Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet ROSWITHA

(getauft am 13.11.2020)

 

In der Bodenwetterkarte vom 13.11.2020 um 01 Uhr MEZ (Mitteleuropäische Zeit) konnte sich am westlichen Rande der intensiven und räumlich stark ausgeprägten Zyklone QUENTINA, südlich von Island, ein separates Luftdruckminimum ausfindig gemacht werden, welches sich bereits tags zuvor über dem Osten Kanadas befand. Da sich dieses Gebiet geringen Luftdrucks bereits durch eine markante eigenständige Zirkulation auszeichnete, war eine Trennung dieses sogenannten Randtiefs von der Hauptzyklone abzusehen und die nun separate Zyklone konnte von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte noch am selbigen Tag, also in der Analyse, auf den Namen ROSWITHA getauft werden.

 

Das Tiefdruckzentrum von ROSWITHA befand sich zum Zeitpunkt der Taufe etwa 500 km südlich der Südspitze Grönlands, auf dem 55. Breitengrad über dem Atlantischen Ozean. Der gleichsam intensive Kerndruck betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 985 hPa. Ausgehend vom Tiefdruckminimum bestand die Zyklone ROSWITHA aus einer sich südostwärts erstreckenden Okklusion bis zum sogenannten Okklusionspunkt. Zur Erklärung: Eine Okklusion ist eine Mischfront, welche entsteht, wenn die schnellere Kaltfront die vorlaufende, jedoch etwas langsamere Warmfront einholt und so die wärmere Luft aufsteigen lässt. Der Punkt, an dem sich die Okklusion in Kalt- und Warmfront aufteilt, wird als Okklusionspunkt definiert. Ausgehend vom Okklusionspunkt schloss sich nach Südosten die vorlaufende Warmfront von Tief ROSWITHA an und nach Süden, in einem ausufernden Bogen die nachfolgende, bis weit nach Washington reichende, Kaltfront. Wettertechnisch verzeichnete das Tiefdruckgebiet ROSWITHA an diesem Tage noch keinen unmittelbaren Einfluss auf das europäische Festland.

Da das bisher für Westeuropa dominierende Tiefdruckgebiet QUENTINA sich weiter nach Norden, nun über Ostisland, verlagerte, wurde der Weg nach Zentraleuropa für Tief ROSWITHA am 14.11. freigeräumt. Weiterhin mit einem stattlichen Kerndruck von etwas weniger als 985 hPa befand sich der Kern der Zyklone schließlich über dem nahen Ostatlantik, keine 1000 Kilometer vor der Westküste Irlands. ROSWITHA bestand zu diesem Zeitpunkt aus einer Okklusionsfront bis zum Okklusionspunkt, davon ausgehend erstreckte sich nach Osten schließlich noch eine kurze Warmfront bis an die Westküste Irlands und nach Süden setzte sich die Okklusionsfront fort. Zwar konnte das Tiefdruckgebiet ROSWITHA bislang noch keinen direkten Einfluss auf Zentraleuropa nehmen, jedoch stützte die Positionierung des ROSWITHA-QUENTINA-Tandems eine südwestliche Anströmung, die in Deutschland die Zufuhr von milder Luft subtropischen Ursprungs sogar verstärkte. So konnten, für Mitte November, unter Beihilfe von gelegentlichem Sonnenschein, entlang des Oberrheins, Temperaturmaxima von 18°C bis 19°C erreicht werden. Die Station Mühlheim verzeichnete als Spitzenreiter in Deutschland sogar 19,5°C.

 

Auf der Bodenwetterkarte vom 15.11. verlagerte sich das Tiefdruckgebiet ROSWITHA nur wenige 100 Kilometer nordöstlich und verblieb damit quasistationär westlich vor Großbritannien über dem nahen Ostatlantik. Das Zentrum intensivierte sich weiter auf einen Kerndruck von etwas weniger als 980 hPa, damit weitete die Zyklone ROSWITHA ihren Einfluss auf Zentraleuropa, als Gegenspieler zur Antizyklone SCOTT über Rumänien mit etwas mehr als 1025 hPa, deutlich aus. Die Zyklone bestand zu diesem Zeitpunkt aus einer kurzen Okklusion, etwa bis zur Südwestspitze Irlands, daran schloss sich eine Kaltfront nach Südwesten an. Vorlaufend zum Frontensystem von ROSWITHA erstreckte sich über dem Nordmeer schließlich noch ein weiteres, aus Okklusion, Warm- und Kaltfront bestehendes Frontensystem. In Mitteleuropa setzte sich damit die ungewöhnlich milde Witterung, die bereits den gesamten November andauerte, fort und verstärkte sich sogar nochmals. Die Höhenwetterkarte des 500-hPa-Niveaus, also in etwa 5,5 km Höhe, zeigte den zentraleuropäischen Raum deutlich unter einer südwestlichen Anströmung, mit der anhaltend feuchte Meeresluft subtropischen Ursprungs nach Deutschland herangeführt wurde. Das Temperaturmaximum wurde in der Bundesrepublik mit 20,1°C im baden-württembergischen Ihringen erreicht. Selbst in Oberstdorf in Bayern in einer Höhe von 807 m stieg die Temperatur auf 15,1°C an. Die kältesten Orte in tiefen Lagen Norddeutschlands waren die Greifswalder Oie, Göhren auf Rügen und Hiddensee-Dornbusch mit einer Höchsttemperatur von immerhin noch 11,5°C. Auf dem Brocken im Harz war es mit 7,1°C sogar milder als im bayerischen Regensburg, wo 5,2°C erreicht wurden.

Am darauffolgenden Tag konnte die Zyklone ROSWITHA ihre dominante Position über Nordwesteuropa weiterhin halten und als Gegenpol zu den beiden südlich gelegenen Hochdruckgebieten THODO als auch SCOTT weiter festigen. Das Zentrum von ROSWITHA befand sich zu diesem Zeitpunkt, auf der Bodenwetterkarte vom 16.11. um 01 MEZ, zwischen Großbritannien und Norwegen, etwa über dem Nordmeer mit einem weiterhin stattlichen Kerndruck von etwas weniger als 985 hPa. Die Okklusionsfront verlief von Benelux, entlang der Ostküste Großbritanniens, durch den Kern von Tief ROSWITHA und schließlich nach Nordosten. Daran schloss sich nach Nordosten die Warmfront bis zur Grenze zwischen Schweden und Finnland an und nach Süden, in einem weiten Bogen über Deutschland bis ans Mittelmeer die Kaltfront. Bereits in der vergangenen Nacht vom 15.11. auf den 16.11. sowie im weiteren Tagesverlauf überquerte die Kaltfront Deutschland von West nach Ost. Im Zusammenhang mit der Kaltfront von ROSWITHA kam es auf dem Brocken in der ersten Nachthälfte zu orkanartigen Böen bis 111 km/h. Auf dem Feldberg im Schwarzwald zeichnete sich ein ähnliches Bild mit orkanartigen Böen von 104 km/h ab. Auch am Vormittag wurden auf dem Brocken schließlich noch schwere Sturmböen bis 93 km/h registriert, diese setzten sich auch in den Nachmittagsstunden, bis knapp 89 km/h, weiter fort. Die Kaltfront brachte auf ihrem Weg nach Osten zudem teils schauerartig verstärkten Regen. So kamen bis in den frühen Morgenstunden des 16.11. häufig zweistellige Werte beim 24-stündigen Niederschlag zusammen. Die Station Baiersbronn-Ruhestein in Baden-Württemberg verzeichnete hierbei 18,5 l/m², der Flughafen Saarbrücken im Saarland 15,6 l/m², Xanten in Nordrhein-Westfalen 14,7 l/m² und auch die Station in Wehm, ein Ortsteil der Stadt Werlte  in Niedersachsen kam auf 14,1 l/m².

 

Auf der Bodenwetterkarte vom 17.11. verlagerte sich die Zyklone ROSWITHA aufgrund eines blockierenden Hochdruckgebietes über Russland, entgegen der sonst üblichen Zugrichtung nach Osten, weiter nach Norden. Das Zentrum befand sich nun zwischen Island und der Westküste Norwegens, knapp nördlich des 65. Breitengrades, dabei betrug der Kerndruck etwas weniger als 980 hPa und fiel damit weiterhin kräftig aus. Ausgehend vom Zentrum erstreckte sich bis zum 70. Breitengrad die Mischfront bis zum Okklusionspunkt und davon abgehend eine für Europa mittlerweile irrelevante Warmfront, sowie eine sich über Finnland und der Ostsee bis nach Polen erstreckende Warmfront. Im Zusammenspiel mit dem rasch herannahenden, ehemaligen Hurrikan ETA etablierten sich über Europa markante Druckgegensätze. So befand sich von der Iberischen Halbinsel in einem Bogen über die Alpen bis zur Türkei und vom Schwarzen Meer über Russland bis zum Weißen Meer hoher Luftdruck, mit Maxima von teils mehr als 1030 hPa. Indes formierte das Tiefdruck-Tandem bestehend aus ex-ETA und ROSWITHA über Nordwesteuropa stellenweise kaum mehr als 980 hPa. Diese immensen und räumlich recht stark komprimierten Luftdruckgegensätze resultierten in eine Drängung der Isobaren, also der Linien gleichen Luftdrucks, und damit in erneut signifikante Windverhältnisse in weiten Teilen Nordwesteuropas. So konnten an nahezu sämtlichen Stationen in Großbritannien, entlang des Ärmelkanals bis nach Dänemark mindestens starke Böen, also mehr als 40 km/h registriert werden. Auch entlang der Ostseeküste sowie vom Baltikum über Finnland bis an die Nordküste von Norwegen gab es häufig stürmische Windverhältnisse. Die Spitzenreiter in Großbritannien bildeten um 23 UTC (Universal Time Coordinated) die Station Great Dun Fell auf 847 m mit 115 km/h und besonders die Station Cairngorm auf 1245 m im Nordosten von Schottland mit 135 km/h, dies entspricht Orkanstärke.

 

Auf der Bodenwetterkarte vom 18.11. um 01 MEZ befand sich das Tiefdruckgebiet ROSWITHA nun zwischen dem Nordkap und Spitzbergen. Mit einem weiterhin intensiven Kerndruck von etwa 980 hPa schaufelte es östlich des Tiefdruckzentrums, in Zusammenarbeit mit dem Russlandhoch, noch einmal vergleichsweise milde Luft in Richtung Skandinavien und Osteuropa. Die drei Hauptstädte der skandinavischen Länder beispielsweise vermeldeten für Mitte November noch unüblich milde Tageshöchsttemperaturen von 11°C in Helsinki, 12°C in Oslo bis knapp 14°C in Stockholm.

Der Folgetag, der 19.11. brachte schließlich nur wenig Veränderung in der Positionierung der Zyklone ROSWITHA. Zwar verzeichnete das Tiefdruckgebiet noch einmal einen Kerndruck von etwa 975 hPa, jedoch übergab es das sprichwörtliche Zepter dem Tief ex-ETA, nun zentral über Südskandinavien. Nach einer stattlichen Lebensdauer von 7 Tagen verlor die Zyklone ROSWITHA den unmittelbaren Einfluss auf das zentraleuropäische Festland, sodass auf der Bodenwetterkarte vom 20.11. kein Tiefdruckzentrum der Zyklone ROSWITHA mehr zugeordnet werden konnte.