Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet NICOLAI

(getauft am 26.01.2021)

 

Am 26.01.2021 zeigte die Höhenwetterkarte der 500-hPa-Fläche, also in einer Höhe von rund 5,5 km, eine mäandrierende Frontalzone mit einem Höhentrog, also einem Vorstoß kalter Polarluft nach Süden, über Mitteleuropa und einem weiteren Höhentrog über dem westlichen Nordatlantik mit einem umfangreichen Höhentiefdruckgebiet zwischen dem 40. und 55. Breitengrad. Als Frontalzone bezeichnet man die Übergangszone zwischen den kalten Luftmassen der Polarregion und den warmen Luftmassen aus Richtung des Äquators. Der Druckunterschied beider Luftmassen bewirkt die Entstehung eines Gradientwindes, der, abgelenkt durch die Corioliskraft, den Westwind bildet. Entsprechend der Druckverhältnisse in der Höhe herrschte im Bodendruckniveau über Mittel- und Osteuropa mit den Tiefdruckgebieten GORAN und LARS Tiefdruckeinfluss, während der Südwesten Europas im Einflussbereich von Hochdruckgebiet ELKE lag.  Korrespondierend zu dem Höhentief über dem Nordatlantik befand sich im Bereich der Trogvorderseite das Tiefdruckgebiet MALTE mit einem Kerndruck von knapp unter 975 hPa rund 1000 km östlich von Neufundland. Das Frontensystem der hochreichenden Zyklone, wie man Tiefdruckgebiete ebenfalls nennt, hatte bereits zu okkludieren begonnen, d.h.  die schneller ziehende Kaltfront hatte die vorlaufende Warmfront am Okklusionspunkt eingeholt, wodurch die warme Luft angehoben wurde und sich eine Mischfront mit Eigenschaften beider Frontenarten bilden konnte. Von dem Okklusionspunkt westlich von Irland verlief die Warmfront in südöstliche Richtung über Spanien und das Mittelmeer bis in ein unbenanntes Tief über dem Dinarischen Gebirge. Die Kaltfront dagegen reichte in Richtung Südwesten, änderte ihren Charakter nördlich der Azoren kurz in den einer Warmfront, um wenige Kilometer weiter westlich wieder zu einer Kaltfront zu werden. In diesem Bereich der parallel zur Höhenströmung verlaufenden Front des Tiefs MALTE war im Tagesverlauf die Ausbildung einer Wellenstörung, verbunden mit Luftdruckabfall, zu beobachten. Da dies die Anzeichen einer beginnenden Zyklogenese, also für die Entstehung eines Tiefs sind, wurde es von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte in der Prognose für den Folgetag auf den Namen NICOLAI getauft.

 

Am 27.01. um 01 Uhr MEZ konnte das Tief NICOLAI bereits als Wellentief, also noch ohne abgeschlossenen Tiefdruckkern, mit einem Luftdruck von knapp unter 995 hPa rund 700 km nördlich der Azoren an der Südflanke des Tiefdruckkomplexes MALTE analysiert werden. Das Tiefdruckgebiet MALTE hatte sich zwischenzeitlich durch die Entstehung von sogenannten Teiltiefs entlang der Okklusionsfront in drei Tiefdruckzentren gespalten. Der Wirbel MALTE I, mit einem Kerndruck von rund 980 hPa, lag dabei über dem zentralen Nordatlantik zwischen dem 50. und 55. Grad nördlicher Breite. Die Okklusionsfront reichte bogenförmig in nordöstliche Richtung über Großbritannien bis zum Okklusionspunkt über dem Ärmelkanal. Entlang der Okklusionsfront lag das Tief MALTE II, mit einem Luftdruck von knapp unter 990 hPa, rund 600 km südwestlich von Island und das Tief MALTE III, mit einem Luftdruck von knapp unter 1005 hPa vor der Westküste Schottlands. Ausgehend vom Okklusionspunkt reichte die Warmfront in südliche Richtung über den Westen Frankreichs bis an den nördlichen Randbereich der Pyrenäen. Die Kaltfront ging nordwestlich der Biskaya in die Warmfront des Tiefs NICOLAI über. Dessen Kaltfront spannte sich in südwestliche Richtung über den Atlantik. In den folgenden Stunden verlagerte sich Tief NICOLAI entlang der Höhenströmung in Richtung Nordosten. Dabei begannen schließlich in den Nachtstunden Luftmassen entgegen des Uhrzeigersinns um den Tiefdruckkern zu rotieren. Bis 07 Uhr MEZ hatte sich dadurch ein abgeschlossener Tiefdruckkern ausgebildet, dessen Luftdruck zu diesem Zeitpunkt bereits unter 985 hPa gefallen war. In den Morgenstunden erreichte die Warmfront verbunden mit leichtem Sprühregen dann zunächst den Südwesten Irlands und die Bretagne. Die schwache Kaltfront des Tiefs MALTE löste sich in den folgenden Stunden auf und seine über dem Westen Frankreichs liegende Warmfront ging in die Warmfront des Wirbels NICOLAI über. Im Tagesverlauf überquerte das dazugehörige Niederschlagsgebiet dann vom Westen her Irland, den Südwesten Englands und die Westhälfte Frankreichs. Bei teils langanhaltendem Regen fielen so im beschriebenen Bereich innerhalb von 12 Stunden bis 19 Uhr MEZ verbreitet 4 bis 7 mm. Auch entlang der Pyrenäen, im Grenzbereich zum über der Iberischen Halbinsel liegenden Hochdruckgebiet, kam es im Tagesverlauf immer wieder zu teils kräftigeren Regenschauern, die beispielweise im 947 m hoch gelegenen spanischen Roncesvalles 29,2 mm brachten. Während die Temperaturen in Irland mit rund 10°C im Vergleich zum Vortag weitestgehend unverändert blieben, machte sich der Durchzug der Warmfront mit der auf der Rückseite einströmenden subtropischen Luftmassen in Frankreich mit einem Temperaturanstieg von rund 5 Kelvin bemerkbar. Während in Nantes beispielsweise am Vortag eine Höchsttemperatur von 4,7°C erreicht wurde, verzeichnete man am 27.01. 11,6°C. Auch in Clermont Ferrand erwärmte sich die Luft auf 11,9°C, wobei am Vortag nur 4,9°C gemessen wurden.  Im Südwesten Frankreichs verzeichnete man auch Höchstwerte von über 13°C, in Auch sogar 14,6°C.

Bis zum 28.01. um 01 Uhr MEZ hatte sich das Tief NICOLAI an der Vorderseite des steuernden Höhentiefs in nordöstliche Richtung verlagert und befand sich mit einem auf unter 980 hPa gefallen Kerndruck rund 600 km vor der schottischen Westküste. Im Norden begrenzte die Zyklone eine Okklusionsfront, die ausgehend vom Tiefdruckkern MALTE I südlich von Grönland bis in den Tiefdruckkern MALTE III reichte, der mittlerweile bis nach Südschweden gewandert war. Der Kern MALTE II hatte sich dagegen bereits aufgelöst. Im südöstlichen Randbereich des Tiefdruckkomplexes MALTE I und NICOLAI hatte sich jedoch ein weiteres Randtief ausgebildet, das auf den Namen OLAF getauft wurde. Ausgehend vom Kern des Tiefs NICOLAI reichte die Okklusion bis zum Okklusionspunkt über Dublin. Die Warmfront spannte sich in südöstlicher Richtung über den Südwesten Englands und der Normandie entlang des Zentralmassivs bis über den Golf von Lion, wobei das verbundene Niederschlagsgebiet weiterhin für anhaltenden Niederschlag meist in Form von Regen sorgte. Von Nordirland bis Südostengland fielen so in den Nachtstunden verbreitet 15 bis 25 mm. Die nachfolgende Kaltfront dagegen erstreckte sich in südwestliche Richtung über den Atlantik. Hinter der Warmfront im Bereich des Warmsektors der Zyklone NICOLAI über Frankreich, also im Einflussbereich der feuchten subtropischen Luftmassen, fielen die Temperaturen in der Nacht bei stellenweise länger anhaltendem Sprühregen kaum unter 7°C. Entlang der Atlantikküste sowie im Südwesten Englands meldete man sogar verbreitet sehr milde Tiefstwerte von 12°C bis 11°C. In den folgenden Stunden zog die Warmfront dann von Südwesten her weiter über Mitteleuropa. Das breite Niederschlagsgebiet erreichte somit in den Morgenstunden auch die Benelux-Länder, die Schweiz und den Südwesten Deutschlands. In den höheren Lagen der Schweiz, des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb fielen die Niederschläge zunächst noch in Form von Schnee oder Schneeregen, der jedoch unter dem Einfluss der einströmenden Warmluft rasch bis in die Hochlagen in Regen überging. Bis 10 Uhr MEZ verzeichnete man in einem Streifen vom Ruhrgebiet bis zur Schweiz 3-stündig bereits 5 bis 9 mm, in exponierteren Lagen des Schwarzwaldes auch 10 bis 15 mm. Bis zum Nachmittag hatte sich das Niederschlagsgebiet mit etwa gleichen Niederschlagsmengen schließlich bis über die deutschen Mittelgebirge ausgebreitet und auch der Einfluss der warmen Luftmassen machte sich südlich einer Linie etwa vom Münsterland bis zum Bayrischen Wald bemerkbar. Der Bereich nördlich dieser Linie stand jedoch unter dem Einfluss kälterer Luftmassen, die nun auf der Rückseite des mittlerweile über der Ostsee liegenden Wirbels MALTE III aus Skandinavien herangeführt wurden. So begann sich im Tagesverlauf über Deutschland, entlang der Warmfront von Tief NICOLAI, die sich mit der Kaltfront von Tief MALTE III verband, eine markante Luftmassengrenze zu formieren. Während in der Nordhälfte Deutschlands Tageshöchstwerte von 2°C bis 4°C verzeichnet wurden, meldete man in der Südhälfte verbreitet 6°C bis 9°C, entlang des Oberrheinischen Tieflandes sogar 10°C bis 13°C. Verglichen mit den Tageshöchsttemperaturen des Vortages im Süden Deutschlands, die zwischen 0°C bis 2°C in den höheren und 3°C bis 4°C in den tiefen Gebieten lagen, bedeutete das rasch einsetzendes Tauwetter, denn in den Mittelgebirgslagen erreichte die Schneedecke am Morgen des 28.01. immerhin noch eine Höhe von über 40 cm, auf dem Feldberg im Schwarzwald sogar noch rund 140 cm.

 

Bis zum 29.01. um 07 Uhr MEZ summierte sich außerdem, der meist in Form von Regen gefallende Niederschlag innerhalb von 24 Stunden im Südschwarzwald auf über 80 mm, wie beispielsweise in Bernau-Goldbach mit 57,4 mm oder in Todtmoos mit 86,6 mm. Im Taunus und im Spessart, sowie im Bayrischen Wald wurden immerhin noch 24-stündige Niederschlagssummen von 30 bis 40 mm gemeldet. Im übrigen Einflussbereich des Niederschlagsgebiets verzeichnete man vielerorts 15 bis 25 mm im gleichen Zeitraum. Ausnahmen mit weniger Niederschlag bilden nur wenige Gebiete, wie beispielsweise in der Pfalz oder im Lee des Schwarzwaldes. Außerdem meldete man im Südwesten Deutschlands durch zunehmende Luftdruckgegensätze vielfach stürmische Böen und Sturmböen. Auf dem Feldberg im Schwarzwald und auf der Zugspitze erreichte der Wind mit 107 bzw. 122 km/h sogar Orkanstärke. Die teils ergiebigen länger andauernden Niederschläge in Verbindung mit der rasch einsetzenden Schneeschmelze ließen die Pegel zahlreicher Flüsse in der Mitte und im Süden Deutschlands, sowie der Nordschweiz ansteigen, wodurch es häufig zu Überschwemmungen kam. Der Tiefdruckwirbel NICOLAI hatte sich derweil unter leichter Abschwächung nur gering in nördliche Richtung verlagert und befand sich nun auf einer Linie mit der Okklusionsfront von Tief MALTE I, das weiterhin südlich von Grönland lag. Das Frontensystem war mittlerweile vollständig okkludiert und reichte bis in den Tiefdruckwirbel OLAF, der etwa um 13 Uhr MEZ die niederländische Nordseeküste erreichte und entlang der Luftmassengrenze im Tagesverlauf langsam über Deutschland zog.  Dabei verband sich die Okklusion von Tief OLAF mit der Luftmassengrenze des Tiefs MALTE zu einer Warmokklusion, wodurch sich über Deutschland eine Grenzwetterlage einstellte und die Temperaturgegensätze verstärkte. Während nördlich der Luftmassengrenze, wie beispielsweise in Berlin, Hannover und Hamburg, nur Tageshöchsttemperaturen um den Gefrierpunkt gemeldet wurden, steigen die Temperaturen südlich der Luftmassengrenze auf milde 6°C bis 10°C, entlang des Rheins sogar auf 11°C bis knapp 13°C. Auch die Niederschläge südlich und entlang der Luftmassengrenze hielten den Tag über an und breiteten sich im Tagesverlauf weiter in Richtung Nordosten aus, wobei sie nördlich, im Bereich der Kaltluft, in Form von Schnee und südlich in Form von Regen oder Sprühregen fielen. Im Übergangsbereich der Luftmassen kam es zu Schneeregen und gefrierenden Regen.

 

Bis zum 30.01. um 01 Uhr MEZ hatte sich das Tiefdruckgebiet NICOLAI, abgelenkt durch den kräftigen vom Atlantik heranziehenden Wirbel PETER, mit seinem Kern noch weiter nach Nordwesten auf den Atlantik hinaus verlagert. Außerdem stand bereits das nächste Tief namens QUIRIN in den Startlöchern und nahm vom westlichen Nordatlantik her Kurs auf Mitteleuropa.  Der Luftdruck im Kern von Tief NICOLAI betrug zu diesem Zeitpunkt nur noch 995 hPa. Ausgehend von seinem Kern erstreckte sich die Luftmassengrenze über Nordirland, den Südwesten Englands, den Niederladen bis in die Tiefdruckzentren OLAF I über Hessen und OLAF II über den östlichen Karpaten, bevor sie vor dem Schwarzen Meer bogenförmig bis in den Randbereich von Tief MALTE III südlich von Moskau verlief. Über Island konnte sich hingegen das Hochdruckgebiet FERNANDA ausbilden, dessen Einflussbereich bereits bis nach Schottland reichte und sich in den folgenden 24 Stunden bis nach Osteuropa ausbreiten sollte, wodurch auch die Luftmassengrenze nach Süden abzog. 

 

Bis zum 01.02. zog Tief NICOLAI noch weiter auf den Atlantik hinaus und konnte somit nicht mehr mit dem Wettergeschehen in Europa in Verbindung gebracht werden. Um 01 Uhr MEZ wurde der Wirbel noch einmal über dem westlichen Nordatlantik rund 600 km südlich von Grönland mit einer kurzen angrenzenden Okklusion analysiert, bevor er sich im Tagesverlauf schließlich auflöste.