten an der Station
Oppenau/Oberes Renchtal bis zu 48,3 mm mit sich. In den Abendstunden hatte die
Front auch den Osten Deutschlands erreicht, jedoch fielen hier die
Niederschlagsmengen weitaus geringer aus. Zumeist wurde nur zwischen 3 mm und 5
mm, in Teilen Sachsens sowie im Berliner Raum gar nur unter 1 mm gemessen. Die
Niederschläge wurden vielerorts zudem von einem böigen Südwest- bis Westwind
begleitet, der mit Spitzengeschwindigkeiten zwischen 50 und 65 km/h Stärke 7
und 8 auf der Beaufortskala erreichen konnte. In besonders exponierten Lagen,
wie am Leuchtturm Kiel (86,5 km/h) oder auf dem Brocken (97,3 km/h)
registrierten die Anemometer auch schwere Sturmböen der Stärke 10 und auf dem
Feldberg im Schwarzwald mit bis zu 114,3 km/h sogar orkanartige Böen der Stärke
11.
Gegen 00 Uhr UTC des 06.06. befand sich das Tief
LINDA mit seinem Kern und einem Druck von unter 990 hPa über Dänemark nahe
Aarhus. Es lag damit nur gut 100 km südöstlich der Position des Wirbels JULIANE
tags zuvor. Von seinem Kern erstreckte sich eine Okklusionsfront über Westpolen
nach Süden und ging nahe Prag in eine Kaltfront über. Diese, über dem
französischen Zentralmassiv vorübergehend Warmfrontcharakter annehmende
Kaltfront, reichte von Prag über München nach Bordeaux und weiter in
nordwestlicher Richtung auf den Atlantik hinaus. Die Kaltfront schritt
gegenüber dem Vortag noch sehr langsam weiter nach Südwesten voran und wurde im
Tagesverlauf in ihrer Lage über Süddeutschland stationär. Sie trennte
feucht-warme Luftmassen im Süden und Südosten von kühler und etwas trockenerer,
dafür aber labil und zur Ausbildung von lokalen Schauern neigender Luft im
Nordwesten. Anhaltende Niederschläge brachten bei Stuttgart binnen 24 Stunden
10,4 mm, in Freudenstadt 18,7 mm und in Leutkirch-Herlazhofen
19,6 mm, während durch wiederholte, meist kurze Schauer
in Itzehoe 4,3 mm, in Lüdenscheid 3,0 und in Berlin-Dahlem 0,3 mm fielen.
Ähnlich geteilt war auch das Temperaturgefälle. Am wärmsten wurde es vor der
Kaltfront in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Brandenburg. So stieg
beispielsweise das Quecksilber in Manschnow bei Berlin auf einen Höchstwert von
20,4°C, in Konstanz auf 21,1°C und im bayrischen Piding auf 22,7°C, wohingegen
in Hamburg 16,2°C, in St. Peter-Ording 14,9°C und unter den dichten Regenwolken
Freudenstadts lediglich 10,2°C gemessen wurden. Der Wind verlor im Tagesverlauf
zumeist an Stärke, konnte aber bis in den frühen Nachmittag vielerorts in Böen
noch Stärke 6 bis 7, vereinzelt auch 8 erreichen. Der Kern des Tiefs LINDA zog
derweil von Dänemark in Richtung Nordnorwegen. Entlang seiner Vorderseite
wurden dabei äußerst ergiebige Niederschläge über Schweden und dem Ostseeraum
nach Norden geführt. In Verbindung mit den Ausläufern des sich nach Abzug des
Tiefs LINDA aus Dänemark wieder zunehmend nach Osten verlagernden Wirbels
JULIANE, die im Vorfeld des Tiefs LINDA jene Regionen überquerten, wurden
innerhalb 24 Stunden im norwegischen Innerdalen 19,3 mm, im schwedischen
Ullared 22,2 mm und in Oslo, je nach Stadtlage, zwischen 18,9 und 20,5 mm
registriert. Im nahe Oslo gelegenen Bjørnholt waren es sogar bis zu 27,6 mm.
Zum 07.06. war der Kern des Wirbels LINDA auf
seiner eingeschlagenen nördlichen Zugbahn über Schweden hinweg nach Norwegen
gezogen und befand sich mit einem Druck von weiterhin knapp 990 hPa östlich von
Trondheim. Von seinem Kern ging zu diesem Zeitpunkt ein weitreichendes
Frontensystem aus. Eine erste Okklusionsfront reiche vom Kern in den russisch-finnischen
Grenzraum, wo sie erneut in eine Kaltfront überging. Diese war in ihrer Lage
nunmehr annähernd stationär geworden. Zudem setzte sich ihre bereits tags zuvor
begonnene wellenförmige Deformierung weit fort, wodurch entlang des
Frontenverlaufes in einigen Regionen arktische Luftmassen weiter nach Süden und
in anderen subtropische nach Norden vordringen konnten. Sie reichte in einem
Bogen über Vilnius, München und Marseille bis nach Portugal und weiter in
nordwestlicher Richtung auf den Atlantik hinaus und nahm über dem südlichen
Baltikum, Polen sowie auch über dem Alpenraum den Charakter einer Warmfront an.
Ein verlängerter Arm der bereits eben beschriebenen Okklusionsfront ging
südwestlich vom Kern ab und verlief bis über die Nordsee. Zusätzlich wurde eine
zweite Okklusion, östlich von St. Petersburg von der Kaltfront abgehend, bis zu
ihrem Okklusionspunkt nahe Moskau verortet. Von diesem zog sich eine Warmfront
weiter nach Südosten und eine, teils nur in der Höhe analysierbare Kaltfront
nach Südwesten. Entlang der über Mitteleuropa annähernd stationär gewordenen
und sich weiter wellenförmig deformierenden Kaltfront hielten die Niederschläge
über Süddeutschland und dem Alpenraum weiter an. Zugleich entwickelte sich
entlang jener Front über den Westalpen ein neues Tiefdruckgebiet, welches, auf
den Namen MELINA getauft, im Tagesverlauf für den südlichen Alpenraum und
Italien wetterbestimmend wurde. Nordöstlich der Alpen fielen im Einflussbereich
des sich weiter Richtung Nordmeer verlagernden Tiefs LINDA in Regensburg 15,9
mm, an der Station Leutkirch-Herlazhofen 25,4 mm und in Oberstdorf 30,7 mm.
Noch intensiver gestalteten sich die Niederschläge in der Schweiz und
Norditalien, vor allem in der Region um den Lago Maggiore. Im Verbund mit dem
sich neu entwickelnden Randtief MELINA waren durch Schauer und Gewitter in Locarno
94,6 mm, im nahe gelegenem Magadino 114,8 mm und in Lugano gar bis zu 128,5 mm
binnen 24 Stunden gemessen worden. In Genua waren im selben Zeitraum 90 mm
gefallen. Für Norddeutschland wurde, nachdem es vorübergehend nach England
abgezogen war, abermals das Zentraltief JULIANE wetterbestimmend. Es führte
trotz allmählicher Abschwächung erneut dichte Wolkenfelder in die Region, die entlang
der Küsten zwischen 1 und 5 mm Regen brachten, abseits der Küsten blieb es
dagegen zumeist trocken. In Nord- und Osteuropa hielten im Einflussbereich des
Tiefs LINDA die teils ergiebigen Niederschläge über Polen und dem Baltikum,
sowie in abgeschwächter Form über Schweden und Norwegen weiter an. Wie über den
Westalpen begann sich zeitgleich auch über Polen entlang der Kaltfront ein
weiteres, eigenständiges und äußerst regenreiches Randtief zu entwickeln. Durch
kräftige Schauer und Gewitter wurden so in Opole 31,9 mm, in Wroclaw (Breslau)
69,4 mm und im litauischen Marijampolė 53,0 mm gemessen. Im lettischen Liepāja waren es zur selben Zeit
21,1 mm und im schwedischen Norsjö immerhin noch 15,0 mm.
Tief LINDA zog auf seiner nördlichen Zugbahn aus
Skandinavien ab und lag am 08.06. gegen 00 Uhr UTC bereits über dem
Europäischen Nordmeer. Vom Kern, der sich mit einem annähernd unveränderten
Druck nördlich von Hammerfest befand, ging weiterhin ein weit verzweigtes
Frontensystem aus. Im Wesentlichen zog sich eine erste Okklusionsfront in einem
Bogen über die Barentssee in Richtung des nordrussischen Workuta und
anschließend Kaltfrontcharakter annehmend weiter bis nach Archangelsk, wo sie
sich mit der Warmfront eines unbenannten Tiefs mit Zentrum bei Warschau
verband. Dieses hatte sich tags zuvor entlang der sich wellenförmig
deformierenden Kaltfront entwickeln können und war wiederum in südwestlicher
Richtung mit dem Frontensystem der sich ebenfalls am Vortag ausgeprägten
Genuazyklone MELINA verbunden. Eine zweite Okklusionsfront erstreckte sich
westlich des Kerns von Tief LINDA beginnend bis nach Spitzbergen. Ab
Spitzbergen den Charakter einer Warmfront aufweisend zog sie sich über Nowaja
Semlja nach Südosten und ging nahe von Workuta in die Kaltfront eines Tiefs mit
Zentrum über Sibirien über. Des Weiteren reichte eine Kaltfront vom Kern nach
Süden und ging über Zentralschweden in die Warmfront des sich zunehmend
auflösenden Tiefs JULIANE über, welches in der Zwischenzeit ihren Kern erneut
nach Norddänemark verlagert hatte. Der gesamte europäische Raum war somit durch
Tiefdruckgebiete und deren Ausläufer geprägt. Während die Zyklone MELINA für
Italien und das unbenannte Tief über Polen für das Baltikum wetterbestimmend
wurden und Niederschlagssummen von bis zu 44,1 mm im estnischen Jõgeva oder gar bis zu 129,0 mm in Milano mit sich führten, verlor der Tiefdruckwirbel LINDA über dem Nordmeer
allmählich an Stärke. Sein Einflussbereich konzentrierte sich noch auf das
Nordmeer und die Barentssee, von Jan Mayen im Westen über den äußersten Norden
Skandinaviens und Spitzbergen bis nach Nowaja Semlja im Osten. Entlang seiner
Westflanke wurden feuchte Luftmassen an die Norwegischen Küsten und mit
zunehmender Verlagerung des Wirbels nach Norden auch in den äußersten Norden
Russlands geführt. Innerhalb von 24 Stunden wurden an der Station auf Jan Mayen
6,0 mm, in Andøya 8,6 mm und bei Reipå 12,2 mm. In Ny-Ålesund auf Spitzbergen
waren im selben Zeitraum 4,3 mm registriert worden während Gewitter an der
Station Raznavolok, nahe Belomorsk am Weißen Meer, mit bis zu 15,0 mm
beobachtet wurden.
Zunehmend an Intensität und Zuggeschwindigkeit
einbüßend war der Wirbel LINDA zum 09.06. nach Spitzbergen abgezogen und befand
sich um 00 Uhr UTC mit einem um 5 hPa leicht aufgefüllten Kerndruck knapp
südlich des achtzigsten Breitengrades und somit weniger als 1200 Kilometer vom
geographischen Nordpol entfernt. Von seinem Zentrum reichte nunmehr nur noch
eine einzelne Okklusionsfront nach Südosten auf die Barentssee hinaus. Von
ihrem Okklusionspunkt über der Barentssee erstreckte sich eine kleinskalige
Warmfront bis nach Nowaja Semlja und eine ihr folgende Kaltfront über Murmansk
und die nördliche Ostsee bis nach Sundsvall
(Schweden). Dort verband sie sich mit der Warmfront des sich zunehmend
auflösenden Tiefs JULIANE, das mit seinem Zentrum über dem Skagerrak zwischen
Dänemark und Norwegen lag. Das Tief LINDA hatte zwischenzeitlich noch einmal
leicht an Feuchtigkeit gewinnen können. Besonders ergiebig erwiesen sich dabei
die anhaltenden Niederschläge im Bereich der nach Südosten voranschreitenden
Kaltfront. Wurden zentrumsnah des Zentrums innerhalb von 24 Stunden in
Ny-Ålesund lediglich 0,1 mm und am Hornsund 3,4 mm registriert, konnten in St.
Petersburg 17,0 mm, im etwas östlich davon gelegenem Novaja Ladoga 21,0 mm und
nördlich von Workuta, am Flughafen Varandey direkt an der Barentsee, bis zu
43,0 mm gemessen werden.
Tief LINDA verblieb zum 10.06. nahezu stationär
im Raum Spitzbergen und befand sich gegen 00 Uhr mit einem auf 1005 hPa
angestiegenen Druck östlich des Archipels. Seine Okklusionsfront zog sich in
einem weiten Bogen vom Zentrum des Wirbels über die Nordinsel Nowaja Semljas
bis zu ihrem Okklusionspunkt bei Workuta. Von Workuta reichte eine Warmfront
weiter nach Süden und eine Kaltfront nach Archangelsk, die im weiteren Verlauf
mit der Warmfront eines Tiefs bei Bukarest überging. An seinem Okklusionspunkt
entwickelte sich im Tagesverlauf ein neuer Wirbel, wodurch Tief LINDA im Wesentlichen
seinen Einfluss auf Europa verlor. Seine verbliebene Okklusionsfront war nur
noch geringfügig wetterwirksam. Während das Tief begann sich allmählich nach
Südosten zu verlagern, schritt sie rasch um den Kern herum und überquerte
Spitzbergen in Richtung Nordnorwegen und der Kola-Halbinsel. Größere
Niederschlagsmengen wurden jedoch keine mehr registriert: Leichter Regen oder
Sprühregen führte an der Radiostation Isfjord 0,2 mm, bei Tromsø 0,6 mm und in
Andøya 0,8 mm mit sich. Auf Spitzbergen blieb es nach Abzug des Wirbels bereits
niederschlagsfrei und auch aus Murmansk wurden lediglich vereinzelte Tropfen
ohne messbaren Niederschlag gemeldet.
Sich in voranschreitender Auflösung befindend
lag das Zentrum des Tiefs um 00 Uhr UTC des 11.06. mit einem Kerndruck von etwa
1010 hPa westlich der Südinsel Nowaja Semljas. Seine Okklusionsfront beschrieb
zu diesem Zeitpunkt eine Spirale vom Kern über Nowaja Semlja, die Barentsee und
Murmansk bis nach Spitzbergen, war aber kaum noch wetteraktiv. Zwar wurden mit
ihr nochmals feuchte Luftmassen in Richtung der Kola-Halbinsel geführt,
Niederschlagsmengen über 1 mm in 24 Stunden bildeten jedoch die Ausnahme. In
Burgina auf der Insel Kolgujew wurden noch 1,4 mm und an der Station Vajda-Guba
nahe Murmansk 2,5 mm gemessen. In Murmansk selbst fielen dagegen erneut nur
vereinzelte Tropfen ohne messbaren Niederschlag. Im weiteren Tagesverlauf
schwächte sich der Tiefdruckwirbel LINDA soweit ab, dass er nachfolgend nicht
mehr auf der Berliner Wetterkarte als eigenständiger Wirbel namentlich
verzeichnet werden konnte. Seine Reste zogen in südöstlicher Richtung über
Workuta und den Nordural nach Sibirien ab und gingen im weiteren Verlauf in die
Zirkulation eines aus Westen aufziehenden Tiefs über.