Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet PAUL
(getauft am 20.06.2017)
Gebirge und
großräumige Temperaturkontraste sorgen dafür, dass in der mittleren bis oberen
Troposphäre, also in etwa 4 bis 12 km über dem Boden, Wellen gebildet werden.
Diese sogenannten planetarischen
Wellen ziehen mit der großräumigen Westströmung über die mittleren
Breiten. Wellenberge oder Keile,
sind dabei angefüllt mit milder, subtropischer Luft, welche nach Norden
transportiert wird. Wellentröge führen
im Gegensatz dazu Luft polaren Ursprungs nach Süden. Für das Wetter am Boden
sind diese Gebilde von großer Bedeutung, da durch sie dynamische Hoch- und
Tiefdruckgebiete entstehen und gesteuert werden. So entwickelte sich zum 20.
Juni 2017 auf der Vorderseite eines kurzwelligen Troges über dem zentralen
Nordatlantik ein Bodentief, welches nach den Vorhersagen an den folgenden Tagen
mit seinen Fronten nach Europa ziehen sollte. Daher wurde das neue
Tiefdruckgebiet als Prognosetaufe mit dem Namen PAUL belegt.
In der Nacht
zum 21. Juni zog die Zyklone PAUL der Nordostströmung auf der Trogvorderseite
folgend bis etwa 500 km westlich von Irland. Der Druck im Kern lag bei ungefähr
1008 hPa, wobei Tief PAUL großräumig gesehen zu einem weiteren kräftigen
Tiefdrucksystem zwischen Grönland und Island gehörte. Durch die zyklonal
rotierende Windströmung, also gegen den Uhrzeigersinn um den Kern, bildete sich
vom Zentrum in Richtung Osten eine Warmfront aus, welche zum Nachttermin über
Irland und England bis zum Ärmelkanal verlief. Dort ging sie in eine angrenzende
Kaltfront über. Vom Tief PAUL in Richtung Süden über den Nordwestatlantik wurde
weiterhin eine Kaltfront analysiert. Diese war im Tagesverlauf nicht besonders
wetterwirksam und kam auch kaum bis an die Küstenregionen Westeuropas voran.
Mit Verlagerung des Tiefdruckzentrums in Richtung Osten überquerte die
Warmfront Großbritannien, den Ärmelkanal und Nordfrankreich und brachte den für
Warmfronten typischen stratiformen Niederschlag, also
Regen aus Schichtbewölkung. An der Station Warcop
Range beispielsweise fielen zwölfstündig bis 20 Uhr MESZ 8 l/m². Am Flughafen
von Belfast waren es im selben Zeitraum 0,4 l/m² und in Nottingham nur einige
Tropfen, ebenso in den folgenden 6 Stunden in Lille. Viel entscheidender für
das Wetter an diesem Tag war die subtropische Luftmasse, welche vor der
Kaltfront vom Mittelmeer und der Iberischen Halbinsel nach Norden über
Frankreich geführt wurde. In dieser Luftmasse wurden Höchsttemperaturen von
über 37°C, wie in Paris oder Toulouse, erreicht. Durch Hebung der Luft,
besonders an den Alpen und den Pyrenäen, entstanden am Nachmittag auch einzelne
Gewitter. Lokal sorgten diese für recht hohe Niederschlagsmengen. In Geisingen
fielen in einer Stunde 16,1 l/m² und in Moia 14,8 l/m²
zwischen 15 und 16 Uhr MESZ. Später, zwischen 19 und 20 Uhr, waren es im
schweizerischen Mengen 10,9 l/m². Abseits dieser einzelnen Gewitter und der
Fronten endete der Tag mit beispielsweise 13 Sonnenstunden in Paris und knapp
15 Stunden in Berlin-Dahlem.
Auf der
Analysekarte von 02 Uhr MESZ des 22. Juni war der Wirbel PAUL Teil einer
Tiefdruckkette mit mehreren Kernen von Island über Schottland bis England. Der
Kerndruck hatte sich dabei nicht verändert und weiterhin wurden eine Kalt- und
eine Warmfront analysiert. Die Kaltfront begann jedoch südlich des Kerns über
Nordostengland die Warmfront einzuholen, wodurch eine Okklusion, also eine
Front mit Warm- und Kaltfrontcharakter, entstand. Das Kerngebiet zog bis zum
Morgen über die Nordsee und ließ dort bereits erste Gewitter entstehen, welche
nach Südosten zogen und am Vormittag bis 14 Uhr MESZ Norddeutschland
überquerten. In Königsmoor wurden sechsstündig 21,9 l/m² gemessen. In Schwerin
waren es 10,9 l/m² und in Wittstock noch 5,3 l/m² im selben Zeitraum.
Instabilität und Bodenfeuchte, die Grundzutaten für Gewitter, waren durch die
weiter nach Norden geführte subtropische Luftmasse nun auch im übrigen
Mitteleuropa gegeben. Allerdings dauerte es bis zum Nachtmittag, dass die
Sonneneinstrahlung zur Auslösung von Konvektion sorgte. Bis dahin hatte sich
die Temperatur besonders in Südwestdeutschland auf teils über 35°C erhöht.
Zusätzlich begünstigt wurden Gewitter an einer sogenannten Konvergenzlinie, die sich in der
Luftmasse bildete. An diesen Linien strömt die Luft großräumig zusammen und
muss dadurch aufsteigen, was zur Bildung von Quellwolken führt. Nach dieser
Auslösung kann die potentielle Energie der Luftmasse in Gewittern freigesetzt
werden. Zwischen 17 und 18 Uhr MESZ verzeichnete die Wetterstation von
Neu-Ulrichstein 42 l/m². Drei Stunden später wurden in Raschau
12,5 l/m² erreicht und in der Nacht zwischen 22 und 23 Uhr, als die Gewitter
weiter nach Osten zogen, meldete der Flughafen Berlin-Schönefeld noch 16,5 l/m².
In der European Severe
Weather Database (ESWD), welche Schäden durch
Extremwetter in Europa sammelt, wurden durch die Gewitter vor allem Windschäden
über Deutschland gemeldet. Vereinzelt trat jedoch auch Hagel mit 2 bis 3 cm
Durchmesser auf.
Derweil
intensivierte sich die Windströmung in der mittleren Troposphäre über dem
Nordostatlantik bis Zentraleuropa in Form eines sogenannten Jets, welcher dafür sorgte, dass sich
Tief PAUL am 23. Juni rasch von Dänemark ostwärts über Polen und die Ukraine
verlagerte. Dabei verstärkte sich der Kerndruck auf etwa 1003 hPa. Das
Frontensystem war vom Tiefdrucksystem über Island bis zum Kern des Wirbels PAUL
okkludiert und spaltete sich dort in die Warmfront nach Südosten und die
Kaltfront nach Südwesten auf. Diese zogen im Verlauf des Tages über Osteuropa
und sorgten damit für großräumige Hebung. Somit bildeten sich in der noch
energiereichen Luftmasse weitere Gewittersysteme. Zwölfstündig bis 20 Uhr MESZ
meldeten die Stationen in Mlawa 16 l/m², im
slowakischen Kamenica 21 l/m² und im rumänischen Iezer 28 l/m². Die Unwetter verursachten erneut großräumige
Windschäden, jedoch bildeten sich auch einzelne besonders starke Gewitter,
sogenannte Superzellen. Diese
sind besonders langlebig und intensiv, da sie einen rotierenden Aufwindbereich
besitzen, welcher dafür sorgt, dass immer weiter neue Luft und damit Energie in
das Gewitter hineingezogen werden kann. In ihrer Zugbahn, wie beispielsweise
über dem östlichen Slowenien, wurde an diesem Tag auch Hagel von bis zu 5 cm
Durchmesser produziert. Eine weitere Superzelle sorgte in Österreich bei Gleinstätten sogar für einen schwachen Tornado, welcher
einige Häuser abdeckte. Hinter der Kaltfront floss nun etwas kühlere
subtropische Meeresluft nach Mitteleuropa ein, in der sich dichte Wolkenfelder
bilden konnten. In Berlin stiegen die Temperaturen dabei nur noch auf ungefähr
23°C bei knapp 1 bis 2 Stunden Sonne. Weiter südlich, wie in Frankfurt am Main,
setzte sich die Sonne mit einer Tagessumme von 9 Stunden mehr durch und ließ
die Temperaturen auf 29°C steigen.
Um 02 Uhr
MESZ des 24. Juni wurde Tief PAUL mit unveränderten 1003 hPa Kerndruck bereits
über der östlichen Ukraine analysiert. Die Okklusion hing dabei etwas hinterher
und zog sich in einem Bogen zunächst in Richtung Westen und anschließend nach
Nordwesten über Polen und Schweden bis zum Tiefdrucksystem QUIRIN bei Island.
Auch die Kaltfront von Wirbel PAUL lag noch immer über Spanien, Italien und
Bulgarien und verhielt sich nun mehr oder weniger stationär, während das
Kerngebiet mit der recht kurzen Warmfront an diesem Tag rasch weiter nach
Nordosten über Westrussland zog. In den zwölf Stunden bis 08 Uhr MESZ konnten
zum Beispiel in Obojan noch 21 l/m² registriert
werden. In Simferopol an der Nordküste des Schwarzen Meeres waren es im selben
Zeitraum 18 l/m².
An den
folgenden zwei Tagen verlagerte sich die Achse des Höhentrogs weiter über
Europa und auf dessen Vorderseite wurde Tiefdruckgebiet PAUL nordwärts geführt.
In dieser günstigen Position verstärkte es sich noch einmal auf unter 995 hPa,
während die Front zunehmend okkludierte und sich nur noch schwach über Russland
auswirkte. Zwischen 08 und 20 Uhr MESZ des 25. Juni registrierten
beispielsweise Moskau nur 1 l/m² und Petrosawodsk 2 l/m² Regen. In den darauffolgenden
12 Stunden waren es in Raznavolok am Weißen Meer noch
einmal 4 l/m². Mit der Nordströmung wurde die recht milde Luft über
Westrussland geführt. Am 26 Juni stiegen die Temperaturen in Moskau auf an die
25°C. Zwei Tage zuvor waren es noch unter 20°C gewesen. Bis zum folgenden Tag
zog Tief PAUL weiter nach Nordosten ab und verschwand damit aus dem
Darstellungsbereich der Berliner Wetterkarte.
Geschrieben
am 22.08.2017 von Jannick Fischer
Berliner
Wetterkarte: 23.06.2017
Pate:
Quintus-Paul Johann