Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet SHIGERU

(getauft am 04.12.2015)

 

Am Abend des 03.12.2015 entwickelte sich infolge eines Vorstoßes kontinentaler Kaltluft über dem nördlichen Atlantik über dem Golf von Maine ein Tiefdruckgebiet. Bis Mitternacht war dieses weiter nordostwärts gezogen, wo es sich mit einem Luftdruck im Zentrum von ca. 997 hPa auf der Breite der kanadischen Provinz Nova Scotia befand. Das Tief hatte zudem eine ostwärts gerichtete Warmfront, eine sich südwestwärts bis nach Bermuda erstreckende Kaltfront und eine nach Westen reichende Okklusion ausgebildet. Eine Okklusion bezeichnet eine Mischfront aus Kalt- und Warmfront, die entsteht, wenn die nachfolgende und schneller ziehende Kaltfront die vordere Warmfront einholt. Der Punkt, an dem die Kalt- und Warmfront zusammenlaufen, heißt Okklusionspunkt. Das Frontensystem sorgte entlang der kanadischen Küste für leichte Regenfälle, welche in der kälteren Luft im Landesinneren in Schneefall übergingen.

Zum 04.12. zog das Tiefdruckgebiet ostwärts über den nördlichen Atlantik und wurde in den Vormittagsstunden von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen SHIGERU getauft. Im weiteren Tagesverlauf verlagerte sich das Tief SHIGERU unter leichter Verstärkung auf einen Kerndruck von ca. 990 hPa weiter ostwärts und befand sich um 01 Uhr des 05.12. etwa 1300 km östlich der Insel Neufundland und 1500 km südlich der Südspitze Grönlands. Vom Zentrum weg reichte die Kaltfront südwestwärts quer über den nördlichen Atlantik, die Warmfront nordostwärts, wo sie westlich von Irland in die Kaltfront des voranziehenden Tiefs TED überging. Auf der Rückseite des Tiefs SHIGERU hatte sich in der maritimen Arktikluft zudem eine zusätzliche Okklusionsfront ausgebildet. Mit der weiteren Verlagerung des Tiefs SHIGERU nach Osten erreichte wenige Stunden später die Warmfront die irische Küste und sorgte dort für starke und lang anhaltende Regenfälle. Mit den starken Regenfällen gingen zudem Sturmböen, in den Hochlagen Englands und Schottlands auch Orkanböen einher. Im irischen Mace Head wurden in den Vormittagsstunden Spitzenböen bis 97,3 km/h gemessen, im walisischen Capel Curig bis 133,4 km/h und auf dem schottischen Cairnwell bis 139,0 km/h. Auf dem 1245 m hohen Cairngorm in den gleichnamigen Cairngorm Mountains im Nordosten Schottlands wurden sogar schwere Orkanböen bis 170,5 km/h gemessen. In den Folgestunden verlagerte sich die Warmfront des Tiefs SHIGERU nur sehr langsam nordostwärts, weshalb sich die starken Niederschlagsgebiete quasistationär im Bereich zwischen dem nördlichen Irland, dem Norden Englands und dem Süden Schottlands verblieben und teils unwetterartige Ausmaße annahmen. Die nachfolgende Kaltfront erstreckte sich vom Tiefzentrum nach Südwesten über den Atlantik.

Bis um 01 Uhr MEZ des 06.12. hatte sich der Kern des Tiefs SHIGERU bis über den Norden Irlands verlagert, dabei hatte sich der Luftdruck im Inneren leicht auf etwa 994 hPa erhöht. In den Regionen, in denen es bis 07 Uhr MEZ 24 Stunden lang fast ununterbrochen geregnet hatte, wurden verbreitet unwetterartige Niederschlagssummen registriert. Im irischen Claremorris summierte sich der Niederschlag auf 64,0 mm, in Keswick im Westen Englands sogar auf 111,6 mm. Nochmals deutlich höhere Niederschlagsmengen wurden mit 137,2 mm im Capel Curig und mit 188,0 mm in der Ortschaft Shap im Nordwesten Englands gemessen. Die Niederschlagsmenge, die binnen 24 Stunden in Shap fiel, entspricht etwa einem Drittel der jährlichen Niederschlagsmenge von Berlin und war die höchste 24-stündige Niederschlagsmenge, die seit Aufzeichnungsbeginn an dieser Station gemessen wurde. Der Tiefdruckwirbel SHIGERU zog in der Folgezeit bis zum frühen Nachmittag über den Norden Schottlands hinweg und über die Nordsee in Richtung Südskandinavien, wo im Bereich der Warmfront auch anhaltende Regenfälle einsetzten. Die Kaltfront des Wirbels überquerte währenddessen von Nordwesten her Irland und den Norden Großbritanniens nach Südwesten und sorgte dabei auch neben erneut stürmischen Wind und Regen für eine deutliche Abkühlung. Wurden im Warmluftsektor, also dem Bereich zwischen Warm- und Kaltfront, in warmer Subtropikluft noch sehr milde Temperaturwerte von 13 bis 14°C gemessen, sank die Temperatur hinter der Kaltfront in der herangeführten maritimem Polarluft auf Werte zwischen 6 und 7°C. Zum Abend reichten die Niederschlagsbänder an den Fronten des Tiefs SHIGERU vom Ärmelkanal über die Beneluxstaaten, Norddeutschland und Dänemark bis in den Süden Schwedens und das Baltikum.

Bis 01 Uhr MEZ des Folgetages war das Zentrum des Tiefdruckwirbels SHIGERU rasch weiter über Skandinavien hinweg bis über den Nordwesten Russlands gezogen, wobei der Luftdruck im Kern wieder deutlich auf ca. 976 hPa gefallen war. Die Warmfront, an der die Niederschläge nach Osten hin mehr und mehr in Schnee übergingen, reichte nun vom Kern des Tiefs SHIGERU bis zum Ural, die Kaltfront führte quer über den Norden Osteuropas bis zum Norddeutschen Tiefland. Im Bereich der Kaltfront kam es über Osteuropa zu teilweise starken Regenschauern mit Sturmböen, über dem Norden und der Mitte Deutschlands fiel der Niederschlag hingegen meist in Form von leichtem Regen oder Sprühregen. Auf der estnischen Ostseehalbinsel Sõrve wurden bei Frontdurchgang Spitzenböen bis 108,1 km/h gemessen, was Windstärke 11, also orkanartige Sturmböen auf der Beaufortskala entspricht. Doch auch in den lettischen Städten Ventspils und Liepāja wurden mit 90,1 bzw. 82,9 km/h noch Sturmböen registriert. Zusätzlich wurden in vielen Regionen, über die die Fronten des Tiefs SHIGERU hinweggezogen waren, erneut hohe Niederschlagsmengen gemessen. Zu den höchsten Summen kam es aufgrund von Staueffekten der Niederschläge am Norwegischen Gebirge entlang der Küste Südwestnorwegens. Bis 07 Uhr MEZ des 07.12. wurden so beispielsweise in Saerheim 57,0 mm gemessen und in Fossmark 35,3 mm. An der finnischen Station Punkaharju Laukansaari wurden 21,0 mm registriert, im schwedischen Rångedala 18,5 mm und im estnischen Viljandi 19,9 mm. In Deutschland wurde die höchste Niederschlagssumme in Essen mit 8,7 mm gemessen, ebenso kamen mit 8,2 mm in Braunlage im Harz mehr als 8 mm zusammen. Im Tagesverlauf zog das Tief SHIGERU weiter ostwärts, verstärkte sich dabei immer mehr und begann zu okkludieren. Während sich die Warmfront begann abzuschwächen, verlagerte sich die Kaltfront weiter nach Südosten in Richtung Schwarzes Meer und Südrussland. Rückseitig der Kaltfront konnte in einer auf Nordwest drehender Windströmung maritime Polarluft in die Mitte Russlands und maritime Artikluft in den Norden Russlands und Skandinaviens fließen. Zum Abend und in der Nacht gingen die Niederschläge, welche mit den Fronten des Tiefs SHIGERU einhergingen, immer mehr in Schneefall über. Auf der Rückseite des Tiefdruckwirbels SHIGERU konnten sich in der Kaltluft auch starke Schneeschauer entwickeln. Zudem konnten im gesamten Einflussbereich, in dem das Tief SHIGERU wirksam war, starke Windböen zwischen 60 und 70 km/h gemessen werden.

Um 01 Uhr MEZ des 08.12. befand sich das Zentrum des Tiefs SHIGERU beim Uralgebirge. Von dort aus reichte eine Okklusion nach Süden und ging in eine Kaltfront über, welche über den gesamten Südwesten Russlands bis zum Schwarzen Meer führte. Der zentrumsnahe Luftdruck war weiter auf etwa 970 hPa gefallen. Der nun auch in der 500 hPa Höhenwetterkarte, was ca. einer Höhe von 5000m über dem Erdboden entspricht, gut zu erkennende Tiefdruckwirbel SHIGERU hatte sich mittlerweile zu einem eindrucksvollen Schneesturm entwickelt, welcher das Wetter im gesamten Westen Russlands beeinflusste. In Nordfinnland konnte es in der Nacht zum 08.01. sogar längere Zeit aufklaren, daher fielen dort die Temperaturen in den zweistelligen negativen Bereich, wie beispielsweise in Inari Saariselkä, wo Tiefstwerte von -15,2°C gemessen wurden. Bis 07 Uhr MEZ fielen innerhalb von 24 Stunden im russischen Cherdyn 14,0 mm Niederschlag, welche die schon vorhandene Schneedecke von 47 auf 57 cm anwachsen ließ. Auch weiter westlich in Gajny brachten 16,0 mm Niederschlag 9 cm Neuschnee, so dass dort eine 43 cm hohe Schneedecke gemessen wurde. In Biser am Südende des Urals fielen im 24-stündigen Zeitraum sogar 26,0 mm Niederschlag, wodurch dort durch zusätzliche 14 cm nun 56 cm Schnee lagen. Im Verlaufe des 08.12. verlagerte sich das Tief SHIGERU in nordöstliche Richtung nach Sibirien und schwächte sich dabei leicht ab. Nichtsdestotrotz sorgte das Tief SHIGERU weiterhin für stärkere Schneefälle im gesamten Umfeld des Urals sowie weiten Teilen der Mitte und des Westen Russlands.

In den frühen Morgenstunden des 09.12. befand sich der Tiefdruckwirbel SHIGERU mit einem nun schwächeren Kerndruck von ca. 966 hPa ca. 1000 km östlich des Urals, an das Tiefzentrum war jedoch nur noch eine schwache Okklusionsfront gebunden. Da auf der Rückseite des vor allem in der Höhe noch großräumigen Tiefdruckkomplexes SHIGERU weiter maritime Arktikluft in den Norden Skandinaviens und weite Teile Westrusslands strömen konnte, sank die Temperatur in den Nacht auf den 09.12. im Norden Finnlands in der Gemeinde Sodankylä Lokka beispielsweise auf -17,4°C, im russischen Krasnoscel'e auf der Halbinsel Kola auf -14,8°C. Neuschnee von 7 cm brachten zudem die 11,0 mm Niederschlag, welche in Berezovo in Sibirien 24-stündig bis 07 Uhr MEZ des 09.12. fielen. Dort wuchs die Schneedecke auf 42 cm an.

Das Tiefdruckgebiet SHIGERU schwächte sich immer stärker ab und zog weiter nach Nordosten in Richtung des Arktischen Ozeans. Auch die Schneefälle verlagerten sich unter Abschwächung weiter ostwärts. Bis zum Morgen des 10.12.2015 war der Wirbel SHIGERU in den Nordteil des westsibirischen Tieflands gezogen, sein Luftdruck im Zentrum war dabei auf etwa 982 hPa angestiegen. Bis 07 Uhr MEZ wurden in der Ortschaft Kogalym 24-stündig nochmals 6,0 mm Niederschlag gemessen und im etwas weiter südlich gelegenen Salym 5,0 mm. Jedoch fielen insgesamt betrachtet die Niederschlagssummen deutlich niedriger aus als noch am Tag zuvor. In den darauffolgenden Stunden zog der Tiefdruckwirbel SHIGERU in Richtung des Nordsibirischen Tieflands und entfernte sich damit aus dem Analysebereich der Berliner Wetterkarte.

Das Tief SHIGERU beeinflusste das europäische Wettergeschehen über insgesamt 6 Tage und sorgte dabei vor allem über Großbritannien für unwetterartige Niederschläge und Orkanböen. Im weiteren Verlauf entwickelte es sich immer mehr zu einem Schneesturm, welcher über dem westlichen Russland teilweise hohe Neuschneemengen brachte.

 

 

Geschrieben von am 01.03.2016 Maximilian Steinbach

Berliner Wetterkarte: 07.12.2015

Pate: Dietmar Kopietz