Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet NILS

(getauft am 27.11.2015)

 

Im Laufe des 26.11.2015 zog ein Tiefdruckgebiet vom nordamerikanischen Kontinent aus kommend über die Barentssee, wo es sich um 01 Uhr MEZ des 27.11. mit einem Luftdruck im Zentrum des Tiefs von knapp unter 1000 hPa zwischen des Westküste Grönlands und der kanadischen Provinz Labrador befand. Vom Tiefdruckzentrum aus verlief eine Okklusion ca. 500 km südwärts und spaltete sich dort in eine bis Neufundland reichende Warmfront und eine südwestwärts laufende Kaltfront auf. Eine Okklusion bezeichnet eine Mischfront aus Kalt- und Warmfront, die entsteht, wenn die nachfolgende und schneller ziehende Kaltfront die vorhergehende Warmfront einholt. Der Punkt, an dem die Kalt- und Warmfront zusammenlaufen, heißt Okklusionspunkt. Im Bereich der Warmfront kam es zu vereinzeltem, leichtem Regen, wohingegen die Niederschläge an und nördlich der Kaltfront in Form von Schnee auftraten.

Am Morgen des 27.11. wurde das Tiefdruckgebiet von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen NILS getauft, da es in den darauffolgenden Tagen das Wettergeschehen in Europa beeinflussen sollte. Im Verlauf des 27.11. zog der Tiefdruckwirbel NILS an der Südspitze Grönlands vorbei und befand sich in den Frühstunden des 28.11. etwas westlich vor Island. Der Luftdruck im Zentrum war auf etwas unter 980 hPa gefallen. Die Okklusion auf der Vorderseite des Tiefs NILS war nur noch sehr schwach ausgeprägt und ging schnell in die südostwärts bzw. südwestwärts über den Atlantik reichende Warm- und Kaltfront über. Auf der Rückseite des Tiefs verlief eine zweite Okklusion entlang der Südküste Grönlands.

Am 28.11. verlagerte sich der Kern des Tiefs NILS entlang der Ostküste Islands. Am Morgen erreichte das weiter okkludierende Frontensystem des Tiefs die irische Küste und sorgte dort für einsetzenden Regen, welcher sich mit der weiteren Verlagerung des Tiefs NILS nach England und Schottland ausbreitete. Im schottischen Hochland fiel bis 12 Uhr MEZ der Niederschlag oberhalb von 200 m noch als Schnee, ging jedoch in den folgenden Stunden zunehmend in Regen über. Neben den starken Niederschlägen sorgte das Tief NILS zusätzlich für Sturmböen entlang der englischen Küste und vereinzelte Orkanböen auf den Bergen Schottlands. So wurden im walisischen Aberdaron Spitzenböen bis 114,9 km/h gemessen, auf dem 1130 m hohen Aonach Mór sogar bis 135,3 km/h.

An der Südflanke des Tiefdruckgebiets NILS verstärkte sich eine Tiefdruckwelle mit Warm- und Kaltfront, welche auf den Namen NILS II getauft wurde, weshalb nachfolgend das weiter nördlich gelegene Tief als NILS I bezeichnet wurde. Zur gleichen Zeit erreichten die Niederschläge der Warmfront des Tiefs NILS I die Benelux-Staaten und den Norden Frankreichs sowie die der Okklusion den Südwesten Norwegens. Auch dort wurden Sturmböen von über 100 km/h gemessen, wie beispielsweise im französischen Boulogne-sur-Mer mit 103,8 km/h.

Bis 01 Uhr MEZ des 29.11. hatte sich das Tief NILS I bei einem auf ca. 970 hPa weiter gefallenen Luftdruck im Zentrum bis auf Höhe der Färöer verlagert. Die Okklusion führte hierbei über Norwegen bis zum Norden Dänemarks, spaltete sich dort in die über Westdeutschland und Frankreich bis zum Golf von Biskaya reichende Warmfront und die bis Irland reichende Kaltfront auf. Diese Kaltfront ging dort in die Warmfront des Tiefs NILS II über, welches mit einem zentrumsnahen Druck von unter 995 hPa weiter ostwärts gezogen war. Da auf der Rückseite der Kaltfront des Tiefs NILS I maritime Polarluft in den Norden Großbritanniens geführt wurde, gingen dort in der Nacht die Niederschläge wieder vermehrt in Schnee über. Bis 07 Uhr MEZ wurden in den Gebieten, über die zuvor die Frontensysteme hinweggezogen waren, oftmals sehr hohe 24-stündige Niederschlagsmengen gemessen. So summierte sich der Niederschlag im walisischen Lake Vyrnwy beispielsweise auf 34,0 mm und im schottischen Tulloch Bridge auf 36,8 mm. Im niederländischen Wijk aan Zee wurden noch 12,6 mm gemessen. Im Südwesten Norwegens wurden bedingt durch das Stauen der Niederschläge am Skandinavischen Gebirge Summen von 30 mm bis 40 mm registriert. Im Tagesverlauf verlagerte das sich abschwächende Tief NILS I langsam weiter in Richtung Norwegen, wohingegen das Tief NILS II an der Südseite sehr schnell und unter rascher Verstärkung zu einem Orkantief weiter nach Osten zog. Im Bereich der Kaltfront bildete sich dabei ein Sturmfeld aus, welches deutlich stärker als jenes war, welches sich tags zuvor im Bereich von Tief NILS I ausgebildet hatte. In Großbritannien wurde an diesem Tag die stärkste Böe auf dem 933 m hohen Cairnwell in Schottland mit 176,1 km/h gemessen. Doch auch im Flachland traten, wie im walisischen Capel Curig mit 150,1 km/h, schwere Orkanböen auf. Der zweite Schwerpunkt des Sturmfeldes befand sich über Dänemark, dem westlichen Schweden und dem Norden Deutschlands. Im dänischen Karup wurden Orkanböen bis 146,4 km/h gemessen, weiter östlich in Ahaus 137,1 km/h. Im schwedischen Helsingborg war die schwerste Orkanböe mit 129,7 km/h nur unwesentlich schwächer. In der südschwedischen Stadt Hanö wurden Böen von 140,5 km/h gemessen. In Schleswig-Holstein wurden auf Sylt und an der Station Glücksburg/Meierwik Spitzenböen von 133,3 km/h gemessen. Zudem regnete es im Bereich der eng beieinander liegenden Frontensysteme über Mitteleuropa kräftig und über mehrere Stunden anhaltend, an einigen Stationen im mitteldeutschen Raum sogar den gesamten Tag ununterbrochen. Mit Durchzug der Kaltfront konnten sich zwischen 20 und 22 Uhr MEZ einzelne Gewitter über Norddeutschland und Dänemark entwickeln, welche teilweise für diese Jahreszeit außerordentlich stark und langlebig auftraten.

Am 30.11. um 01 Uhr MEZ hatte sich das Tief NILS I auf einen Kerndruck von knapp 972 hPa abgeschwächt und befand sich mit seinem Zentrum vor der norwegischen Küste. Der Wirbel NILS I war mittlerweile fast komplett okkludiert und die Okklusion reichte vom Zentrum erst ostwärts bis Finnland und von dort als Warmfront südwärts bis Weißrussland. Das Tief NILS II war unterdessen bei einer weiteren Vertiefung des Luftdrucks auf unter 975 hPa und beginnender Okkludierung bis über den Süden Schwedens gezogen. Die kurze, über Polen ostwärts ziehende Warmfront und die nachfolgende, quer über Mitteleuropa liegende Kaltfront vereinigten sich am über der polnischen Küste befindlichen Okklusionspunkt in die bis zum Tiefdruckzentrum reichende Okklusion. Die Hauptniederschlagsgebiete verlagerten sich in der zweiten Nachthälfte weiter ostwärts und traten im skandinavischen Gebirge und nördlich des 65. Breitengrads auch in Form von Schnee auf. Bis 07 Uhr MEZ wurde in Deutschland in den vorangegangenen 24 Stunden an jeder deutschen Wetterstation Niederschlag registriert, in höheren Lagen sowie im Westen summierte sich dieser sogar auf häufig über 20 mm. Die höchste Niederschlagssumme wurde mit 47,3 mm in Braunlage gemessen. Auch im Umfeld des Skagerraks und im südwestlichen Stau des skandinavischen Gebirges wurden Niederschlagsmengen von 20 bis 30 mm innerhalb eines Tages erfasst. Weiter östlich summierte sich der Niederschlag noch auf 10 bis 15 mm. Im Laufe der ersten Tageshälfte hatte sich das Hauptsturmfeld bis in einem Streifen zwischen dem südlichen Schweden und dem Baltikum verlagert. In Farosund-Ar auf der schwedischen Insel Gotland wurden noch Böen bis 118,9 km/h, in der estnischen Küstenstadt Sorve bis 111,7 km/h registriert. Auch auf den Bergen Deutschlands und Österreichs traten Orkanböen auf, wie mit 154,9 km/h auf dem 1618 m hohen Feuerkogel. Bemerkenswerterweise wurden auch von der auf nur 550 m Höhe gelegenen Station Weinbiet in der Pfalz Orkanböen bis 136,9 km/h gemessen.

Im Laufe des Tages schwächte sich das Tief NILS I deutlich ab und löste sich infolgedessen auf. Das Tief NILS II, welches nachfolgend alleinig den Namen Tief NILS trug, verlagerte sich währenddessen entlang der Ostseeküste nordwärts, okkludierte dabei jedoch immer stärker. Nördlich des Tiefdruckzentrums verstärkten sich bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt die Schneefälle

Bis zum 01.12. hatte sich das Tiefdruckgebiet NILS bis zum nördlichen Ende des Bottnischen Meerbusens verlagert. Der Luftdruck hatte sich auf ca. 978 hPa leicht erhöht und die Okklusionsfront führte vom Tiefzentrum südostwärts über Finnland und Russland bis zum Schwarzen Meer. Aufgrund der starken Schneefälle der vorherigen Nacht wurden mancherorts große Neuschneemengen gemessen. An der finnischen Station Kittilä Kenttärova beispielsweise wurden bis 07 Uhr MEZ 11,0 mm Niederschlag registriert, welche 10 cm Neuschnee brachten. Im Folgenden verlor das Tief NILS deutlich an Dynamik, zog langsam nach Osten über Finnland hinweg und schwächte sich dabei stark ab.

Um 01 Uhr MEZ des 02.12. befand sich der Kern des stark abgeschwächten Wirbels NILS über der finnisch-russischen Grenze mit einer bis südlich der russischen Insel Nowaja Semlja reichenden Okklusion. Entlang der Okklusion kam es noch zu einzelnen Schneeschauern, welche jedoch nirgends mehr als 5 mm Niederschlag brachten. Im Tagesverlauf wurde das Tief NILS rasch schwächer und hatte sich bis zur Nacht komplett aufgelöst.

Das Tief NILS beeinflusste das Wettergeschehen im west- und nordeuropäischen Raum über insgesamt fünf Tage, bildete dabei zwei Tiefdruckzentren aus und sorgte vor allem über Großbritannien sowie im Nord- und Ostseeumfeld für teilweise ungewöhnlich starke Orkanböen.

 

 

Geschrieben am 18.01.2016 von Maximilian Steinbach

Berliner Wetterkarte: 30.11.2015

Pate: Nils Fabrytzek