Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LUCIEN

(getauft am 27.03.2015)

 

Mitte der letzten Märzdekade 2015 zeigte sich im Höhenströmungsfeld der nördlichen Hemisphäre eine umfangreiche Austrogung über dem nordamerikanischen Kontinent, welche von der kanadischen Westküste in einem weiten Bogen bis zum isländisch-grönländischen Raum reichte. Dazu korrespondierend befand sich in der mittleren Troposphäre, in einer Höhe von 3 bis 6 km, ein Kaltlufttrog, also ein ausgedehnter Bereich niedrigen Luftdrucks in der Höhe, dessen Zentrum über der Baffin-Insel im arktisch-kanadischen Raum zu finden war. Laut Radiosondenmessung an der Station Hall Beach knapp nördlich des Polarkreises wurde hier in einer Höhe von 5,5 km eine Temperatur von -39,3°C gemessen.

Aufgrund dynamisch-atmosphärischer Prozesse kommt es an der Ostflanke solcher Höhentröge meist zur Entstehung neuer Tiefdruckgebiete, so auch in diesem Falle vor der amerikanischen Ostküste. Das neu entstandene Tief wurde am 25. März um 00 UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, erstmals im Ausschnitt der Berliner Wetterkarte analysiert und befand sich zu diesem Zeitpunkt etwa 1400 km südlich von Neufundland über dem Westatlantik im Bereich einer Luftmassengrenze zwischen kalter Subpolarluft und milderer Atlantikluft.

In den folgenden 48 Stunden verschob sich das Tief unter zunächst nur geringer Vertiefung langsam weiter nordostwärts bis in den Bereich des mittleren Nordatlantiks. Dort konnte es in den Frühstunden des 27. März, etwa 1200 km nordwestlich der Inselgruppe der Azoren mit einem Kerndruck von knapp unter 1005 hPa analysiert werden.

Für den weiteren Verlauf, so prognostizierten es die Wettermodelle, sollte das Tief unter Verstärkung zu einem Sturmwirbel rasch in Richtung Europäisches Nordmeer ziehen und die mit dem Tief verknüpften Wolken- und Niederschlagsfelder auf Nordwest- und Westeuropa übergreifen. Folglich wurde der bis dato noch namenlose Wirbel am 27. März auf den Namen LUCIEN getauft.

Während sich die Zyklone in den folgenden Stunden zügig nordostwärts Richtung Britischer Inseln verlagerte, erfassten ab den Nachmittagsstunden die frontalen Niederschläge den Westen Frankreichs und Norden Spaniens und in der sich anschließenden Nacht auch die Britischen Inseln. Bis um 18 UTC wurden aber in Frankreich zunächst meist nur geringe Niederschlagsmengen von unter 1 mm gemessen. Lediglich im spanisch-französischen Grenzgebiet fielen regional begrenzt 5 bis 10 mm in 12 Stunden, z.B. in Bilbao-Sondica 10 mm. In der sich anschließenden Nacht zog das Niederschlagsband über Frankreich weiter ostwärts und erreichte weiter nördlich auch die Britischen Inseln, wobei die stärksten Niederschläge in einem Streifen zwischen Irland und Schottland beobachtet wurden. Im Bezugszeitraum zwischen 18 und 06 UTC des folgenden Tages fielen meist 2 bis 5 mm Regen, teils auch um oder knapp über 10 mm, so wie in Glasgow-Bishopton mit 9 mm. Dabei befand sich das Zentrum von Tief LUCIEN am frühen Morgen des 28. März mit knapp unter 995 hPa etwa 350 km westlich von Irland. Die Warmfront reichte südostwärts über Irland und den Ärmelkanalausgang bis nach Westfrankreich, die Kaltfront dagegen südwestwärts bis ins Seegebiet knapp nördlich der Azoren. Während sich das Tief über den äußersten Norden Schottlands und die Shetland-Inseln auf die südnorwegische Küste zu bewegte und dabei zu okkludieren begann, also Warm- und Kaltfront zusammenliefen, kam es zu weiter teils mäßigen Niederschlägen über den Britischen Inseln, wobei die Regenmengen recht uneinheitlich verteilt waren. Während es in Südengland mancherorts sogar trocken blieb, fielen in Wales und Schottland stellenweise mehr als 15 mm Niederschlag in 12 Stunden, in Capel Curig im Norden von Wales sogar bis zu 21 mm. Einhergehend mit den Niederschlägen erfasste auch das Sturmfeld der Zyklone ab den Vormittagsstunden dieses Gebiet. So frischte der Wind spürbar auf und erreichte in Spitzen vielerorts Sturmstärke, in Edinburgh z.B. bis 80 km/h was Windstärke 9 auf der Beaufortskala entspricht, in Aberdaron an der Irischen See sogar bis zu 107 km/h, gleichzusetzen mit Windstärke 11, bzw. orkanartigem Sturm. Aber nicht nur über den Britischen Inseln, auch weiter südlich kam es entlang der ostwärts vordringenden Warmfront zu leichten Niederschlägen, die sich über den Osten Frankreichs und Benelux-Staaten bis in den Westen Deutschlands ausbreiteten. Die Regenmengen blieben allerdings meist unter 1 mm. Lediglich entlang des Niederrheins, der holländischen Nordseeküste sowie über den Ardennen kamen bis zum Abend zwölfstündlich 2 bis 4 mm zusammen.

Bis zum Tagesende des 28. März hatte die Warmfront nach Osten hin etwa eine Linie Kopenhagen - Rostock - Magdeburg - Erfurt – Stuttgart erreicht. Die Kaltfront hingegen war in ihrem nördlichen Teil bis zur Nordsee vorgedrungen, in ihrem südlichen Teil jedoch durch ein rasch vom Atlantik nachfolgendes Randtief wieder rückläufig geworden. Aus dieser Konstellation ergab sich an der Südflanke des Tiefs ein breiter Warmsektor, der sich vom nahen Ostatlantik über Frankreich bis nach Deutschland aufspannte. Die eingeflossene, milde Atlantikluft machte sich vor allem an den nächtlichen Tiefstwerten bemerkbar. Diese lagen teils um bis zu 10 Grad höher, als noch in der Nacht zuvor. Beispielsweise meldete Reims ein Minimum von +12°C nach +1°C tags zuvor, in Düsseldorf waren es nach -1°C nun minimal + 9°C gewesen. Abgesehen davon war es in der Nacht vor allem im Bereich der Verknüpfungsstelle zwischen Warm- und Kaltfront über Dänemark zu kräftigen Niederschlägen gekommen, die verbreitet 10 mm in 12 Stunden brachten. Stellenweise fiel aber auch deutlich mehr, so in Haderslev im Süden des Landes mit 15 mm, in Leck in Nordfriesland mit 18 mm oder in Kristiansand in Südnorwegen mit 27 mm.

Gleichzeitig erreichte das Tief LUCIEN in den Morgenstunden des 29. März nach Analyse des britischen MetOffice mit 966 hPa den niedrigsten Druck in seiner Entwicklung. Dabei befand sich das Zentrum vor der norwegischen Küste, einige hundert Kilometer nordwestlich von Trondheim. Während sich die Niederschlagsaktivitäten im Tagesverlauf mit der Okklusionsfront langsam gen Osten nach Schweden verlagerten, wobei durchschnittlich 3 bis 9 mm Niederschlag zusammenkamen, der im Süden als Regen und nach Norden hin auch als Schnee beobachtet wurde, zog das Tief entlang der norwegischen Küste nordwärts. Dabei blieb es in der Nähe zum Tiefdruckkern frisch bis stark windig, in Böen auch stürmisch, wobei das Hauptwindfeld mit dem Kern über Norwegen allmählich nordwärts schwenkte. Zum Abend und in der Nacht ließ der Wind aber auch über dem Norden der Skandinavischen Halbinsel deutlich nach.

Am Morgen des 30. März erreichte die Zyklone bereits das nördliche Nordmeer. Der Druck im Zentrum betrug nahezu unverändert etwas unter 970 hPa. Ausgehend vom Kern erstreckte sich die Okklusionsfront südwärts über Lappland und die nördliche Ostsee bis über das Baltikum, wo sich die Ausläufer trennten. Während die Warmfront weiter südwärts etwa entlang der polnischen und ungarischen Ostgrenze bis südwestlich von Belgrad verlief, ging die kurze Kaltfront über der mittleren Ostsee rasch in die Ausläufer des bereits erwähnten Randtiefs über. Dieser mit MIKE bezeichnete Wirbel konnte sich in den folgenden Stunden über der südlichen Ostsee weiter verstärken und so die Ausläufer von Tief LUCIEN in seine Zirkulation mit aufnehmen. Vor allem anfangs kam es im Umfeld der Front über Lappland verbreitet noch zu leichten bis mäßigen Schneefällen, mit immerhin bis zu 10 mm in 12 Stunden in Jokkmokk, die allerdings im weiteren Tagesverlauf rasch nachließen.

Die Zyklone schwächte sich anschließend allmählich aber kontinuierlich ab und befand sich am 31. März um 00 UTC nördlich von Jan Mayen, ohne jedoch noch nennenswerten Einfluss auf das Wetter über dem Europäischen Kontinent zu haben. Schließlich löste sich die Zyklone bis zum Tagesende vor der ostgrönländischen Küste auf.

 


Geschrieben am 04.06.2015 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 28.03.2015

Pate: Lucien Pauli