Lebensgeschichte
Tief
NADINE
(getauft
am 04.08.2018)
In den
mittleren Breiten verläuft die sogenannte „Polarfront“ zwischen der milden
Subtropikluft und kalter Polarluft. Entlang dieser Frontalzone bilden sich
durch Einflüsse aus höheren Atmosphärenschichten Verwellungen, bei denen warme
Luft nach Norden und kalte nach Süden strömt. Diese „Wellenstörungen“
entwickeln sich häufig zu Tiefdruckgebieten der mittleren Breiten mit ausgeprägtem
Frontensystem. Eine solche Entwicklung vollzog sich auch am 3. August 2018
nordöstlich von Neufundland. Um 2 Uhr MESZ des Folgetages wurde der
entsprechende Tiefdruckkern in der Bodenanalyse der Berliner Wetterkarte
ungefähr 1000 km südlich von Grönland analysiert. Da das Tief in den
darauffolgenden Tagen auch Einfluss auf das Wetter in Europa nehmen sollte,
wurde es als Analysetaufe mit dem Namen NADINE belegt. Der Kerndruck im Zentrum
betrug zu diesem Zeitpunkt rund 1010 hPa und sank im Tagesverlauf unter
Intensivierung des Tiefs NADINE noch weiter. Dabei zog die Warmfront als Teil
des Frontensystems vom Kern aus Richtung Osten über den Nordostatlantik. Auf
der Westflanke des Tiefdruckgebiets NADINE wurde hinter der Kaltfront arktische
Meeresluft nach Süden geführt. Da die Prozesse an Fronten aufsteigende Luft zur
Folge haben, bilden sich dort entlang Wolken und daraus Niederschlag, welcher
am 4. August jedoch ausschließlich über dem Meer fiel.
Bis zum
nächsten Morgen hatte sich der Kern von Bodentief NADINE auf knapp 1005 hPa
verstärkt. Dabei folgte es der kräftigen Westströmung in der mittleren
Troposphäre, dem sogenannten Jetstream in ungefähr 6 km Höhe über dem Boden,
und lag um 2 Uhr MESZ etwa 1000 km südwestlich von Island. Das Frontensystem hatte
begonnen zu okkludieren, was bedeutet, dass die Kaltfront vom Kern aus immer
die Warmfront einholt. Infolgedessen strömt die kalte Luft unter die warme
Luft, welche nach oben gehoben wird und es entsteht eine Mischfront. Diese kann
sowohl Warmfront- als auch Kaltfrontcharakter haben. An die Okklusion in Nähe
des Tiefdruckkerns NADINE schloss sich die Warmfront an und zog sich nach Osten
bis über Schottland. Vom selben Punkt trennte sich die Kaltfront ab und verlief
in einem Bogen nach Süden und dann nach Südwesten über den Nordwestatlantik. Da
das Tief NADINE mit seinen Fronten kaum nach Osten vorankam, wurde nur
Schottland und später auch Irland am Rande der Warmfront beeinflusst. An der
meteorologischen Messstation in Kinloss beispielsweise fielen zwischen 8 und 20
Uhr MESZ 2 Liter Regen pro Quadratmeter bei insgesamt 1,5 Stunden Sonnenschein.
In Glasgow waren es sogar unter einer Stunde Sonne, dafür blieb es dort
trocken. In Edinburgh schien 3 Stunden, in Dublin 4 und in London sogar volle
14 Stunden lang die Sonne. Dementsprechend ergab sich auch die
Temperaturverteilung. In London wurde die 30°C-Marke geknackt, während in
Glasgow nur 19,4°C als Höchsttemperatur gemessen wurden.
In der
Bodenanalysekarte von 2 Uhr MESZ des 6. August wurde Zyklone NADINE mit knapp
unter 1000 hPa Kerndruck ungefähr 700 km südwestlich von Island eingetragen und
hatte sich damit noch weiter intensiviert. Ihr Kern war jedoch trotz weiterhin
kräftiger Westströmung kaum nach Osten vorangekommen. Grund dafür war ein
kräftiges Hochdrucksystem, welches sowohl am Boden als auch in der mittleren
Troposphäre über Zentraleuropa lag und sich nur langsam nach Osten verlagerte.
Der Einfluss des Tiefs NADINE mit seinem Frontensystem beschränkte sich daher
noch auf Großbritannien, Island und Teile Skandinaviens und Dänemarks. Die
Okklusion im Bereich des Kerns sorgte im isländischen Neskaupstadur
beispielsweise für 8 Liter Niederschlag pro Quadratmeter zwischen 8 und 12 Uhr
MESZ, in Reykjavik wurden 0,6 Liter registriert. Die Warmfront, welche sich
östlich davon anschloss überquerte im Tagesverlauf die Nordsee. Stavanger und
Aalborg meldeten im selben Zeitraum 3 Liter Regen pro Quadratmeter. Zuletzt
verlagerte sich die Kaltfront langsam über Großbritannien und ließ zwölfstündig
zum Beispiel in Carlisle 4 Liter und in Belfast 0,4 Liter Regen pro
Quadratmeter fallen. Die stärksten gemessenen Niederschläge entstanden jedoch
schon am Morgen in Nordschottland am sogenannten „Okklusionspunkt“, wo Warm-
und Kaltfront auf einander stoßen. Bis 8 Uhr MESZ wurden auf der Inselstation
Tiree zwölfstündig 12 Liter pro Einheitsfläche gemessen. Da die Kaltfront an
diesem Tag direkt über Großbritannien lag und dahinter mit einer weiteren
Kaltfront arktische Luft herangeführt wurde, waren die Temperaturgegensätze
noch deutlicher als am Vortag. Zwischen maximal 32°C in London und 18,4°C im
walisischen Aberporth wurde ein Temperaturgradient von 13,6 K auf nur 300 km
erreicht.
In der Nacht
zum 7. August lag die Zyklone NADINE mit einem Kerndruck von ungefähr 995 hPa etwa
300 km südöstlich von Island. Die mittlerweile recht fortgeschrittene Okklusion
zog sich vom zentralen Nordatlantik durch den Kern und dann in einem kleinen
Bogen nach Osten bis über die norwegische Küste. Von dort spaltete sich das
Frontensystem in eine kurze Warmfront über Finnland und die langgezogene
Kaltfront nach Südwesten über Großbritannien und die Biskaya. Zwischen dem
Hochdrucksystem über Mittel- und Osteuropa und dem Tief NADINE, welches
weiterhin Kaltluft heranführte, stellte sich damit eine deutliche
Luftmassengrenze entlang der Kaltfront ein. Diese verlagerte sich aufgrund des
stabilen Hochs kaum. Während in Städten wie Berlin und Paris über 36°C erreicht
wurden, waren es in Dublin maximal 18°C. Entlang dieser Kaltfront wurden erneut
leichte Niederschläge registriert. Die Station in Rennes registrierte 0,2 Liter
pro Quadratmeter zwischen 8 und 20 Uhr MESZ. In Edinburgh waren es 0,6 Liter
und in Trondheim 1 Liter im selben Zeitraum. Die größten Niederschlagsmengen
wurden dagegen in Island erreicht, direkt im Kerngebiet des Tiefs NADINE. Schon
in einer Stunde zwischen 14 und 15 Uhr MESZ kamen in Neskaupstadur 13 Liter pro
Einheitsfläche zusammen. Zwölfstündig über den Tag bis 20 Uhr MESZ waren es
dann sogar 55,3 Liter. Auf der
Vorderseite der Kaltfront wurde derweil mit südlicher Strömung feucht-heiße
Tropikluft vom Mittelmeer nach Frankreich geführt. Da diese Wetterlage für
besonders labile Verhältnisse sorgt, entwickelten sich am Abend teils kräftige
Gewitter, welche sich in der Nacht zu großen Systemen verbanden und ostwärts
bis Westdeutschland zogen. Durch deren Auswirkungen wurden außer
Niederschlagsmengen von teils über 20 Liter pro Stunde auch Schäden durch Wind,
Blitze und Hagel in der Europäischen Datenbank für Extremwetter, der ESWD, gemeldet.
Die Gewitter schwächten sich im weiteren Verlauf zwar ab, verlagerten sich aber
am 8. August in einer Nord-Süd Linie weiter nach Osten. Zwischen 2 und 3 Uhr
MESZ meldete Uccle bei Brüssel 7 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Drei
Stunden später kamen stündlich 6 Liter in Trier und 14 Liter im nahegelegenen
Oberstadtfeld zusammen. Wieder drei Stunden darauf waren es nur noch 1 Liter in
Marburg und 5 Liter in Biberach. Anschließend bildeten sich durch die wieder
einsetzende Sonneneinstrahlung neue Gewitter, welche beispielsweise im
brandenburgischen Elsterwerda für über 17 Liter zwischen 17 und 18 Uhr MESZ
sorgten. Derweil hatte sich Tief NADINE in zwei Kerne aufgespalten. Tief NADINE
I lag weiterhin mit unter 995 hPa Kerndruck südöstlich von Island, während der
schwächere Kern NADINE II von der Nordsee aus über Norwegen zog. Zwischen den
Kernen verlief in einem Boden die sich abschwächende Okklusionsfront. Beide
Kerne entwickelten außerdem eine Kaltfront nach Süden, sodass nun mit einer
doppelten Kaltfront polare Luft nach Mitteleuropa geführt wurde. Die vordere
Front brachte mit Tief NADINE I zwölfstündig bis 20 Uhr MESZ 17 Liter im
norwegischen Bergen und 7 Liter in Oslo, sowie 3 Liter in Willingen. Dahinter
meldeten entlang der zweiten Kaltfront Liscombe und Aberdeen 6 Liter pro
Quadratmeter im selben Zeitraum.
Über den 9. und bis zum 10. August schwächte sich der Tiefdruckkern NADINE I bei Island sehr schnell ab, sorgte mit seiner Front jedoch noch einmal für beispielsweise über 14 Liter Regen in London in vierundzwanzig Stunden bis 8 Uhr MESZ des 10. August. Gleichzeitig zog der Kern NADINE II mit Warm- und Kaltfront weiter über Nordfinnland bis über das Weiße Meer. Dadurch fielen in weiten Teilen Skandinaviens Niederschlagsmengen von beispielsweise 12 Litern in Tromsö und 25 Litern in Vardo im genannten Zeitraum. Von größerem Einfluss waren jedoch die konvektiven Niederschläge über Mitteleuropa, welche sich nun nochmals intensivierten, da weitere feucht-heiße Mittelmeerluft vor den Fronten herangeführt wurde. Temperatur-Spitzenreiter war Bad Mergentheim Neunkirchen in Baden-Württemberg mit einer Höchsttemperatur von 36,8°C, gefolgt von Doberlug-Kirchhain in Brandenburg mit 36,6°C. Die Schauer und teils sehr blitzreichen Gewitter brachten mancherorts Hagel und Starkregen. Bis 8 Uhr MESZ, lag die höchste 24-stündige Niederschlagsmenge bei 53 l/m² in Garmisch-Partenkirchen in Bayern, gefolgt von den beiden niedersächsischen Wetterstationen Wangerland-Minsen (48 l/m²) und Berge (46 l/m²). Zudem kam es vor allem im Westen und Norden Deutschlands zu teils schweren Sturmböen. Die höchste 24-stündige Böe wurde aus dem schleswig-holsteinischen Büsum mit 141 km/h gemeldet. Dies entsprach der Windstärke 12 auf der Beaufort-Skala, also Orkanstärke, ebenso wie im nahegelegenen Elpersbüttel mit 126 km/h. Am 9. August bildete sich außerdem ein neues Tief, welches in der Folge die Steuerung des Wettergeschehens über Mitteleuropa kontrollierte. Nach Auflösung der Kerns NADINE I zog auch der Kern NADINE II am 11. August schließlich noch weiter nach Nordosten und verschwand damit aus dem Darstellungsraum der Berliner Wetterkarte.