Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet TANJA

(getauft am 22.11.2020)

 

Im Zuge einer aktiven Westwetterlage entstand am 22.11.2020, bedingt durch eine Kurzwellenstörung südlich von Grönland, am Rande des Jetstreams, ein Bereich tiefen Luftdrucks über dem Nordatlantik. Da die Meteorologen der Berliner Wetterkarte (BWK) prognostizieren, dass diese Tiefdruckzone in den kommenden Tagen Kurs auf Europa nehmen und damit auch Einfluss auf das dortige Wettergeschehen haben wird, tauften sie das Tiefdruckgebiet noch am selben Tag in der Prognose für den Folgetag auf den Namen TANJA.

 

Am Tag nach der Taufe, also dem 23.11.2020, erschien dann Tief TANJA erstmals namentlich wie vorhergesagt in dem Analysebereich der Bod­­enwetterkarte von 00 UTC, also 01 Uhr MEZ. Es befand sich zu diesem Zeitpunkt über dem Nordatlantischen Ozean südwestlich von Island, von wo aus es seine Reise nach Europa begann. Der sich schnell intensivierende Kern des Tiefs (ca. 990 hPa) wies zudem eine doppelpolige Struktur auf, an dessen beide Teilkerne jeweils eine Front anschloss. Diese konnten aufgrund des zyklonalen Drehzentrums (gegen den Uhrzeigersinn) auf gemeinsamer Zugbahn weiter nach Nordosteuropa vordringen. So erreichte der nördlichere Kern mit seinen Ausläufern bereits am selben Tag die Britischen Inseln, welche dort für Niederschläge im Norden Irlands und in Schottland sorgten. Diese waren, wie es für Warmfronten typisch ist, stratiformen Ursprungs, das heißt sie fielen aus Schichtbewölkung.

 

Nach einer weiteren Verstärkung von ca. 10 hPa, befand sich Tief TANJA am 24.11.2020 mit einem Kerndruck von 980 hPa unweit von Islands Südküste. Das Windfeld der Zyklone hatte England inzwischen vollständig erreicht, was an den Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) gut erkennbar war. Je enger diese beieinander liegen, desto stärker weht der Wind. Die Warmluftadvektion auf der Vorderseite des Wirbels (Advektion = Heranführen einer Luftmasse) sorgte dafür, dass weite Teile Großbritanniens in den Einflussbereich maritimer Subtropikluft atlantischen Ursprungs gelangten. Dies ließ die Temperaturen landesweit im Schnitt um ca. 3 Kelvin anstiegen. So meldeten Edinburgh und London Tageshöchstwerte von rund 13°C. Auch auf Island sorgte der Wirbel TANJA für einen Wetterwechsel. Wo sich zuvor noch einzelne Schauer in maritimer Arktikluft entwickeln konnten, sorgt die aufziehende Okklusionsfront nördlich des Kerns für eine dichte Wolkendecke, aus der zeitweise Regen fiel. Im weiteren Tagesverlauf zog das Druckgebiet ostwärts in Richtung Skandinavien.

Am 25.11.2020 teilte sich der Kern des Tiefs in zwei Teilkerne auf. So lagen TANJA I und TANJA II vor Norwegen über dem europäischen Nordmeer und bildeten gemeinsam mit einem Tiefdruckkern weiter nördlich eine ausgedehnte Tiefdruckzone, welche von Spitzbergen bis Spanien reichte. Demzufolge erstreckte sich eine weitläufige Kaltfront von der Nordsee über Portugal hinweg bis nach Madeira. Im Vorfeld drehte die Strömung über Nord- und Westeuropa auf Südwest, was für einen Transport wärmerer Luftmassen aus den mittleren Breiten sorgte. Die feuchte, von der Nordsee kommende Luftmasse wurde an der Südseite des skandinavischen Gebirges gehoben, was vor allem in der Region Hordaland rund um Bergen (Norwegen) für teils ergiebige Niederschlagssummen sorgte. So fielen hier verbreitet rund 20 bis 40 mm binnen 24 Stunden. Spitzenreiter war die Station in Modalen (125 m), welche zum Haupttermin um 06 UTC rund 58 mm meldete, was einer Menge von 58 Litern pro Quadratmeter entspricht. In der Nacht zog das Regengebiet, rund um den Okklusionskern, über dem Finnischen Meerbusen hinweg von Schweden nach Finnland.

   

Am 26.11.2020 lag Tief TANJA, nach Überqueren der Skanden, über der Mitte Finnlands. Das mittlerweile wieder nur noch aus einem Kern bestehende Tief bildete im Bereich des Warmluftsektors, nun in einem Streifen von Lettland bis zur Halbinsel Kola, ein dichtes Wolkenband aus, aus dem immer wieder Niederschläge in Form von Regen und teils Schnee fielen. Meist gab es dabei Mengen von 3 bis 7 mm. Einige Stationen meldeten auch Mengen von rund 10 mm in 12 Stunden. Dabei ist die Form des Niederschlags, welcher den Boden erreicht, abhängig von der Temperaturverteilung in der Atmosphäre. Im Baltikum lagen die Bodentemperaturen deutlich über 5°C, während nach Westrussland hin örtlich der Gefrierpunkt von 0°C unterschritten wurde. So konnte hier Schnee fallen, welcher mit Ostströmung über das weiße Meer in den Küstenbereichen auch Schauercharakter aufwies, während weiter südlich verbreitet Regen fiel. Oft ist der Bereich der bodennahen Luftschichten im Winter ausschlaggebend für die auftretende Niederschlagsart. Geringe Temperaturänderungen und lokale Besonderheiten können zwischen Niederschlag in Form von Regen, Schneeregen, gefrierenden Regen oder Schnee entscheiden. 

 

Am 27.11.2020 begann das Tief zunehmend zu okkludieren. Das bedeutet, der kontinuierliche Zustrom warmer Luftmassen wird durch das Aufschließen der Kaltfront unterbunden. Die fast stationäre Warmfront reichte vom Okklusionspunkt, also dem Punkt, wo sich Warm- und Kaltfront wie bei einem Reißverschluss treffen, nordöstlich von St. Petersburg, über Moskau hinweg bis in die Westukraine und wurde im Tagesverlauf vom Kaltluftsektor auf der Rückseite eingeholt. Gleichzeitig entwickelte Tief TANJA als sogenanntes „Cut-off-Tief“ eine gewisse Eigendynamik. Das heißt, dass Höhenkaltluft aus Nordeuropa in Richtung Süden ausbricht und bildlich gesprochen als große Kaltluftschüssel ihr „Unwesen“ in der Wetterküche treibt. Dies tut sie solange, bis die Atmosphäre wieder vollständig durchmischt ist. Das Entkoppeln von der Hauptströmung macht eine Vorhersage für Meteorologen meist schwierig, da die Zugbahn der Zyklone von der typisch westlichen Zugrichtung abweicht.

 

So bewegte sich Tief TANJA bis zum 29.11.2020 südwärts in Richtung Ukraine. Während sich auf der Nordseite hohes Geopotential (Höhe einer konstanten Druckfläche. Liegt im Hochdruckgebiet höher, als im Tiefdruckgebiet. Grund dafür ist der Dichteunterschied der Luftsäule.) des Hochdruckgebiets WILLY über Skandinavien breit machte, wurde die Zyklone südlich von einer unbenannten Antizyklone, welche über der Türkei lag, flankiert. Dadurch blieb dem am Boden schwächelnden Tief nur wenig Bewegungsfreiheit. In der Höhe war aufgrund der Kaltluft die Zyklone noch gut ausgeprägt, weshalb man von einem sogenannten Höhentief spricht. Das Höhentief trieb leicht orientierungslos wie ein Fettauge in der Hühnersuppe (Atmosphäre) herum. Diese, in der Meteorologie auch als Kaltlufttropfen bezeichneten Gebiete, sind auf Höhenwetterkarten (500hPa) gut ausgeprägt, während ihr Kerndruck auf Bodenwetterkarten nur gering ausfällt. Wettermäßig verlor das Tief ebenfalls an Wirkung. In Sarny, im Nordosten der Ukraine, wurden immerhin noch 21 mm als 24-stündiger Niederschlag registriert. Vereinzelte Regen- und Schneefälle, sowie dichte Bewölkung prägten das Tagesbild in den umliegenden Regionen. Wo kein Niederschlag fiel, meldete man feuchten Dunst mit Sichtweiten unter 8 km.

    

Am 30.11.2020 tauchte das Tiefdruckgebiet TANJA letztmalig auf der Bodenwetterkarte der BWK über Osteuropa auf. Der sich abschwächende Kern mit einem Luftdruck von bereits 1020 hPa verlor immer mehr an Stärke, sodass er am darauffolgenden Tag nicht mehr vorhanden war. Anschließend stellte sich über der Region wieder hoher Luftdruck ein, wobei ein Keil als Ableger des kontinentalen Sibirienhochs für endgültige Wetterberuhigung sorgte. Über dem nördlichen Mitteleuropa hatte sich währenddessen erneut eine Tiefdruckzone gebildet, welche dem dreikernigen Folgetief UNDINE angehörte.