Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet OLGER
(getauft am 01.06.2021)
Am
01.06.2021 bildete sich über Nordspanien als Ableger der Warmluft über
Südeuropa ein Tiefdruckgebiet aus. Dieses wurde auf der Bodenwetterkarte von 00
UTC (02 Uhr MESZ) von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte (BWK)
identifiziert und im Folgenden auf den Namen OLGER getauft. Ausgelöst wurde der
Prozess durch Unterschiede in Druck- und Temperaturverteilung (sog.
Baroklinität), welche auf großräumiger Fläche eine zyklonale (gegen den
Uhrzeigersinn) Zirkulationsbewegung induzieren, wobei zunehmend Warm- und
Kaltluft gegeneinander Vorstoßen. Dieser Entwicklungsprozess hat zur Folge, dass
sich das System verstärkt. Außerdem können kleinskalige Wettererscheinungen,
wie Gewitter, zusätzlich Einfluss auf die Bildung von Tiefs haben. Der sogenannte
latente Wärmeumsatz durch Kondensation kann dem System Energie zuführen, welche
dabei in Bewegungsenergie umgewandelt wird. So haben die Gewitter, welche sich
am Tauftag über der Iberischen Halbinsel bildeten, sicherlich Einfluss auf die
Entstehung von OLGER gehabt. All das spielte sich auf der Vorderseite eines
nach Süden ausgreifenden Langwellentrogs über dem Atlantik ab, welcher mit
seiner Kaltfront die Luftmassen allmählich weiter zusammenschob und zum
Aufsteigen zwang.
Am
02.06. war Tief OLGER bereits mit der Strömung nordwärts gewandert und befand
sich über der nördlichen Biskaya, wobei seine Warmfront von der Bretagne quer
über Frankreich hinweg bis in die französischen Alpen reichte. Hinter der Front
wurde die wärmere Luftmasse nordwärts geführt, wobei die Warmfrontbewölkung die
Temperaturverteilung maßgeblich beeinflusste. Dort, wo die Luft bereits
feuchter war und dichtere Stratocumulus- und Altocumulusbewölkung die
Einstrahlung im Warmluftsektor dämpfte, wurden von der Bretagne bis in die
Provinz Alpes-Cotê-d’Azur meist Höchstwerte um 20°C bis 25°C gemessen, während
in der Nordosthälfte Frankreichs, vorderseitig der Front, der Himmel bis in die
Abendstunden meist wolkenlos blieb und durch kräftige Einstrahlung Temperaturen
bis teils knapp 30°C erreicht werden konnten. Am Rande der Frontalzone konnten
in den Gebieten Haute-Normandie und Picardie (um Paris) später vermehrt
Gewitter entstehen, welche wie an der Station Charleville in Champagne-Ardenne Regensummen
bis 14 mm brachten. Mit Untergang der Sonne ließ die Gewittertätigkeit jedoch rasch
nach. Wo die tiefe Bewölkung tagsüber die Einstrahlung eher dämpfte,
verhinderte sie jetzt die Ausstrahlung. So fielen die Tiefstwerte in einem
Streifen von Picardie über Centre-Val de Loire bis in die Region Franche-Comté
oft nicht unter 15°C, während es unter sternenklarem Himmel, wie in Teilen der
Bretagne und Languedoc-Roussillon in Südfrankreich, bis auf 11°C auskühlte. Auch
in Deutschland stiegen die Temperaturen mit südwestlicher Strömung allmählich
an. So wurde tagsüber wie in Dahlem mit 25,4°C, in weiten Teilen des Landes ein
Sommertag (> 25°C) registriert. Aber es fielen auch erste Niederschläge,
welche eine beginnende Wetterumstellung markierten. So griffen in den
Abendstunden einzelne Gewitter auf das Saarland und südliche Rheinland-Pfalz
über und bescherten der Station Idar-Oberstein bis 08 UTC rund 26 mm
12-stündige Niederschläge. Mit der Warmluft reicherte sich die Atmosphäre zunehmend
mit Feuchtigkeit an, sodass mit dem Tagesgang allmählich das Gewitterrisiko
anstieg, wobei die Konvektionszellen durch den mittlerweile hohen Sonnenstand Anfang
Juni teils kräftig ausfallen konnten. Gefahr bei dieser windschwachen
Wetterlage (auch als barometrischer Sumpf bezeichnet) ging vor allem von
heftigem Starkregen aus, welchen einzelne langsam ziehende, teils ortsfeste
Gewitterzellen produzieren sollten. Initiiert werden konnten die Gewitter an
lokalen Konvergenzen (Zonen, an denen bodennahe Winde aus unterschiedlichen
Richtungen aufeinandertreffen und die Luft zum Aufsteigen zwingen), welche für
Vorhersagemeteorologen im Voraus teils schwer und nur zeitlich begrenzt
auszumachen sind. Nicht selten wird bei solchen Gewitterlagen im sogenannten
„Nowcasting“ das Unwetterpotential für gewisse Regionen eingegrenzt und der Warnbereich
in der Gegenwart konkretisiert. Mit diesem „Setup“ wurde in Mitteleuropa quasi
der Auftakt der ersten mehrtägigen Sommergewitterlage des Jahres eingeläutet.
Am
03.06. verlor das Tiefdruckgebiet vorübergehend seine kompakte Struktur. So
waren auf der Bodenwetterkarte von 00 UTC zwei Kerngebiete auszumachen, wobei
sich OLGER I bereits über Irland befand und OLGER II etwa 800 km südöstlich als
kleineres System an der Nordseeküste über den südlichen Niederlanden verweilte.
Dabei reichte eine Kaltfront von Kern I ausgehend über Großbritannien, den
Ärmelkanal und Frankreich hinweg bis an die Westküste der Pyrenäen.
Gleichzeitig schloss die mittlerweile quer über die Benelux-Staaten verlaufende
Warmfront an die Nordalpen an und brachte mit Verlagerung ostwärts einen
Luftmassenwechsel, der auch in Westdeutschland spürbar war. So wurde die
Festlandsluft der mittleren Breiten (xSp) hier allmählich von der wärmeren
südeuropäischen Subtropikluft (xS) abgelöst. Während in weiten Teilen des
Landes der Wind noch aus Ost wehte, drehte der Wind ausgehend vom Südwesten des
Landes auf West, was den Auftakt einer sich etablierenden Konvergenz über
Mitteldeutschland bedeutete. Der Osten blieb bei Sonnenschein im trockenen
Ostwind noch ausgespart, während es in der großen Westhälfte zu „brodeln“
begann. So bildeten sich bereits in den Morgenstunden ab 07 UTC einzelne
Gewitterzellen zwischen Bremerhaven und Hamburg. Später entwickelten sich auch
von Nordrhein-Westfahlen bis Baden-Württemberg einzelne Hitzegewitter, welche
rund um Minden und westlich von Hannover am stärksten ausfielen.
Am
04.06. hatte sich OLGER nur wenig weiter nordwärts verlagert, und so war das
doppelkernige System, dessen Augenmerk allmählich auf OLGER II lag, als Teil
einer Tiefdruckrinne über Mittel- und Westeuropa wiederzufinden. Während OLGER
I zwischen Island und Großbritannien an Wetterwirksamkeit für Europa verlor und
mit einem kräftigen Tiefdrucksystem über dem Nordatlantik verschmolz, trieb
OLGER II mit Kern über der Nordsee weiterhin sein Unwesen über Deutschland und
den Benelux-Staaten. Diesmal waren vor allem Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen von den Gewittern betroffen. Schwerpunkt
der Niederschläge war aber auch Luxemburg, wo verbreitet 20 mm, vereinzelt
sogar über 60 mm, fielen. In Suhl-Gehlberg, knapp 40 km südwestlich von Erfurt,
kamen bis zum nächsten Morgen rund 53 mm Regen runter. Nachdem mehrere Ortschaften
westlich von Erfurt von starkem Gewitter betroffen waren, traf es vor allem den
kleinen Ort Mosbach bei Eisennach recht heftig, in welchem sich die Straßen
zwischenzeitlich in reißende Ströme verwandelt hatten. Aber auch in mehreren westdeutschen
Städten kamen wie in Kall-Sistig am Südrand der Eifel oder Wermelskirchen im
Ruhrpott wieder beachtliche 24-stündige Niederschlagssummen zusammen.
Am
05.06. hatte es nun auch OLGER I in den Norden verschlagen. Wie ein kleiner
Satellit wurde das System, welches mittlerweile wieder ein einzelnes, also ein
Tief mit nur noch einem Kern, war, in die Randströmung des dominanten Tiefs im
Norden aufgenommen und litt auch kräftemäßig unter dessen Einfluss. Zwar war
dies an der noch fallenden Luftdrucktendenz des Randwellensystem (offener
Verlauf der Isobaren – Linien gleichen Luftdrucks) in Gegenwart des
Nordatlantiktiefs nur schwer auszumachen, wirft man jedoch einen genaueren
Blick auf die Wetterkarte, sieht man, dass die allgemeine Struktur der
Luftdrucklinien besser ausgeprägt war. Nicht zuletzt weisen Tiefs über dem
Festland oft einen geringeren Druck auf als über dem offenen Meer, was im Allgemeinen
mit Reibungseffekten über dem Land zu tun hat. Davon ist auch die Richtungskomponente
des Windes abhängig, welcher das Tiefdruckzentrum „auffüllt“. Mit ähnlicher Zugbahn griff jetzt das
Folgetief PETER auf Deutschland über und gestaltete das anhaltende
Gewittergeschehen. Derweil hieß es erneut: „Herdplatte an.“ In einer
weiträumigen Zone von Niedersachsen bis Bayern bildeten sich im Tagesverlauf
vermehrt Gewitter mit kräftigem Starkregen, welche, wie um Leipzig, fast
ortsfest verharrten. Hier gab es lokale Überschwemmungen, sodass Keller
vollliefen und die Feuerwehr zu zahlreichen Einsätzen ausrücken musste.
Meuselwitz und eine Station bei Goslar registrierten über 50 mm in 6 Stunden, was
deutlich den Unwetterschwellwert (>35 mm in 6 h) der Starkregenklassifikation
des DWD überstieg. Besonders die Mittelgebirge bieten für die
Gewitterentstehung ein hervorragendes „Sprungbrett“, und so bildeten sich hier Quellwolken
und erste Zellen, bevor es in den übrigen Landesteilen zu „brodeln“ begann. So
waren Harz, Thüringer Wald und Erzgebirge wieder zeitig dabei, wenn es um
Konvektionsauslöse ging.
Mit
vorübergehendem Verlust der kompakten Struktur des Islandtiefs ging auch Tief OLGER
langsam zugrunde. Während seine Okklusionsfront von der Nordküste Islands in
einem Bogen über das Europäische Nordmeer und die Nordsee an die Stauchungszone
von Tief PETER anschloss, tauchte es am 06.06.2021 letztmalig auf der 00 UTC
Bodenwetterkarte der BWK auf. Mit letzten Tropfen an der Station Bloenduos
(Nordküste Islands) verabschiedete sich das Tief endgültig von den Wetterkarten
und war tags darauf Geschichte. Mit anhaltender Präsenz der Bodenzyklone PETER
und seiner aktiven Konvergenz über Deutschland, blieb das Wetter vorübergehend
noch durchwachsen, bevor Hoch XENIA in Form eines stabileren Keils des
Azorenhochs für Wetterberuhigung sorgte und mit längeren sonnigen und trockenen
Abschnitten den Sommer zurück nach Mitteleuropa brachte.