Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet OTTO

(getauft am 19.03.2021)

 

Ein neues Tief, was einmal Einfluss auf das Wetter über Mitteleuropa haben sollte, bildete sich zum Ende der zweiten Märzdekade über dem äußersten Norden des Europäisch-Atlantischen Raums. Genauer gesagt entstand es über der Grönlandsee im Randbereich eines kräftigen Tiefdruckwirbels, der zu diesem Zeitpunkt mit Zentrum über Spitzbergen lag. Hier herrschten gleich mehrere günstige Bedingungen für eine Zyklogenese, etwa prallten sehr kalte Luftmassen arktischen Ursprungs, die mit dem Wirbel südwärts transportiert wurden, auf maritime Warmluft, die mit dem Hochdruckgebiet MARGARETHE westlich der Britischen Inseln nordwärts gesteuert wurde. Ferner dürften kleinräumige Störungen des Druck- und Temperaturfeldes in höheren Luftschichten (Kurzwellentrog) eine wesentliche Rolle gespielt haben. Nach Prognosen der Berliner Wetterkarte sollte sich in den folgenden 24 bis 48 Stunden ein eigenständiger Tiefdruckwirbel bilden, der entlang des Polarkreises ostwärts über Skandinavien ziehen und mit seinem Frontensystem bald schon Deutschland mit Schnee- und Regenfällen erreichen sollte. Folglich wurde das Tief an jenem 19. März in der Prognose für den Folgetag auf den Namen OTTO getauft.

Erstmals erfasst werden konnte Tief OTTO am frühen Morgen des 20. März etwa 400-500 km nordöstlich von Island. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Zyklone noch in einem sehr jungen Stadium, Meteorologen würden von Wellen- oder Randtief sprechen, der niedrigste Luftdruck betrug knapp unter 1005 hPa. Die sich organisierenden Ausläufer des Tiefs reichten als Kaltfront noch mehr als tausend Kilometer in südwestliche Richtungen über den Nordatlantik, die Warmfront dagegen spannte sich ostwärts über das Nordmeer bis vor die Norwegische Küste auf. Unter rasanter Weiterentwicklung zu einer eigenständigen Zyklone, der Kerndruck fiel bis zum Abend rasch auf unter 980 hPa, zog OTTO mit der Höhenströmung ostwärts Richtung Skandinavien. Bald schon kamen schauerartige Niederschläge entlang der Norwegischen Westküste auf, in Tromsø fielen innerhalb von 12 Stunden 4 l/m², in Bergen 8 l/m². Am meisten regnete es jedoch an der Messstation Laksfors, etwa 280 km nördlich von Trondheim mit 33 l/m². Nicht untypisch fiel verbreitet Regen, als die nur mäßig kalte Meeresluft aufs Land traf, vorübergehend stieg die Schneefallgrenze auf über 600 m an. Auch weiter im Landesinneren Skandinaviens setzen Niederschläge ein, ursächlich, weil mit dem Vordringen von Tief OTTO die alte Warmfront des Spitzbergentiefs reaktiviert wurde. In einem Streifen zwischen Lappland, Finnland und Baltikum kamen so neuerliche Regen-, Schneeregen- und Schneefälle auf, mitunter fiel auch gefrierender Regen. Die Mengen blieben mit meist 1-3 l/m² in 12 Stunden aber gering, z.B. wurden im nordschwedischen Luleå 2 l/m² und in Tallinn 3 l/m² gemessen. Durch kräftige Warmluftadvektion stiegen die Temperaturen an jenem Samstag hier deutlich in den positiven Bereich, nachdem am Vortag vielerorts noch Dauerfrost (oder leichte Plusgrade) herrschte. Aus Stockholm etwa wurden bis zu +7°C gemeldet, +8°C waren es in Oslo. Mit der Vertiefung der Zyklone lebte der Wind über Skandinavien spürbar auf, starke bis stürmische Böen gab es über dem Inneren Schwedens und Finnlands. Entlang der norwegischen Küste wurden verbreitet auch Sturmböen (Trondheim 85 km/h), an exponierten Stellen vereinzelt Böen bis Orkanstärke beobachtet, wie etwa auf der Insel Kvaløya (Station Sømna/Kvaloyfjellet) mit bis zu 137 km/h. In der sich anschließenden Nacht begann das Frontensystem bereits zu okkludieren, sprich Warm- und Kaltfront liefen vom Kern aus zusammen. Dies geschah zuerst über Skandinavien, mit der Folge, dass die schwachen Regenfälle nun mehr und mehr in Schnee übergingen. Die nächtlichen Niederschläge waren jedoch recht uneinheitlich verteilt. Während es von Mittel- über Südschweden bis nach Dänemark größtenteils trocken blieb, schneite bzw. regnete es über Finnland, Karelien bis zur Kola-Halbinsel mitunter kräftiger (z.B. Wyborg 8 l/m², St. Petersburg 9 l/m²). Weiterer Regen oder auch Schnee fiel entlang der Westküste Norwegens, in Tromsø waren es etwa zwölfstündlich 7 l/m². Gleichzeitig blieb der Wind lebhaft, verbreitet kam es zu Windböen von 50-75 km/h, hier und da auch zu Sturmböen, wie etwa im mittelschwedischen Lycksele (bis zu 84 km/h). Die Temperaturen erreichten unter den vielen Wolken, aber auch einigen größeren Wolkenlücken über Skandinavien wieder leichte Minusgrade (Oulu -1°C, Bodø -2°C), frostfrei blieb es im Süden Schwedens und Norwegens (Oslo +2°C, Stockholm +1°C). Unterdessen streifte die Kaltfront des Tiefs noch die Britischen Inseln (mit Wolkenfeldern aber ohne Regen), überquerte die Nordsee südwärts und erreichte in den frühen Morgenstunden bereits das Norddeutsche Tiefland. Hier setzte leichter Regen ein, wobei es bis um 06 UTC, was 08 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit entspricht, quasi überall nass wurde, meist lagen die 12-stündigen Regenmengen im Bereich von über 0 bis 3 l/m². Im frontalen Bereich lebte nun auch an den Küsten von Nord- und Ostsee bis ins Norddeutsche bzw. Nordpolnische Tiefland und dem Baltikum der Wind spürbar auf. Büsum meldete nachts um 04 UTC Sturmböen bis 80 km/h, am Kap Arkona auf Rügen blies der Wind zur selben Zeit mit 67 km/h (stürmisch), im litauischen Klaipėda gab es Windböen bis 43 km/h (starker bis steifer Wind).

Am Morgen des 21. März erreichte Sturmtief OTTO bereits den Höhepunkt in seiner Entwicklung, als der Kerndruck laut Analysen des britischen MetOffice bis auf 977 hPa fiel. Im nordfinnischen Rovaniemi wurde etwa um 00 UTC ein Wert von 977,7 hPa gemessen. In den folgenden Stunden stieg der Luftdruck bereits wieder leicht an, wobei sich der Kern über Finnland und Karelien in Richtung Nordwestrussland verlagerte. Hierdurch drang unter weiterem Okkludieren das Frontensystem über Deutschland und Polen bis zum Abend bis zu den Alpen und Karpaten voran. Bevor jedoch die kühlere Meeresluft auf der Rückseite des Wirbels Deutschland erreichte, schwappte im schmaler werdenden Warmsektor mildere Meeresluft bodennahe ein. Hierdurch stiegen die Temperaturen über weiten Teilen Deutschlands auf 7 bis 10°C an, gut 5°C mehr als noch am Vortag (vgl. Hamburg-Fuhlsbüttel +10°C nach +5°C). Während über der Mitte Deutschlands gebietsweise leichter Regen oder Sprühregen fiel, gingen die Niederschläge über Bayern, Österreich, Tschechien und Polen mehr und mehr in Schnee über. Hier lagerten noch Reste der zuvor eingeflossenen kalten trockenen Luft arktischen Ursprung, mit Temperaturen von nur wenig über Null Grad (Warschau +1 °C, Brünn +2°C, Wien +3°C). Die Intensität blieb mit nur wenigen Litern pro Quadratmeter (unter 2 l/m²) weiterhin gering, lediglich am Alpenrand (Garmisch-Partenkirchen 3 l/m²) oder über Westpolen und Schlesien (z.B. Breslau 7 l/m²) gab es etwas höhere Mengen. Mit der Verlagerung von Tief OTTO an jenem 21. März aus Skandinavien zogen auch die letzten Niederschläge hier ab, im finnischen Oulu wurden noch 1 l/m², in Kuopio 3 l/m² zwischen 06 und 18 UTC beobachtet. Gleichzeitig strömte auf der Rückseite des Wirbels nun wieder deutlich kühlere Luft aus subpolaren und polaren Regionen ein. In Nord- und Mittelskandinavien gab es wieder leichten Dauerfrost. Dagegen breiteten sich die Niederschläge weiter über Nordwestrussland (Weliki Nowgorod 3 l/m²), wie auch ins Baltikum und nach Weißrussland aus (Minsk 2 l/m², Vilnius 0,9 l/m², Riga 1,3 l/m²) verbreitet fiel dort Schnee. Dass die Niederschlagsmengen insgesamt recht gering ausfielen, hatte mit dem Entstehungsort des Tiefs zu tun. Zyklonen der subpolaren oder polaren Breiten können aufgrund der sie umgebenen kalten Luftmassen weniger Feuchtigkeit aufnehmen und speichern. So lagen beispielsweise die Temperaturen auf der Rückseite von Tief OTTO in einer Höhe von 1,5 km bei unter - 10°C. Bodennahe hingegen erreichten noch Reste der etwas milderen Luft von Nord- und Ostsee bzw. Mitteleuropa das Baltikum und Westrussland. Leichte Plusgrade gab es in St. Petersburg (+3°C), Helsinki (+4°C) oder auch Riga (+5°C). Im Einfluss des Tiefs blieb der Wind unverändert lebhaft, vor allem südwestlich des Tiefdruckzentrums bis nach Mitteleuropa wehte ein in Böen starker bis stürmischer Wind, z.B. in Berlin-Tempelhof bis 56 km/h, oder in Kopenhagen bis 50 km/h. Das Hauptwindfeld war jedoch weiter über Skandinavien, rund um die nördliche und mittlere Ostsee zu finden. Weiterhin kam es auch zu Sturmböen, wie etwa im finnischen Turku mit 87 km/h oder im schwedischen Sundvall mit 83 km/h, auf den Åland-Inseln wurden Windspitzen von bis zu 90 km/h gemessen. Nachts zog Tief OTTO mit leichten Schneefällen weiter ostwärts über Russland hinweg, während die Ausläufer bis nach Weißrussland und der Ukraine vorankamen. Unverändert gering blieben dabei die gemessenen Niederschlagsmengen, mit nur wenigen Litern oder gar Zehntel Litern pro Quadratmeter (z.B. Minsk 0,3 l/m², Moskau 0,4 l/m² in 12 Stunden). So hatten die Schneefälle kaum Auswirkungen auf das alltägliche Leben etwa in Zentral- und Nordrussland, weil der Schnee hier ohnehin noch mehrere Dutzend Zentimeter hoch lag. Mancherorts, wie etwa in Tscherepowez, nördlich von Moskau erhöhte sich die Schneedecke bis zum Morgen des 22. März 03 UTC um 4 cm auf insgesamt 50 cm. Im Osten Polens fielen dagegen bis zu 5 cm Neuschnee (z.B. Lubmin 4 cm). Unter den vielen, dichten Wolken sank das Thermometer im Westen Russlands und dem Baltikum meist nur in den leichten Frostbereich bis -5°C, über Skandinavien hingegen gab es beim Aufklaren über frisch gefallenem Schnee Tiefstwerte unter -10°C, in Lappland auch strengen Frost von unter -20°C. Überraschender Weise schneite es auch noch über dem Alpenraum, wo frontale Reste von Tief OTTO lagerten, teils sogar mit stärkerer Intensität (Innsbruck 12-stündlich 10 l/m², Berchtesgaden 12 l/m²). In einigen Alpentälern wurde es noch einmal winterlich, wie etwa in Innsbruck, wo 14 cm Neuschnee fielen, oder in Oberstdorf, wo die Schneedecke bis zum Morgen des 22. März auf 21 cm anwuchs.

Etwa zur gleichen Zeit wurde Tief OTTO mit Zentrum über Nordwestrussland, im Gebiet Archangelsk verortet. Der Luftdruck lag am Tagesbeginn (um 00 UTC) bei nur noch knapp unter 985 hPa. Die Ausläufer waren mittlerweile vollständig okkludiert und spannten sich vom Kern aus in einem langen Bogen südwärts über den Moskauer Raum und Kiew bis nach Krakau und Budapest und sogar noch ein Stückchen weiter bis südlich der Alpen. Trotzdem sich die Okklusionsfront in den folgenden Stunden über dem südlichen und südöstlichen Mitteleuropa rasch auflöste, blieb es über großen Teilen Deutschlands wolkenreich (tiefhängende Stratocumulus-Wolken auf 500-1000 m) und mit Höchstwerten von unter 10°C, südlich der Mittelgebirge auch unter 5°C, vom Wettercharakter her kühl. Gebietsweise fiel sogar noch etwas Regen, oberhalb von 400 bis 600 m auch Schneeregen oder Schnee, wie etwa im Westerbergland, Hessischem Bergland oder den Bayrischen Alpen. Mit dem Vorstoß eines Hochdruckkeils aus Westeuropa verlor Tief OTTO jedoch schon bald den letzten Einfluss auf das Wetter über Mitteleuropa und auch über Osteuropa ließ die Bedeutung allmählich nach. Dagegen bestimmte der Wirbel über Russland weiter das Wetter, wo sich zeit- und gebietsweise die leichten Schneefälle fortsetzten und gleichzeitig Richtung mittlerer Wolga und Uralvorland ausdehnten. Beobachtet wurden in Kasan 0,2 l/m² (Wolgaregion), in Smolensk 0,5 l/m² (Westrussland) und in Moskau 1,0 l/m². Geringfügig stärker fielen die Schneefälle in Nähe zum Tiefdruckzentrum, also über den Regionen Archangelsk und Wologda aus, wobei auch hier die Intensität bei unter 5 l/m² in 12 Stunden lag (Syktyvkar 2 l/m², Uchta 3 l/m²). Auch anhand der Temperaturen machte sich das Tief hier bemerkbar, vor allem über Zentral- und Nordwestrussland, wo es etwas milder als an den Vortagen wurde. Leichte Plusgrade wurden mitunter bis ins nordwestrussische Tiefland verzeichnet. An der Wetterstation in Kotlas, 480 km südlich von Archangelsk, stieg die Temperatur bis auf +1°C, nachdem sie tags zuvor -3°C nicht überschritt. Und in Uchta, einer Kleinstadt in der Komi-Republik, gab es nach Tagen mäßigen bis strengen Dauerfrosts nur noch leichten Frost bei -3°C zu verzeichnen. Der Wind war vor allem noch südlich des Tiefdruckzentrums, jetzt also über Zentralrussland und den Wolgaregionen aktiv, mit einzelnen Windböen bis 50 km/h. Doch mit der weiter voranschreitenden Abschwächung der Zyklone, der Luftdruck stieg auf knapp über 990 hPa zum Abend, sollte der Wind bald schon keine Rolle mehr spielen.

Dafür hatte Tief OTTO auch am 23. März noch maßgeblich Einfluss auf die Niederschlags- und Bewölkungssituation über Teilen Russlands. Das Zentrum befand sich um 00 UTC über der Petschora-Niederung, wo in Narjan-Mar ein Luftdruck von 994,3 hPa gemessen wurde. Von hier aus spannten sich die Ausläufer nach wie vor mehrere 1000 km südwärts quer über Russland bis zur Ukraine. Mit dem Vordringen des Tiefs Richtung Uralgebirge waren weitere leichte Schneefälle über dem europäischen Teil Russlands verknüpft, wenngleich die Niederschlagsintensität immer weiter zurückging. Ob in Workuta ganz im Norden Russlands (0,3 l/m²), in Samara an der mittleren Wolga (0,4 l/m²) oder im Uralvorland in Perm (0,5 l/m²), quasi überall lagen die zwischen 03 und 15 UTC registrierten Niederschläge bei nur noch wenigen Zehntel Litern pro Quadratmeter. Mit Ausnahme des hohen Nordens erreichten die Temperaturen über dem europäischen Russland dabei leichte Plusgrade. Nun wurden auch in Syktywkar, Hauptstadt der russischen Komi-Republik, +3°C gemessen, in Dimitrowgrad an der Wolga waren es +5°C und in Sankt Petersburg +4°C. Damit hatte Tief OTTO, obwohl von den Wettererscheinungen her eher ein schwächeres Tief, es geschafft die ganz große Kälte aus Russland zu vertreiben. Der russische Winter mit Schnee, zugefrorenen Seen und Nachtfrösten sollte sich allerdings noch ein paar Wochen länger halten.

Bevor die Zyklone von den Wetterkarten verschwand, wurde sie ein letztes Mal in den Frühstunden des 24. März analysiert, mit dem Zentrum über der Jamal-Halbinsel, also bereits über dem asiatischen Teil Russlands. Ausläufer reichten noch weiter südwärts etwa entlang des Flusses Irtysch und Ob bis zur westsibirischen Stadt Tobolsk. In den folgenden Stunden zog Wirbel OTTO nordostwärts Richtung Karasee ab, wo er sich bald schon auflöste.