Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet SYLVIA

(getauft am 24.06.2020)

 

Am 24.06. hatte sich eine besondere Wetterlage über Mitteleuropa eingestellt. Diese war geprägt durch einen weit nach Norden reichenden Keil, welcher die warme subtropische Luft bis nach Skandinavien lenkte. Zudem wurde die Westwinddrift unterbrochen, sodass sich das Tief ROSEMARIE mit Kern über dem Osten Polens nach Westen verlagerte. Gleichzeitig näherte sich aus Westen das Tief QUIOLA mit einem ausgedehnten Frontensystem. Da am folgenden Tag die entgegengesetzt verlagernden Luftmassenströmungen aufeinandertreffen sollten, prognostizierte die Berliner Wetterkarte eine Konvergenzzone über Westfrankreich. Diese lag zusätzlich auf der Vorderseite eines Troges, einem Kaltluftvorstoß nach Süden, welcher bei kleinräumigen Störungen in der Atmosphäre die Entwicklung von Tiefdruckgebieten fördern kann. Daher sollte sich innerhalb der Konvergenzzone eine Tiefdruckzone entwickeln. Basierend auf diesen Prognosen beschloss die Berliner Wetterkarte auf der Prognosekarte vom 24.06. das sich zum 25.06. bildende Tief auf den Namen SYLVIA zu taufen.

Dieser Wirbel konnte also erstmalig am 25.06 um 02 Uhr MESZ mit einem Kerndruck von unter 1015 hPa über Bordeaux auf der Berliner Wetterkarte ausfindig gemacht werden. Das Tiefdruckgebiet SYLVIA hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein Frontensystem ausgebildet. Allerdings näherte sich von Westen ein ausgedehntes Frontensystem mit einer Kalt- und Warmfront, welches sich von Tief QUIOLA mit Kern über Island abgespaltet hatte. Im Tagesverlauf geriet dieses Frontensystem in den Tiefdruckeinfluss von Wirbel SYLVIA, sodass die Zyklone als steuerndes Tief für das Frontensystem wirkte. Am Nachmittag bildete sich eine weitere Konvergenzlinie entlang der Kaltfront über der Iberischen Halbinsel aus. Infolgedessen kam es in Nordspanien zur Entwicklung von diversen Gewittern, welche lokal mit Starkregen einhergingen. In den Pyrenäen wurden die Hebungsprozesse, welche durch die Konvergenz ausgelöst wurden, noch orographisch verstärkt. Die Wetterstation in Vielha e Mijaran registrierte während eines Gewitters eine Niederschlagsmenge von 47,1 l/m² zwischen 16 und 18 Uhr MESZ. Etwas später wurden in Bielsa ebenfalls 43 l/m² innerhalb von 3 Stunden gemessen. Der Wind wehte zwar meist schwach, in Gewitternähe frischte er aber zeitweise auf und erreichte in Enciso 93 km/h um 21 Uhr MESZ. Des Weiteren waren die Maximaltemperaturen in den von Gewittern betroffenen Gebieten deutlich tiefer als in der Umgebung.

Zum 26.06. war das Tief SYLVIA von Frankreich bis zum Vereinigten Königreich gezogen und lag gegen 02 Uhr MESZ mit einem auf unter 1010 hPa gefallenen Kerndruck über Dublin. Außerdem hatte sich das bereits erwähnte Frontensystem an das Tief SLYVIA angefügt. Die dazugehörige Warmfront verlief hierbei vom Tiefdruckkern bis nach Skandinavien und endete in einer Kaltfront über der Halbinsel Kola. Die Kaltfront erstreckte sich nach Süden bis zu einer weiteren Warmfront von einem unbenannten Tief über Spanien.  Des Weiteren hatte sich eine der zwei Konvergenzlinien, welche am Vortag über Frankreich lag, im Tagesverlauf weiter nach Deutschland verlagert.

 Sowohl westlich als auch östlich davon bildeten sich zahlreiche Niederschläge aus, welche durch mehrere kurze Regenschauer und starke Gewitter produziert wurden. Für die luxemburgischen Orte Bettendorf und Wintger traf letzteres zu, sodass an deren Messstationen zwischen 16 und 18 Uhr MESZ 49 bzw. 62 l/m² registriert wurden. Nur 20 km Luftlinie von Bettendorf entfernt gab es derweil lediglich geringe Niederschlagsmengen, was auf lokal große Unterschiede hindeutete. Weiter östlich im östlichen Teil der Tschechischen Republik vermeldeten der Regionalflughafen Ostrava in der Gemeinde Mošnov und die Stadt Prostějov ebenfalls Starkniederschläge von knapp 50 l/m² bei Windböen von 60 km/h innerhalb einer kurzen Zeitdauer. Zumeist war der Wind nur schwach, in Folge der zahlreichen Schauer und Gewitter gab es im Schwarzwald aber zahlreiche Sturmböen von bis zu 93 km/h wie in Weilheim-Bierbronnen. Auf der höchsten Erhebung des Schwarzwalds, dem Feldberg, erreichte der Wind 80 km/h. Auf dem in Schottland gelegenen Berg Great Dun Fell war es nochmals deutlich windiger bei bis zu 116,8 km/h, wobei dieser Wert in dieser Gegend regelmäßig auftritt. Beachtlich hingegen war der markante Temperaturunterschied der Höchsttemperaturen zwischen einigen Regionen in Deutschland, an denen die 30-Grad-Marke deutlich überschritten wurde im Vergleich zur Tschechischen Republik, wo verbreitet nur 20°C gemessen wurden.

 

Bis zum nachfolgenden Tag verblieb Tief SYLVIA nahezu stationär im Einflussbereich der Britischen Inseln und hatte sich auf einen Kerndruck von unter 1000 hPa verstärkt. Aufgrund des komplexen Frontensystems sowie den weiterhin bestehenden Konvergenzzonen gab es mehrere interessante Regionen bezüglich der Meldung von signifikanten Wetterzuständen. Auf den Britischen Inseln gab es diverse Niederschläge, wobei diese mit maximal 17 l/m² in Ballyhaise eher gering ausfielen. Im Bereich der deutschen Nordseeküste, welche sowohl von der Kaltfront überquert wurde als auch durch die Konvergenz geprägt war, wurden zahlreiche Niederschläge vermerkt, welche meist von konvektiver Art waren. An der Station Nieuw-Beerta wurden 25,4 l/m² innerhalb einer Stunde am späten Nachmittag registriert. Zudem strömte an die Küste der Niederlande die kühle und feuchte maritime Luftmasse an, weshalb sich die Temperaturen stark abkühlten. In Rotterdam sank die Maximaltemperatur im Vergleich zum Vortag um 6 Kelvin auf 24,5°C. Zusätzlich war es verbreitet selbst im Flachland windig, wobei es sich in der Regel nur um Windstärken von 6 bis 7 Beaufort handelte. Weitere Niederschläge wurden in Österreich und über dem gesamten Alpenraum verortet. Am Bad Ausee im Salzburger Land wurden beispielsweise 32,0 l/m² zwischen 21 und 22 Uhr MESZ gemessen.

 

Bis zum 28.06. verlagerte sich das Tief SYLVIA bis an die Westküste Schottlands. Dabei war der Kerndruck deutlich um mindestens 10 hPa auf unter 990 hPa gesunken. Bereits in den Morgenstunden erreichte die Kaltfront die skandinavische Küste und löste insbesondere im Gebirge einige Hebungsprozesse aus, welche wiederum mit zahlreichen Niederschlägen verbunden waren. In den norwegischen Orten Tryvasshogda und Asker erkannte die Wetterstation eine Niederschlagssumme von knapp 15 l/m² zwischen 08 und 09 Uhr MESZ. Darüber hinaus gab es noch einen stärkeren Regenschauer im oberbayerischen Bad Feilnbach, welcher 44,8 l/m² innerhalb von zwei Stunden verursachte. Wie bereits am Vortag bildeten sich auch einige Niederschläge in Großbritannien, wobei die Niederschlagssummen vergleichsweise geringer waren bei maximal 24 l/m² in Capel Curig, dem nassesten Ort der Britischen Inseln. Die gemessenen Windgeschwindigkeiten lagen bei bis zu 125,9 km/h auf dem exponierten Hügel Great Dun Fell, wobei diese Windgeschwindigkeiten dort keine Seltenheit sind.

Da die Westwinddrift weiterhin schwach ausgeprägt war, verlagerte sich das Tief SYLVIA kaum und befand sich am Morgen des 29.06. unverändert über Schottland, am identischen Ort wie tags zuvor. Allerdings hatte sich innerhalb der Front eine weitere Tiefdruckzone gebildet, sodass der Wirbel SYLVIA im Folgenden aus zwei Kernen bestand. Die unterschiedlichen Tiefdruckzentren werden dabei mit den römischen Ziffern I und II nummeriert. An diesem Tag war insbesondere die Kaltfront wetterbestimmend für die Regionen Österreich und Slowenien, sodass dort die prägnantesten Wetterzustände auftraten. In der Nähe der österreichischen Stadt Graz in dem Ort Neumarkt produzierte ein Gewitterschauer 38 l/m² innerhalb von 90 Minuten. Ähnliches traf auch auf die Orte Leibnitz-Wagna und Sankt Radegund zu, welche ebenfalls 30 bis 40 l/m² innerhalb eines kurzen Zeitraums verzeichneten. Den außergewöhnlichsten Niederschlagswert vermerkte die italienische Station in Gorgo mit einer Niederschlagshöhe von 67,2 l/m² innerhalb einer Stunde. In der näheren Umgebung deuteten Radarbilder auf eine noch höhere Niederschlagsintensität hin, sodass es dort zu kleinräumigen Überschwemmungen kam. Fühlbar waren auch die deutlich geringeren Temperaturen in Österreich und den gesamten westeuropäischen Landesteilen. Auf dem österreichischen Gebirgspass Präbichl stiegen die Höchstwerte in 1200 Metern Höhe auf 14,7°C. Des Weiteren überschritten die Temperaturen in Deutschland nur in einigen Orten die 25°C Marke, wie z.B. in Manschnow an der Oder, wo an diesem Tag ein Sommertag (über 25°C) erreicht wurde.

 

Zum nächsten Tag stellte sich die Großwetterlage um, sodass der Einfluss der Westwinddrift für Mitteleuropa wieder zunahm und sich das zuletzt stationär verhaltene Tief SYLVIA nach Nordosten verlagerte. Dabei überquerte die Okklusion, auch als Mischfront bezeichnet, Skandinavien bis zum Okklusionspunkt über dem Finnischen Meerbusen. Der Okklusionspunkt wird als der Punkt definiert, wo die Kaltfront die vorderläufige Warmfront eingeholt hat. Um den Okklusionspunkt entstehen oftmals anhaltende und zum Teil intensive Niederschläge, was auch an den Niederschlagswerten in Finnland sichtbar war. In Joutsa Leivonmäki Savenaho wurden beispielsweise innerhalb von 12 Stunden ca. 60 l/m² registriert. Gleiches galt auch für den Ort Heinola Asemantaus mit 62 l/m². Zudem frischte in dieser Gegend der Wind auf und wehte mit knapp 100 km/h auf der Insel Liperi Tuiskavanluoto. Aufgrund der angeströmten kühleren Luftmasse sanken zudem die Maximaltemperaturen um durchschnittlich 6 Kelvin auf verbreitet 15 bis 17°C in Finnland. Im weiteren Tagesverlauf schwächte sich das Tief aufgrund eines ausgedehnten Hochdruckgebiets über Westrussland sowie durch die Ausdehnung von Osteuropahoch VALENTIN ab.  In der Folge nahm Tief ULRIKE über dem Baltikum Teile des Frontensystems der Zyklone SYLVIA auf. Am 01.07. wurde der Wirbel SYLVIA schlussendlich nicht mehr in der Berliner Wetterkarte erwähnt, sodass die Lebensgeschichte damit endet.