Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet SÉBASTIEN

(getauft am 12.10.2019)

 

Die Vergabe von Namen an Hoch- und Tiefdruckgebiete wird von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte nur für solche Druckgebilde durchgeführt, welche einen Einfluss auf die Großwetterlage in Europa haben. Am 12.10.2019 befand sich das Tiefdrucksystem ROCCO westlich der iberischen Halbinsel. Dort erstreckte sich westlich der Zyklone ROCCO ein ausgedehntes Frontensystem bis nach Nordamerika. In den nächsten Tagen sollte sich der Wirbel ROCCO mit dem angesprochenen Frontensystem bis nach Nordeuropa verlagern. Gleichzeitig sollte sich bis zum 14.10. ein Trog über Westeuropa entwickeln. Des Weiteren wurde prognostiziert, dass der Übergang zwischen der Warm- und Kaltfront des Frontsystems genau auf der Vorderseite des Trogs liegen sollte. An diesen Übergangspunkten bilden sich oftmals schwache Wellenstörungen aus, weil Kaltfronten eine schnellere Rotationsgeschwindigkeit als Warmfronten haben. Daher entstehen oftmals Tiefdruckstörungen entlang dieser Wellenstörungen, wobei sich diese aufgrund der Lage auf der Vorderseite des Trogs, zu einem Tiefdruckgebiet weiterentwickeln sollte. Daher wurde diese schwache Wellenstörung auf der Prognosekarte vom 12.10. auf den Namen SÉBASTIEN getauft. Das Tief SÉBASTIEN wurde erstmals auf einer Analysekarte am 14.10. um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, erwähnt.

Am 14.10. befand sich der Wirbel SÉBASTIEN mit einem Kerndruck von unter 1010 hPa über der Nordküste Spaniens. Die Warmfront erstreckte sich nach Nordosten, überquerte Brüssel und ging über Köln in die Kaltfront von der Zyklone ROCCO über. Die Kaltfront war nach Südwesten ausgerichtet und überquerte Lissabon und endete bei den Kanarischen Inseln. Warm- und Kaltfront bezeichnen hier die Grenze zwischen zwei unterschiedlich temperierten Luftmassen. In der Nacht vom 13.10. zum 14.10. war die Kaltfront bereits auf die Küstenlinie getroffen und verursachte dort, aufgrund der orographisch bedingten Hebungsvorgänge, zahlreiche Starkniederschläge in Portugal und Spanien. Um 14 Uhr MESZ wurden beispielsweise bis zu 80,8 l/m² Niederschlag innerhalb der vergangenen 24 Stunden in Vimianzo-Castrelo gemessen. Allein 18,2 l/m² fielen davon in einer Stunde um 06 Uhr MESZ. In den umliegenden Stationen wurden ebenfalls verbreitet über 30 l/m² registriert. Im Tagesverlauf gingen die Niederschläge auf die Pyrenäen und Südfrankreich über. Hierbei stach besonders die Station Mont Aigoual mit 54,2 l/m² heraus. Gleichzeitig frischte der Westwind vielerorts auf und erreichte an dieser Station am Abend 119 km/h, was Windstärke 12 Beaufort entspricht. In der Nacht verstärkten sich die Windgeschwindigkeiten sogar auf 130 km/h. Zusätzlich gab es einen markanten Temperaturrückgang der Höchsttemperatur im Vergleich zum Vortag. Beispielsweise am Cordoba-Airport gab es eine Abkühlung um 10 Kelvin von 33,5°C am 13.10. auf 23,5°C am 14.10., jeweils um 17 Uhr MESZ.

Am nächsten Tag lag das Tiefdrucksystem SÉBASTIEN nördlich von London. Hinzukommend hatte es sich deutlich intensiviert, weshalb der Kerndruck um 10 hPa auf unter 1000 hPa sank. Unter anderem ereignete sich zu diesem Zeitpunkt parallel der Prozess innerhalb des Tiefdruckgebiets SÉBASTIEN, der in der Meteorologie unter den Begriff der Okklusion fällt. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem eine Mischfront entsteht, welche durch den Zusammenschluss von Warm- und Kaltfront entsteht und die Eigenschaften beider Typen in sich vereint. Diese sogenannte Okklusionsfront verlief um 00 Uhr UTC um den Kern herum, bis sie östlich von ihm im Okklusionspunkt in eine Kalt- und eine Warmfront überging. Die Warmfront verlief westlich, bis sie nordöstlich von Warschau in die Kaltfront des vorangegangenen Tiefs ROCCO überging und die Kaltfront in südliche Richtung bis zum Mittelmeer.

Vom Südwesten aus verlief die Kaltfront dann gekrümmte bis vor die Küste Marokkos. An diesem Tag gab es vor allem in den Südalpen signifikante Wetterzustände. In der Südschweiz wurden bis zu 115,6 l/m² in Mosogno gemessen. In den angrenzen Stationen fielen allerdings auch vielerorts über 50 l/m². Obendrein lag die Schneefallgrenze tagsüber bei über 3000 Metern und sank im Verlauf des Abends nur auf 2500 bis 3000 Meter. Dadurch fiel ein Großteil des Niederschlags in flüssiger Form, wodurch es örtlich zu Überschwemmungen kam. Der Kaltfrontdurchgang ist ebenfalls sehr gut an der Station Isole di Brissago in der Südschweiz ersichtlich. Am genannten Orte wurden um 23 Uhr MESZ 106 km/h in Böen gemessen. In der vorherigen Stunde wehte der Wind nur mäßig mit maximal 26 km/h. Weitere größere Niederschlagssummen wurden in Westdeutschland registriert. Dort erstreckte sich ein Starkniederschlagsband von Hamburg bis Bremerhaven mit meist über 30 l/m². Der Höchstwert war in Bergen mit 52,4 l/m² verortet.

Am Mittwoch, dem 16.10., befand sich die Zyklone SÉBASTIEN zwischen Schottland und der norwegischen Küste mit einem Kerndruck von weiterhin unter 1000 hPa. An diesem Tag wurde insbesondere Nordostdeutschland zunächst von der Kaltfront und im weiteren Verlauf von der Okklusionsfront beeinflusst. In Hepstedt sorgte eine lokale Schauerzelle für 34,4 l/m² Niederschlag. An den Stationen in unmittelbarer Umgebung wurden hingegen nur 2 bis 3 l/m² registriert. Zudem zog ein größeres Regengebiet mit eingelagerten Schauern über Mecklenburg-Vorpommern hinweg, weshalb dort vielerorts zweistellige Niederschlagssummen gemeldet wurden. In Krümmel war der Höchstwert mit 22,9 l/m² verortet. Zudem schwächte sich die Zyklone SÉBASTIEN am Nachmittag weiter ab, da sich über Skandinavien und Westrussland zwei blockierende Hochdruckgebiete befanden. Daher wurde das Tiefdruckgebiet SÉBASTIEN am folgenden Tag nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte benannt.