Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet RUTH
(getauft am 05.02.2020)
Am 05.
Februar trat ein Gebiet tieferen Luftdrucks, dessen Kernbereich sich mit rund
1010 hPa über dem Seegebiet vor Bosten befand in den Ausschnitt der Berliner
Wetterkarte. Tiefdruckgebiete, auch Zyklone genannt, entstehen vor allem in dem
Bereich, wo die kalte Polarluft auf die warme subtropische Luft trifft. Dieser
Bereich wird auch als Polarfront bezeichnet. Der Temperaturkontrast zwischen
den beiden Luftmassen bewirkt eine Zunahme der Windgeschwindigkeit innerhalb
der Polarfront, die mit zunehmender Höhe stärker wird und im Polar-Jetstream,
in ca. 10 km Höhe, ihr Maximum erreicht. Die Höhenwinde in 5,5 km Höhe
bestimmen sowohl die Zugrichtung als auch die Zuggeschwindigkeit der
Tiefdruckgebiete. Das Tiefdruckgebiet vor der Ostküste der USA befand sich auf
der Rückseite eines ausgeprägten Höhentrogs, also ein Vorstoß polarer
Luftmassen, der sich über dem Nordatlantik befand. Durch die vorherrschende
Westwindlage in den mittleren Breiten war bereits abzusehen, dass dieses
Tiefdruckgebiet Auswirkungen auf das Wettergeschehen in Europa nehmen würde und
wurde so von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen RUTH
getauft.
Bis zum 06.
Februar war das Tief RUTH entlang der Höhenströmung in Richtung Nordosten
gezogen und konnte um 00 Uhr UTC, also 01 Uhr MEZ, südöstlich von Neufundland
lokalisiert werden. Der Kerndruck war zu diesem Zeitpunkt mit knapp 1000 hPa
leicht gesunken. Auch ein typisches Frontensystem bildete sich aus. Da Zyklone
auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn rotieren wird östlich vom
Tiefdruckkern warme subtropische Luft nach Norden und westlich kalte Polarluft
nach Süden transportiert. Dadurch bildeten sich eine Warmfront und eine
Kaltfront aus, die bereits vom Tiefdruckkern ausgehend zu okkludieren begannen.
Als Okklusion oder Okklusionsfront bezeichnet man in der Meteorologie eine
Mischfront, welche entsteht sobald die schneller verlaufende
Kaltfront die langsamere Warmfront eingeholt halt. Diese reichte zum
Analysezeitpunkt etwa bis 200 km südlich des Tiefdruckkerns bis zum
Okklusionspunkt, wo sie sich in eine schwach ausgebildete nach Südosten
verlaufende Warmfront und eine Kaltfront, die sich in Richtung Westen bis über
die Ostküste der USA außerhalb des Kartenausschnitts der Berliner Wetterkarte
erstreckte. Auf den Satellitenbildern waren die typischen Wolkenbänder entlang
der Fronten inklusive ausgiebiger Niederschlagsgebiete gut erkennbar. Auf 500
hPa-Niveau, also in einer Höhe von etwa 5,5 km, schwächte sich der über dem Nordatlantik
befindende Höhentrog ein wenig ab, wohingegen sich der über Europa gelegene
Höhenkeil, also ein Vorstoß warmer Subtropischer Luftmassen nach Norden, weiter
intensivieren konnte und von der Iberischen Halbinsel bis über die Britischen
Inseln erstreckte. Das korrespondierende Bodenhoch FRANK sorgte derweil in
West- und Mitteleuropa für eine entspannte Wetterlage und milde Temperaturen. Die westliche
Höhenströmung wurde dadurch blockiert und die Zugrichtung der Zyklone RUTH nach
Norden abgelenkt. Mit Annährung an zwei kräftige, unbenannte Tiefdruckgebiete
südlich von Grönland und südlich von Island, sowie stark ausgeprägte
Temperaturunterschiede zwischen den beiden Luftmassen fiel der Luftdruck im
Kern von Tief RUTH innerhalb von 18 Stunden um rund 25 hPa auf rund 975 hPa ab.
In der Meteorologie wird solch eine rapide Zyklonenentwicklung
auch als Bombogenese bezeichnet.
Am 7. Februar
um 00 Uhr UTC konnte der Kern des Tiefdruckgebiets RUTH südlich von Grönland lokalisiert werden. Die Okklusion war zu diesem
Zeitpunkt bereits weiter fortgeschritten und erstreckte sich bis zum
Okklusionspunkt über dem Atlantik ca. 300 km nördlich der Azoren. Von dort aus
reichte die Warmfront bis über die Azoren. Die Kaltfront verlief in
südwestliche Richtung bis sie schließlich mitten über dem Nordatlantik in die
Warmfront eines unbenannten Tiefdruckgebiets mit einem Kernbereich über
Washington überging. Innerhalb der nächsten 12 Stunden verlagerte sich die
Zyklone RUTH weiter in Richtung Norden und nahm das unbenannte Tiefdruckgebiet
südlich von Island in sich auf. Der Kerndruck sank dabei weiter auf 950 hPa ab.
In den Vormittagsstunden erreichte zunächst die Warmfront vom Westen her
zunächst Irland dann Großbritannien und die Bretagne. Kurz darauf folgt in den
Abendstunden die Kaltfront. Bis 06 Uhr UTC des Folgetages fielen so innerhalb
von 12 Stunden im Nordwesten Irlands und Schottland rund 4 bis 5 mm
Niederschlag, in Galicien und dem Norden Portugals fielen im selben Zeitraum
rund 5 bis 8 mm. Auch die über Island gelegene Okklusion bescherte dem Süden
des Landes im selben Zeitraum rund 5 bis 9 mm Niederschlag. Was Tief RUTH aber vor allem brachte war Wind.
Im gesamten Tagesverlauf des 07. Februars konnten im Süden Islands
Windgeschwindigkeiten von über 100 km/h gemessen werden, auf dem Skardsheidi Midfitjaholl wurden
zwischen 15 Uhr UTC und 16 Uhr UTC sogar 194 km/h erreicht. Auch in Irland und
Großbritannien wurden Windgeschwindigkeiten um bis zu 60 km/h erreicht. South Uist Range auf den Äußeren Hebriden meldete Böen bis über
90 km/h. In der Nacht meldete auch Wales Böen um 100 km/h.
Der
Luftdruck im Kern von Tiefdruckgebiet RUTH sank währenddessen weiter rapide auf
nur noch 935 hPa und befand sich am 8. Februar um 06 Uhr UTC über der Irmingersee zwischen Grönland und Island. Parallel dazu
schwächte sich der Höhenkeil über Mitteleuropa weiter ab und das
Hochdruckgebiet FRANK verlagerte sich weiter ostwärts. Das Frontensystem der
Zyklone RUTH erreicht im Laufe des Tages aus westlicher Richtung auch Mitteleuropa
und Skandinavien, wodurch das freundliche Wetter der letzten Tage durch Teils
starke Bewölkung verdrängt wurde. Entlang der Kaltfront kam es dabei hin und
wieder zu leichten Regenschauern. In Deutschland erreichte die Warmfront in der
zweiten Tageshälfte zunächst den Westen des Landes, kurz darauf folgte die
Kaltfront. Nennenswerte Niederschläge konnten dabei nicht gemeldet werden. Über
Skandinavien okkludierten die Fronten im Tagesverlauf zusehends, lösten sich
also zunehmend auf. In
der Zwischenzeit konnte sich durch eine stark ausgeprägte Polarfront über
Nordamerika ein weiteres Sturmtief ausbilden, welches auf den Namen SABINE
getauft wurde. An der Südflanke des Tiefs RUTH wurde das Tief SABINE rasch über
den Atlantik in Richtung Europa gelenkt. Man bezeichnet Tief RUTH deshalb als
steuerndes Tief für das Tief SABINE.
Bis zum 9.
Februar um 00 Uhr UTC hatte sich das Tiefdruckgebiet in die zwei Zentren RUTH I
und RUTH II aufgespaltet, wobei RUTH I mit einem Kerndruck von rund 945 hPa
westlich von Island und RUTH II mit einem Kerndruck von rund 960 hPa östlich
von Island lokalisiert wurden. Die Okklusionsfront des Tiefs RUTH I erstreckte
sich zunächst in nordöstliche Richtung, dann bogenförmig in südwestliche
Richtung über Skandinavien bis zum Okklusionspunkt nördlich von Göteborg. Von
dort aus verlief die Warmfront bis über den Südwesten Deutschlands. Die
Kaltfront lag westlich der Warmfront bis über den Westen Frankreichs. Die
Okklusionsfront von Tiefdruckgebiet RUTH II reichte bis zum Okklusionspunkt
über dem St. Georges-Kanal. Von dort aus erstreckte sich die Warmfront rund
1000 km in Südwestliche Richtung über den Atlantik. Die Kaltfront ging bereits
kurz nach dem Okklusionspunkt in südwestlicher Richtung in die Warmfront des Tiefs
SABINE über, dessen Kerndruck sich in der Zwischenzeit auf ca. 965 hPa gesenkt
hatte. Im Tagesverlauf des 09. Februars schwächten sich die beiden
Tiefdruckkerne deutlich ab und gingen bis zum 10. Februar um 00 Uhr UTC in das
Tiefdrucksystem des Orkantiefs SABINE über, das am 09. und 10. Februar eine
schwere Sturmlage über Europa auslöste.