Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LOLITA

(getauft am 27.01.2020)

 

Am 27.01.2020 lag Europa vorderseitig eines Höhentroges. Unter einem Höhentrog versteht man in der Meteorologie einen Bereich von relativ geringem Druck in der mittleren Troposphäre, welche bei ca. 5,5 km über dem Erdboden liegt. Zusammen mit einem Höhenkeil, dem entsprechenden Bereich mit relativ hohem Druck in der mittleren Troposphäre, bilden sie eine Welle, entlang der die Strömung in der Höhe fließt. Ein Keil ist dabei immer die nach Norden hin ausgebeulte Wölbung, während ein Trog die nach Süden hin ausgebeulte Wölbung der Welle ist. In der höheren Troposphäre bei ca. 8-12 km Höhe gibt es Bereiche, in denen der sogenannte Jetstream weht. Ein Jetstream ist ein Starkwindband, welches Geschwindigkeiten zwischen 100 und 500 km/h erreichen kann und von West nach Ost weht. Jetstreams entstehen an der Grenze zwischen unterschiedlich warmen Luftmassen. So auch der Polar-Jetstream, welcher an der Polarfront, der Grenze zwischen den kalten, polaren Luftmassen im Norden und den milden, subtropischen Luftmassen im Süden, weht. Dieser wehte am 27.01. über dem Nordatlantik und Frankreich hinweg und war der Grund für die Bildung eines Tiefs an dessen linker Vorderseite, auch linker Jetausgang genannt. Dort kam es durch das Ausströmen der Luft oder auch Divergenz in der höheren Troposphäre, zum Nachströmen der Luftmassen aus den unteren Schichten nach oben, wodurch ein Tiefdruckgebiet am Boden entstand. Dieses Tief wurde zum ersten Mal für den 28.01. prognostiziert und daraufhin auf dem Namen LOLITA getauft.

Die Zyklone LOLITA hatte ihren Entstehungsort über der Nordsee und wurde dort am 28.01. um 01 Uhr MEZ mit einem Kerndruck von knapp unter 990 hPa analysiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits ein Frontensystem, bestehend aus einer Warm- und einer Kaltfront, welche entgegen dem Uhrzeigersinn oder auch zyklonal um das Zentrum des Tiefs ziehen, entwickelt. Die relativ kurze voranlaufende Warmfront reichte vom Tiefdruckzentrum bis nach Dänemark, während sich die Kaltfront vom Tiefdruckkern bogenförmig über Frankreich bis hin über die Iberische Halbinsel und Portugal erstreckte. Letztere sollte in den nächsten Stunden ziemlich schnell über Mitteleuropa ziehen und das Wetter insbesondere in Deutschland maßgeblich beeinflussen. So entwickelten sich beim Durchzug der Kaltfront mehrere Regen- und Graupelschauerlinien. Dabei fielen in der zweiten Nachthälfte zum 28.01. vor allem im Südwesten Deutschlands und auch in Luxemburg mehrere Liter pro Quadratmeter Regen. Beispielsweise wurden an der Messstation Manderscheid-Sonnenhof in Rheinland-Pfalz sechsstündig bis 07 Uhr MEZ 10,6 l/m² Niederschlag registriert. Spitzenreiter war die Messstation auf dem Feldberg im Schwarzwald, welche im selben Zeitraum 14,2 l/m² vermeldete. Auch der Wind frischte an der Frontalzone ordentlich auf. So lagen die Windgeschwindigkeiten an der Nordseeküste in den Morgenstunden des 28.01. bei 50-60 km/h. Auf Grund der Höhenströmung drehte sich die Kaltfront im Laufe des Tages spiralförmig um das Zentrum von Tief LOLITA und holte dabei die vorlaufende Warmfront ein. Dadurch schoben sich die kalten Luftmassen unter die warmen Luftmassen der Warmfront und hoben diese an. Diese Mischfront aus warmer und kalter Luft wird Okklusionsfront genannt und sorgt meistens am Ort, an dem die beiden Fronten zusammentreffen, dem sogenannten Okklusionspunkt, vermehrt für Niederschlag. So fielen im Tagesverlauf bis 19 Uhr MEZ in Landvik an der Südküste Norwegens über einen Zeitraum von zwölf Stunden 32,0 l/m² Regen. In Deutschland sorgte der rasche Durchzug der Kaltfront für weniger große Niederschlagsmengen. Spitzenreiter war die Messstation Müncheberg in Brandenburg, welche für denselben Zeitraum um 19 Uhr MEZ 16,5 l/m² meldete. Der Wind wehte meist aus südwestlicher und westlicher Richtung, sodass milde, maritime Luftmassen vom Atlantik nach Mitteleuropa herangeführt wurden. Mit dem Durchzug der Kaltfront sank die Temperatur im Süden Deutschlands jedoch auf Werte um die 0°C. Dies führte dazu, dass bis 07 Uhr MEZ am 29.01.2020 über einem Zeitraum von 24 Stunden geringe Neuschneemengen zwischen 1 und 5 cm über Bayern und Baden-Württemberg herabfielen. Die größten Schneemengen wurden in den höheren Lagen registriert. So meldeten während desselben Zeitraumes die bayrischen Messstationen Rettenberg-Kranzegg auf 856 Metern Höhe 25 cm Neuschnee und Wegscheid auf 664 Metern Höhe 22 cm Neuschnee. Im Norden Deutschland waren die Temperaturen hingegen vergleichsmäßig mild und lagen dauerhaft im positiven Bereich. Einziger Ausreißer war die Messstation am Brocken auf 1134 Metern Höhe, welche auf Grund der Exponiertheit ganztätig negative Temperaturen meldete. Dort wurden um 18 Uhr MEZ Böen von 103,7 km/h gemessen. Dies entspricht orkanartige Sturmböen der Stufe 11 auf der Beaufortskala.

Im Tagesverlauf hatte sich das Zentrum des Tiefdrucksystems LOLITA langsam fortbewegt, sodass es am 29.01. um 01 Uhr MEZ nur wenige Kilometer weiter nordöstlich über der Skagerrak, dem Teil der Nordsee zwischen Dänemark und dem Süden von Norwegen sowie Schweden, mit einem Kerndruck von knapp 985 hPa analysiert wurde.  Die Kaltfront hatte dabei die Warmfront vollständig eingeholt, sodass das Frontensystem der Zyklone LOLITA nur noch aus einer sogenannten Warmfrontokklusion bestand. Eine Warmfrontokklusion entsteht dadurch, dass die Luftmassen vor der Warmfront kälter sind als jene hinter der Kaltfront und damit eine höhere Dichte aufweisen als die Luftmassen hinter der Kaltfront. Wenn die Kaltfront die Warmfront eingeholt hat, gleiten die Luftmassen hinter der Kaltfront wegen ihrer geringeren Dichte über die sehr kalten Luftmassen mit höherer Dichte vor der Warmfront. Damit sind die Luftmassen vor der Okklusionsfront immer noch kälter als jene dahinter und das Frontensystem besteht aus einer Okklusionsfront mit angehängter Warmfront. So auch jenes von Tief LOLITA, welches sich am 29.01. um 01 Uhr MEZ vom Zentrum ausgehend nach Südosten bis einige Kilometer östlich von Kasan in Russland erstreckte. Der Verlauf der Warmluftokklusionsfront war auch sehr gut an den gemeldeten Temperaturen zu erkennen. Während die Temperaturen um 01 Uhr MEZ hinter der Front noch um die 0°C lagen, herrschten vor der Front stark negative Temperaturen um die -10°C.

Während des 29.01. zog das Zentrum von Tief LOLITA weiter Richtung Osten und wurde am 30.01. um 01 Uhr MEZ über der Ostsee wenige Kilometer östlich von Stockholm mit einem Kerndruck von knapp unter 995 hPa analysiert. Dabei brachte das Frontensystem nur noch geringe Niederschlagsmengen. Die meisten fielen im Bereich des Okklusionspunktes über dem Bottnischen Meeresbusen. Spitzenreiter war die Messstation Lungön in Schweden, welche am 30.01. bis 19 Uhr MEZ in einem Zeitraum von zwölf Stunden 11,0 l/m² Regen registrierte.

Am 30.01 schwächte sich die Zyklone LOLITA weiter ab und löste sich im Tagesverlauf in die Zirkulation des nachfolgenden Tiefs Mareile auf.