Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet RICO
(getauft am 14.07.2019)
In der zweiten Julidekade wurde das Wetter über
Zentral- und Osteuropa durch einen ausgedehnten Höhentrog, also einen Bereich
niedrigen Drucks und niedriger Temperaturen in der Höhe beeinflusst. Die Druck-
und Temperaturanomalie, die sich zwischen 3 und 9 km Höhe zeigte, reichte zur
Monatsmitte nach Süden bis zum Mittelmeer, nach Osten bis zum Ural und nach
Westen bis Deutschland. Das Zentrum befand sich dabei über Nordwestrussland, in
etwa über dem Weißen Meer. Kleinräumige Störungen im Bereich des Trogschwerpunkts, die u.a. durch das Skandinavische Gebirge
ausgelöst wurden, führten über Zentralskandinavien um den 15. Juli herum zu
einer Zyklogenese. Das sich neu bildende Tief sollte laut Prognose von
Skandinavien südostwärts Richtung Osteuropa ziehen, dessen Ausläufer aber auch
Mitteleuropa streifen. Folglich wurde es auf den Namen RICO getauft.
Die Neubildung des Tiefs blieb nicht ohne Folgen.
Bereits am 15. Juli entwickelten sich über Skandinavien einzelne, teils
kräftige Schauer. Der Niederschlagsschwerpunkt lag tagsüber in und um den
Stockholmer Raum. Hier wurden Mengen zwischen 10 l/qm im Stadtzentrum und bis
30 l/qm nordwestlich davon in Uppsala in 12 Stunden gemessen. Sonst fielen nur
wenige Liter, teils nur Zehntel Liter pro Quadratmeter
oder es blieb trocken. Nachts setzten sich die Schauer fort, teilweise
entwickelten sich auch Gewitter. Eines zog am Abend über den Osloer Raum
hinweg, brachte aber nur geringe Niederschlagsmengen, wie beispielsweise am
Flughafen Oslo-Blindern mit 6 l/qm. Mehr Regen fiel
im Ostseeumfeld, sowohl in Schweden als auch in Finnland und im Baltikum, wohin
der Kern sich verlagerte. In Spitze wurden bis zum darauffolgenden Morgen etwa
27 l/qm im finnischen Turku gemessen, im estnischen Sõrve,
auf der Insel Saaremaa, gar 35 l/qm.
In den Frühstunden des 16. Juli konnte Tief RICO
erstmals als abgeschlossener Wirbel in der Berliner Wetterkarte analysiert
werden. Um 00 Uhr UTC, also 02 Uhr MESZ, befand sich sein Zentrum mit knapp
unter 1005 hPa im Bereich der Åland-Inseln über der mittleren Ostsee. Mit dem
Kern verknüpft war ein kleinräumiges Frontensystem, welches als Okklusion
einige 100 Kilometer nach Norden reichte und nach Süden über die Ostsee als
Kaltfront verlief. Okklusion bezeichnet in der Meteorologie eine Mischfront,
die durch den Zusammenschluss von Warm- und Kaltfront entsteht und
Eigenschaften beider in sich vereint.
In den folgenden Stunden zog das Tief weiter
Richtung Baltikum. Vor allem entlang der Kaltfront kam es verbreitet zu
schauerartigen Niederschlägen, die bis zum Abend über das Baltikum bis nach
Weißrussland und Westrussland vordrangen. Gemessen wurden verbreitet um die 10
l/qm, stellenweise auch über 20 l/qm, so wie im litauischen Šiauliai.
Auf die Temperaturen hatte das Tief RICO zunächst nur geringe Auswirkungen. So
lagen die Maxima zu diesem Zeitpunkt über Skandinavien aber auch über dem
Baltikum bei zeitweilig dichterer Bewölkung zwischen 15 und 20°C, an der
Südflanke des Tiefs zwischen Südnorwegen, Dänemark, Polen, Baltikum und
Südfinnland auch zwischen 20 und 25°C. Im Verlauf der Nacht ließ die
Niederschlagsaktivität insgesamt nach, vor allem im Bereich des Tiefdruckkerns
(Baltikum, Ukraine, Weißrussland) und an der Vorderflanke über Westrussland
regnete es aber gebietsweise weiter. Beispielsweise wurden zwischen 18 UTC und
06 UTC des folgenden Tages in Minsk 3 l/qm und in Moskau 4 l/qm Niederschlag
gemessen.
Zu diesem Zeitpunkt reichte der Einfluss der
Zyklone, wenn man den Bodendruck als Maßstab nimmt, von Schweden bis nach
Westrussland und von Finnland bis nach Rumänien. Das Zentrum befand sich um 06
UTC über Weißrussland, in Minsk wurde dabei ein Luftdruck von etwa 1005 hPa
gemessen. Das ganze System verlagerte sich am 17. Juli Stück für Stück in
Richtung Russland und mit Schwerpunkt in den Moskauer Raum. Vor allem einige
hundert Kilometer um das Tiefdruckzentrum herum setzte sich das wechselhafte
Schauerwetter fort. Neben kompakter Quellbewölkung und nur geringem
Sonnenschein regnete es hier und da bis zum Abend einige bis mehrere Liter pro
Quadratmeter, in Spitze weiterhin auch mehr als 10 l/qm in 12 Stunden, wie etwa
im westrussischen Suchinitschi mit 21 l/qm, im polnischen
Terespol mit 30 l/qm oder im finnischen Suomussalmi mit 17 l/qm. In Moskau waren es 10 l/qm. Nichtsdestotrotz
hatte das Tief RICO an jenem Tag auch Einfluss auf das Wetter im östlichen
Mitteleuropa, wenn auch einen nur geringen. Satellitenbilder des Tages zeigen
ein sich vom Zentrum in westliche Richtungen erstreckendes Wolkenband entlang
der Kaltfront, welches über die Westukraine und Polen bis in den Nordosten
Deutschlands reichte. Regentropfen fielen hier keine, auch wenn z.B. in
Berlin-Dahlem der Bedeckungsgrad des Himmels ganztägig zwischen 7 und 8 Achteln
an mittelhohen und hohen Wolken schwankte. Die Temperaturen betrugen in der auf
der Rückseite des Wirbels aus Skandinavien herangeholten maritimen Subpolarluft,
weiterhin etwas über 20°C, über Weißrussland und Teilen des Baltikums blieb das
Thermometer unter dichter Bewölkung und zeitweiligen Regenschauern auch unter dieser
Marke. Die Höchstwerte lagen beispielsweise in Minsk und St. Petersburg bei
18°C, in Warschau oder Stockholm bei 21°C, in Helsinki jedoch bei 24°C. Nachts
hielt sich der unbeständige Wettercharakter mit weiteren Schauern im Zentrum
der Zyklone über Westrussland, sonst ließ die Schauerneigung allgemein nach und
die Bewölkung lockerte auf. Bei längerem Aufklaren sanken die Temperaturen in
der einsickernden frischen Meeresluft, ähnlich der vorangegangenen Nacht, teils
unter 10°C, wie Messungen aus Łódź (6°C), Lwiw (8°C) oder Tallinn (10°C) bestätigen.
Am 18. Juli kam es zu einer Verstärkung der
Zyklone, deren Zentrum sich um 00 UTC mit knapp unter 1005 hPa über dem
Moskauer Raum befand. Ursächlich dafür waren Prozesse in der mittleren
Troposphäre in ca. 3-6 km Höhe, als sich aus dem oben erwähnten Höhentrog ein
Anteil über Osteuropa herauslöste. Dieser zusätzliche Impuls führte letztlich
auch zu einer Verstärkung des Wirbels im Bodenniveau, der sich über Zentral- und
Westrussland festzusetzen begann.
Die Verstärkung von Tief RICO wurde aber nicht nur
am fallenden Luftdruck über Westrussland ersichtlich, sondern vor allem an den
sich intensivierenden Niederschlägen. Schwerpunkt der Schauer und auch Gewitter
bildete am 18. und 19. Juli das Gebiet zwischen St. Petersburg, Minsk und
Moskau, mit stellenweise 20-50 l/qm Regen innerhalb von 12 Stunden. Als Spitzenwerte
wurden am 18.07. tagsüber im weißrussischen Wizebsk
36 l/qm, im russischen Welikije Luki gar 51 l/qm gemessen. Tags darauf fielen
im westrussischen Dno 28 l/qm, in Borowitschi
am Rande der Waldai-Höhen 30 l/qm und in Tichwin, östlich von St. Petersburg 29 l/qm. Aber auch
nördlich des Zentrums bis nach Karelien und Finnland, sowie südlich davon bis
zur Ukraine und nach Südrussland kam es entlang der Ausläufer des Tiefs noch
gebietsweise zu Regenfällen, wenngleich die Intensität mit unter 5 l/qm innert
12 Stunden deutlich geringer war. Die Kaltluft drang nach Süden etwa noch bis
zu den Karpaten und zum Schwarzen Meer voran und nach Osten bis zur mittleren
Wolga, wo sich die Kaltfront schließlich auflöste. Zu diesem Zeitpunkt hatte
das Tief quasi keinen Einfluss mehr auf Mitteleuropa. Hier, wie auch zunehmend
über Skandinavien setzte sich Zwischenhocheinfluss durch und die Luft erwärmte
sich sukzessive auf sommerliche Werte. Sonst lagen die Höchstwerte über
Osteuropa meist zwischen 20-25°C, in Nähe zum Tiefdruckzentrum unter dichten
Regenwolken ähnlich den vorangegangenen Tagen auch unter 20°C.
Am frühen Morgen des 20.07. befand sich das Tief
RICO mit seinem Zentrum bereits rund 500 km östlich von St. Petersburg. In
Tscherepowez, der Regionalhauptstadt der Oblast Wologda wurde um 00 UTC ein
Luftdruck von 1005 hPa gemessen. Mit dem Tief verbunden waren weiterhin
Ausläufer, die sich in Form einer Okklusion, also einer Mischung aus Warm- und
Kaltfront, um das Zentrum bis ins Uralvorland spannten. Von dort verlief die
Warmfront weiter ostwärts über den nördlichen Ural bis nach Westsibirien, die
Kaltfront dagegen südwärts entlang der Wolga bis zum Kaukasus.
In den sich anschließenden Tagen zog das Tief RICO
samt Frontensystem ohne nennenswerte Abschwächung oder Verstärkung weiter
ostwärts über die Region Wologda und die Komi-Republik hinweg bis zum
nördlichen Ural. Neben kompakter Bewölkung traten weitere Niederschläge auf,
deren Intensität tagsüber bei etwa 5 l/qm in 12 Stunden, in Spitze aber auch
über 20 l/qm lag. Nachts schwächten sich die schauerartigen Regenfälle auf
durchschnittlich 2-3 l/qm in 12 Stunden ab. Vor allem nördlich und östlich des
Zentrum, wo durch die Zyklone feuchtwarme Subtropikluft aus Süden herangelenkt
wurde, entwickelten sich mitunter kräftigere Gewitterschauer. Die Wetterstation
in Syktywkar, etwa 500 km nördlich von Perm, meldete beispielsweise am 21.07.
sowohl am frühen Morgen als auch in den Nachmittags- und Abendstunden
wiederholt Gewitter, dabei wurden zwischen 03 und 15 UTC 20 l/qm Niederschlag
gemessen.
Im Laufe des 22.07. verlagerte sich das Tief
allmählich über das Uralgebirge hinweg in den asiatischen Teil Russlands und
gliederte sich dort einer Tiefdruckzone an, die sich von Westsibirien bis nach
Kasachstan erstreckte. Damit einhergehend zogen auch die Niederschläge aus
Nordwestrussland und den Wolgagebieten ab. Kurzum verlor der Wirbel nun auch
über dem europäischen Teil Russlands zunehmend an Einfluss. In den Frühstunden
des 23.07 wurde Tief RICO mit Zentrum nahe der westsibirischen Stadt Tobolsk, in der Oblast Tjumen analysiert, ehe es dem
Ausschnitt der Berliner Wetterkarte entschwand.