Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet MICHEL

(getauft am 10.06.2015)

 

Am 08. Juni 2015 zeigte sich im Strömungsfeld in 5,5 km Höhe über dem atlantisch-europäischen Raum eine markante Austrogung, die sich vom Nordmeer und Skandinavien ausgehend bis zu den Britischen Inseln erstreckte. Dieser Höhentrog war mit hochreichender Meereskaltluft gefüllt und dehnte sich in der Folge südwärts nach Westeuropa aus. Da jedoch bald schon der Kaltluftnachschub durch ein rasch vom Atlantik nachfolgenden Höhenkeil blockiert wurde, kam es zum Abschnüren eines Kaltluftanteils, eines sogenannter Kaltlufttropfens, über der Biskaya. Dynamische Prozesse innerhalb der Atmosphäre sorgten schließlich dafür, dass sich hieraus zwischen dem 10. und 11. Juni im Bodendruckfeld ein Tief über der Iberischen Halbinsel bilden konnte. Dieses sollte im weiteren Verlauf nicht nur das Wetter über West- und Südwesteuropa, sondern auch über Mitteleuropa mitbestimmen, weshalb die in Entstehung begriffene Zyklone am 10. Juni auf den Namen MICHEL getauft wurde.

Zu diesem Zeitpunkt konnte zunächst eine nur schwache Bodendepression über der Iberischen Halbinsel beobachtet werden, wobei der Luftdruck hier knapp unter 1015 hPa betrug. Trotzdem genügte die in den Nordwesten Spaniens eindringende höhenkalte Luft zur Auslösung einzelner, teilweise kräftiger Gewitterschauer. So kamen zwischen Zentralspanien und Südfrankreich teilweise ergiebige Regenmengen zustande, tagsüber regnete es etwa in Burgos 32 l/m², nachts beispielsweise in Segovia bei Madrid 30 l/m².

Bis zum 11. Juni um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, konnte sich das Bodentief MICHEL soweit kräftigen, als das sich ein abgeschlossener Kern über Kastilien mitsamt dazugehörigem Frontensystem ausbildete. Die für ein Tief charakteristische Kaltfront verlief vom Kern ausgehend in einem weiten Bogen einige tausend Kilometer westwärts bis zum Seegebiet der Azoren, die Warmfront indes in nordöstliche Richtungen über die Biskaya und Frankreich hinweg bis zum Alpenraum. Hinter der Warmfront wurde Subtropikluft aus dem Mittelmeerregion nach Westeuropa transportiert, was sich deutlich anhand der Temperaturen zeigte. So wurden am 11. Juni zwischen Seine, Rhein und Rhône verbreitet Maxima um 30°C registriert, knapp 10 Grad mehr als noch am Vortag. Im Übergangsbereich zur deutlich kühleren, subpolaren Meeresluft über dem Atlantik entwickelten sich in einer Linie von Zentralspanien über Westfrankreich bis zur Bretagne kräftige Niederschläge, die teilweise von Gewittern begleitet waren. Dabei wurden mit knapp 30 l/m² in 12 Stunden ähnlich hohe Regenmengen wie schon am Vortag beobachtet, bis zu 41 l/m² waren es zwischen 06 und 18 Uhr UTC sogar in Zaragoza.

Das Höhen- wie auch das Bodentief verlagerten sich in den folgenden Stunden weiter nordwärts. So befand sich das Zentrum von Tief MICHEL am 12. Juni um 00 UTC über der Biskaya. Warm- und Kaltfront waren gegenüber dem Vortag in Lage und Position zunächst nur wenig verändert. Allerdings begann das Tief nun über der Biskaya mehr und mehr zu altern. Hierdurch kam die Kaltfront in den folgenden Stunden über Frankreich allmählich ostwärts voran und holte im nördlichen Teil die Warmfront ein, wodurch eine Mischfront entsteht, die als Okklusion bezeichnet wird. Im Okklusionsbereich zwischen Bretagne, Ärmelkanal und Südengland führte dies zu länger anhaltenden Regenfällen mit Intensitäten von meist 5 bis 10 l/m² in 6 Stunden. Stellenweise fiel aber auch deutlich mehr, so beispielsweise in Caen mit 32,2 l/m² zwischen 06 und 18 Uhr UTC, oder aber in Nottingham mit 34 l/m² zwischen 18 und 06 Uhr UTC des Folgetages. Davon abgesehen kam es auch östlich der Front in feucht-warmer Subtropikluft zu kräftigen Schauern und Gewittern. Diese entwickelten sich über dem Süden und Osten Frankreichs entlang einer sogenannten Konvergenz, also einem Bereich in dem Luft aus unterschiedlichen Richtungen zusammenströmt. In Montpellier verursachte dies bis zum Abend 78 l/m² Regen in 12 Stunden, davon allein 56 l/m² zwischen 13 bis 14 Uhr UTC, in Cap Béar im äußersten Süden Frankreichs waren es sogar 125 l/m². Auch wenn solch hohe Werte eher die Ausnahme bildeten, so wurden doch zwischen Pyrenäen, Zentralmassiv und Westalpen vielerorts zweistellige Regenmengen übermittelt. In den Nachmittagsstunden erfasste nicht nur die Warmluft, sondern auch Schauer und Gewitter den Südwesten und Westen Deutschlands. Allerdings waren die Niederschläge recht ungleichmäßig verteilt. So wurden zum Beispiel nachmittags aus Geisenheim 51,9 l/m² Regen in nur einer Stunde gemeldet, dagegen blieb es im knapp 50 km entfernten Frankfurt nahezu trocken.

Während die Schauer und Gewitter über Deutschland in der Nacht recht schnell in sich zusammenfielen, setzten sich sich die Niederschläge über Frankreich fort. Dabei zog ein umfangreicher Regenkomplex, der in Zusammenhang mit der Kaltfront stand, über die Mitte Frankreichs nordwärts in Richtung Belgien und sorgte bis zum Morgen verbreitet für weitere, niedrige zweistellige Niederschlagsmengen. Währenddessen war das Tief MICHEL weiter okkludiert. Am Okklusionspunkt, der am 13. Juni um 00 Uhr UTC etwa über dem Londoner Raum lag, hatte sich ein Teiltief gebildet, welches den Namen MICHEL II erhielt. Dieses verlagerte sich in den folgenden Stunden der Höhenströmung folgend rasch weiter nordostwärts nach Südskandinavien und nahm mehr und mehr die Rolle des steuernden Tiefs ein. Hierdurch kam die Kaltfront in ihrem nördlichen Teil recht zügig weiter ostwärts über Deutschland voran, während sie in ihrem südlichen Teil durch die Alpen zurückgehalten wurde. Gleichzeitig erreichte präfrontal ein Schwall warmer Subtropikluft auch den Osten Deutschlands mit Maxima um 30°C, im Berliner Raum bis 32°C. Unterstützt durch reichlich Sonnenschein, östlich der Elbe mit 7 bis 8 Stunden, konnte sich in den Nachmittagsstunden von Westmecklenburg bis nach Sachsen eine linienhafte Schauer- und Gewitterlinie bilden, die beispielsweise in Thyrow südlich von Berlin einstündig 21,5 l/m² brachte. Dagegen blieben die mit der Passage der Kaltfront verbundenen Niederschläge meist unter 10 l/m². Nur örtlich, wie nachmittags über dem Bremer Raum, wo beispielsweise aus Cuxhaven 33,6 l/m² in einer Stunde gemeldet wurden, oder aber abends über dem Berliner Raum, mit bis zu 25,3 l/m² in Potsdam, konnten größere Niederschlagsmengen registriert werden. Nachts wurden die gewittrigen Niederschläge östlich der Oder sowie im Alpenraum beobachtet.

Bis zum 14. Juni um 00 Uhr UTC löste sich Tief MICHEL II endgültig vom Kern MICHEL I, der sich weiter vor der portugiesischen Küste befand, und wurde als abgeschlossener Tiefdruckkern mit knapp unter 1005 hPa über Südskandinavien analysiert. Während auf der Vorderseite des Tiefs MICHEL I weiterhin Subtropikluft aus dem Mittelmeerraum nordostwärts Richtung Alpenraum und ins östliche Mitteleuropa geführt wurde, gelangten auf der Rückseite des Wirbels MICHEL II maritime Luftmassen polaren Ursprungs von Norden her Richtung Benelux-Staaten und Norddeutschland. Dies führte zu bemerkenswerten Temperaturkontrasten über Deutschland. Lag die Höchsttemperatur in Leck in Schleswig bei gerade mal 13°C, wurde in Regensburg dagegen 30°C gemessen. Die unterschiedlichen Luftmassen wurden durch gleich zwei Frontenzüge voneinander getrennt, wobei die Südlichere mittags etwa auf einer Linie Zentralfrankreich - Nordalpen - Tschechien lag. Entlang dieser entwickelten sich ab dem Nachmittag verbreitet kräftige Regen- und Gewitterschauer, mit Schwerpunkt über der Bodenseeregion und dem Allgäuer Raum. So wurden in der Schweiz in Güttingen bis zum Abend 64,7 l/m² und in Lommis 77,2 l/m² in 12 Stunden registriert, und in Deutschland in Oberstdorf 46,3 l/m². In der sich anschließenden Nacht setzten sich die Niederschläge über dem Alpenraum fort. Sowohl die Station am Flughafen Basel-Mühlhausen, als auch Konstanz registrierten 12-stündig weitere 49 l/m² Regen. Ein weiterer Niederschlagsschwerpunkt mit allerdings weitaus geringeren Regenmengen bildete der Bereich entlang des von Süd- über Mittelschweden bis zum 15. Juni nach Finnland ziehenden Tiefdruckkerns MICHEL II. Die skaligen Niederschläge brachten dabei recht homogen verteilt über einen Zeitraum von 12 Stunden 5 bis 10 l/m².

Im Laufe des 15. Juni etablierte sich immer mehr eine quasistationäre Luftmassengrenze über dem südlichen und östlichen Mitteleuropa, die aus den zwei zusammenlaufenden Kaltfronten entstand. Die ergiebigsten Regenfälle ereigneten sich dabei in einem Streifen von der Schweiz über Österreich und die Slowakei bis nach Südpolen mit Intensitäten von durchschnittlich 10 bis 20 l/m² in 12 Stunden. Am meisten regnete es dabei tagsüber mit 38 l/m² in Milhostov in der Ostslowakei. In der von Norden einströmenden kühleren Luft arktischen Ursprungs erreichten die Temperaturen im Norddeutschen Tiefland trotz reichlich Sonnenstunden kaum noch 20°C, während südlich und östlich der Luftmassengrenze zwischen Ungarn und der Ukraine bis nach Zentralrussland verbreitet über 30°C gemessen wurden.

Auch in der sich anschließenden Nacht ließen die Niederschläge am Alpenrand wenig bis kaum nach, und es wurden 12-stündig häufig weitere 10 bis 15 l/m² beobachtet. Hierdurch summierten sich die 48-stündigen Niederschlagsmengen bis zum Morgen des 16. Juni über der nördlichen Schweiz, dem deutschen Alpenvorland sowie Teilen Österreichs auf 50 bis 100 l/m², wie beispielsweise in Güttingen mit 124 l/m². Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Zentrum von Tief MICHEL mit etwas unter 990 hPa bereits über der Kola-Halbinsel. Um 06 Uhr UTC wurde dabei in Murmansk mit 988,5 hPa der niedrigste Druck in der Entwicklung der Zyklone registriert. Der zweite Kern vor der portugiesischen Küste war dagegen aus dem Bodendruckfeld verschwunden. Dagegen hatte die Kaltfront bereits das Baltikum, Weißrussland und Polen vollständig überquert, hing aber nach Süden weiter über dem Alpenraum fest. Die Warmfront indes war über Osteuropa sehr weit nördlich bis zum Nordrussischen Tiefland sowie bis zum Westsibirischen Flachland vorgedrungen. Damit war die kontinentale Subtropikluft schon weit ostwärts Richtung Uralgebirge abgedrängt worden, was Temperaturmessungen aus diesem Gebiet bestätigen. Während in Moskau gerade einmal noch 17°C gemessen wurden, waren es in Perm im Uralvorland knapp 30°C.

Die Kaltfront verlagerte sich nur noch sehr langsam weiter ostwärts, sodass sich die schauerartigen und gewittrigen Regenfällen auf ein schmales Gebiet beschränkten, welches von der mittleren Wolga über Zentralrussland und die Ukraine bis nach Rumänien reichte. Mit 54 l/m² registrierte die höchste 12-stündige Niederschlagsmenge die südrussische Station Liwny. Auch über den Alpen hielt im Bereich der Luftmassengrenze das regnerische Wetter der Vortage an, wobei sich der Niederschlagsschwerpunkt allmählich südwärts Richtung Südalpen und Italien verlagerte. Besonders stach dabei die Station Stabio im Tessin hervor, an der im gleichen Zeitintervall 57 l/m² fielen.

Letztmalig konnte das Tief MICHEL in den Frühstunden des 18. Juni mit noch knapp unter 995 hPa Kerndruck über der Insel Nowaja Semlja analysiert werden, ehe der Wirbel im Tagesverlauf weiter nach Osten bis außerhalb des Analysebereichs der Berliner Wetterkarte zog.


Geschrieben am 26.08.2015 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 14.06.2015

Pate: Michel Spreen