Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
SEBASTIAN
(getauft am
11.09.2017)
Am
11. September dominierte ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet über den Azoren das
Wetter in Europa maßgeblich. Mit einer Drehrichtung im Uhrzeigersinn stellte
sich nördlich des Zentrums eine breite Zone mit westlicher Strömung ein. In
dieser für den Nordatlantik klimatologisch typischen Luftmassenbewegung zogen
seit Beginn des Septembers zahlreiche Tiefdruckgebiete über Europa hinweg und
brachten teils kühles und feuchtes Wetter mit sich. So zogen vom 6. bis 11.
September die Tiefs PERRYMAN, QUASIMODO und REINHOLD in Richtung Mitteleuropa.
Gestützt von einem Hochdruckgebiet über dem östlichen Kanada strömte polare
Luft westlich von Grönland nach Süden. An der Grenze zur subtropischen Luft
über dem Atlantik, der sogenannten Polarfront, entstand aus einer Wellenstörung
ein neues Tiefdrucksystem, welches am 11. September in der Prognose für den
Folgetag auf den Namen SEBASTIAN getauft wurde.
Am
12. September um 01 Uhr MEZ befand sich die Zyklone SEBASTIAN mit einem Druck
im Kern von ca. 1002 hPa ungefähr 1000 km westlich von Irland. Das System
zeigte die typische Struktur einer jungen Zyklone. In südöstlicher Richtung
verlief die vorlaufende Warmfront, nach Südwesten die Kaltfront. Im Laufe des
Lebenszyklus holt die Kaltfront die Warmfront ein und vereinigt sich mit
dieser. Diese neue Art von Front wird als Okklusion bezeichnet.
Das
Tief SEBASTIAN gelangte in den Einflussbereich des Jetstreams, ein Starkwindband
in der Troposphäre, wodurch die Verlagerungsgeschwindigkeit hoch war. So wurde
die Zyklone SEBASTIAN am 13. September um 01 Uhr MEZ bereits über Nordengland
analysiert. Der Druck vertiefte sich enorm und erreichte Werte um 985 hPa.
Große Teile des Frontensystems okkludierten bereits, wobei die Okklusionsfront
vom Kern bis über den Ärmelkanal reichte. Die Warmfront erstreckte sich von
Nordfrankreich bis zu den westlichen Pyrenäen, die Kaltfront von der Bretagne
bogenförmig über den Atlantik. Bis zum 07 Uhr MEZ-Termin zog der Kern über die
Nordsee, währenddessen das Frontensystem vom äußersten Westen Deutschlands bis
Südfrankreich reichte. Die höchsten 24-stündigen Niederschlagswerte bis 07 Uhr
MEZ wurden im Bereich des Kerns registriert. In Nordirland sowie im nördlichen
England fielen verbreitet 10 bis 30 mm, vereinzelt 30 bis 40 mm. Das walisische
Capel Curig erreichte mit 40,6 mm den höchsten Wert. Ein zweiter Schwerpunkt
reichte von Schleswig-Holstein über das westliche Niedersachsen, den
Niederlanden bis Luxemburg mit 10 bis örtlich 30 mm. Spitzenreiter war das holländische
Stavoren mit 33,8 mm und das deutsche Pellworm mit 29,0 mm. Ansonsten
vermeldeten die Wetterstationen in Großbritannien sowie in Nord- und
Zentralfrankreich Regenmengen von 1 bis 10 mm. Vorderseitig der bogenförmigen
Okklusionsfront erreichten die Temperaturen in der Südosthälfte maximal 20 bis
23°C, direkt an der Nordsee blieb es mit Werten um 15°C kühler. Am wärmsten
wurde es in Weil am Rhein mit 23,2°C.
Mit
Aufzug des Tiefs SEBASTIAN verstärkte sich der Wind deutlich. So wurden um 18
Uhr MEZ in Südirland und Südwestengland die ersten Sturmböen von 80 bis knapp
90 km/h registriert. Bis 00 Uhr MEZ des Folgetages nahm der Gradient und damit
der Wind weiter zu. Von Irland über Wales, Nordwestfrankreich und Westengland
verzeichnete man in der Spitze 80 bis 90 km/h, in Wales 95 bis 105 km/h und bis
113 km/h an Bojen über dem Ärmelkanal. Um 01 Uhr MEZ konnte im walisischen
Mumbles mit 119 km/h sogar eine Orkanböe verzeichnet werden. In den
Folgestunden verlagerte sich das Sturmfeld nach Osten, wobei um 04 Uhr MEZ in
London-Heathrow mit 102 km/h Windstärke 10 erreicht werden konnte. Auch an der
französischen Nordküste wurden Böen von 100 bis 120 km/h, in Boulogne sogar 124
km/h verzeichnet. Zum 07 Uhr MEZ-Termin erreichten die Windspitzen entlang der
holländischen Küste 90 bis 105 km/h, in der Provinz IJmuiden 111 km/h.
Die
Zyklone SEBASTIAN verlagerte sich währenddessen rasch nach Osten und befand
sich mit einem Druck von ca. 983 hPa über Südschweden. Das Sturmfeld zog im
Tagesverlauf über die Nordsee in Richtung Ostsee ab, wobei verbreitet an der
Nordsee Orkanböen und an der Ostsee orkanartige Böen verzeichnet wurden. So
vermeldete Büsum 124 km/h, Helgoland 131 km/h und Borkum extreme 154 km/h. Im
Binnenland waren die Böen nicht ganz so stark ausgeprägt. Bremen erreichte 100
km/h, Hamburg 90 km/h und Berlin-Tegel 85 km/h. Tief SEBASTIAN war somit der
erste Herbststurm über Deutschland. Allgemein stellte sich Mitte/Ende September
windiges und feuchtes Wetter ein, dass seinen Höhepunkt mit Orkan XAVIER am 5.
Oktober fand. Die Okklusionsfront von Tief SEBASTIAN kam in Alpennähe ins
Schleifen, das heißt, dass sie sich nicht weiter nach Osten verlagerte und
stationär oder teils sogar rückläufig wurde. So lässt sich ein
Niederschlagsschwerpunkt von Paris bis Karlsruhe ausmachen, wo sich die Front
mehrere Stunden befand. Bis 07 Uhr MEZ am 14. September fielen in 24 Stunden 50
bis 85 mm Regen. Rheinstetten vermeldete 62,3 mm, Karlsruhe 64,2 mm und das
französische Rodalbe 87,1 mm. Der zweite Schwerpunkt lag in der Nähe des
Tiefdruckkerns von Schleswig-Holstein bis Südschweden. Dort fielen gebietsweise
15 bis 40 mm, in List auf Sylt sogar 58,2 mm. Die gemessenen Tiefstwerte am
Morgen zeigten den deutlichen Unterschied der Luftmassen. Vorderseitig
verzeichneten Weil am Rhein mit einem Minimum von 20,7°C, Müllheim von 20,4°C
und Lörrach von 20,1°C allesamt eine Tropennacht. Tropennächte treten bei einem
Tiefstwert von größer oder gleich 20,0°C auf und sind normalerweise im Juni
oder Juli anzutreffen. Nur wenige Kilometer nördlich wurde es in Freiburg mit
12,5°C deutlich kälter. Berus im Saarland vermeldete mit 9,1°C sogar
einstellige Tiefstwerte. Bis zum Abend verlagerte sich das leicht abgeschwächte
Sturmtief SEBASTIAN von Südschweden nach Südfinnland. Die durch die Okklusionsfront
hervorgerufene Luftmassengrenze verlagerte sich weiter nach Südosten, sodass
nur noch der äußerste Süden von Deutschland vorderseitig von dieser lag. So
stieg die Temperatur in München auf 20,1°C, in Garmisch-Partenkirchen sogar auf
23,4°C, währenddessen in Nordbayern nur 10 bis 13°C gemessen wurden. Noch
wärmer wurde es in Österreich mit 27,8°C in Wien. Dort konnte mit 107 km/h beim
Durchzug der Front Windstärke 11 verzeichnet werden.
Der
Großteil von Deutschland befand sich im Einflussbereich der Polarluft, welche
zahlreiche Regenfälle auslöste. In Berlin und Potsdam konnte am Nachmittag
sogar noch ein Gewitter beobachtet werden. Bis zum 07 Uhr MEZ-Termin am 15.
September summierten sich die 24-stündigen Niederschlagsmengen von NRW bis
Bayern sowie in Schleswig-Holstein auf 15 bis 30 mm, örtlich auf 40 mm. Sonst
wurden 2 bis 15 mm gemessen. Besonders kräftige Schauer gab es im Bereich der
Okklusion westlich des Kerns von Tief SEBASTIAN. Zu diesem Zeitpunkt ging vom
Kern nicht mehr nur eine Okklusionsfront aus, sondern zwei. Eine nach
Südwesten, welche Schleswig-Holstein und Dänemark beeinflusste, die zweite
Okklusionsfront erstreckte sich in einem weiten Bogen über die Ostsee, Polen,
Tschechien bis zur Schweiz. So konnte die höchste 24-stündige Regenmenge auf
Husum mit 42,9 mm festgestellt werden, gefolgt von Bernau im Schwarzwald mit
42,2 mm. Mit der Abschwächung des Tiefs SEBASTIAN nahmen auch die Windspitzen
ab. In Verbindung mit den Schauern wurden in Norddeutschland Böen von 60 bis 80
km/h gemessen, wie beispielsweise in Potsdam mit 76 km/h. An den Küsten
erreichten die Spitzen nochmals 80 bis örtlich 100 km/h. Die stärkste Böe
konnte an der Ostsee in Hiddensee mit 102 km/h verzeichnet werden.
Am
15. September um 01 Uhr MEZ befand sich der Kern mit einem Druck von ca. 988
hPa nahe Helsinki. Dabei erstreckte sich eine Okklusion in südwestlicher
Richtung über der Ostsee bis zum Thüringer Wald, eine zweite nach Osten in
Richtung Weißrussland und Russland. Nach Abzug der Front befand sich Deutschland
tagsüber nicht mehr im direkten Einflussgebiet von Tief SEBASTIAN. Dennoch
löste die Luftmasse erneut Schauer aus. Der Kern der Zyklone beeinflusste indes
das südliche Finnland, die Baltischen Staaten und Westrussland. In diesem
Bereich fielen 24-stündig gebietsweise 3 bis 15 mm, wie in Sankt Petersburg mit
4 mm oder 10 mm im südfinnischen Niinisalo. Bei den Höchstwerten konnten erneut
große Unterschiede auftreten. Im Westen Russlands registrierte man 20 bis 25°C,
in Moskau 24,3°C, in den Baltischen Staaten sowie im äußersten Süden Finnlands
13 bis 18°C. In Nord- und Mittelfinnland konnten nur noch 4 bis 12°C erreicht
werden. Stärkere Windböen über 70 km/h blieben aus.
Im
weiteren Verlauf zog das Tief SEBASTIAN unter Abschwächung am 16. September
über Nordwestrussland ab. Zur selben Zeit konnte sich in der polaren Luftmasse
über der Nordsee ein kleines eigenständiges Tief ohne Fronten ausbilden,
welches noch der Zyklone SEBASTIAN zugehörig war. Dieses kleine Tiefdruckgebiet
konnte vom 16. bis 18. September über der Nordsee analysiert werden und sorgte
dort für häufige Schauer. 24-stündig fielen bis zum 17. September um 07 Uhr MEZ
an der holländischen Küste und der deutschen Nordseeküste 10 bis 30 mm. Die
höchste Menge wurde auf Helgoland mit 36,6 mm verzeichnet. Auch am Folgetag
konnte in diesen Regionen sowie in Hamburg und Schleswig-Holstein 5 bis 15 mm
Niederschlag registriert werden. Der 18. September war der letzte Tag an dem
das Tief SEBASTIAN von der Berliner Wetterkarte analysiert wurde, da sich im Tagesverlauf
das kleinräumige Druckgebilde auflöste.
Geschrieben
am 27.11.2017 von Dennis Schneider
Berliner
Wetterkarte: 13.09.2017
Pate:
Dr. Michael Sebastian Mühlhaus