Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet TINA
(getauft am 27.12.2012)
Entlang einer stationären, ungefähr in
West-Ost-Richtung verlaufenden Luftmassengrenze über dem Nordatlantik bildete
sich südlich der kanadischen Insel Neufundland ein Wellentief aus, das am 27.
Dezember 2012 auf den Namen TINA getauft wurde. Zum Zeitpunkt der Taufe lag der
Luftdruck im Kern des Wirbels südöstlich von Neufundland und südlich der
Südspitze Grönlands bei etwas unter 1000 hPa. Vom Tiefdruckzentrum verlief eine
Warmfront in östlicher Richtung bis etwa 1000 km südwestlich von Irland, um
dort in die Kaltfront des Wirbels SILVIA III vor der Westküste Irlands
überzugehen. Nach Westen schloß sich an die Zyklone TINA eine bogenförmige,
zunächst nach Südwesten, dann nach Westen bis Nordwesten verlaufende Kaltfront
an, die östlich der Neuenglandstaaten der USA in die Warmfront eines
unbenannten Tiefs im Raum Washington D.C. überging.
Mit der vorherrschenden kräftigen Höhenströmung in
ca. 5,5 km aus westlichen bis südwestlichen Richtungen verlagerte sich das
Bodentief TINA bis zum Morgen des Folgetages unter Verstärkung und Aufspaltung
weiter nach Osten bzw. Nordosten. Es wurden nun zwei Teiltiefs analysiert, der
Wirbel TINA I mit einem Kerndruck von unter 985 hPa einige Hundert Kilometer südlich
von Island, und das Zentrum TINA II mit einem ähnlichen Kerndruck ungefähr 1000
km nördlich der Inselgruppe der Azoren. Beide Teiltiefs waren durch eine
Luftmassengrenze miteinander verbunden, wobei diese südwestlich von TINA I als
Kaltfront und nordöstlich von TINA II als Warmfront ausgeprägt war. Vom
Teiltief TINA II verlief außerdem eine Kaltfront bogenförmig in südwestlicher
Richtung bis fast zum nördlichen Wendekreis, also bis kurz vor den tropischen Bereich.
Sie brachte bei ihrem Durchzug über die Azoren in den Morgenstunden an der
dortigen Wetterstation Lajes Regen mit einer Niederschlagsmenge von 5 Litern
pro Quadratmeter. Vom Teiltief TINA I ausgehend, verlief zudem eine Warmfront
geradlinig in südöstlicher Richtung über Irland, das westenglische Cornwall und
die westfranzösische Bretagne bis Südfrankreich, wo im Bereich des Golfe du
Lion der Anschluss zur Kaltfront des mit seinem Zentrum mittlerweile über
Tschechien liegenden Tiefs SILVIA III hergestellt wurde. Die zum Teiltief TINA
I gehörende Warmfront brachte von Irland über den Westen und Süden Englands bis
nach Südfrankreich verbreitet Regen, der meist einstellige Niederschlagssummen bis
zum Morgen des 29. Dezember brachte.
Mittlerweile hatte sich das Tiefdrucksystem TINA
nach Nordosten bis Norden verlagert und verstärkt. Das Teiltief TINA I lag nun
über der Südwestküste von Island mit einem Kerndruck von unter 960 hPa. Das
Teiltief TINA II mit einem Kerndruck von unter 950 hPa befand sich südöstlich
von Island. Während vom Teiltief TINA I eine Warmfront ausging, die an der
Nordküste Islands entlang und bis vor die Küste Nordnorwegens bei den Lofoten
nördlich des Polarkreises reichte und somit kaum Landkontakt hatte,
beeinflussten die zum Teiltief TINA II gehörenden Fronten gebietsweise auch das
Festland. Die Kaltfront reichte nach Süden über die Britischen Inseln und zog
sich bis vor die Nordwestküste der Iberischen Halbinsel, um von dort aus in
südwestlicher Richtung bis südlich der Azoren und nördlich der Inselgruppe von
Madeira zu verlaufen. Die Kaltfront brachte insgesamt zweistellige
Niederschlagssummen im Westen der Britischen Inseln. In der irischen Hauptstadt
Dublin kamen bis zum Morgen des nächsten Tages 14 l/m² zusammen und in
Stornoway auf den zu Schottland gehörenden Äußeren Hebriden fielen 13 l/m². An
der Wetterstation Stornoway wurden in dieser Nacht außerdem Orkanböen
bis 67 Knoten, was Windstärke 12 entspricht, registriert, was durch den starken
Gradienten zwischen Tiefdruckzentrum und Umgebung hervorgerufen wurde. Die
Warmfront des Teiltiefs TINA II war inzwischen auch weiter nach Osten
vorangekommen und zog sich nun vom Kern nach Südosten bis vor die
südnorwegische Küste, um dann weiter in südlicher Richtung über die Nordsee und
den Westen Deutschlands bis nach Nordfrankreich zu verlaufen. Südlich an den
Kern des Teiltiefs TINA II schloß sich eine Okklusionsfront an, welche die
Eigenschaften von Warm- und Kaltfronten in sich vereinte. Schließlich befand
sich südwestlich der Teiltiefs TINA I und TINA II noch ein unbenannter Tiefdruckwirbel
als Randtief des Systems TINA, der durch eine bogenförmige Okklusionsfront
westlich von Irland gekennzeichnet war.
Bis zum Morgen des 30. Dezember lagen die höchsten
Niederschlagsmengen in Westeuropa, hervorgerufen hauptsächlich durch die zum Tiefdruckkomplex
TINA gehörende Kaltfront. So meldeten die Stationen Porto in Portugal 14 l/m²,
Plymouth in Südengland 12 l/m² und Brest in der Bretagne 11 l/m². In
Deutschland kamen im nordwestlichen Tiefland in Belm in Niedersachsen und in
Ahaus in Nordrhein-Westfalen mit je 3 l/m² sowie in Aachen mit 4 l/m² die
größten Niederschlagsmengen zusammen, während auf dem Brocken im Harz 6 l/m²
registriert wurden. Da die Luft im Warmsektor zwischen der Warm- und der
Kaltfront recht mild war, fiel der schauerartige Niederschlag der Kaltfront oft
als Regen, teils aber auch in fester Form als Graupel oder Schnee, weil die
nachfolgende Luftmasse zwar kälter, aber nicht überall kalt genug für festen
Niederschlag war. In der französischen Hauptstadt Paris stieg die Temperatur am
30. Dezember hinter der Kaltfront auf 10°C im Vergleich zu einer
Höchsttemperatur von 13°C am Vortag in der milden Luftmasse vor der Kaltfront.
Am Morgen dieses Tages befand sich der Tiefdruckkomplex TINA mit seinen Kernen
bei Island, wobei der Wirbel TINA I mit einem Kerndruck von unter 965 hPa
südlich der Insel lag und sich das Zentrum TINA II mit einem Kerndruck von
unter 960 hPa östlich der Insel befand. Beide Teiltiefs waren durch zwei
Okklusionsfronten miteinander verbunden, und auch die vom Teiltief TINA II nach
Nordosten verlaufende Luftmassengrenze war eine Okklusion. Sie zog sich knapp
östlich an der Nordmeerinsel Jan Mayen vorbei bis zur geographischen Breite des
Nordkaps, um dann einen Bogen bis zu den Lofoten zu beschreiben, südlich derer
sich der Okklusionspunkt befand. An ihm trafen eine über Mittelskandinavien und
die Ostsee bis nach Litauen verlaufende Warmfront und eine Kaltfront zusammen.
Diese reichte über Norwegen, Dänemark, den Westen Deutschlands, Ostfrankreich
und die Balearen bis zur Straße von Gibraltar und dann weiter bis nahe Madeira,
wo sie in eine ca. 1000 km lange Warmfront überging, zu der kein entsprechendes
Tiefdruckgebiet zu erkennen war. Die stärkste Wetteraktivität gab es im Bereich
des Okklusionspunktes, verstärkt zusätzlich durch Staueffekte des
skandinavischen Gebirges. Somit war der eigentliche Rekordhalter der Niederschlagssummen
die norwegische Station Bergen mit 58 l/m².
Am 31. Dezember gab es drei Teiltiefs des Systems
TINA, den Kern TINA I vor der mittelnorwegischen Küste bzw. nördlich der zu
Schottland gehörenden Shetland-Inseln mit einem Kerndruck von knapp 975 hPa, den
Wirbel TINA II vor der Nordostküste Islands mit einem Kerndruck von etwas
weniger als 970 hPa, und das Zentrum TINA III, das sich mit unter 975 hPa
westlich der nordnorwegischen Küste befand. Während die Tiefs TINA I und TINA
II einen engen Dipol bildeten, von dessen stärkerem Teiltief TINA II sich eine
Okklusionsfront nach Nordosten bis Norden zog und zwischen Grönland und
Spitzbergen in eine Warmfront überging, war das nordöstlich dieses Dipols
gelegene Teiltief TINA III ein eigenständiger Wirbel. Von diesem ging eine Okklusionsfront
aus, die über Lappland, Finnland und das Baltikum bis zu den Karpaten im
Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Rumänien reichte. Bis zum Morgen des
Folgetages war mit 7 l/m² in der estnischen Hauptstadt Tallinn und 8 l/m² im
finnischen Helsinki diese letztgenannte Okklusionsfront diejenige mit den
größten Niederschlagsmengen. Am 01. Januar 2013 war das Tief TINA mit einem
Kern, in dem ein Luftdruck von etwas unter 975 hPa herrschte, zum letzten Mal
als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen. Dort trafen
sich drei Okklusionsfronten, von denen eine nach Süden verlief und bald in eine
Okklusionsfront eines unbenannten Wirbels mit Kern bei den Faröer-Inseln
überging. Die zweite Okklusionsfront zog sich nach Norden westlich an
Spitzbergen vorbei über polare Regionen. Die dritte Okklusionsfront reichte, in
südöstlicher Richtung verlaufend, am Nordkap entlang und über Nordwestrussland
und weiter, östlich an Moskau vorbei, bis an den Unterlauf der Wolga im
südlichen Russland. Die letztgenannte Okklusionsfront brachte in den nördlichen
Bereichen gebietsweise Schneefall, der beispielsweise im nordrussischen
Archangelsk in Form einiger Flocken fiel. Mancherorts, wie im weiter
nordwestlich an der Kola-Bucht gelegenen Murmansk, war der Schneefall
schauerartig verstärkt, sodass dort 2 l/m² Niederschlag bis zum Morgen des
Folgetages zusammenkamen. Aus dem Tief TINA hatte sich nun ein unbenanntes Tief
entwickelt, das noch einige Tage im Bereich des Europäischen Nordpolarmeeres
verweilte.
Geschrieben am 22.04.2013 von Heiko Wiese
Berliner Wetterkarte: 29.12.2012
Pate: André Kowalschik (Kaffeeabo.de)