Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet SARAH

(getauft am 18.11.2020)

 

In der Nacht vom 17.11.2020 auf den 18.11.2020 war das Höhenströmungsfeld über dem Nordatlantik und Europa in der mittleren Troposphäre, was in etwa einer Höhe von 5,5 km entspricht, von mehreren markanten Kaltlufttrögen geprägt, die der Hauptströmung entlang der Grenze von polaren und gemäßigten Luftmassen eine stark mäandrierende Form gaben. Der westlichste dieser Höhentröge, dessen Zentrum über dem nördlichen Quebec lag und dessen südliche Ausläufer bis über den US-Staat Virginia reichten, verschob sich im Laufe des 18.11. in nordöstliche Richtung, sodass die Ostflanke vor der kanadischen Küste lag. Aufgrund von dynamisch-atmosphärischer Prozesse kommt es an der Ostseite solcher Kaltlufttröge oft zur Bildung von Tiefdruckgebieten und auch in diesem Falle begann sich im Bodenniveau eine Zyklone bzw. ein Wellentief an der wellenförmig deformierten Kaltfront eines unbenannten Tiefs über dem Nordwestatlantik auszubilden. Durch die Intensität des dazugehörigen Höhentiefs und der vorherrschenden Zugrichtung kündigte sich bereits in diesem frühen Entstehungsstadium eine Beeinflussung des mitteleuropäischen Wetters an, was dazu führte, dass die Zyklone in der Prognosekarte der Berliner Wetterkarte von den Meteorologen für den 19.11. auf den Namen SARAH getauft wurde.

 

Zum Tagesbeginn jenes 19.11. lag der Kern von Tief SARAH ca. 600 km südöstlich der Insel Neufundland. Um 01 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ) betrug der Druck im Kern knapp unter 1010 hPa. Von diesem aus erstreckte sich in nordöstliche Richtung eine Warmfront, welche in die Kaltfront des bereits erwähnten namenlosen Tiefs überging, das sich zwischen Grönland und Island befand. Die hinter der Warmfront folgende Kaltfront von Tief SARAH verlief nach Südwesten. Gesteuert von der zunehmend stärkeren Höhenströmung in der mittleren Troposphäre zog die Zyklone mit rascher Geschwindigkeit über den Nordatlantik, mit Kurs auf Island.

Bis zum Nachttermin des 20.11. um 01 Uhr MEZ hatte sich der Kern der Zyklone SARAH bis weit in den nördlichsten Teil des Atlantiks verschoben und befand sich nun auf halbem Wege zwischen Nordamerika und Europa, ca. 1000 km südwestlich von Island. Eine Phase der starken Intensivierung nach Entstehung des Tiefs hatte zur Folge, dass der Kerndruck sich bis zu diesem Zeitpunkt auf etwa 990 hPa abgesenkt hatte. Eine Warmfront reichte in östliche Richtung bis vor die Westküste Irlands, wo sie auf das Frontengebilde des nördlich gelegenen Tiefs traf. In einem weiten Bogen über den Atlantik erstreckte sich vom Kern aus eine Kaltfront, welche in Kernnähe bereits die vorgelagerte Warmfront eingeholt hatte und mit ihr verschmolzen war. Ein Prozess, der als Okklusion bezeichnet wird. Im Laufe des Tages hielt Tief SARAH die hohe Zuggeschwindigkeit bei und erreichte mit dem Kern in den Abendstunden Island. Der Durchgang der Warmfront brachte Irland und dem Westen Großbritanniens bis 19 Uhr MEZ 12-stündig vielerorts Niederschläge von über 5 mm. Auf Walney Island im Nordwesten Englands wurden 15 mm registriert. In der Nähe des Tiefdruckkerns fielen im gleichen Zeitraum vereinzelt auch über 20 mm, wie etwa an der südisländischen Station Kvísker, mit 23 mm.

 

Durch die Interaktion mit dem isländischen Festland verlangsamte sich die Vorwärtsbewegung von Tief SARAH, dessen Kern zum Beginn des 21.11. vor der isländischen Ostküste lag. Der Tiefdruck hatte sich im Vergleich zum Vortag weiter stark intensiviert und betrug nun im Kern leicht unter 960 hPa. Der damit verbundene, starke Druckgradient, den man gut anhand der eng beieinander liegenden Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) erkennen konnte, machte sich besonders im Osten Islands in Form von Sturmböen bemerkbar. An mehreren Stationen wurden bis 07 Uhr MEZ 6-stündige Spitzenböen der Windstärke 11 verzeichnet, in Hamarsfjörður erreichten die Böen die Orkanstärke 12. Ähnlich hoch waren die Windgeschwindigkeiten auch an den Küsten des zentralen Norwegens, auch hier wurden in Kråkenes und am Leuchtturm von Ona in der Region um Ålesund Orkanböen gemessen.

Das Frontensystem des zum herangereiften Sturmtiefs SARAH erreichte an diesem Tag Mitteleuropa. Vom Okklusionspunkt vor Norwegen reichte eine Warmfront über die Nordsee bis über den Ärmelkanal und die Bretagne. Im Tagesverlauf verlagerte sie sich über Nordfrankreich, die Benelux-Staaten und Nordwestdeutschland, blieb dabei aber nur wenig wetteraktiv. Niederschlagsmengen von über 1 mm wurden lediglich in Ostfriesland erreicht, etwa in Bockhorn-Grabstede, wo bis 19 Uhr MEZ 12-stündig 2,5 mm fielen. Etwas höher fielen die Regenmengen im Bereich der nachfolgenden Kaltfront aus, die sich zu Tagesbeginn über den Norden der Britischen Inseln erstreckte, welche sie bis zum Abend südwärts überquerte. Dabei brachten vormittägliche Regenschauer auf der Rückseite der Front vor allem in der Grafschaft Cumbria Niederschläge über 5 mm. Die Messstationen von Keswick und St. Bees Head registrierten bis 19 Uhr MEZ jeweils 10 mm innerhalb von 12 Stunden. Die mit Abstand größten Niederschlagsmengen gingen im Bereich des auf Satellitenaufnahmen gut zu erkennenden Wolkenschirms über dem Süden Skandinaviens nieder. Besonders betroffen waren die Küstenregionen Südnorwegens, in denen bis zum Abend verbreitet Mengen um die 50 mm fielen, so wie in Liarvatn bei Stavanger, das bis 19 Uhr MEZ 24-stündig 57 mm verzeichnete. In Schweden und Finnland, welche am frühen Abend in den Einflussbereich des Frontensystems gerieten, erreichten die Niederschläge meist Werte knapp unter 10 mm, vereinzelt auch darüber. So z. B. die 12-stündig bis 19 Uhr MEZ gemessenen und durch ein Schauerereignis ausgelösten 33 mm im südschwedischen Ullared oder die 18 mm in der im Südwesten Finnlands gelegenen Hafen- und Industriestadt Pori.

 

Damit hatte die Zyklone SARAH den Höhepunkt ihrer Entwicklung überschritten. In der Nacht zum 22.11. begann sich das Tief langsam abzuschwächen. Der Kern des Tiefdruckgebiets lag um 01 Uhr MEZ unmittelbar vor der Westküste des nördlichen Norwegens, bei einem Luftdruck von nun 970 hPa. Vom Tiefdruckkern aus erstreckte sich eine Okklusionsfront in einem Bogen über Lappland, Finnland bis zum Okklusionspunkt über dem Finnischen Meerbusen. Von dort aus verlief eine Warmfront über das Baltikum und Polen bis über das Erzgebirge, dicht gefolgt von einer Kaltfront, welche sich über die Ostsee, Norddeutschland und England bis weit über den Atlantik erstreckte. Im Rücken dieses Frontengebildes hatten maritime Polarluftmassen die zuvor vorherrschenden kontinentalen Polarluftmassen verdrängt, wodurch eine deutliche Milderung der Temperaturen einsetzte. Im Raum Stockholm fielen die Werte in der Nacht zum 22.11. nicht unter 5°C, während in der Nacht zuvor noch bis zu

-6°C gemessen wurden. Signifikante Niederschläge waren vor allem an der norwegischen Küste, im Einflussbereich des Kerns der Zyklone SARAH, zu verzeichnen. In der Station Ullensvang bei Bergen fielen bis 07 Uhr MEZ 12-stündig 46 mm, bis 19 Uhr MEZ kamen noch einmal 21 mm dazu. Auch weiter nördlich wurden insbesondere am Nachmittag verbreitet über 20 mm gemessen, die größte Menge fiel mit 28 mm im Landschaftsschutzgebiet Tågdalen, südlich von Trondheim. Im Frontbereich waren die stärksten Regenfälle auf Finnland konzentriert, insbesondere im Raum um Helsinki fielen in den Morgenstunden bis 07 Uhr MEZ über 10 mm. Der Norden Deutschlands wurde im Tagesverlauf von beiden Fronten überquert, bei verbreitet dichter Bewölkung fielen die Niederschläge dabei aber nur schwach bis mäßig aus. In Schleswig-Holstein wurden am Morgen des 22.11. im Bereich der Warmfront Regenmengen von unter 10 mm registriert, lediglich auf Helgoland fielen 11 mm. Die Station Berlin-Dahlem geriet am Nachmittag unter den Einfluss des Frontensystems, die registrierten Niederschläge blieben aber unter dem messbaren Bereich.

 

Am 23.11. lag das Tiefdruckgebiet SARAH um 01 Uhr MEZ mit den Kernen SARAH I über Lappland, SARAH II über der nördlichen Spitze Norwegens und SARAH III über dem Polarmeer, alle jeweils mit einem Kerndruck von knapp unter 985 hPa. Vom Kern SARAH I verlief eine kurze Okklusionsfront über den Bottnischen Meerbusen und die skandinavische Halbinsel. Bemerkbar machte sich diese Front durch einzelne Regenschauer, die jedoch nur schwach ausfielen. Im nordfinnischen Oulu etwa kamen bis 07 Uhr MEZ 12-stündig 2,5 mm zusammen. Die Kerne SARAH II und SARAH III verband eine Okklusion, die sich südwärts über Russland, bis zur ukrainischen Grenze fortsetzte. Gerade im Bereich der Zyklone SARAH II fielen in der Region um das norwegische Trondheim den dritten Tag in Folge Regenmengen von über 20 mm. In Kvithamar, unmittelbar östlich von Trondheim, wurden innerhalb von 24 Stunden bis 19 Uhr MEZ 37 mm Niederschlag gemessen. Für weitverbreiteten Niederschlag sorgte der Durchgang der Okklusionsfront in den Morgenstunden im Westen Russlands. Insbesondere im Oblast Smolensk, wo viele Stationen zum Haupttermin um 07 Uhr MEZ 12-stündige Regenfälle von 4 bis 6 mm meldeten. Nördlich von Moskau gingen diese bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Schnee über.

Unter fortschreitender Abschwächung des Bodentiefs SARAH wurde das darüber geschichtete Höhentief durch den von Island nachrückenden Kaltlufttrog samt dem dazugehörigen Bodentief TANJA zunehmend in Richtung des Nordmeeres abgedrängt. Zum Tagesbeginn des 24.11. lag der Kern von Tief SARAH über der Halbinsel Kola, mit einem Druck von knapp 995 hPa. Im Bereich der Okklusionsfront, die vom Tiefdruckkern über Westrussland bis zum Schwarzen Meer reichte, war das Wettergeschehen wie schon am Vortag von Schauern geprägt. Diese brachten weitverbreitet Niederschläge zwischen 1 und 4 mm.

Bis zum Morgen des 25.11. veränderte sich die Position des Tiefs SARAH kaum. Das Zentrum bildeten zwei Kerne, SARAH I über der Halbinsel Kola und SARAH II über der Südinsel der Inselgruppe Nowaja Semlja im Polarmeer. Der Druck im Zentrum der beiden Kerne stieg derweil weiter an und betrug um 01 Uhr MEZ jeweils bereits 1005 hPa. Die Okklusionsfront, welche die beiden Kerne verband und auf Satellitenaufnahmen einen zunehmend zersplitterten Charakter aufwies, setzte sich südwärts über Moskau und den Kaukasus bis ans Schwarze Meer fort. Durch den zunehmenden Einfluss von kontinentalen Polarluftmassen, der vielerorts zu einem Absinken der Temperaturen unter 0°C führte, ging der Niederschlag im Bereich der Front verbreitet in Schnee über. Im weiteren Tagesverlauf wurde die Zyklone SARAH schließlich vom nachziehenden Tief TANJA über dem Nordpolarmeer verdrängt, wo sie sich in den Abendstunden schließlich auflöste. So konnte in der Bodenkarte der Berliner Wetterkarte vom 26.11. das Tiefdruckgebiet SARAH nicht mehr verzeichnet werden.