Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet LISA
(getauft am 26.06.2012)
Gegen Ende Juni bildete sich über dem westlichen
Nordatlantik ein Tief, das weiter ostwärts zog. Im 500 hPa–Druckniveau,
das entspricht einer Höhe von ungefähr 5,5 km, war am Rande dieses Tiefdruckgebietes,
südlich von Island, in einem sogenannten Abschnürungsprozess ein Tiefausläufer
weit nach Süden, bis etwa zur geographischen Breite der Azoren, vorangekommen. Am
26. Juni 2012 wurde dieser Wirbel schließlich über dem zentralen
Nordatlantik auf den Namen LISA getauft.
Das Tief LISA befand sich zum Zeitpunkt der Taufe
etwa 1000 km nordnordwestlich der Azoren und besaß einen Kerndruck von
rund 1005 hPa. Vom Tiefdruckzentrum ging in nordöstlicher Richtung eine
Mischfront mit Warm– und Kaltfronteigenschaften, eine sogenannte
Okklusionsfront, aus. Nach einigen hundert Kilometern ging diese etwa auf
halbem Weg zwischen den Azoren und Irland in eine weitere Okklusionsfront eines
unbenannten Tiefdruckgebietes vor der Westküste Irlands über.
Bis zum Morgen des Folgetages hatte sich der Kern
des Wirbels LISA etwas nach Nordosten verlagert und auf einen Luftdruck von
unter 1000 hPa verstärkt. Von dort gingen zwei Okklusionsfronten aus. Eine
davon verlief in nordöstlicher Richtung und wechselte bald in den Charakter einer
Warmfront, die bis über den Norden Irlands reichte und dort Kontakt zur
Kaltfront des bis vor die westliche Küste Schottlands gezogenen unbenannten
Tiefs hatte. Die zweite Okklusionsfront ging vom Kern des Tiefdruckgebietes
LISA in südlicher Richtung aus, wechselte ebenfalls den Charakter, diesmal in
den einer Kaltfront und endete knapp nordwestlich der Azoren. Bereits morgens
machte sich die Warmfront in Teilen der Britischen Inseln bemerkbar. Im
schottischen Glasgow und im irischen Dublin regnete es, während der Niederschlag
auf den Azoren in Verbindung mit der Kaltfront erst später einsetzte. Bis zum
Morgen des 28. Juni kamen innerhalb von 24 Stunden an der
Wetterstation Lajes auf den Azoren lediglich 2 Liter Regen pro
Quadratmeter zusammen, während in Glasgow 14 l/m² und in Dublin 23 l/m²
fielen.
Entsprechend der Verlagerung des zugehörigen
Höhentiefs nach Osten war mittlerweile auch das Bodentief LISA weiter nach
Osten vorangekommen und lag mit seinem Kern, in dem weiterhin ein Luftdruck von
etwa 1000 hPa gemessen wurde, ungefähr 700 km südwestlich von Irland
und etwa 1000 km von der Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel entfernt.
Vom südlichen Kerngebiet ausgehend verlief eine Okklusionsfront in einem Bogen
von einigen hundert Kilometern westwärts um den Kern herum bis zum
Okklusionspunkt. Dort traf eine Warmfront aus Richtung Schottland auf eine
Kaltfront, die an der Südwestspitze Irlands vorbei und entlang der
portugiesischen Westküste sowie knapp nordwestlich der Inselgruppe Madeira und
weiter nach Westen auf den zentralen Nordatlantik hinaus verlief. Über der
Biskaya und über den nordwestlichen Pyrenäen hatte sich zudem eine sogenannte
Konvergenzlinie gebildet, bei der die Luft durch Zusammenströmen zum Aufsteigen
gezwungen wird und sich mächtige Quellwolken mit Schauern und Gewittern bilden
können.
Bis zum Morgen des 29. Juni lag der
Schwerpunkt der mit den beschriebenen Fronten verbundenen Niederschlägen an
Land auf der Irland südwestlich vorgelagerten Insel
Valentia. Dort wurde innerhalb von 24 Stunden eine Regenmenge von 11 l/m²
registriert. Andere auf Land gelegene Wetterstationen im Nordwesten Europas
registrierten einstellige Werte, wobei diese innerhalb kurzer Entfernungen
teils recht stark schwankten, wie zwischen den schottischen Städten Edinburgh
mit 1 l/m² und Glasgow mit 9 l/m². Anders als die regional
unterschiedliche Intensität der Niederschläge konnte der Unterschied zwischen
sehr heißer Luft im Südwesten Europas und kühler Luft im Nordwesten verbreitet
gut erkannt werden, was die Höchsttemperaturen des 28. Juni verdeutlichen.
Während es in Spanien, wie beispielsweise in Madrid, auf der Vorderseite des
Tiefs LISA mit dem Zustrom tropischer Luft aus Nordafrika mit 36°C heiß wurde,
war es in Stornoway auf den Äußeren Hebriden vor Schottland in polarer Kaltluft
20 Grad kälter, sodass die Höchsttemperatur dort nur 16°C betrug.
Am Morgen des 29. Juni hatte sich das Tief
LISA bis knapp nordwestlich der Britischen Inseln verlagert und auf einen
Kerndruck von 990 hPa verstärkt. Von dort verlief eine Okklusionsfront
nach Süden bis einige Hundert Kilometer westlich der Nordwestspitze der
Iberischen Halbinsel. Eine weitere Okklusionsfront reichte vom Tiefdruckkern
ausgehend um die Nordküste Schottlands herum zum Okklusionspunkt über dem
Pentland Firth, der Meerenge zwischen dem schottischen Festland und den Orkney–Inseln.
Dort trafen sich eine Warmfront, die über die Nordsee und Nordostdeutschland
bis nach Südpolen verlief, und eine Kaltfront, die sich zunächst ebenfalls über
die Nordsee zog und dann weiter über Belgien und in den Südwesten Frankreichs
bis zur Biskaya reichte, wo der Anschluss zu einer Warmfront eines über Spanien
liegenden, unbenannten Tiefs bestand. Von den Niederlanden über das westliche
Deutschland bis in die Schweiz war zudem eine Konvergenzlinie ausgebildet.
Darüber hinaus hatte sich vom Süden Irlands ausgehend eine weitere
Okklusionsfront gebildet, die den westlichen Ärmelkanal streifte, an der
Bretagne vorbei reichte und bis fast zu dem Punkt nordwestlich der Iberischen
Halbinsel weiter zu verfolgen war, an dem die vom Tiefdruckzentrum ausgehende
Okklusionsfront endete. Über dem Nordwesten Europas war also mit dem System
LISA ein komplexes Tiefdruckgebiet wirksam, das sich in vielerlei
Wettererscheinungen bemerkbar machte. Exemplarisch seien zum einen die
Niederschlagssummen bis zum Morgen des 30. Juni genannt. Länger
anhaltende, teils schauerartig verstärkte und mit Gewittern durchsetzte
Regenfälle brachten in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen 11 l/m², im
schwedischen Göteborg 27 l/m² und in Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern
32 l/m² Niederschlag.
An diesem Tag, dem 30. Juni, hatte das
Tiefdruckgebiet LISA sein Zentrum zwischen den nördlichen Bereich der
Britischen Inseln und das Europäische Nordmeer verlagert. Der Kerndruck lag bei
etwas unter 995 hPa. Eine Okklusionsfront ging vom Norden Schottlands zunächst
nach Südwesten, dann südlich des Kerns weiter nach Westen und beschrieb letztlich
einen Bogen um den Kern des Tiefs LISA herum bis nach Norwegen und Schweden auf
Breite des Polarkreises, um dann in Richtung Süden bis nach Mittelschweden zu
schwenken, wo sich der Okklusionspunkt befand. Von dort verlief zum einen eine
Warmfront über die Ostsee bis über die Gegend von Danzig an der polnischen
Ostseeküste, zum anderen folgte kurz hinter der Warmfront eine Kaltfront, die
nach Überquerung der südlichen Ostsee knapp östlich an Berlin vorbei über
Ostdeutschland und weiter bis nach Baden–Württemberg reichte, um in die
Warmfront einer Welle mit Zentrum über Südfrankreich überzugehen. Außerdem ging
südlich des Tiefdruckzentrums eine Kaltfront von Wales aus, verlief weiter über
Cornwall und die Bretagne, überquerte die Biskaya und den Nordwesten der
Iberischen Halbinsel, um vor der portugiesischen Westküste zu enden. Wieder
waren entlang der zum Tief LISA gehörenden Luftmassengrenzen schauerartige
Regenfälle und gebietsweise Gewitter aktiv. In Berlin–Dahlem fielen 21 l/m²
von 24–stündig knapp 22 l/m² innerhalb von nur drei
Stunden in der Nacht zum 1. Juli. Am Abend zuvor hatte es am Tegeler See
im Norden Berlins mit bis zu 46 kn Sturmböen der Stärke 9 gegeben. In
Berlin wurde vereinzelt, so z.B. an der Messstations Pichelsdorf im westlichen Teil der Stadt, mit genau 30,0°C
ein heißer Tag erreicht. Im übrigen Stadtgebiet stieg die Temperatur auf Werte
von 27 bis 29°C. Deutlich heißer war es in der Wiener Innenstadt, dort
erreichte die Temperatur 37,5°C. In Dublin war es hingegen mit einer
Höchsttemperatur von 16°C kühl. Genau dieser Wert wurde ebenfalls im finnischen
Rovaniemi auf der Breite des Polarkreises erreicht.
Am 01. Juli befand sich der Kern des Tiefs
LISA, in dem ein Druck von knapp 1000 hPa herrschte, nordöstlich von
Schottland, auf der Breite der Färöer Inseln. Eine von den Orkney–Inseln zum
schottischen Festland reichende Kaltfront ging in eine weiter südlich bis nach
Nordirland reichende Okklusionsfront über. Außerdem begann östlich von
Schottland eine weitere Kaltfront, die über die Nordsee und den Westen
Deutschlands bis nach Zentralfrankreich verlief. Nordöstlich des Kerns vom
Tiefdruckgebiet LISA war bis vor die Westküste Nordnorwegens eine weitere
Okklusionsfront zu analysieren, die in die Okklusionsfront eines unbenannten,
noch etwas weiter nördlich liegenden Tiefs überging, von dem wiederum ein
Frontensystem über Finnland, das Baltikum, Mitteleuropa und den Alpenraum bis
zum westlichen Mittelmeer reichte. Dort hinein waren wiederum mehrere
unbenannte Tiefdruckgebiete eingelagert. Alle genannten Tiefs bildeten mit dem
Haupttief LISA zusammen einen ausgedehnten Komplex, der weiterhin verbreitet zu
signifikanten Wettererscheinungen führte. An der Wetterstation Klippeneck, am
Rand der Schwäbischen Alb, kam bis zum Morgen des Folgetages eine
Niederschlagssumme von 31 l/m² zusammen. Im französischen Lyon fiel mit
63 l/m² sogar mehr als die doppelte Menge. Im Osten Österreichs wurde es
mit bis zu 37°C an der Station Neusiedl wiederum sehr heiß, während es in
anderen Teilen Europas, wie in Toulouse mit einer Höchsttemperatur von 16°C, teils
sehr kühl war.
Am 02. Juli befand sich der Wirbel LISA nordöstlich
der Shetland–Inseln mit einem Kerndruck von etwas unter 1005 hPa. Bis zum
nächsten Tag löste sich das Tief LISA jedoch auf und konnte daher nicht weiter
auf der Berliner Wetterkarte analysiert werden.
Geschrieben am 30.08.2012 von Heiko Wiese
Berliner Wetterkarte: 01.07.2012
Pate: Lisa Hümmer