Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet REINHARD

(getauft am 01.07.2015)

 

Zum Ende des Monats Juni 2015 stellte sich die Wetterlage über dem atlantisch-europäischen Raum in der mittleren Troposphäre, also einer Höhe zwischen 3 und 6 km, so dar, dass ein breiter Hochdruckkeil, der sich ausgehend vom westlichen Mittelmeer über West- und Mitteleuropa bis nach Südskandinavien erstreckte, von zwei Höhentrögen über dem Ostatlantik und Osteuropa flankiert wurde. Ein Höhentrog stellt dabei ein Gebiet niedrigen Luftdrucks in der Höhe dar, welches zumeist mit Kaltluft angefüllt ist. Mit dem atlantischen Höhentrog war wiederum ein umfangreiches Tief verknüpft, dessen Zentrum sich sowohl am Boden, als auch in der Höhe einige Tausend Kilometer südlich von Island und westlich der Britischen Inseln befand. Dagegen stützte der Höhenkeil eine schwache Hochdruckzone über West- und Mitteleuropa, in der die Temperaturen bei reichlich Sonnenschein auf sommerliche Werte von 25 bis 30°C stiegen. Deutlich heißer mit Temperaturen von 35 bis 40°C war es dagegen in Spanien und Südfrankreich, da auf der Vorderseite des Höhentroges heiße Subtropikluft aus Nordafrika nach Südwest- und Westeuropa transportiert wurde.

Mit Annäherung des Troges vom Atlantik kam es im Laufe des 30. Juni zu einem Druckfall über dem westeuropäischen Raum, wobei sich aber kein abgeschlossenes Tief, sondern vielmehr eine flache Tiefdruckrinne über der Biskaya, der Bretagne und der Iberischen Halbinsel ausbildete. Ähnlich einem Tal kann die Luft in solch einem Bereich aus unterschiedlichen Richtungen zusammenströmen und wird dadurch zum Aufsteigen gezwungen, worauf sich dort Quellbewölkung bildet und schließlich Schauer und Gewitter entstehen. Diese wetteraktive Zone wird in der Meteorologie auch Konvergenz oder Konvergenzlinie genannt. Eine ebensolche Konvergenz bildete sich bis zum Tagesende über dem äußersten Westen Frankreichs aus. Zu diesem Zeitpunkt befand sich am östlichen Rande von Atlantiktief QUINTUS ein schwacher Bodentrog, in den Tiefdruckrinne mitsamt Konvergenz eingebettet waren und dessen Zentrum ein kleinräumiger Tiefdruckkern über dem westlichen Kanalausgang markierte.

In der weiteren Entwicklung sollte die Tiefdruckrinne von Frankreich her auch auf die Benelux-Staaten und den Westen Deutschlands übergreifen, und so wurde das mit der Rinne verknüpfte Randtief am 01. Juli auf den Namen REINHARD getauft.

Erste vereinzelte schwache Schauer griffen zusammen mit der Tiefdruckrinne bereits in der Nacht auf den äußersten Westen Frankreich über, viel mehr als 2 l/m² in 12 Stunden, wie beispielsweise in Challons nahe La Roche, wurden aber nicht registriert. Auch tagsüber hielt sich die Niederschlagsneigung, von einzelnen leichten Schauern mit weniger als         1 l/m² über der Bretagne und dem Südwesten Englands abgesehen, in Grenzen. Allerdings gelangte aus Süden weiterhin sehr heiße, aber vergleichsweise trockene Luft nach Westeuropa, sodass für stärkere Wolken- und Niederschlagsbildung schlicht die Feuchte fehlte. Folgend kletterten die Temperaturen begünstigt durch reichlich Sonnenschein an diesem Tag auf rekordverdächtige Werte. In England wurden in London-Heathrow etwa 36,7°C gemessen, in Frankreich waren es in Paris 39,7°C, in Vichy gar 40,1°C, in Antwerpen 35,0°C und in Rotterdam 34,4°C. Nach Osten hin konnte sich die Heißluft bereits bis ins Rheinland ausbreiten, so wurden z.B. in Düsseldorf maximal 33,7°C und in Trier-Petrisberg 35,5°C gemessen.

Unterdessen wurde das Tief REINHARD mit nördlicher Höhenströmung Richtung Schottland geführt. Damit kam die Tiefdruckrinne, samt eingelagerter Konvergenz langsam weiter ostwärts voran und erstreckte sich in der Nacht zum 02. Juli etwa entlang der englischen Ostküste, über Nord- und Zentralfrankreich hinweg bis nach Südwestfrankreich. Dort, also etwa über dem Raum Bordeaux, hatte sich ein weiterer kleiner Kern gebildet, der in den folgenden Stunden die Rolle des neuen Tiefzentrums einnahm, während sich der ursprüngliche Kern mit dem Haupttief verband.

Sowohl Tiefdruckrinne als auch Kern verlagerten sich im Laufe des 02. Juli über Frankreich und die Benelux-Staaten hinweg weiter ostwärts Richtung Deutschland. Dabei kam es vor allem in den Nachmittagsstunden entlang der Konvergenz zur Auslösung einzelner Gewitterschauer, allerdings ohne dass hierbei größere Niederschlagssummen registriert werden konnten. Lediglich die Station im niederländischen Arnheim meldete zwischen        14 und 20 Uhr MESZ mit 7 l/m² eine nennenswerte Regenmenge. Zuvor stiegen die Temperaturen im Bereich heißer Subtropikluft von Zentralfrankreich bis nach Deutschland verbreitet auf 30 bis 35°C. Der Hitzepol war dabei ein Gebiet zwischen dem Osten Frankreichs und dem Westen Deutschlands mit Maxima von beispielsweise 37,2°C in Strasburg, 37,0°C in Nancy, oder aber in Deutschland mit 38,7°C in Geilenkirchen, 38,0°C in Trier sowie 37,2°C in Düsseldorf.

Dies reichte allerdings aus, dass sich in den Abendstunden doch noch eine organisierte Schauer- und Gewitterlinie über den Benelux-Staaten formen konnte. Dabei wurden vor allem über den Niederlanden bis zum Tagesende zweistellige Regenwerte innerhalb eines sechsstündigen Zeitfensters registriert. In Hoogeveen waren es etwa 23 l/m², 19 l/m² in Deelen oder aber 14 l/m² in Heino. In der zweiten Nachhälfte erfassten die gewittrigen Regenfälle schließlich auch den Nordwesten Deutschlands, wobei die höchsten Summen mit 19 l/m² in Osnabrück, bzw. 11 l/m² in Friesoythe-Altenoythe gemessen wurden.

Am frühen Morgen des 03. Juli befand sich der Tiefdruckkern REINHARD mit ca. 1020 hPa etwa über Rheinland Pfalz. Die damit verknüpfte Tiefdruckrinne erstreckte sich von dort aus weiter nordwärts über Westdeutschland bis zur Nordsee. Passend dazu zeigte das dazugehörige Satellitenbild von 02 Uhr MESZ hochreichende Konvektion entlang der dänisch-friesischen Nordseeküste, über Niedersachsen und das Rheinland bis nach Baden-Württemberg. Die Schauer- und Gewitterlinie kam im Tagesverlauf unter Abschwächung langsam weiter ostwärts voran. Größere Niederschlagsmengen wurden bis zum Mittag etwa noch über dem Harzer Raum gemessen, etwa 15 l/m² in Göttingen, oder aber 11 l/m² in Leinefeld. Zum Nachmittag lösten sich die Schauer und Gewitter über Deutschland mehr und mehr auf, da sich von den Britischen Inseln und der Nordsee her zunehmend Hochdruckeinfluss ausbreitete. Der Druckanstieg sorgte schließlich auch dafür, dass sowohl Tiefdruckrinne als auch Tief REINHARD selbst bis zum Tagesende aus dem Bodendruckfeld verschwanden. Das Wettergeschehen der folgenden Tage wurde hingegen weiterhin durch einen umfangreichen Tiefdruckkomplex über dem Ostatlantik dominiert. An seiner Flanke hielt der Zustrom feucht-heißer Subtropikluft aus dem Mittelmeerraum und die Schauer- und Gewittertätigkeit zunächst noch weiter an, ehe sich zur zweiten Monatsdekade vom Atlantik her kühlere Meeresluft durchsetzen konnte.


Geschrieben am 04.09.2015 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 02.07.2015

Pate: Dr. Reinhard Neuendorf