Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
OCTAVIA
(getauft am 10.06.2020)
In den Tagen um den 10.06.2020 war das
Wettergeschehen über Europa dominiert von Tiefdruckkomplexen. Auch in der
mittleren Troposphäre, in ca. 5,5 km Höhe, war ein kräftiger Trog vorhanden.
Ein Trog ist definiert als ein Gebiet mit relativ niedrigem Druck und kalter
Luft. Aufgrund
dessen, dass der Wind auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn weht,
stellte sich über Südosteuropa und der Türkei eine südliche Höhenströmung ein. Folglich
wurde ein Hitzetief über dem Osten der Türkei für die kommenden Tage
prognostiziert, welches sich entlang dieser Strömung nach Europa verlagern
würde. Da ersichtlich war, dass dieses Tief für das Wettergeschehen über Europa
relevant werden würde, wurde die Zyklone von den Meteorologen der Berliner
Wetterkarte in der Prognosekarte für den Folgetag auf den Namen OCTAVIA
getauft.
Diese Prognose bewahrheitete sich, sodass
auf der 00 Uhr UTC Bodenanalysekarte vom 11.06. Tief OCTAVIA erstmalig und bis
dato noch frontenlos im Osten der Türkei mit einem Kerndruck von knapp unter
1005 hPa erschien. Bei einer Bodenanalyse handelt es sich um die Analyse der um
00 Uhr UTC bzw. 02 Uhr MESZ registrierten und gemeldeten Wetterdaten aus ganz
Europa. Im ersten Schritt werden die gerade aktiven Druckgebilde über Europa
erfasst. Hierfür werden Linien gleichen Luftdrucks, auch Isobaren genannt,
meist in 5 hPa Abständen, in eine Karte eingezeichnet. Nachfolgend werden noch
Fronten und Konvergenzen, meist im Zusammenhang von Tiefdruckgebieten, ergänzt.
Zum darauffolgenden Tag zog die Zyklone
dann weiter bis in den Süden der Ukraine und verstärkte sich dort leicht auf
einen Kerndruck von ca. 1003 hPa. An dem Tiefdruckgebiet OCTAVIA erstreckte
sich an diesem Tag eine bogenförmige Warmfront westlich vom Tiefdruckkern über Moldawien,
den Westen der Ukraine und Belarus bis nach Litauen. Da sich auch diese
Warmfront gegen den Uhrzeigersinn bewegte, wurde eine warm-feuchte und zuweilen
auch instabile Luftmasse hinter der Warmfront nach Westen transportiert. Instabilität bedeutete in diesem Kontext, dass eine starke
Temperaturabnahme mit der Höhe vorlag. Vertikal aufsteigende bzw. absinkende Luftpakete sind
dadurch wärmer bzw. kälter als ihre Umgebung und werden somit weiter
beschleunigt. Dies sind gute Bedingungen, um Schauer und/oder Gewitter zu
erzeugen. Diese Warmfront
bzw. Luftmassengrenze verlagerte sich im Laufe des Tages nach Westen. An ihr
lösten am Nachmittag teils kräftige Gewitter aus, welche vor allem von
Starkregen begleitet waren. An der nordwestrumänischen Wetterstation in Ocna Șugatag (auf 504 m Höhe)
fielen durch Gewitter innerhalb von 3 Stunden 35 mm Niederschlag.
In der Nacht blieben die Gewitter an der
Luftmassengrenze, die auf der 00 Uhr UTC Bodenwetterkarte vom 13.06. dann als
Konvergenzlinie analysiert wurde, weiter aktiv. Schwerpunkt war dabei der Osten
der Slowakei. Hier vielen verbreitet über 10 mm Niederschlag. In Prešov, der
zweitgrößten Stadt der Ostslowakei, waren es in 12 Stunden sogar 37 mm.
In der ersten Tageshälfte zog die
Konvergenz dann weiter nach Deutschland und erstreckte sich von Niedersachsen
über den Bayerischen Wald in Richtung Osteuropa, was gut auf der 12 Uhr UTC Bodenanalyse
der Berliner Wetterkarte erkennbar war. Eine weitere Konvergenz wurde von Brandenburg bis zum Riesengebirge
analysiert. Diese Konvergenz befand sich in einer sehr instabilen und
feucht-warmen Luftmasse. Damit waren alle Bedingungen für das Auslösen und für
die Entwicklung von kräftigen Gewittern ab den Mittagsstunden in diesem Bereich
gegeben. Gleichzeitig
wurde diese feucht-warme Luftmasse von zwei Seiten eingekeilt. Zum einen wurde
um das Skandinavienhoch THOMAS kühle und trockene Luft
im Uhrzeigersinn aus polaren Gebieten über die Baltischen Staaten und der
Ostsee nach Westen in Richtung Mitteleuropa transportiert. Auf der anderen
Seite sorgte Tief NADINE über der Bretagne, dass sich mit einer Kaltfront über
Frankreich kühlere Meeresluft von Westen näherte. Da die wärmere und leichtere Luft nur nach oben ausweichen kann, sorgte
diese Situation für einen zusätzlichen Antrieb um flächendeckend Gewitter
unabhängig vom Sonnenstand auszulösen. Die ersten Gewitter zogen am Vormittag von Sachsen-Anhalt über den Westen
Mecklenburg-Vorpommerns nach Schleswig Holstein. Hier wurde in Ballerstedt innerhalb einer Stunde eine Regensumme von 28,5
mm gemessen.
Ab dem Mittag lösten sich dann verbreitet
Gewitter über Brandenburg aus, die sich zunächst auf den Barnimer
Landkreis konzentrierten. Weitere Gewitter entstanden fast ausschließlich über
den Mittelgebirgen von Tschechien, Polen und Deutschland. Im weiteren Verlauf verlagerte sich der
Schwerpunkt der Gewitteraktivität auf die Westhälfte von Brandenburg und
Sachsen-Anhalt. Die 3-stündigen
Niederschlagssummen an den Stationen, die von den gewittrigen Starkregenschauern
getroffen wurden, lagen von 12 bis 15 Uhr UTC meist bei 10 bis 30 mm. Die
höchsten Regenmengen hatten die Stationen Friedrichswalde, nördlich von
Eberswalde mit 38 mm, Kirchdorf an der Ostsee mit 37,6 mm, Münchehofe
im Spreewald mit 39,5 mm und das Straßendorf Gömnigk
der Stadt Brück im Fläming mit 38,1 mm. Ab 15 Uhr UTC entwickelten sich neue Gewitter über dem Südosten von
Brandenburg, die im Folgenden dann über den Berliner Raum zogen. Im Osten von
Berlin brachten die Gewitter auch Hagel mit einer Größe von bis zu 3 cm. In
Berlin - Prenzlauer Berg konnten Korngrößen, wie auf dem folgenden Bild zu
sehen, von bis zu 2 cm ermittelt werden.
Quelle: Morten Kretschmer, aufgenommen
am 13.06.2020
Am Abend verlagerte sich aufgrund der
Ankunft der kühleren und trockenen Luft aus Osten die Gewitteraktivität nach
Westen und lag somit über Sachsen-Anhalt. In der Ortschaft Bottmersdorf
/ Klein Germersleben, südwestlich von Magdeburg,
wurden innerhalb von 3 Stunden 58 mm Niederschlag gemessen. Insgesamt fielen an diesem Tag von 06 Uhr UTC bis 06 Uhr UTC des Folgetages
verbreitet zweistellige Niederschlagsummen über der Osthälfte von Deutschland.
Nur der äußerste Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern und der Uckermark blieb
von den Gewittern verschont. Die höchste 24 stündige Niederschlagssumme
wurde in der bereits angesprochenen Ortschaft Bottmersdorf
/ Klein Germersleben mit 133 mm registriert. Weitere
Schwerpunkte waren über dem Osten von Brandenburg mit 40 bis 60 mm, Fläming mit
60 bis 80 mm und dem Westen von Bayern, wo in der Nacht ein großer
Gewitterkomplex 40 bis 60 mm Niederschlag brachte.
In den Folgetagen beschränkte sich der
Einfluss von Tief OCTAVIA wieder auf Südosteuropa. An der Konvergenz über den
südlichen Balkenstaaten lösten sich tagsüber immer wieder Gewitter in der übrig
geblieben feucht-warmen Luftmasse aus.
Am 16.06. wurde Tiefdruckgebiet OCTAVIA
erneut weiter nördlich über Ungarn mit einem Kerndruck von knapp 1010 hPa
analysiert. Außerdem entwickelte sich eine Warmfront, welche nach Norden vom
Zentrum über Ungarn abging und in die Kaltfront der Zyklone PETRA über der
Ostsee überging. Am Nachmittag entwickelten sich über den Balkanstaaten wieder
verbreitet Gewitter, die innerhalb von 12 Stunden bis zu 35 mm Niederschlag
hervorbrachten.
Am 17.06. und 18.06. befand sich Tief
OCTAVIA weiterhin über Ungarn. An der Witterung ändert sich im Vergleich zu den
Tagen davor im Einflussbereich der Zyklone OCTAVIA nur wenig. Nach einem
sonnigen Start in den Tag entwickelten sich ab dem Mittag auch an diesen Tagen
im Einflussgebiet wieder zahlreiche Schauer und Gewitter, welche örtlich erneut
zweistellige Niederschlagssummen verursachten.
Zum 19.06. verlagerte sich Tief OCTAVIA
etwas nach Norden über Polen und war nach wie vor mit der Warmfront, die weiter
nördlich in eine Kaltfront überging, mit Tief PETRA, welches sich nun mit Kern über
Finnland befand, verbunden.
An den darauffolgenden Tagen zog die Zyklone
OCTAVIA langsam nach Osten und schwächte sich weiter ab. Die nachmittägliche
Gewitteraktivität blieb aber erhalten und somit traten weiterhin 12-stündige
Niederschlagssummen bis 50 mm auf. Ab dem 22.06. tauchte dann Tief OCTAVIA
nicht mehr in der Bodenanalyse der Berliner Wetterkarte auf. Auf Grund dessen
konnte die Zyklone nach einem für ein Tief erstaunlich langen Lebenszyklus von
insgesamt 11 Tagen am 21.06. das letzte Mal von den Meteorologen auf der
Berliner Wetterkarte verzeichnet werden. Zu diesem Zeitpunkt trennte sich das
zugehörige Frontensystem bereits vom Kern des Tiefs OCTAVIA ab, so dass die
Zyklone am Ende ihres Lebens, genauso wie am Lebensanfang, frontenlos zurück
blieb.