Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet QUASIMODO

(getauft am 24.03.2021)

 

Bedingt durch den tiefen Luftdruck über Grönland wurden mit der daraus resultierenden zyklonalen Strömung, also einer Strömung gegen den Uhrzeigersinn, am 23.03.2021 sehr kalte arktische Luftmassen an Grönlands westlicher Flanke nach Süden in Richtung Neufundland gelenkt. Durch die große Temperaturdifferenz zwischen der kalten Luft und dem vergleichsweise warmen Wasser konnten sich die bodennahen Luftschichten erwärmen und durch die entstandene labile Schichtung aufsteigen. Aufgrund der dadurch verursachten bodennahen Divergenz entstand daraufhin an der Südspitze Grönlands über der Labradorsee ein Gebiet niedrigeren Drucks, welches von der Berliner Wetterkarte zum 24.03.2021 in der Analyse auf den Namen QUASIMODO getauft worden ist. Das Tiefdruckgebiet überquerte in den kommenden Tagen als klassisches Islandtief mit seinen Frontensystemen den Atlantik, Island und das Europäische Nordmeer, bis es sich nach einer knappen Woche in der Barentssee wieder auflöste.

 

Bereits am Nachmittag des 23. März war auf der Karte des Bodendrucks an der Polarfront über der Labradorsee zwischen Grönland und Neufundland in Kanada ein Bereich niedrigeren Drucks zu erkennen. In diesem Gebiet entstehen an der Polarfront, also der Grenze zwischen kalter arktischer Luft und warmer tropischer Luft, insbesondere in den Wintermonaten durch die Kaltluftausbrüche ausgehend von Kanada oder der Polregion oft Tiefdruckwirbel, welche dann mit der üblicherweise vorherrschenden zonalen Strömung den Atlantik Richtung Europa überqueren.

 

Mit der weiteren Druckabnahme begann das Gebiet als eigenständiges Tief in der Nacht zum 24. März zu rotieren und tauchte in der Karte vom 24.03.2021 00 UTC (also 01 Uhr MEZ) erstmals namentlich als Tief QUASIMODO auf. Der Kerndruck sank in der Nacht rasch von knapp unter 1000 hPa auf unter 990 hPa. Dabei verlagerte sich das Druckgebilde bis zum Mittag nach Osten um die Südspitze Grönlands herum. Durch die zyklonale Rotation des Tiefs begannen die nach Westen Richtung Neufundland verlaufende Kaltfront und die auf den Atlantik hinaus reichende Warmfront sich bogenförmig um den Kern herumzulegen und in der Nähe von diesem bereits zu okkludieren. Bei diesem Vorgang wird die vorangehende Warmfront von der dahinter liegenden Kaltfront eingeholt und beide „verschmelzen“ zur sogenannten Okklusionsfront.

 

Im Tagesverlauf verlagerte sich das Tief QUASIMODO mit seinen Fronten weiter nach Osten und lag am 25.03.2021 00 UTC rund 500 km südwestlich von Island. Der Kerndruck ist weiterhin gesunken und lag nun bei etwa 985 hPa. Mit dem stark ausgeprägten Kaltluftsektor, also dem Bereich, in dem hinter der Kaltfront kalte Luftmassen herangetragen werden, wurden polare Luftmassen auf den Atlantik geführt. Da die Fronten bislang ausschließlich auf dem offenen Meer lagen, konnten noch keine signifikanten Wettererscheinungen im Zusammenhang mit dem Wirbel QUASIMODO beobachtet werden. Das änderte sich dann ab den frühen Morgenstunden des 25. März, als die Zyklone Island erreichte und ihre Warmfront die Britischen Inseln überquerte. Der Kern lag nun bei einem Luftdruck von rund 980 hPa bei Reykjavik und hatte sich an ein anderes schwaches nicht benanntes Tief über Island angeheftet. Die Warmfront überquerte am Morgen zunächst Irland, gegen Mittag Schottland und brachte dort verbreitet Niederschläge, die mit unter 5 mm in zwölf Stunden gering ausfielen. Dublin, Glasgow und Edinburgh meldeten Mengen von unter 1 mm, London 2 mm. Im Ort Stornoway auf der nördlichen schottischen Insel „Lewis and Harris“ fiel mit 9 mm die größte Menge. Trotz der Warmfront stiegen die Temperaturen im Gebiet des Warmsektors, also dem Gebiet zwischen Warm- und Kaltfront, durch die dichte Bewölkung im Vergleich zu den Vortagen nicht nennenswert an. Die Tageshöchstwerte lagen in England, Irland und Wales bei 12-15°C, wie z.B. in London mit 14°C, Bristol mit 13°C und Dublin mit 12°C. In Nordirland und Schottland blieb es mit 8-12°C etwas kühler, so erreichten die Werte 9°C in Glasgow und 12°C in Belfast. Dabei wehte verbreitet ein starker bis stürmischer Wind aus südwestlicher Richtung. In der Nähe der schottischen Stadt Inverness wurde eine Böe von 65 km/h gemessen, in Edinburgh 52 km/h und auf Stornoway 54 km/h. In exponierten Lagen, wie auf der 1237 m hohen Bergstation des Cairngorm wurden mit 122 km/h eine Orkanböe erfasst. Auch über Island zeigte sich die Front wetterwirksam, dort waren Warm- und Kaltfront bereits okkludiert. Die meist schwachen Niederschläge fielen dabei überwiegend in Form von Schnee, nur an der südlichen Küste Islands war bei leichten Plusgraden auch Regen darunter. In Reykjavik fielen 3 cm Neuschnee bei Temperaturen von 1°C. Entsprechend der Lage des Kerns über der Insel waren die Winde am Morgen schwach und umlaufend. Das Tief spaltete sich zum Abend hin in zwei Teile auf, Tief QUASIMODO I an der südlichen Küste Islands und Tief QUASIMODO II östlich von Island. Dadurch gelangte die Westküste der Insel auf die starke Rückseitenströmung, was die Winde stark ansteigen ließ. Je nach geographischer Lage wurden teils schwere Sturmböen gemessen, auf den Bergen auch Orkanböen, wie beispielsweise an der Station Lambavatn mit 94 km/h, Skrauthólar bei Reykjavik mit 91 km/h und auf dem Hafursfell mit 126 km/h, jeweils im Westen Islands. Die starken Winde erreichten den Ostteil der Insel erst am darauffolgenden Tag.

 

In der Nacht zum 26. März überquerte die Kaltfront des Tiefdruckkomplexes QUASIMODO I und II die Britischen Inseln. Abermals fielen die Regenmengen dabei eher gering aus. Auf Irland lagen die nächtlichen Niederschlagssummen überwiegend bei 5-10 mm, in Schottland und Wales bei 0-5 mm. So wurden in Cork in Irland 7 mm, in Edinburgh 3 mm, in Bristol 5 mm und in Liverpool unter 1 mm erfasst. Bis zum Abend erreichten die Niederschläge auch England, so wurden in London 4 mm gemessen. In Wales und Schottland hielten die Regenfälle bis zum Morgen des 27. März an, sodass hier innerhalb von 48 Stunden verbreitet 15-20 mm zusammen kamen. Mit dem Durchzug der Kaltfront gingen auch die Temperaturen zurück. Diese erreichten am 26. März nur noch Werte von 7-12°C, wie in Dublin mit 8°C, Liverpool mit 11°C und Edinburgh mit 9°C. Mit der kalten Strömung gingen die Niederschläge bei stärkerer Intensität teils als Schnee nieder, so meldeten Stationen in der Nähe von Dublin oder Belfast gegen Abend Schneefall, auch Graupelschauer traten häufiger auf. Der Wind drehte auf westliche Richtung, blieb aber weiterhin frisch und an den Küsten stürmisch. Auch im Londoner Raum wurden mit 70 km/h stürmische Winde gemessen, in Manchester waren es 50 km/h, in Waterford auf Irland 65 km/h. Gegen Abend erreichte eine weitere schwache Okklusionsfront vom Tief QUASIMODO I ausgehend die irische Küste, die aber kaum wetterwirksam war und sich dort rasch auflöste. Am Abend des 26. März wurde mit knapp unter 975 hPa im Kern der vorerst niedrigste Kerndruck in der Zyklone QUASIMODO II gemessen, zuvor gegen Mittag hatte auch Tief QUASIMODO I einen ähnlichen Wert erreicht.

 

Insgesamt verlagerte sich der Tiefdruckkomplex nun weiter in nordöstliche Richtung auf das Europäische Nordmeer in Richtung Spitzbergen. Die ausgeprägte Kaltfront, um 00 UTC des 27. März von der norwegischen Küste über die Nordsee, Frankreich und der Biskaya bis zur Iberischen Halbinsel reichend, verlagerte sich ebenfalls Richtung Osten und advehierte kühlere Polarluft auf das europäische Festland. Die Kaltfront sorgte entlang der norwegischen Küste für mäßige Niederschläge im Stau des Skandinavischen Gebirges. So fielen in der Nacht zum 27. März in den Küstenregionen verbreitet 5-15 mm Regen, in Staulagen teils bis zu 30 mm. In dem norwegischen Küstenort Bergen fielen 11 mm Niederschlag, in Stavanger 6 mm und in Takle 21 mm. Ab einer Höhe von rund 400 m über NN ging der Regen in Schnee über, brachte aber keine großen Neuschneemengen.

Die Kaltfront überquerte im Tagesverlauf des 27. März die Berge und brachte sowohl dem Norden Norwegens als auch Schweden weitere meist geringe Niederschläge unter 10 mm, in Oslo wurden 3 mm in zwölf Stunden gemessen. Die Winde erreichten in den höher gelegenen Regionen und an den Küsten örtlich Sturmstärke, blieben ansonsten aber eher mäßig. In der Küstenstadt Bergen wurden 65 km/h gemessen, in Ålesund 67 km/h, in Kristiansand nur 37 km/h. Die Kaltfront brachte auch Dänemark, Belgien, Niederlande, Frankreich und dem Nordwesten Deutschlands Niederschläge. Diese waren dabei zwar fast flächendeckend, lagen aber meist nur bei Summen von wenigen Millimetern. So wurden in Paris 3 mm, in Rotterdam 8 mm, in Dortmund 2 mm, in Hamburg 4 mm und in Flensburg 1 mm Regen in zwölf Stunden gemessen. Selbst an der spanischen Küste bei Bilbao sorgte die Kaltfront noch für geringe Niederschläge von 1 mm. Im Tagesverlauf erreichten die Niederschläge auch den Osten Deutschlands und den Alpenraum. Dabei fielen in Greifswald 6 mm, in Berlin-Dahlem 2 mm und in Oberstdorf 8 mm. Entlang der Mittelgebirge gingen die Schauer teils als Schnee nieder. Entlang der Front konnten dabei auch öfters teils gewittrige Graupelschauer beobachtet werden. In den Schweizer Alpen fielen Niederschlagsmengen von 5-10 mm, entlang des Alpenhauptkamms fielen sie mit bis zu 25 mm etwas höher aus. So konnten in Bern, ebenso wie in Romont 12 mm gemessen werden, in L‘Auberson auf rund 1100 m über NN waren es 20 mm. Der Durchzug der Kaltfront erfolgte, insbesondere über Deutschland, mit teils schweren Sturmböen auch in tiefen Lagen. Weinbiet in Rheinland-Pfalz erfasste eine Böe mit 83 km/h, ebenso die Wetterstation Berlin-Dahlem. Südlich von Berlin konnte in Baruth mit 89 km/h eine schwere Sturmböe gemessen werden, auf dem Brocken war es mit einer orkanartigen Böe von 115 km/h am windigsten. Die Niederschlagsfront schwächte sich am Abend ab und war an den kommenden beiden Tagen noch über Osteuropa in verminderter Form wetterwirksam, nun angeknüpft an eine schwache, in einer Wellenstörung vom Wirbel QUASIMODO neu entstandenen, unbenannten Zyklone, die sich vom Skagerrak nordöstlich nach Schweden verlagerte und sich dort am Abend des 28. März auflöste.

 

Da der Weg nach Osten durch das weit nach Norden aufkeilende, über Osteuropa liegende Hoch MARGARETHE blockiert war, kam der Tiefdruckkomplex QUASIMODO am 28. März zwischen Grönland und Spitzbergen bei der Insel Jan Mayen zum Stillstand. Dort wurde abermals ein Kerndruck von rund 975 hPa gemessen, der geringste gemessene Wert wurde bereits zuvor am Abend des 27. März mit 974 hPa auf Jan Mayen registriert. Die Warm- und Kaltfront waren nun vollständig okkludiert, die Okklusionsfront reichte am 28.03.2021 00 UTC ausgehend von der Insel Jan Mayen bogenförmig über Spitzbergen und die nördliche Spitze Norwegens zum Kern des bereits erwähnten unbenannten Tiefs über Schweden. Sie brachte insbesondere dem Norden Norwegens in der Nacht noch einmal leichte Niederschläge, an den Küsten als Regen, im Landesinneren als Schnee. Die Niederschlagssummen blieben dabei mit unter 5 mm in zwölf Stunden gering, in Tromsø wurden 3 mm ermittelt, in Bodø 2 mm. Der Südwestwind wehte dabei meist nur frisch, vereinzelt durch den Küsteneffekt auch stürmisch wie an der Station Fruholmen Fyr am Nordkap in Norwegen mit 80 km/h. Die Reste der Okklusionsfront erreichten gegen Nachmittag auch Finnland, nennenswerte Niederschlagsmengen fielen dort aber nicht mehr.

In der Nacht zum 29. März löste sich der Wirbel dann zwischen den Inseln Jan Mayen und Spitzbergen allmählich auf. Über der Barentssee konnte sich vom Abend des 28. März bis zum darauffolgenden Abend noch ein kleiner Tiefdruckwirbel ausbilden. Dieser wurde auch noch als QUASIMODO bezeichnet und bestand aus den Überresten der Okklusionsfronten und sorgte an den Küstenregionen Finnlands und Russlands für geringe Regen- und Schneefälle. Gegen Abend des 29. März hatte sich auch dieser Wirbel aufgelöst und QUASIMODO war nicht mehr auf den Wetterkarten der Berliner Wetterkarte erkennbar, womit die Lebensgeschichte hier endet. Die Reste der Fronten bestimmten zusammen mit der nachfolgenden Zyklone RAMA, die eine ähnliche Zugbahn wie Tief QUASIMODO zurückgelegt hatte, das Wetter der nächsten Tage.

Insgesamt nahm die Zyklone also den Verlauf eines klassischen Islandtiefs und war während ihrer Lebensdauer von knapp einer Woche vor allem über den Britischen Inseln und der Nordseeregion wetterwirksam. Mit dem Durchzug einer markanten Kaltfront am 27. März wurden in Deutschland gewittrige Regen-, Schnee- und Graupelschauer sowie Sturmböen über dem Osten Deutschlands erfasst.