Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet REINHOLD

(getauft am 08.09.2017)

 

Am 8. September 2017 entwickelte sich ein Tiefdruckgebiet über dem Osten Kanadas im Bereich der Provinzen Quebec, Neufundland und Labrador, das in der Prognosekarte der Berliner Wetterkarte für den Folgetag auf den Namen REINHOLD getauft wurde.

Am 9. September befand sich das Zentrum des Wirbels REINHOLD, in dem der Kerndruck unter 995 hPa lag, etwa 300 km südwestlich der Südspitze Grönlands. Wenige hundert Kilometer nach Osten ließ sich eine Okklusionsfront, also eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, bis zum Okklusionspunkt verfolgen. Der Okklusionspunkt ist der Punkt, wo die schneller ziehende Kaltfront die vorlaufende Warmfront einholt und vom Boden anhebt. Die Warmfront ging ungefähr auf halbem Wege zwischen der portugiesischen Inselgruppe der Azoren und der Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel in eine Kaltfront über, die zu einem Randtief der Zyklone QUASIMODO zwischen Schottland und Norwegen gehörte. Die Kaltfront des Tiefs REINHOLD ging etwa 600 km südöstlich der kanadischen Provinz Nova Scotia in eine Warmfront über, die zu einem Tiefdruckgebiet bei den Bermudainseln gehörte. Außerdem ging vom Kern des Tiefs REINHOLD eine Okklusionsfront in südwestlicher Richtung bis in den Nordwesten Neufundlands aus.

Am Morgen des 9. September machte sich Tiefdruckgebiet REINHOLD mit seinen Fronten in Form von Niederschlägen, genauer gesagt Regen oder teils auch Sprühregen, an landgebundenen Wetterstationen vor allem im südlichen Grönland bemerkbar. Es wurden innerhalb von 6 Stunden 20 l/m² in Julianehab/Qaqortoq sowie 17 l/m² in Prins Christian Sund gemessen. Bis zum Morgen des 10. September erreichten die Niederschlagsgebiete des Tiefdruckgebietes REINHOLD die Britischen Inseln. Vom Abend des Vortages bis zum Morgen des 10. September kamen 12-stündig bis zu 6 l/m² zusammen, die an der Wetterstation Harris Quidnish an der Südostküste der zu Schottland gehörenden Insel Lewis and Harris registriert wurde. Mittlerweile hatte sich das Tief REINHOLD auf einen Kerndruck von unter 980 hPa verstärkt, wobei das Zentrum ungefähr 500 km südlich von Island lag. In östlicher bis südlicher Richtung folgte, vom Kern des Tiefdruckgebietes REINHOLD ausgehend, eine Okklusionsfront bis zum etwa 300 km westlich der irischen Westküste gelegenen Okklusionspunkt. Eine in südlicher Richtung anschließende Warmfront, die ungefähr 600 km vor der nordwestspanischen Küste entfernt in eine Kaltfront überging, zog sich mit einer südwestlich bis westlich folgenden Kaltfront zusammen, wobei die letztgenannte Kaltfront etwa 1000 km östlich von Neufundland in eine Warmfront überging, die zu einem unbenannten Tief vor der nordamerikanischen Atlantikküste gehörte. Im walisischen Capel Curig brachte das Tiefdruckgebiet REINHOLD vormittags innerhalb von 6 Stunden 9 l/m² Niederschlag. Im schottischen Tyndrum kamen nachmittags 13 l/m² und abends weitere 15 l/m² in jeweils 6 Stunden zusammen. An der nordfranzösischen Wetterstation Gouville erreichte der Wind in Böen bis zum Abend 100 km/h, was Stärke 10 auf der Beaufort-Skala, also schweren Sturmböen, entspricht. Im Laufe des Abends kam es unter anderem auch an der Wetterstation Helgoland-Oberland mit 98 km/h zu Böen der Stärke 10.

Bis zum Morgen des 11. September summierte sich der Niederschlag 24-stündig in Tyndrum auf 37 l/m², was den höchsten Wert auf den Britischen Inseln darstellte. Am Leuchtturm Lekeitio Faro an der nordspanischen Küste fielen im gleichen Zeitraum 29 l/m². Noch mehr, nämlich 61 l/m², kamen im südnorwegischen Konsmo-Hoyland zusammen. In allen Fällen wurden die Niederschläge der zum Tiefdruckgebiet REINHOLD gehörenden Fronten durch Staueffekte an Bergen verstärkt. Berücksichtigt werden muss aber auch, dass das Netz der Wetterstationen gar nicht dicht genug sein kann, um ein umfassendes Bild der Niederschlagsaktivitäten zu bieten. Außerdem landet durch verschiedene Faktoren, wie unter anderem durch Wind, kaum jemals die vollständig gefallene Niederschlagsmenge tatsächlich im Niederschlagstopf. Schließlich lassen sich oft die gemessenen Niederschlagsmengen eines Zeitraumes nicht eindeutig einem Tiefdruckgebiet sowie seinen Fronten zuordnen.

In der Zwischenzeit hatte sich das Tief REINHOLD mit seinem Zentrum, in dem nun ein Kerndruck von unter 980 hPa herrschte, zur schottischen Ostküste verlagert. Etwa vom Raum Aberdeen ausgehend, zog sich eine Okklusionsfront im Uhrzeigersinn über den Norden Schottlands, die Nordsee, die Niederlande und Belgien bis ins zentrale Frankreich. Vom dortigen Okklusionspunkt ging einerseits eine Warmfront aus, die die Iberische Halbinsel von den Pyrenäen bis knapp südlich der portugiesischen Hauptstadt Lissabon überquerte und etwa 100 km westlich der portugiesischen Küste endete. Andererseits folgte weiter nordwestlich eine Kaltfront, die Südwestfrankreich sowie den südöstlichen Teil der Biskaya überquerte und den Norden und Nordwesten Spaniens streifte. Ungefähr 800 km nordöstlich der Azoren ging die Kaltfront in eine Warmfront über, die zu einem unbenannten Wellentief zwischen Irland und Kanada gehörte. Große Teile Deutschlands befanden sich zunächst auf der Vorderseite des Tiefdruckgebietes REINHOLD, ehe die okkludierenden Fronten von West nach Ost durchzogen. Der relativ große Luftdruckgradient, der in Richtung des sich nähernden Tiefdruckgebietes REINHOLD herrschte, machte sich morgens mit Spitzenböen in Sturmstärke auf der Hallig Hooge und am Helgoländer Südhafen von jeweils 78 km/h sowie in List auf Sylt von 81 km/h bemerkbar. Auf dem Brocken im Harz wurden orkanartige Böen bis 106 km/h und auf Borkum ebensolche bis 113 km/h erreicht. Mittags wurde, im Mitteleuropaausschnitt der Berliner Wetterkarte, eine Okklusionsfront analysiert, die von der dänischen Ostseeinsel Bornholm über das Stettiner Haff und den Berliner Raum sowie den Norden Bayerns bis ins nördliche Baden-Württemberg reichte. Vor der Front stieg die Temperatur im brandenburgischen Buckow auf den deutschlandweit höchsten Wert von 23,1°C, während es am Nürburgring in Rheinland-Pfalz mit einer Höchsttemperatur von 13,1°C genau 10 Grad kühler war.

Bis zum Morgen des Folgetages kamen an der Wetterstation Ellenbogen in List auf Sylt 24-stündig 26 l/m² zusammen. Im südschwedischen Lysekil summierte sich der Niederschlag im selben Zeitraum auf 52 l/m², wobei an der benachbarten Wetterstation Maseskär nur 5 l/m² gemessen wurden. Das Zentrum des Tiefdruckgebietes REINHOLD lag nun mit einem Kerndruck von unter 985 hPa zwischen Südnorwegen und den zu Schottland gehörenden Shetland-Inseln. Vom Kern des Tiefs REINHOLD ausgehend, beschrieb eine Okklusionsfront einen Bogen über Mittelskandinavien und die Ostsee sowie das westliche Polen bis etwa zum Riesengebirge. Hinter der Okklusionsfront war es zwar in Buckow in der Märkischen Schweiz nicht ganz so warm wie am Vortag, dennoch wurde mit einer Höchsttemperatur von 20,6°C der höchste Wert in Deutschland erreicht. Am zuvor zum Vergleich genannten Nürburgring war es nun mit 13,7°C im Vergleich zum Vortag etwas milder. Bis zum Abend kamen im ostschwedischen Västmarkum 12-stündig 18 l/m² und im südnorwegischen Eik Hove 23 l/m² zusammen.

Bis zum Morgen des 13. September fielen an den norwegischen Wetterstationen Fokstua Ii 32 l/m² sowie Tagdalen 25 l/m² Niederschlag in 12 Stunden. Am 13. September war das Tiefdruckgebiet REINHOLD zum letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Es lag mit einem Kerndruck von unter 990 hPa vor der norwegischen Küste etwa auf Höhe des Polarkreises. In den nächsten Tagen stieg der Luftdruck über dem westlichen Skandinavien allgemein an.

 


Geschrieben am 07.11.2017 von Heiko Wiese

Berliner Wetterkarte: 11.09.2017

Pate: Reinhold Schweiger