Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet OCTAVIAN

(getauft am 19.06.2017)

 

Am 19. Juni 2017 wurde in der Prognose für den Folgetag ein Tiefdruckgebiet auf den Namen OCTAVIAN getauft. An diesem Tag zog sich eine verwellte Luftmassengrenze vom Baltikum über die Ostsee, Südskandinavien, die Nordsee und den Norden der Britischen Inseln sowie weiter über den Nordatlantik hinaus. Vor der Westküste Schottlands trafen sich eine nach Osten verlaufende Warmfront und eine in südwestlicher Richtung führende Kaltfront. Mit der westlichen Höhenströmung bewegte sich die verwellte Luftmassengrenze weiter nach Osten, wobei die Kaltfront eine höhere Geschwindigkeit als die Warmfront hatte.

Am 20. Juni befand sich das Zentrum des Tiefdruckgebietes OCTAVIAN erwartungsgemäß zwischen Schweden, Finnland und Estland über der Ostsee. Der Kerndruck lag bei unter 1005 hPa. Zwischen der vom Tiefdruckzentrum ausgehenden Warmfront, die über die Ostsee und das südliche Baltikum bis über das Grenzgebiet zwischen Weißrußland, Polen und Litauen reichte und dort in eine Kaltfront eines unbenannten Tiefs über dem westlichen Russland überging, und der vom Kern des Tiefdruckgebietes OCTAVIAN ausgehenden, über Südskandinavien, die Nordsee und England nach Wales reichenden Kaltfront spannte sich ein Warmluftsektor auf, während hinter der zuletzt genannten Kaltfront mit nordwestlicher Strömung weniger warme Luft aus der Region des Europäischen Nordmeeres herangeführt wurde. Vor allem die Kaltfront brachte im östlichen und nordöstlichen Europa markante Wettererscheinungen. Im polnischen Bialystok bildeten sich beispielsweise ab dem Mittag kräftige Schauer und Gewitter, nachdem vormittags bereits über 25°C erreicht und damit das Kriterium für einen offiziellen Sommertag nach meteorologischer Definition erreicht wurde. Mit Aufzug der Schauer fiel die Temperatur auf etwa 19 bis 17°C ab und der zuvor aus Südwest wehende Wind drehte auf östliche bis nördliche Richtungen mit Böen der Stärke 7. Bis 14 Uhr Ortszeit kamen 6-stündig 22 l/m² an Niederschlag zusammen, wobei mangels zuvor aufgetretener Niederschläge der genannte Wert auf die Schauer ab bzw. nach 13 Uhr zurückzuführen sind. Hatte die Sichtweite vormittags noch bis zu 35 km betragen, lag sie nachmittags zwischenzeitlich bei nur noch 3 km. Bis in den späten Nachmittag hinein gab es weitere gewittrige Schauer, die bis 20 Uhr innerhalb von 6 Stunden nochmals 32 l/m² brachten. Nach den 54 l/m² messenden Niederschlägen binnen 12 Stunden bis 20 Uhr in Bialystok folgten das in der russischen Oblast Pskow liegende Puschkinskije Gory mit 28 l/m² und Bely in der russischen Oblast Twer mit 26 l/m². Vor der Kaltfront stieg die Temperatur im ukrainischen Jahotyn in der Oblast Kiew auf 30,0°C, was einem Heißen Tag nach meteorologischer Definition entspricht. Dagegen war es mit einer Höchsttemperatur von 15,6°C in Sankt Petersburg ausgesprochen kühl. Im südfinnischen Lammi-Evo wurden sogar nur 10,4°C erreicht. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil dort die Temperatur am Vortag noch auf 21,6°C stieg. An den estnischen Wetterstationen Pakri und Kunda wurden zudem am Nachmittag bzw. Abend einzelne Sturmböen registriert, was auf den starken Luftdruckgradienten hinter der Kaltfront sowie in der Nähe des Kerns des Tiefdruckgebietes OCTAVIAN und auf die exponierte Lage am finnischen Meerbusen zurückzuführen ist. In der Nacht zum 21. Juni sank die Temperatur hinter der Kaltfront gebietsweise unter 10°C. In Lodeinoje Pole in der russischen Oblast Leningrad kam bis zum Morgen des 21. Juni eine 12-stündige Niederschlagsmenge von 36 l/m² zusammen, wogegen 24-stündig die 54 l/m² in Bialystok den höchsten Wert des nordöstlichen Europa darstellte.

Bis zum 21. Juni, dem astronomischen und kalendarischen Sommeranfang auf der Nordhalbkugel der Erde, verlagerte sich das Tiefdruckgebiet OCTAVIAN, dessen Kerndruck sich auf 990 hPa verringerte, mit seinem Zentrum über das nordwestliche Russland, etwa zwischen der Hauptstadt Moskau und der Hafenstadt Archangelsk. Über letzterer lag das Tief NAOTO, das mit der Zyklone OCTAVIAN einen Dipol bildete und, analog zu einem ausgedehnten Höhentief, für Tiefdruckeinfluss in weiten Teilen Nordosteuropas sorgte. Vom Kern des Tiefs OCTAVIAN ging eine kurze Okklusionsfront, also eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, aus, die bis zum Okklusionspunkt reichte, der etwa auf halbem Wege nach Moskau lag. Am Okklusionspunkt trafen die nach Süden bis Südosten bis zum unteren Don kurz vor seiner Mündung ins Asowsche Meer reichende Warmfront und die westlich folgende Kaltfront zusammen. Die Kaltfront verlief über das westliche Russland und die Ukraine, beschrieb einen Bogen, der über die Westkarpaten und Deutschland sowie Belgien bis nach England führte, um im Grenzgebiet zwischen England und Wales in eine zum Tiefdruckgebiet PAUL mit Lage westlich von Irland gehörende Warmfront überzugehen. In Vinnitsy in der Oblast Leningrad kamen in Folge von Schauern und Gewittern bis zum frühen Abend innerhalb von 12 Stunden 26 l/m² zusammen. In Welsk in der Oblast Archangelsk fielen 21 l/m². Die Zufuhr warmer Luftmassen vor dem Tiefdruckgebiet ließ die Temperatur in Yaksha in der russischen Republik Komi auf exakt 25,0°C steigen, was einem meteorologischen Sommertag entspricht. Dagegen war es auf der kalten Rückseite des Tiefs OCTAVIAN sowie zeitweise unter Regenwolken mit einer Höchsttemperatur von 11,7°C sogar deutlich kühler als beispielsweise in der nordrussischen Hauptstadt des Autonomen Kreises der Nenzen, Narjan-Mar, wo immerhin ein Temperaturmaximum von 18,9°C erreicht wurde. Narjan-Mar liegt nördlich des Polarkreises und befand sich somit im Einflussbereich der Mitternachtssonne. Vor dem Ural in Buguruslan in der Oblast Orenburg gab es in der Nacht zum 22. Juni innerhalb von 12 Stunden eine Niederschlagsmenge von 16 l/m².

Am 22. Juni wurde das Zentrum des Wirbels OCTAVIAN, in dem ein Kerndruck von unter 990 hPa herrschte, südlich von Archangelsk analysiert. Von dort verlief eine bogenförmige Okklusionsfront im Uhrzeigersinn bis in die Gegend der Stadt Perm, wo sich der Okklusionspunkt befand. Weiter nach Süden zog sich einerseits eine Warmfront, das Uralgebirge streifend und den Bereich, der von der Berliner Wetterkarte abgedeckt wird, etwa auf einer geographischen Breite verlassend, die der ukrainischen Hauptstadt Kiew entspricht. Andererseits folgte westlich der Warmfront eine Kaltfront, die über das südliche Russland, das Asowsche Meer und die Krim sowie den nordöstlichen Teil des Schwarzen Meeres bis nach Rumänien verlief, wo sie in die Warmfront eines unbenannten Tiefdruckgebietes überging, das über dem nördlichen Voralpenland mit dem bei den Britischen Inseln liegenden Tief PAUL verbunden war. Die an der Wetterstation im 27-Einwohner-Ort Ust-Schtschuger in der Republik Komi gemessene Niederschlagsmenge von 22 l/m² innerhalb von 12 Stunden bis zum frühen Abend des 22. Juni verdeutlicht beispielhaft die anhaltende Wetteraktivität des Tiefs OCTAVIAN und seiner Fronten in Form von mitunter ergiebigen Schauern und Gewittern und zeigt, wie wichtig ein möglichst nicht zu weites Netz an Wetterstationen auch in dünn besiedelten Gebieten ist. Nachts lagen die 12-stündigen Niederschlagsmengen bis zum frühen Morgen des 23. Juni meist im einstelligen Bereich, was auf die geringere oder, im Falle der Gebiete ohne Mitternachtssonne, gar nicht vorhandene Sonneneinstrahlung und damit für die Konvektion, also das Aufsteigen von Luft, nötige Erwärmung zurückzuführen ist.

Am 23. Juni lag das Zentrum des Tiefdruckgebietes OCTAVIAN mit einem Kerndruck von unter 995 hPa nördlich von Archangelsk. Bis ins westliche Vorland des nördlichen Uralgebirges zog sich eine Okklusionsfront bis zum Okklusionspunkt. Weiter östlich schloß sich eine bis nach Westsibirien reichende Warmfront an. Außerdem verlief südlich des Okklusionspunktes eine Kaltfront, die in etwa dem Verlauf des Ural folgte und auf einer etwas weiter südlich als Moskau liegenden Breite den von der Berliner Wetterkarte dargestellten Bereich verließ. Im westsibirischen Schumicha in der Oblast Kurgan kamen 12-stündig bis zum Nachmittag des 23. Juni bei Schauern und Gewittern erneut 18 l/m² Niederschlag zusammen.

Auch am 24. Juni lag das Tiefdruckgebiet OCTAVIAN mit seinem Kern nördlich von Archangelsk. Von dort verlief eine Okklusionsfront über einen weiteren Tiefdruckkern im Bereich der im äußersten Nordosten Europas liegenden Stadt Workuta, in dem der Luftdruck wie beim ersten unter 995 hPa betrug, bis zu den westsibirischen Küstengewässern. Eine Warmfront war im Bereich der Berliner Wetterkarte nicht zu erkennen, wohl aber eine Kaltfront, die östlich und etwa parallel zum Uralgebirge nach Süden verlief. Im westsibirischen Tobolsk in der Oblast Tjumen summierte sich der Niederschlag in Folge von Schauern und Gewittern bis zum Abend des 24. Juni auf 31 l/m². Im ostnordöstlich gelegenen Salym im Autonomen Kreis der Chanten und Mansen kamen 26 l/m² Niederschlag zusammen. In Salym reichte es trotzdem für einen offiziellen Sommertag mit einer Höchsttemperatur von 25,1°C. Mit einer Tiefsttemperatur von 15,3°C war man dort in der folgenden Nacht sogar weniger als 5 Grad von einer Tropennacht entfernt, für die die Temperatur nachts nicht unter 20,0°C fallen darf.

Am 25. Juni war das Tiefdruckgebiet OCTAVIAN mit einem Kerndruck von unter 1000 hPa im Bereich von Workuta und des nordwestlichen Uralvorlandes zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Nachfolgend zog es nach Osten bis Nordosten aus dem von der Berliner Wetterkarte abgedeckten Bereich in Richtung des Nordsibirischen Tieflandes.

 

 

Geschrieben am 20.08.2017 von Heiko Wiese

Berliner Wetterkarte: 21.06.2017

Pate: Karl Geitz