Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet LUDGER
(getauft am 14.06.2019)
Auf
der Vorderseite eines ausgedehnten Troges kalter Luft, der vom Ostatlantik bis
nach Westeuropa reichte, entwickelte sich über Südwestdeutschland ein flaches
Bodentief, das anhand der Prognosekarte vom 14.06.2019 für 12 Uhr UTC des
folgenden Tages auf den Namen LUDGER getauft wurde. Das Zentrum dieses sich
ausprägenden Tiefs befand sich um 00 Uhr UTC des 15.06. mit einem Kerndruck von
unter 1010 hPa westlich von Nürnberg. Von seinem Kern reichte zu diesem
Zeitpunkt sowohl eine Warmfront über Prag nach Osten, die sich nahe Warschau
mit der Kaltfront eines Tiefs mit Kern bei Helsinki verband, als auch eine Kaltfront
in südwestlicher Richtung, welche von Genf bis Marseille reichte.
Einsetzende
Hebungsprozesse hatten bereits in der Nacht zum 15.06. die Ausbildung erster
Niederschläge zur Folge, die sich im Laufe der ersten Tageshälfte von
Ostfrankreich über die Beneluxstaaten auf die Nordsee hinaus verlagerten.
Entlang der Kaltfront setzte ab den Mittagsstunden ebenfalls die Entwicklung
eines ausgeprägten Bandes mit dichter Quellbewölkung und teils intensiven
Schauern und Gewittern ein. Dieses erstreckte sich von Ostdeutschland über
Österreich und der Schweiz bis in die Vogesen und verlagerte sich in der zweiten
Tageshälfte rasch nach Osten. Einsetzender Regen brachte dabei im Großraum von
Lyon teils sehr ergiebige Regenmengen mit sich: Je nach Region waren dort
binnen 24 Stunden zwischen 26,7 mm am Flughafen Lyon-Bron, 30,0 mm im etwas
weiter östlich gelegenem Ambérieu und 40,5 mm am Flughafen Lyon Saint-Exupéry
gefallen. Ähnlich ergiebig fielen die Niederschläge auch über Österreich und
der Schweiz aus: Am Flughafen von Salzburg wurden 20,0 mm, in Schaffhausen 28,5
mm und am Flughafen von Innsbruck 41,3 mm gemessen. Auf dem Napf, ein Berg
östlich von Bern, waren sogar bis zu 49,7 mm gefallen. Am intensivsten waren
jedoch die Niederschläge entlang der Lübecker Bucht, über der das Zentrum des
sich nach Norden verlagernden und anschließend nach Osten abdrehenden
Gewittertiefs LUDGER gegen 09 Uhr UTC angekommen war. So wurden dort innerhalb
von 3 Stunden in Lübeck-Blankensee 29,9 mm, bei Pelzhaken 48,6 mm und in Boltenhagen
60,0 mm gemessen, wobei der Großteil der Niederschlagsmenge in Boltenhagens,
knapp 46 mm, in nur einer Stunde gefallen war. Nach Medienberichten konnte
zudem nahe dem thüringischen Ettersburg ebenso wie in Niedersachsen unweit von
Wolfenbüttel im Aufwindbereich der Gewitter die Entwicklung von Trichterwolken,
die Vorstufe eines Tornados, beobachtet werden, die jedoch nicht den Boden
berührten. Auch über Polen kam es im Bereich des nunmehr von Norddeutschland
nach Osten abziehenden Zentrums zu teils intensiven Schauern und Gewittern, die
dort bis in die frühen Morgenstunden anhielten. Innerhalb von 24 Stunden
summierten sich diese beispielsweise in Hel bei Danzig auf 28,3 mm, in Kołobrzeg auf 32,4 mm und in Olsztyn auf 50,8 mm. An der Messstation
im etwa 100 Kilometer östlich
von Stettin gelegenen Świdwin wurden
gegen 18 Uhr UTC Orkanböen
von bis zu 136,9 km/h gemessen, was Stärke 12 Bft. entspricht. Im gleichen
Zeitraum konnte Berichten zufolge im knapp 40 Kilometer nördlich davon gelegenem Złocieniec gar ein Tornado beobachtet werden. Zum Vergleich: Zuvor
als auch nach den Gewittern erreichte der Wind mit mittleren
Windgeschwindigkeiten von 25,2 und 7,1 km/h an jener Station in Świdwin lediglich Stärke 4 bzw. 2 auf der Beaufortskala.
Gegen
00 Uhr UTC des 16.06. befand sich der Tiefdruckwirbel LUDGER mit seinem Zentrum
und einem auf knapp 1015 hPa leicht angestiegenen Druck unweit von Danzig. Von
seinem Kern aus zog sich zum einen eine Warmfront in Richtung der Ukraine, die
sich bei Kiew mit dem Frontensystem eines Tiefs über Kasachstan verband, eine
Kaltfront in einem Bogen über Tschechien und Österreich bis nach Norditalien und
auch eine Okklusionsfront über Dänemark nach Nordosten, die den Kern des Tiefs
LUDGER mit dem eines Tiefs östlich von Oslo verband. Desweiteren erstreckte
sich östlich des Kerns eine sogenannte Konvergenzlinie von Warschau über
Budapest bis nach Zagreb. Als Konvergenzlinie wird dabei ein linienhaft
angeordneter Bereich beschrieben, in dem bodennahe, in diesem Fall feuchtwarme
Luftmassen horizontal zusammenströmen und so zum Aufsteigen in kältere
Schichten gezwungen werden. Entlang dieser entwickeln sich in der Folge häufig
kräftige Schauer und Gewitter. Die Niederschläge entlang der sich nach Osten
verlagernden
Frontenausläufer hatten sich in den Morgenstunden weitestgehend aufgelöst oder
zumindest stark an Intensität verloren. Ab den
Mittagsstunden setzte jedoch erneut die Entwicklung mächtiger Quellbewölkung
ein, die von Weißrussland über Ostpolen bis in den nördlichen Balkan zu
intensiven Schauern und Gewittern führten. In Minsk fielen durch diese
innerhalb von 24 Stunden 12,0 mm Niederschlag, im westukrainischen Lwiw 19,0 mm
und auf dem polnischen Kasprowy Wierch bis zu 19,2 mm. Über Deutschland waren
mit den Gewittern des Vortages die zuvor vorherrschende Subtropikluft nach
Osten abgedrängt worden. Ihr folgte maritime Polarluft. Waren vor dem Durchgang
der Gewitterfront in Regensburg Tageshöchstwerte von 29,5°C, in Berlin-Dahlem
31,5 °C und in Hoyerswerda 34,7°C gemessen worden, stieg das Quecksilber am
16.06. nur noch auf maximal 22,0°C in Regensburg, 21,5°C in Berlin und 24,4°C
in Hoyerswerda. Dazu überwog in vielen Teilen Deutschlands ein durch dichte
Wolken und anhaltenden, leichten Regen geprägter Witterungscharakter der verbreitet Niederschlagsmengen zwischen einem und fünf
Millimetern sowie vereinzelt auch darüber brachte. In Österreich hielt die
Schauer- und Gewittertätigkeit des Vortages dagegen zunächst noch an, ehe sie
ihren Schwerpunkt im Tagesverlauf zunehmend nach Ungarn und in die nördliche
Balkanregion verlagerte. Dabei fielen innerhalb von 24 Stunden in Poysdorf 12,0
mm, bei Feldkirchen 16,0 mm und in Leibnitz als auch auf dem Schöckel jeweils
18,0 mm. Nahe Wien konnte sich bei Tulln wie bereits tags zuvor über Polen aus
einer Gewitterzelle ein Tornado entwickeln, der gar von der dortigen offiziellen
Wetterstation direkt vermeldet werden konnte: Mit der Stationsmeldung von 09
Uhr UTC gab diese die Beobachtung einer Großtrombe bekannt, jedoch erfassten
die Anemometer in jenem Zeitraum im Vergleich zu Polen lediglich Spitzenböen von
57,6 Stundenkilometern, was der Stärke 7 auf der Beaufortskala entspricht.
Südosteuropa wurde neben dem Frontensystem des Wirbels LUDGER zusätzlich durch
ein zwar lokal begrenztes, flaches und somit schwer analysierbares jedoch
ebenfalls intensives Bodentief beeinflusst. Dieses verlagerte sich von der
Adria über Kroatien und Ungarn nach Rumänien und brachte im Zusammenspiel mit
der ebenfalls nach Osten voranschreitenden Kaltfront des ins Baltikum ziehenden
Gewittertiefs LUDGER in einigen Regionen äußerst ergiebige Niederschläge mit
sich. Während es in Bulgarien zunächst noch weitestgehend trocken blieb, waren
in Zagreb binnen 24 Stunden 35,2 mm, im ungarischen Andráshida 46,5 mm und im
ebenfalls ungarischen Eger 51,2 mm gefallen. Im kroatischen Ogulin konnten
innerhalb von 12 Stunden gar bis zu 76,1 mm gemessen werden.
Zum
17.06. war das Zentrum des Tiefs LUDGER über das Baltikum gezogen und lag mit
einem Druck von weiterhin knapp 1015 hPa westlich von Vilnius über Litauen. Von
seinem Kern aus zog sich eine Warmfront zunächst über Vilnius und Minsk nach
Süden. Zwischen Kiew und Wolgograd den Charakter einer Kaltfront annehmend
beschrieb sie anschließend einen Bogen über Odessa und Mariupol nach Osten und
reichte in östlicher Richtung weiter bis nach Kasachstan. Die ihr nacheilende
Kaltfront erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt über Białystok (Polen) bis nach Budapest, während sich eine Okklusionsfront westlich des Kerns ausgehend wellenförmig über Stockholm bis nach
Trondheim zog, wo sie sich mit dem Frontensystem des Tiefdruckkomplexes KLAUS
mit Zentren über
den Britischen Inseln verband. Besonders für den nördlichen Balkan blieb das
andernorts allmählich an Intensität verlierende Gewittertief LUDGER weiter
wetterbestimmend. Entlang seiner nach Südosten voranschreitenden Kaltfront
entwickelten sich im Zusammenspiel mit jenem kurzlebigen flachen Gewittertief,
welches sich von der Adria in die Balkanregion verlagert hatte, im Tagesverlauf
abermals teils ergiebige Schauer und Gewitter. Diese führten beispielsweise an
der Station auf dem Mourgash, östlich von Sofia gelegen, binnen 24 Stunden zu
14,0 mm, im rumänischen Caransebeș zu
17,4 mm und im ungarischen Baja zu 26,9 mm an Niederschlägen. Entlang des sich
in die Ukraine verlagernden Zentrums konnten sich ebenfalls lokale Schauer und
Gewitter bilden, die jedoch weit weniger intensiv ausgeprägt waren: So wurde im
selben Zeitraum in Lwiw 2,0 mm und in Winnyzja 7,0 mm registriert. Der
Schwerpunkt der Niederschläge jenes Tages lag hingegen in Moldawien: Dort
wurden innerhalb von 24 Stunden in Kornesty 28,4 mm, bei Bravicea 43,0 mm und
in Bălți bis zu 85,0 mm gemessen. Über Deutschland stellte sich nach Abzug des Tiefs LUDGER ein
ruhigerer Wettercharakter mit reichlich Sonnenschein ein. Auf der Vorderseite
des sich nähernden
Tiefdruckkomplexes bestehend aus den Druckkomplexen KLAUS und MOMO wurden mit
einer sich einstellenden und anschließend anhaltenden südwestlichen Strömung
subtropische Luftmassen herangeführt, die das Temperaturniveau in den folgenden
Tagen ansteigen ließen. War am 17.06. in Potsdam ein Tageshöchstwert von 27,5°C
gemessen worden, stiegen die Temperaturen am Folgetag bereits auf 30,3°C und tags
darauf auf bis zu 33,3°C. Mit Ausnahme der Küstenregionen und den Hochlagen der
Mittelgebirge wurden in den meisten Landesteilen ähnliche Temperaturverläufe
registriert, ehe im Laufe des 19.06. und 20.06. die aufziehenden, regenreichen
Ausläufer des über die Nordsee nach Südskandivanien ziehenden Tiefs MOMO
Abkühlung brachten. Ähnlich hohe Temperaturwerte waren auch auf der Vorderseite
des Tiefs LUDGER registriert worden. In einem Streifen von der Ukraine bis nach
Griechenland wurden in den vorherrschenden subtropischen, fast schon tropischen,
und mit Taupunkten von 20-24°C äußerst schwülen Luftmassen im Laufe des 17.06.
vielerorts Tageshöchstwerte von 30 bis 35°C erreicht. Auch nachts blieb es
zuweilen sehr warm: Vor allem entlang der westlichen Schwarzmeerküste und in
Griechenland fielen die Tiefstwerte mancherorts nicht unter 20°C. Auf der
nördlich von Athen gelegenen Insel Skiathos kühlte sich die Luft an der Station
am Flughafen des gleichnamigen Ortes nicht unter 25,4°C ab.
Sich
zunehmend abschwächend hatte sich das Zentrum des Tiefs LUDGER in der
Zwischenzeit weiter nach Osten verlagert und befand sich um 00 Uhr UTC des
18.06. mit einem Druck von 1015 hPa über Westrussland, südlich von Moskau.
Seine einstige Warmfront war vollständig von der ihr nacheilenden Kaltfront
eingeholt worden. Die daraus resultierende Okklusionsfront reichte von der
Südseite des Kerns ausgehend bis nach Kiew und anschließend Kaltfrontcharakter
annehmend weiter bis nach Iaşi,
in den Nordosten Rumäniens. Bereits in der ersten Tageshälfte hatte sich der
Tiefdruckwirbel soweit abgeschwächt, dass er nachfolgend nicht mehr auf der
Berliner Wetterkarte als eigenständiger Wirbel analysiert werden konnte. Obwohl
sich der Wirbel in rascher Auflösung befand, brachten die Schauer und Gewitter
entlang seines sich nach Südosten verlagernden Frontensystems innerhalb von 24
Stunden in Iaşi nochmals 11,0
mm, im ukrainischen Liubashivka 12,0 mm und im russischen Rjaschsk 14,0
mm mit sich. Im rumänischen Botoșani waren sogar noch 31,8 mm und im moldawischen Chišinau bis zu 64,0 mm gefallen. Auch nach Auflösung blieb es in der
Region im Bereich der vorherrschenden subtropischen Luftmassen mit Temperaturen
um oder über 30°C weiter schwül-warm mit erhöhter Schauer- und Gewitterneigung.
Vor allem über Südosteuropa konnten sich - trotz sich allgemein einstellendem
Hochdruckeinflusses - wiederholt lokale Gewittertiefs mit teils sehr ergiebigen
Regenmengen von 20 mm innerhalb weniger Stunden ausbilden.