Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet NEVINE

(getauft am 11.10.2018)


Am 8. Oktober 2018 entstand an der Nordostflanke eines Tiefdruckgebietes über New Mexico und dem westlichen Texas eine Verwellung. Das heißt, ein Bereich niedrigen Luftdrucks streckte sich durch Mithilfe des zu dieser Zeit weit nach Süden reichenden Jetstreams nach Nordosten. Diese Ausbeulung bewegte sich in den folgenden Tagen unter stetiger Druckabnahme weiter nach Nordosten über die Großen Seen, Québec und Neufundland. Um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr der deutschen Sommerzeit entspricht, des 11. Oktobers hatte sich das Druckgebilde bereits zu einem eindeutigen Tiefdruckgebiet entwickelt und lag mit einem Kerndruck von knapp 990 hPa über dem mittleren Nordatlantik, etwa 500 km nordwestlich der Azoren. Dadurch war ein baldiger Einfluss auf das mitteleuropäische Wettergeschehen abzusehen und die Zyklone wurde in der Analyse des 11. Oktobers auf den Namen NEVINE getauft. Eine Warmfront erstreckte sich zu diesem Zeitpunkt vom Kern aus südliche Richtung. Die nachfolgende Kaltfront verlief nach Westen bis zur Küste Nova Scotias, dem bisherigen Verlauf der sich bildenden Zyklone folgend. Außerdem gab es zu diesem Zeitpunkt noch eine weitere nachfolgende Kaltfront, die von einer relativ geringfügigen Ausbeulung des Druckfeldes etwa 300 km nordwestlich des Kerns der Zyklone NEVINE ausging und bis zum Südosten Neufundlands reichte. Im Laufe des 11. Oktobers zog der Kern des Tiefs NEVINE nach Nordosten und befand sich um 00 Uhr UTC des Folgetages westlich von Irland. Bei diesem Vorgang verminderte sich der Kerndruck erheblich auf unter 955 hPa. Von der Wetterwirksamkeit der Kaltfront waren am 11. Oktober einzig die Azoren betroffen. Die Wetterstation der Insel Flores registrierte in den 24 Stunden zwischen 06 Uhr UTC am 11. und 12. Oktober 45 mm Regen, davon allein 33 mm von 12 Uhr bis 18 Uhr UTC.

Das Tief NEVINE hatte sich bis 00 Uhr UTC des 12. Oktobers auf unter 955hPa vertieft und konnte dabei bereits ein ausgeprägtes Frontensystem aufweisen. Die Okklusionsfront, eine Mischform aus Kalt- und Warmfront, verlief bogenförmig vom Okklusionspunkt südwestlich von Cornwall in der Keltischen See bis zum Tiefzentrum westlich von Irland. Die Warmfront erstreckte sich vom Okklusionspunkt aus weiter nach Süden bis über die portugiesische Westküste und die Kaltfront nach Südwesten bis zu einem Nebenkern mit einem Druck von knapp 990 hPa, etwa 1000 km westlich von Nordwestspanien. Auf den Britischen Inseln wurden an diesem Tage außergewöhnliche Sturmböen an den Küstenstationen Valentia, Belmullet, Sherkin Island und Mace Head verzeichnet. Orkanböen mit einer Geschwindigkeit bis 126,1 km/h wurden an der Station Belmullet sogar zweimal gemessen, jeweils in der Stunde vor 07 Uhr und 10 Uhr UTC. Ab einer Windgeschwindigkeit von 118 km/h ist die Windstärke 12 auf der Beaufort-Skala erreicht. Während der Kern des Sturmtiefs NEVINE westlich der Inselgruppe nach Norden zog, kam es mit Frontdurchgang an fast allen britischen und irischen Wetterstationen zu Böen von mindestens Windstärke 8. Eine maximale Böe mit 190,9 km/h wurde um 13 Uhr UTC auf der Passhöhe Bealach na Bà in den schottischen Highlands gemessen, auf dem 1245 m hohen Cairngorm wurde um 12 Uhr UTC ein 10-minütiger Mittelwert von 140,8 km/h registriert. Aufgrund der damit einhergehenden starken südlichen Luftströmung wurde es besonders in Teilen Ostenglands in der Nacht zum 13. Oktober recht warm. Beispielsweise wurde an der Militärbasis Leeming in Yorkshire die Maximaltemperatur von 20,0°C erst um 21 Uhr UTC erreicht. Die insgesamt wärmste Temperatur auf den Britischen Inseln wurde an diesem Tag mit 22,8°C in Weybourne an der Küste von Norfolk gemessen, aber im Zusammenspiel mit Hoch VIKTOR über dem Westen Russlands wurde außergewöhnlich warme Luft aus Südwesten auch nach Zentraleuropa transportiert. In der Umgebung von Freiburg im Breisgau und auch im brandenburgischen Wusterwitz wurden Temperaturen bis 28°C gemessen; Auch im Hamburger Stadtgebiet wurden die 25°C erreicht. Bemerkenswert ist auch die norwegische Station Tafjord, die in einer föhnverstärkten Südlage ihre Höchsttemperatur von 20,9 °C um 22 Uhr UTC, also Mitternacht Ortszeit erreichte. Ein Frontdurchgang dieser Intensität geht nicht ohne Niederschlag vonstatten. Dabei fielen in Irland und westlich der Penninen verbreitet zweistellige Niederschlagssummen. 24-stündig betrug der Maximalwert von 06 Uhr UTC am 13. Oktober an 85,2 mm im walisischen Sennybridge, dies bei konstant starkem Wind. Östlich der Penninen gab es keinen Frontdurchgang und damit auch kaum Niederschlag.

Am 13. Oktober um 00 Uhr UTC lag der Tiefdruckkern der Zyklone NEVINE mit einem Kerndruck von unter 965 hPa nun bereits zwischen Schottland und Island. Die Okklusionsfront hatte sich noch deutlich schneller verlagert und reichte vom Druckzentrum zuerst etwa 1000 km nach Norden bis zur Insel Jan Mayen. Dort befand sich auch der Okklusionspunkt, von dem aus die sehr kurze Warmfront nach Norden reichte. Die Kaltfront verlief vermindert wetterwirksam in einem Bogen erst südwärts vor der Westküste Norwegens, dann nach Südwesten hin quer über England und die Keltische See bis zu den Azoren, wo sie in die Warmfront des Hurrikans LESLIE überging. Abschnittsweise, so z.B. über England, wechselte die Kaltfront des Tiefs NEVINE ihren Charakter in Warmfrontcharakter, da hier die Zugbahn der Luftmassen dem Tiefkern zugewandt war. Ein größerer Bereich mit einheitlichem Luftdruck von knapp 1000 hPa südlich des Tiefs NEVINE und südwestlich von Irland war beachtenswert, denn dieser entwickelte im Verlauf seinerseits Fronten und wurde daraufhin zum eigenständigen Tiefdruckgebiet OLGA. Diesen Prozess nennt man Zyklogenese. Abgesehen von Böen der Windstärke 10, die in der Nacht auf die Shetlandinseln trafen, waren alle Niederschläge und Stürme in Großbritannien und Irland am 13. Oktober Tief OLGA zuzuordnen. An der norwegischen Küste kam es jedoch aufgrund des hohen Druckunterschiedes zwischen Tief NEVINE und Hoch VIKTOR über Osteuropa erneut zu starken Windböen. Am exponierten Kap Krakenes mit maximal 129,7 km/h um 00 Uhr UTC wurden sogar Orkanböen verzeichnet. Auch kamen teils beträchtliche Niederschlagssummen zustande, wie zum Beispiel rund 103 mm Regen zwischen 22 und 18 Uhr UTC am 12. bzw. 13. Oktober in Bulken bei Bergen. Nachdem der Kern der Zyklone NEVINE gegen 02 Uhr UTC des 13. Oktobers die Färöer-Inseln passiert, jedoch nur für geringe Mengen Sprühregen gesorgt hatte, erreichte er wenige Stunden später die Ostküste Islands, wo an der Station Dalatangi der Luftdruck auf 970 hPa fiel. Infolgedessen regnete es dort durchgängig zwölf Stunden lang bis 09 Uhr UTC. Im Tagesverlauf zog der Tiefkern inklusive Okklusionsfront sehr nah an Jan Mayen vorbei. Dort sank der Luftdruck auf gut 971 hPa, größere Niederschlagsmengen kamen aber auch hier nicht zustande.

Um 00 Uhr UTC am 14. Oktober war der Kern des Wirbels NEVINE über der Grönlandsee nordwestlichen von Jan Mayen mit einem Druck von noch immer unter 970 hPa zu verorten.  Die Okklusionsfront reichte von dort über den Süden Spitzbergens bis zum Okklusionspunkt nördlich des Nordkaps, von wo aus sich die Kaltfront über Schweden und Norwegen gen Schottland und Tief OLGA wandte und die Warmfront weiter geradlinig bis über Moskau verlief. Im Verlauf des Tages wurde Spitzbergen von der Okklusionsfront überquert, jedoch wurden dort weder Böen noch nennenswerte Niederschläge vermeldet. Dagegen wurde die nördliche Ostküste Grönlands stark beeinflusst. Beispielsweise stieg die Temperatur an der Forschungsstation Danmarkshavn in der Nacht zum 14. Oktober bis auf 1,7°C, welches im Vergleich zur Durchschnittstemperatur eines Oktobers von -13,7°C deutlich hervorsticht. Zudem schneite es dort während dieser beiden Tage nahezu ununterbrochen. Auch eine maximale Windböe von 109,3 km/h, was Windstärke 11 entspricht, wurde um 18 Uhr UTC gemessen.

Auch am 15. und 16. Oktober wurde das Tief NEVINE jeweils auf der 00-Uhr-UTC-Bodenwetterkarte der Berliner Wetterkarte verzeichnet, schwächte seinen Kerndruck aber immer weiter auf unter 985 hPa ab. Dabei lösten sich auch die Fronten allmählich auf. Der Restwirbel, immer noch westlich von Spitzbergen, wurde ab dem 17. Oktober bei einem Kerndruck von über 1000 hPa nicht mehr namentlich benannt und schlussendlich am 18. Oktober vom heranziehenden Tiefdruckgebiet PETRA verdrängt.