Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LOTHAR

(getauft am 13.05.2021)

 

Am 13.05.2021 bildete sich über dem Nordatlantik am Südrand eines Tiefdruckkomplexes vor Neufundland eine Wellenstörung aus, in deren Folge vorderseitig Warmluft aus Süden und rückseitig Kaltluft aus Norden vorstoßen konnte. Daraus entwickelte sich ein Tiefdruckgebiet, welches noch am selben Tag von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen LOTHAR getauft wurde. Unter Verstärkung verlagerte es sich mit der Höhenströmung in der Frontalzone über den Atlantischen Ozean weiter in Richtung Europa.

Zwei Tage später, am 15.05. um 00 UTC, also 02 Uhr MESZ, erreichte das Frontensystem die Westküste Europas, wobei es mit seiner Kaltfront an der Südspitze Irlands sowie in Westfrankreich erstmalig wetterwirksam wurde. Dort und an der Nordküste Spaniens fiel verbreitet leichter Regen mit sechsstündigen Niederschlagssummen von meist unter 10 mm. Am meisten Regen gab es dabei noch an dem sogenannten Okklusionspunkt in Südfrankreich sowie an einer Randwelle in Nordwestspanien, wo bis 12 UTC 10 bis 20 mm, lokal auch etwas mehr Niederschlag niederging. Ein Okklusionspunkt beschreibt den Ort, wo eine Warm- und eine Kaltfront wie bei einem Reißverschluss aufeinander treffen. Die daraus entstandene Okklusionsfront, auch Mischfront genannt, resultiert aus dem Einholen der Warmfront durch die Kaltfront und wird häufig mit Regenfällen, teils auch gewittriger Natur, in Verbindung gebracht. Gewittrige Aktivitäten blieben zumindest am Okklusionspunkt meist aus. Zur selben Zeit konnten sich allerdings an einer präfrontalen Konvergenz (Zusammenströmen von Luftmassen) über Norddeutschland hinweg bis in den Osten des Landes in maritim erwärmter Subpolarluft einzelne, teils kräftigere Schauer und Gewitter bilden.

In der Nacht zum 16.05. befand sich der Tiefdruckkern um 00 UTC bereits über Westirland mit einem Kerndruck von rund 995 hPa. Dabei reichte die Okklusionsfront von Tief LOTHAR von dort über Großbritannien und Norddeutschland hinweg bis nach Tschechien, wo sie an die in zonaler Strömung von Österreich über Norditalien und Südfrankreich liegende Frontalzone anschloss. In Galizien fielen an der Station Mazaricos-A Piola in nordwestlicher Anströmung mit 141 mm in 24 Stunden bis zum Morgen weitere ergiebige Niederschläge. Oft neigen Fronten, deren Verlagerung parallel zur Hauptströmung stattfindet, dazu, Wellen auszubilden. So konnte über der Biskaya erneut Warmluft aus Süden gegen Kaltluft aus Norden vorstoßen, wobei sich im Verlauf eine Reihe kleinräumiger Hoch- und Tiefdruckgebiete aufgrund orografisch-blockierender Effekte durch die Pyrenäen und die Alpen bilden konnten. Es herrscht je nach Strömungsrichtung Hochdruck im Luv und Tiefdruck im Lee eines Gebirges.

LOTHAR selbst verlor ab dem 17.05. seine kompakte Struktur, sodass der Tiefdruckwirbel zwischenzeitlich zwei Kerne aufwies. LOTHAR I lag auf der Bodenwetterkarte von 00 UTC über der englischen Hauptstadt, als sich LOTHAR II bereits über der Nordsee vor der dänischen Westküste befand. Während Spanien zunehmend in den Einflussbereich des Azorenhochs gelangte, hielten mehrere Wetterfronten weiterhin Einzug in Mitteleuropa. So floss fortwährend labil geschichtete Meeresluft (mP/mPs) ein und brachte verbreitet abwechslungsreiches, teils unbeständiges Schauerwetter.

 

Das führende Frontensystem befand sich bereits über Osteuropa und schloss in einem Bogen vom Baltikum über den Nordbalkan reichend an ein Tief über Norditalien an, welches sich im Lee der Alpen verstärkte. Damit einhergehend fielen vom südlichen Baden-Württemberg, der Schweiz bis nach Norditalien mit Kaltfrontdurchgang verbreitet Niederschläge, welche tags zuvor eingesetzt hatten und bis 12 UTC des Folgetages 24-stündig verbreitet Mengen von 10 bis 30 mm erreichten. Im Kanton Valais (Südschweiz) fielen in gleicher Zeit lokal über 50 mm Regen. Hier, an der Grenze zu Frankreich, sowie rund um Bergamo bildeten sich am Abend zuvor im Grenzbereich zur Warmluft (xS) einzelne kräftigere Schauer und Gewitter. Beim Überqueren einer schwachen Okklusionsfront blieb das Wetter in Deutschland weitestgehend durchwachsen. In eingeflossener Kaltluft bildeten sich im Tagesgang immer wieder gewittrige Schauer, welche erst am 20.05. mit Zwischenhocheinfluss von Südwesten her allmählich nachließen.

LOTHAR war währenddessen als Doppelsystem über den Skagerrak hinweg bis nach Skandinavien gewandert und hatte sich über der Norwegischen See mit zunehmend retrograder (rückläufiger) Zugbahn eingenistet. Das Tief verlor nun zunehmend an Stärke und der Kerndruck stieg auf 1005 hPa an. Dabei hatte der Kern von LOTHAR II als einzelnes System wieder die Führung übernommen und bildete zusammen mit dem Folgetief MARCO und weiteren Tiefdruckzentren über Osteuropa eine weitreichende Tiefdruckrinne, die auf der 00 UTC Bodenwetterkarte vom 21.05. gut zu erkennen ist. Mit deutlicher Dominanz von Tief MARCO, das am Folgetag über Nordsee zu finden war, ging LOTHAR unweigerlich die Puste aus. Der Wirbel wurde nordseitig um das System geführt, um am 22.05. letztmalig als offene Randwelle (Tiefdruckgebiet ohne geschlossene Isobare/Linie gleichen Luftdrucks) über dem Nordmeer auf der Berliner Wetterkarte von 00 UTC aufzutauchen. Danach verschmolz der Bereich tiefen Luftdrucks in MARCO’s Gegenwart und ward Geschichte. Die Großwetterlage sollte mit einem weiteren Folgetief vorerst noch erhalten bleiben, bevor Mitteleuropa gegen Ende Mai mit Hoch WALTRAUD in ruhigeres Spätfrühlingswetter gelangen sollte, wobei pünktlich zum 01.06. sommerliche Temperaturen Einzug hielten.