Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
MIKE
(getauft
am 27.03.2015)
Am Morgen des 26.03.2015 erreichte auf Höhe
der kanadischen Provinz Labrador ein kleines Tiefdruckgebiet den Analysebereich
der Berliner Wetterkarte. Dieses hatte sich bereits einige Tage zuvor über dem
nordamerikanischen Kontinent gebildet und sich nordostwärts verlagert. Da
anhand der meteorologischen Vorhersagemodelle zu diesem Zeitpunkt bereits
feststand, dass dieses Tief das Wettergeschehen in Mitteleuropa beeinflussen
sollte, wurde es am 27.03. in der Prognose für den Folgetag auf den Namen MIKE
getauft.
Das Tief MIKE hatte sich indes schon weiter
ostwärts bis zur kanadischen Nordatlantikküste verlagert. Die Fronten des
Tiefdruckgebiets waren bereits teilweise okkludiert, was bedeutet, dass die in
einem Tiefdruckgebiet nachfolgende und schneller ziehende Kaltfront die
vorangehende Warmfront eingeholt und sich so eine Mischform aus Warm- und
Kaltfront ausgebildet hat, welche man in der Meteorologie Okklusion nennt.
Diese kurze Okklusionsfront ging vom über der Ostspitze Labradors liegenden
Tiefdruckzentrum, in dem ein Luftdruck von ca. 997 hPa herrschte, aus und
erstreckte sich in Richtung Süden bis zur Insel Neufundland. Dort spaltete sie
sich in eine ca. 1000 km lange über den Atlantik reichende Warmfront und eine
die nordamerikanische Atlantikküste entlang bis zur kanadisch-amerikanischen
Grenze reichende Kaltfront auf. Dieses Frontensystem sorgte dort für über
mehrere Stunden anhaltenden Dauerregen leichter bis mäßiger Intensität, brachte
aber insgesamt für diese Regionen keine außergewöhnlich hohen
Niederschlagssummen. Zudem waren an einen zweiten Tiefdruckkern, welcher weiter
westlich im Landesinneren lag, eine kurze ostwärts reichende Warmfront und eine
westwärts ausgedehnte Kaltfront gebunden. Die kältere Luft sorgte dafür, dass
die Niederschläge hier hauptsächlich in Form von Schnee oder Schneeregen fielen.
In der Folgezeit zog das Tief MIKE entlang
des 55. Breitengrades in Richtung Osten, sodass sich das Zentrum am 28.03. um 00
Uhr UTC, also 01 Uhr MEZ, südöstlich der Südspitze Grönlands befand. Sowohl der
Verlauf als auch die Ausdehnung der Fronten hatten sich kaum verändert und der
Wirbel war auch nicht weiter okkludiert. Der Luftdruck im Zentrum des Tiefs war
jedoch leicht gesunken und betrug etwas über 990 hPa. Die Zugrichtung von Tief
MIKE war jedoch im Wesentlichen vom voranziehenden
und zu dieser Zeit deutlich stärkeren Tief LUCIEN und vom Islandtief bestimmt.
Vor allem der Einfluss des Tiefdruckwirbels über Island und eine wieder
verstärkte Okklusion sorgten dafür, dass sich das Tief MIKE im Tagesverlauf
abschwächte. Zusätzlich entstand aufgrund eines südlich gerichteten
Kaltluftvorstoßes rückseitig des Tiefzentrums eine zweite Tiefdruckwelle,
welche eine eigene Warm- und Kaltfront ausbildete. Zum Abend erreichte die
Okklusionsfront der ersten, sich weiter abschwächenden Welle des Tiefs Irland
und Großbritannien und sorgte dort neben Sturmböen von 90 bis 100 km/h auch für
schauerartig verstärkten Regen. Dieser brachte summiert bis 12 Uhr UTC des
folgenden Tages 6-stündig an den walisischen Stationen Capel
Curig und Lake Vyrnwy 15
bzw. 14 mm Niederschlag.
In der Nacht zum 29.03. zog der
Tiefdruckkomplex MIKE weiter in Richtung europäisches Festland, wobei die
Fronten der ersten Welle jedoch weiter okkludierten und sich die Welle
insgesamt abschwächte. Die zweite Welle hingegen verstärkte sich weiter und
wurde daher nachfolgend als Tief MIKE bezeichnet. Im Bereich der Kaltfront
bildete sich außerdem ein schmales aber intensives Sturmfeld aus. Sie erreichte
den europäischen Kontinent über dem südlichen Teil Irlands, Wales und dem
südlichen England am Vormittag des 29.03. Die Warmfront reichte vom Süden
Irlands bis über den Norden Frankreichs, die Kaltfront verlief weit in Richtung
Westen über den Atlantik, wo sie in die Warmfront eines neu entstandenen Tiefs
überging. Am Vormittag des 29.03. zog die Kaltfront mit dem Hauptsturmfeld über
Wales und das südliche England und sorgte dort verbreitet für Sturm- und
Orkanböen von 100 bis 120 km/h, in Capel Curig wurden sogar 126,0 km/h gemessen. Das Tiefzentrum des
Wirbels MIKE, in dem ein Luftdruck von knapp 987 hPa herrschte, zog im Laufe
des 29.03. zügig weiter über den Süden Englands, den Ärmelkanal und den
Niederlanden und erreichte am Abend den Norden Deutschlands. Dabei verstärkte
sich der Wirbel MIKE zu einem Orkan, was vor allem an dem stark gefallenden
Luftdruck im Zentrum und den über große Regionen auftretenden Sturm- und
Orkanböen zu beobachten war. Allein in 6 Stunden von 12 Uhr UTC bis 18 Uhr UTC
fiel der Luftdruck um fast 10 hPa ab. Die vom Tiefzentrum aus über Mitteleuropa
liegende Warmfront hatte zuvor über weiten Teilen Deutschlands und den Benelux-Staaten
den ganzen Tag für Dauerregen gesorgt. Die nachfolgende Kaltfront erreichte zum
Abend des 29.03. Mitteleuropa. Mit ihr gingen kräftige Schauer und Sturmböen
einher. Auf den Bergen der Mittelgebirge und der Alpen wurden dabei Sturm- und
Orkanböen von 110 bis 150 km/h gemessen, auf dem Brocken sogar 151 km/h. Doch
auch im Flachland wurden im Bereich der Kaltfront orkanartige Böen gemessen,
wie beispielsweise im niedersächsischen Wunstorf mit 108 km/h oder in der
niederländischen Hauptstadt Amsterdam mit 115 km/h. Das Tief MIKE zog bis zum
späten Abend weiter über Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Ostsee. Dabei
sorgte die Zyklone noch vor allem über dem Nordosten und dem Süden Deutschlands
für stärkere Niederschläge.
Der Kern des Tiefdruckwirbels MIKE befand
sich um 00 Uhr UTC des 30.03. über der Ostsee zwischen Polen und dem Süden
Schwedens. Der Luftdruck war bis dahin auf ca. 976 hPa gesunken. Die nur noch
schwach ausgeprägte Warmfront verlagerte sich zunehmend nordwärts und
vereinigte sich dabei immer mehr mit einer über dem Baltikum befindlichen
Okklusionsfront. Die Kaltfront, in deren Bereich nun auch vermehrt Sturmböen im
Süden und Osten Deutschlands auftraten, erstreckte sich vom Zentrum aus über
Polen, Deutschland und Frankreich bis über den Atlantik hinaus. An den Berliner
Flughäfen Tegel und Schönefeld wurden dabei Spitzenböen bis 97 km/h gemessen,
in der am Rand der schwäbischen Alb gelegenen Stadt Stötten bis 108 km/h. Die Warm-
und Kaltfront hatten zusammen vor allem über den Mittelgebirgen und dem
Alpenraum für hohe Niederschlagssummen gesorgt. So wurden auf dem Feldberg im
Schwarzwald 24-stündig bis zum 30.03. um 06 Uhr UTC 80,3 mm Niederschlag
registriert, im thüringischen Neuhaus am Rennweg waren es 51,3 mm und in
Braunlage immerhin noch 43,0 mm.
Folgend verlagerte sich das Tiefdruckgebiet
MIKE weiter nach Nordosten, blieb mit seinem Zentrum dabei stets über der
Ostsee und erreichte in den Frühstunden des 31.03. das Dreiländereck zwischen
Schweden, Finnland und Russland. Dabei war der Wirbel MIKE stark okkludiert mit
einer halbkreisförmigen, sich um den nördlichen Teil des Tiefdruckzentrum erstreckenden
Okklusionsfront und einer daraus über Estland hervorgehenden Kaltfront. Der
Kerndruck von ca. 975 hPa hatte sich kaum verändert. Entlang der baltischen und
skandinavischen Ostseeküsten summierten sich die Niederschläge auf 10 bis 20 mm
innerhalb von 24 Stunden bis zum Morgen des 31.03. Das Sturmfeld hatte sich
unterdessen stark abgeschwächt, sodass keine signifikanten Böen mehr im Umfeld
des Tiefdruckgebietes gemessen wurden.
Das Tief MIKE verlagerte sich in nördliche
Richtung und zog unter deutlicher Abschwächung bis zum 1. April über den
nördlichen Teil des Bottnischen Meerbusens, wo die Zyklone verstärkt in den
Einflussbereich eines Tiefs vor der norwegischen Küste gelangte. Der Kerndruck
war auf knapp 980 hPa angestiegen. Die Okklusionsfront erstreckte sich dabei
von der nördlichen Ostsee über die russische Halbinsel Kola bis über den Osten der
Ukraine. Von dort aus reichten eine kurze Warm- und Kaltfront in der Höhe
weiter zum Schwarzen Meer. Die Okklusion sorgte noch für leichte Niederschläge in
Schweden und Finnland, bei denen 24-stündig bis 06 Uhr UTC 5 bis 10 mm zusammen
kamen. Im Tagesverlauf des 01.04. ging das Tiefdruckgebiet MIKE immer mehr in
das vor Norwegen liegende Tief über und löste sich dabei bis zum 02.04.
komplett auf.
Das
Tiefdruckgebiet MIKE beeinflusste das europäische Wettergeschehen insgesamt 5
Tage lang und entwickelte sich dabei sogar zu einem Orkantief, welches
gemeinsam mit dem nachfolgenden Orkantief NIKLAS in für diese Jahreszeit
ungewöhnlicher Stärke und Intensität auftrat.
Geschrieben
am 15.06.2015 von Maximilian Steinbach
Berliner Wetterkarte:
30.03.2015
Pate: Mike Powelz