Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet LYNN

(getauft am 26.08.2020)

 

Ende August 2020 entwickelte sich über dem Nordatlantik ein Tiefdruckgebiet auf Bodenniveau, auch Wirbel oder Zyklone genannt. Hierbei beschreibt die Zyklone den sich drehenden Tiefdruckwirbel anhand seiner Drehrichtung gegen den Uhrzeigersinn, im Gegensatz zum Zyklon, der ein ausgewachsener Wirbelsturm ist. Die Zyklone entwickelte sich auf der Rückseite des Sturmtiefs KIRSTEN, welches vor der Küste Irlands lag und die Wetterlage der Britischen Inseln, der Niederlande und Deutschlands mit starken Fallwinden, schweren Sturmböen und schauerartig verstärkten Niederschlägen beeinflusste. Das bis dato noch unbenannte Tiefdruckgebiet zog derweil weiter ostwärts und befand sich am 27.08. auf der 00 Uhr UTC Bodenwetterkarte der Berliner Wetterkarte (BWK) westlich der Küste Irlands mit seinem bereits zum Großteil okkludierten Frontensystem. Bei einer okkludierten Front vereinigen sich Kalt- und Warmfront und bilden dabei eben jene Mischfront, bei der der Warmsektor, der vorher zwischen den Fronten lag, in höhere Luftschichten angehoben wird. Dabei kühlt er sich ab, und da kalte Luft weniger Feuchtigkeit enthalten kann als warme, fällt diese dann als Niederschlag - je nach Temperatur fest oder flüssig - aus. Die Meteorologen der Berliner Wetterkarte tauften den Tiefdruckwirbel am Vortag in Prognose auf den Namen LYNN, unter dem er fortan in Wetterkarten und Wetterberichten geführt wurde. Auf der 500-hPa-Höhenwetterkarte der BWK lag direkt über Tief LYNN ein Höhentief, also ein Kaltluftvorstoß nach Süden, das zusammen mit Bodenwirbel LYNN erhebliche Regenmengen nach England, Schottland und Wales brachte. Im schottischen Eskadelemuir sowie im südwestlich von Liverpool liegenden Rhyl fielen innerhalb von 24 Stunden bis zum Morgen des 28.08. fast 36 mm. Die größten Niederschlagsmengen wurden jedoch im walisischen St. Athan mit 61,6 mm, also fast der doppelten Summe, verzeichnet.

Bis 00 Uhr UTC des Tages nach der Taufe zog das Tiefdruckgebiet LYNN bis über die Britischen Inseln, wobei es einen Kerndruck von 1005 hPa beibehielt. Die Okklusionsfront der Zyklone erstreckte sich über den südlichen Teil der Niederlande, Belgien sowie den Nordosten Frankreichs und überquerte im Tagesverlauf, allerdings wenig wetterwirksam, den Berliner Raum. Hingegen setzte auf der Vorderseite des Höhentrogs, der auf der 500-hPa-Karte der BWK direkt über Bodentief LYNN lag, Warmluftadvektion ein. Bei einer Warmluftadvektion wird wärmere Luft vom Wind in eine Gegend transportiert, wo sich diese dann sammelt. Bei der an diesem Tag aktuellen Lage verhinderte die Warmluftadvektion eine weitere Ostverlagerung der Kaltfront unserer Zyklone. Dadurch entwickelte sich im Tagesverlauf eine sogenannte Gegenstromanlage - das heißt: eine Wettersituation bei der feucht-warme Luft aus südlicher Richtung in der Höhe auf kalten nordwestlichen Wind am Boden traf. Aus dieser Situation heraus entwickelte sich an der Kaltfront von Tief LYNN südwestlich der Alpen eine neue Vb-artige Zyklone, die in der Folge auf den Namen MARLIS getauft wurde. Vb beschreibt hierbei die recht typische Zugbahn, derer Tiefdruckgebiete, die unter o.g. Bedingungen an dieser Stelle entstehen, entlangziehen.

Zyklone LYNN zog bis zum Morgen des 29.08. weiter ostwärts und lag auf der 00 Uhr UTC Bodenwetterkarte der BWK nunmehr über der Nordsee mit einem Kerndruck, der sich auf mittlerweile 1000 hPa verstärkt hatte. Die Okklusionsfront war im gestrigen Tagesverlauf über Berlin gezogen und lag nun an der Grenze zu Polen, wobei der Okklusionspunkt - also der Punkt an dem die Kalt- die Warmfront eingeholt hatte - bei Wien befand. Im weiteren Tagesverlauf entwickelten sich in Deutschland quasi drei Wetterbereiche. In der Nordwesthälfte herrschte labile subpolare Meeresluft vor, in der sich einzelne kleinere Schauer bildeten. Im Bereich der Okklusionsfront von Tief LYNN fielen um die 5 mm Niederschlag. So meldete Elpersbüttel 6,1 mm und Borkum 7,0 mm. Nördlich des Bereichs zwischen Saarland und Berlin schien die Sonne für 4 bis 9 Stunden, während sie sich andernorts weniger oder gar nicht blicken ließ. Insgesamt blieb es im Einflussbereich der Zyklone LYNN mäßig warm bei bis zu 18 bis 24°C. Die Südhälfte Deutschlands beherrschte jedoch Tief MARLIS mit Dauerregen bei bedecktem Himmel und Temperaturen um die 10 bis 17°C. Die 24-stündigen Niederschlagsmengen erreichten hier 10 bis 40 mm, im Stau des Erzgebirges sogar über 80 mm.

Auf der 00 Uhr UTC Bodenwetterkarte der BWK am 30.08. hatte sich Wirbel LYNN in nunmehr zwei Kerne aufgespalten. LYNN I lag nur wenig südlicher im Vergleich zum Vortag über der niederländischen Küste mit circa 1008 hPa, während LYNN II über der nördlichen Ostsee mit einem Kerndruck von 1005 hPa geortet wurde. Insbesondere im Einflussbereich des Kerns LYNN II fiel wieder gebietsweise Regen, während es im Bereich von LYNN I meist trocken blieb. Hinter der Okklusionsfront schien an diesem Tag sowohl an der Nord- als auch der Ostseeküste die Sonne mit 12,5 Stunden ebenso lang wie auf der Iberischen Halbinsel und am Balkan. Die Höchsttemperaturen lagen an diesem Tag im Norden Deutschlands bei bis zu 23°C, während sie im Einflussbereich der Zyklone MARLIS kaum mehr als 15°C erreichten. Letztendlich zog Tief LYNN zum 31.08. bis über Tallinn, der Hauptstadt von Estland, wo es sich anschließend rasch auflöste.