Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
MARCEL
(getauft am 06.04.2017)
In dem Bestreben
unserer Atmosphäre ein Gleichgewichtszustand herzustellen, steigt die warme
Luft in den Tropen auf und wird nach Norden transportiert, während die kalte
Polarluft absinkt und nach Süden strömt. Wegen der Erdrotation bilden sich
innerhalb dieser Prozesse in der Region der mittleren Breiten sogenannte
planetare Wellen aus. Tröge sind dabei angefüllt mit kalter und Keile mit
warmer Luft. Beide treten besonders in der mittleren Troposphäre auf, also in
etwa 6 km über dem Boden und steuern die Wettersituation am Boden. So bilden
sich Tiefdruckgebiete bevorzugt auf der Vorderseite von kräftigen Trögen.
Diesen Entstehungsprozess nennt man Zyklogenese. Am 6. April 2017 befand sich
ein kräftiger Trog über dem Nordwestatlantik. Auf dessen Vorderseite hatte sich
bereits ein Tief entwickelt, welches sich nun im Tagesverlauf verstärken sollte
und daher von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte in der Prognose auf den
Namen MARCEL getauft wurde.
Um 2 Uhr MESZ des
7. April wies der Tiefdruckkern MARCEL einen Druck von rund 990 hPa auf und lag
etwa 900 km südwestlich von Island. Durch die zyklonale Zirkulation der Luft,
also gegen den Uhrzeigersinn um den Kern MARCEL, hatte sich ein Frontensystem
bestehend aus Warm-, Kaltfront und Okklusion gebildet. Die Okklusion, eine Mischfront
mit Warm- und Kaltfrontcharakter, verlief über 900 km südlich des Kerns durch diesen
nach Nordosten bis etwa 500 km westlich von Island. Dort trennte sie sich am
sogenannten Okklusionspunkt in eine Warm- und eine Kaltfront auf. Die Kaltfront
wurde über eine Länge von 1000 km über dem Nordostatlantik analysiert. Die
Warmfront zog sich währenddessen nach Osten bis 200 km östlich von Island, wo
sie in die Kaltfront eines Tiefs bei Skandinavien überging. Das Zentrum von
Wirbel MARCEL sowie die Region um den Okklusionspunkt bewegten sich im
Tagesverlauf bis über Island. Zwischen 2 und 5 Uhr MESZ verzeichnete die
Wetterstation in Patreksfjordur ganze 21 l/m² an
Niederschlag. In Reykjavik war es im selben Zeitraum dagegen nur 1 l/m². Am
Nachmittag um 17 Uhr MESZ meldete beispielsweise Hagongur
im Zentrum der Insel dreistündig 6 l/m². Die Warm- und die Kaltfront
verlagerten sich nur wenig, blieben also nahezu stationär. Durch die weitere
Verstärkung des Kerndrucks intensivierte sich auch der Wind, was besonders an
der ungeschützten Westküste Islands zu hohen Windgeschwindigkeiten führte. Am
extremsten waren dabei einzelne Messungen von Spitzenböen über 100 km/h, wie in
Skardsheidi Midfitjaholl
mit 111 km/h zwischen 4 und 5 Uhr MESZ. Das entspricht Beaufortskala 11, also
orkanartigem Sturm. Weiträumig wurden ansonsten Stärke 7 und 8 nach Beaufort erreicht.
Auf der
Bodenwetterkarte von 2 Uhr MESZ des 8. April wurde Zyklone MARCEL mit einem
Kerndruck von ca. 990 hPa über der Westküste Islands analysiert. Das
Frontensystem hatte begonnen sich um das Zentrum spiralförmig einzudrehen, was
sehr gut an der Wolkenbändern im Satellitenbild erkennbar war. Von der
Okklusion, welche genau über Island analysiert wurde, trennte sich zunächst die
Kaltfront in einem leichten Bogen nach Süden bis zu einer angrenzenden
Warmfront westlich von Irland ab. Richtung Osten und dann nach Südosten bis zur
norwegischen Küste verlaufend befand sich zunächst die Warmfront des Tiefs
MARCEL. Diese zog bis zum Abend über Südskandinavien und Teile des Ostseeraums
hinweg, sorgte jedoch nur für leichten Regen. Zwischen 8 und 20 Uhr MESZ wurden
auf Hiddensee 0,2 l/m², in Svanberge 0,1 l/m² und
Bergen 1 l/m² gemessen. Die größten Niederschlagsmengen fielen im zentralen
Norwegen. Dort kamen im selben Zeitraum bis zu 31 l/m² in Tjotta
zusammen. Auch der Luftmassenwechsel hinter der Warmfront war hier zu erkennen.
Die Tiefsttemperatur, welche jeweils in den 12 Stunden vor 8 Uhr MESZ gemessen
wird, stieg in Tjotta von 0,1°C des Vortages auf
4,4°C.
Am Morgen des 9.
April befand sich der Hauptkern von Zyklone MARCEL mit leicht unter 1000 hPa
über dem Europäischen Nordmeer etwa 600 km nordöstlich von Island. Gleichzeitig
wurden zwei schwächere Kerne über Südisland und ungefähr 400 km südlich von
Spitzbergen analysiert. Vom südlicheren Kern entsprang das Frontensystem als
kurze Kaltfront und anschließend nach Nordosten als Okklusion durch den
Hauptkern MARCEL bis zum Okklusionspunkt über der Küste Norwegens. Dort zweigte
sich die Kaltfront nach Südwesten ab und endete in einer Warmfront etwa 200 km
nordwestlich von Irland. Die Warmfront zog sich vom Okklusionspunkt nach
Südosten bis Estland, dann nach Süden bis über Rumänien und schließlich als
kurze Kaltfront zum schwarzen Meer. Auf der Vorderseite des Höhentroges
verstärkte sich Tief MARCEL im Tagesverlauf wieder auf unter 995 hPa, wodurch
sich auch die zyklonale Windströmung intensivierte. So wurde die mildere
Subpolarluft hinter der Warmfront nach Nordosten über das Baltikum und die
Ukraine transportiert. Beim Frontendurchgang fielen zwölfstündig bis 8 Uhr MESZ
in Riga 0,1 l/m² und am finnischen Flughafen Mikkeli 0,6 l/m² Regen. Die
Kaltfront, welche später am Tag Großbritannien und die Südwestküste Norwegens
überquerte, verursachte etwa auf Fair Isle 4 l/m² und in Belfast 0,2 l/m² zwischen
8 und 20 Uhr MESZ. Am stärksten fielen die Niederschläge in der Region des
Okklusionspunktes über Zentralnorwegen aus. Dort meldete die Station in Namsskogan 21 l/m² im selben Zeitraum.
Bis 2 Uhr MESZ
des 10. April hatte sich Wirbel MARCEL bis kurz vor die zentralnorwegische
Küste verlagert. Die Okklusion verlief vom Kern in einem Bogen nach Nordosten
bis über das nördliche Ende des Bottnischen Meerbusens. Von dort zog sich die
Kaltfront nach Südwesten über Südnorwegen, die Nordsee und Südengland während
die Warmfront nach Südosten bis über Nordwestrussland und dann in einem recht
scharfen Knick nach Südwesten bis über Moskau verlief. Angetrieben durch den
mittlerweile recht starken Druckgradienten auf der Südseite des
Tiefdruckkomplexes MARCEL und den damit verbundenen Wind verlagerten sich die
Fronten schnell Richtung Osten. Die Warmfront brachte nur geringe Regenmengen
über Russland, in Kolezma wurden 4 l/m² in 12 Stunden
bis 20 Uhr MESZ registriert, noch dazu sorgte die einfließende Warmluft für
relativ milde Temperaturen. In St. Petersburg beispielsweise wurde ein
Höchstwert von 16,2°C gemessen, was 5 Grad höher war als tags zuvor. Entlang
der Kaltfront über Mitteleuropa bildeten sich leichte Schauer und Gewitter.
Zwischen 18 und 19 Uhr MESZ sorgten diese etwa in Dresden für 0,4 l/m² und eine
Stunde später auf dem Feldberg im Schwarzwald für 12 l/m². In der Region des
Kerns MARCEL und dem Okklusionspunkt über Nordskandinavien fiel erneut der
meiste Niederschlag. Zwölfstündig bis 20 Uhr MESZ registrierten die
Wetterstationen in Mannen 16 l/m², in Oulu 13 l/m² und in Helsinki 2 l/m². In
den Küstenregionen konnte der Wind mit voller Stärke vom Meer wehen. Verbreitet
wurden dabei Böen der Sturmstärke 8 oder 9 nach Beaufort gemessen. An einigen
Stationen wurde sogar Stärke 10, schwerer Sturm, erreicht, wie in Soemna mit 93 km/h. Nach Durchzug der Kaltfront kühlte sich
die Luft in der wolkenlosen, polaren Luft stark ab. In der Nacht sank die
Temperatur in Deutschland bis auf unter 4°C. An einigen höher gelegenen Orten
gab es sogar Frost, wie in Schmücke bei Erfurt mit einem Temperaturminimum von
-0,1°C.
Um 2 Uhr MESZ des
11. April war die Kaltfront deutlich anhand des starken Gradienten im
Temperaturfeld erkennbar und zog sich mit eingelagerten kleinen Wellentiefs von
Südfrankreich über die Alpen und dann nach Nordosten über Weißrussland zum
Okklusionspunkt über Südostfinnland. Von dort verlief
die Warmfront nach Osten sowie eine kurze Okklusion um den Kern von Zyklone
MARCEL. Diese hatte sich über Südfinnland noch weiter auf etwa 983 hPa
Kerndruck verstärkt. Auch das Frontensystem war sehr wetterwirksam und sorgte
über Osteuropa weiträumig für Niederschläge. In Ljubljana fielen 9 l/m², in Lviv 7 l/m², in Pskov 5 l/m² und
in Murmansk 2 l/m² in zwölf Stunden bis 20 Uhr MESZ.
Der kräftigen
Höhenströmung folgend zog Tief MARCEL rasch nach Nordosten. Dabei entfernte es
sich von der Trogvorderseite, wodurch Abschwächung einsetzte. Um 2 Uhr MESZ des
12. April lag der Tiefdruckkern mit nur noch 995 hPa östlich des Weißen Meers.
Die Okklusionsfront verlief von Estland durch das Tief MARCEL bis zu einem
weiteren Kern etwa 1000 km weiter östlich und spaltete sich dort in eine
Warmfront nach Südosten und eine wellende Kaltfront nach Südwesten über die
Ukraine bis Griechenland auf. Die Fronten sorgten noch einmal für 0,5 l/m² in
Murmansk, 4 l/m² in Moskau und 1 l/m² an Regen in Kharkiv.
Über die beiden
folgenden Tage zog Wirbel MARCEL unter leichter Abschwächung weiter nach Osten
über Westrussland und verschwand dadurch bis zum 14. April aus dem
Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte.
Geschrieben am 21.06.2017 von Jannick Fischer
Berliner Wetterkarte: 11.04.2017
Pate: Marcel Herber