Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet  MICHAEL

(getauft am 28.05.2005)

 

 

Die Analyse der nordhemisphärischen Zirkulation der Atmosphäre zeigte am 28.Mai 2005 einen Tiefdrucktrog über dem Nordatlantik, der sich bis zu den Kanarischen Inseln erstreckte. Diese so genannten Tröge steuern die Zugbahn der Bodentiefdruckgebiete. Im Laufe des 28.Mai entstand über der Iberischen Halbinsel an einer Isbarenwelle, die in der Berliner Wetterkarte schon am 27.Mai erkannt wurde, ein Bodentief und wurde auf den Namen MICHAEL getauft.

Das Zentrum bildete sich genau an der Grenze zwischen kalter, feuchter Meeresluft und warmer, trockener Luft  aus den Subtropen, die an der Südostflanke des Troges nach Mitteleuropa transportiert wurde. In Deutschland stieg die Temperatur in der eingeflossenen sehr warmen Luft subtropischen Ursprungs verbreitet auf über 30°C, wobei die kurze Hitzewelle Ende Mai ihren Höhepunkt erreichte. Dabei wurden vor allem im Norden gebietsweise Rekordwerte für den Monat Mai gemessen. So wurde in Lübeck mit 34,2°C das absolute Maimaximum in der bis 1890 zurück reichenden Beobachtungsreihe erreicht (bisher 34,0°C am 27.5.1892). In Berlin-Dahlem wurde mit 33,3°C der bisherige Mai-Rekord vom 24. Mai 1922 um ein Zehntel-Grad überboten (Beobachtungsreihe seit 1908). Am Zentrum des Tiefs MICHAEL jedoch entstand ein Niederschlagsgebiet, das mittags vor allem die Westhälfte Frankreichs erfasste, wobei in Rennes innerhalb von 6 Stunden 7 Liter Regen pro Quadratmeter fielen und die Temperatur um 14 Uhr MESZ dort nur 12°C betrug.

Am 29. Mai wurde das Zentrum von MICHAEL von der kräftigen Nordostströmung, die in der oberen Troposphäre herrschte, am Westrand der Alpen vorbei bis über Deutschland geweht. In der latent labil geschichteten subtropischen Luft entstanden verbreitet Gewitter, die in der zweiten Nachthälfte vom 29. zum 30. Mai auch Berlin überquerten. Auf einem vom Mittelrhein bis nach Brandenburg reichenden Streifen brachten sie mehr als 10 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, vereinzelt auch mehr als 20 Liter (Flughafen Münster/Osnabrück 26 Liter). Die im Bodenniveau eingeflossene Kaltluft aus Norden sorgte zusammen mit der warmen subtropischen Höhenluft für die Entstehung von Gewittern und infolge ihrer niedrigen Temperatur auch für das Ende der Hitzewelle Ende Mai 2005. Das am 30. Mai über dem Golf von Biskaya entstandene Zwischenhoch SANDRA und das ältere Hoch ROLENA über Italien drängten MICHEAL auf eine Zugbahn, die das Tief bis zur Osthälfte Polens transportierte. Dort lagen aber die Temperaturen in der Warmluft noch bei über 30°C. Die Kaltfront von MICHAEL überquerte in der zweiten Tageshälfte weite Teile des Landes, wobei die dabei aufgetretenen Gewitter örtlich unwetterartigen Charakter annahmen: Medienberichten zufolge kam es insbesondere im Raum von Breslau (Wroclaw) zu Stromausfällen, und es waren dort auch Menschenleben zu beklagen. Die Wetterstation von Breslau meldete zum Abend eine maximale Böe von 56 kn, was der Windstärke 11 entspricht. Beim Durchgang der Gewitterfront fielen 25 Liter Niederschlag pro Quadratmeter.

An der Vorderseite eines sich vom Atlantik näherndem Kurzwellentrog entfernte sich MICHAEL am 31. Mai nach Zentralrussland, wobei hauptsächlich auf der kalten Seite im Okklusionsbereich recht ergiebig regnete: Dabei fielen am Finnischen Meerbusen meist mehr als 25 Liter Niederschlag pro Quadratmeter (Tallin 27 Liter, Helsinki 28 Liter). Am 1. Juni lag MICHAEL mit seinem Zentrum über St. Petersburg und durch einen kräftigen Druckanstieg schwächte er sich im Laufe des Tages ab. Auf der Ostseite des Tiefs wurde über die Krim warme Luft subtropischen Ursprungs bis nach Zentralrussland transportiert, die selbst in Sibirien für eine für diese Jahreszeit ungewöhnliche Hitzeperiode sorgte.

In der Nacht zum 2.Juni sorgten großräumige Druckanstiege im Bereich zweier Hochs über dem Nordmeer und dem Schwarzen Meer für eine Abschwächung des Bodentiefs, so dass sich MICHAEL im Laufe des 2.Juni auflöste und somit wieder von der Berliner Wetterkarte verschwand.

 


Geschrieben am 14.06.2005 von Robert Scholz

Wetterkarte: 30.05.2005

Pate: Michael Kranz