Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet VAIA

(getauft am 26.10.2018)

 

Am Abend des 26.10.2018 verstärkte sich über dem westlichen Mittelmeer ein Tiefdrucktrog, der Luftmassen vom Mittelmeer nach Nordosten führte und sich im weiteren Verlauf zu einem Wirbel verstärken konnte. So wurde dieser in der Prognose für den Folgetag auf den Namen VAIA getauft.

Das Zentrum des schwachen Tiefdruckgebietes VAIA wurde am 27.10. um 01 Uhr MEZ ca. 150 km östlich von Marseille verortet. Aufgrund der Lage werden diese Wirbel als Genuatief oder auch Mittelmeertief bezeichnet, welche in vielen Fällen für Starkniederschläge sorgen und bei richtiger Druckgebietskonstellation auch eine sogenannte Vb-Wetterlage hervorrufen, welche zum Beispiel für das Jahrhunderthochwasser an der Elbe 2002 verantwortlich war. Der Kerndruck war mit knapp 1010 hPa relativ hoch, weil der durchschnittliche Luftdruck auf Meereshöhe mit 1013 hPa nur unwesentlich höher liegt. Je niedriger der Luftdruck, desto stärker ist in der Regel auch die Wetterwirksamkeit der Zyklone. Deshalb kann der Kerndruck bei Hurrikanen auf bis zu 900 hPa fallen, sodass eine starke Sogströmung entsteht. Die Warmfront des Tiefs VAIA verlief am Tauftag in einem konvexen Bogen nach Nordosten über die Quelle des Flusses Po, den südöstlichen Alpenraum und bog sich von dort nach Südosten bis südöstlich von Belgrad. Trotz der noch schwachen Ausprägung des Wirbels gab es bereits an diesem Tag vielerorts ergiebige Regenfälle. Besonders in Norditalien, dem Südosten der Schweiz und im Südwesten Österreichs gab es einige Unwetterwarnungen. In der Schweiz fing es mit leichtem Regen am Vormittag des 27.10. an, welcher sich im Tagesverlauf intensivierte und zum Abend hin schauerartig verstärkt auftrat. Die Schneefallgrenze lag hierbei in den Südalpen zwischen 1500 und 2000 m. Den gesamten Tag über waren auf den Gipfeln der Berninagruppe verbreitet 5-10 mm Schneefall pro Stunde messbar. Außerdem bildeten sich immer wieder eingelagerte Schauer und zum Teil auch Gewitterzellen, welche selbst im Flachland wie in Vaduz einstündige Regenschauerwerte von bis zu 28 mm bis 20 Uhr MEZ beinhalteten. Außerdem trat ein starker Temperatureinbruch ein, welcher Schneefälle bis in tiefere Lagen ermöglichte. Im gut 1600 m hoch gelegenen Zuoz waren am Vortag um 15 Uhr MEZ noch 11.2°C gemessen worden, an diesem Tag jedoch waren die Temperaturen um rund 10 Grad niedriger, knapp über dem Gefrierpunkt. Noch stärker war der Unterschied im Flachland in der Zentralschweiz in Ilanz mit einem Temperaturunterschied von gut 18 Grad von 19,7°C auf 1,6°C. Der größte, 24-stündige Niederschlagswert bis 07 Uhr MEZ des Folgetages ergab sich in den Lepontinischen Alpen in der Südschweiz mit 136 mm Niederschlag in Robièi. In Kärnten waren die Niederschläge ähnlich hoch mit sogar 138 mm in Dellach im Drautal. Insgesamt gab es flächendeckend starke Niederschläge von Italien bis nach Süddeutschland. Der Grund für die großen Niederschlagsmengen waren die orographisch bedingten Hebungsprozesse zunächst an den südlichen Alpen und dann zusätzlich am Hochgebirge des Alpenhauptkamms.

Am nächsten Tag, dem 28.10., lag der Wirbel VAIA nur etwa 100 km südlicher weiterhin über dem westlichen Mittelmeer. Durch die Rotation gegen den Uhrzeigersinn konnten große Mengen an Verdunstungsfeuchtigkeit über dem warmen Mittelmeer aufgenommen werden. Außerdem lag eine Blockierungslage vor, zumal sich über Nordafrika ein Hochdruckgebiet befand. In der Regel bewegen sich Luftmassen vom hohen Luftdruck zum niedrigeren, sodass auch an diesem Tag Südwind herrschte. Gleichzeitig lagen aber auch nordwestliche Luftströmungen von den Tiefdruckausläufern des Vortages vor. Somit entstand eine kurzzeitliche Blockade, welche sich erst im Laufe des Tages mit schwächer werdenden Nordwestwinden auflöste. Dadurch konnte Tief VAIA jedoch über längere Zeit Feuchtigkeit und Wärme aufnehmen. Zusätzlich hatte sich der Kerndruck zu 01 Uhr MEZ auf unter 1000 hPa intensiviert und das Frontensystem weiter ausgeprägt. Die Warmfront war Richtung Nordosten ausgerichtet und beeinflusste das Wetter in Budapest und der Ostukraine, bevor sie über Nordwestrussland in der Kaltfront der Zyklone UTA mündete. An diesem Tag setzte sich das Wetter des Vortages fort, wobei sich die Niederschlagsmengen nochmals verstärkten. Grund hierfür war auch die erhöhte Gewitteraktivität, welche stündliche Niederschlagswerte von bis zu 60 mm bis 13 Uhr MEZ am Piz Corvatsch verursachte. Auch an diesem Tag waren wieder ähnliche Regionen von den advektiven Niederschlägen über lange Zeiträume betroffen, sodass hierbei auch Hochwasser drohte. In Kötschach fielen im 24-stündigen Intervall bis 07 Uhr MEZ wiederum 105 mm Niederschlag, somit waren in den vergangenen 36 Stunden etwa 180 mm gefallen. Auch das Drautal war weiterhin mit 79 mm bei den Spitzenwerten vertreten, hier sollte noch ein Hochwasser HQ30 bis HQ100, also mit statistisch errechneter 30- bis 100-jähriger Wiederkehr, folgen. Problematisch war in Kärnten und Norditalien die steigende Schneefallgrenze am 28.10., welche teilweise deutlich über 2000 m lag. Dadurch war der Oberflächenabfluss bis ins Hochgebirge gegeben und die Hochwasserlage spitzte sich zu. Die großen Temperaturunterschiede zwischen den Ost- und Westalpen können durch die Rotationsrichtung einer Zyklone erklärt werden. Auf der Westseite gelangte warme Luft aus dem Süden in den Alpenraum, sodass Föhneffekte einsetzten und sich die Luft zusätzlich erwärmte. Auf der Ostseite hingegen wird Luft von Norden herangeführt, welche deutlich kühler ist, sodass beispielsweise in Wallis bereits ab 1500 m mit Schnee zu rechnen war. Für Schlagzeilen sorgten auch mehrere Murenabgänge, wodurch unter anderem die Brennerautobahn geschlossen werden musste. Aber auch andere Alpentäler waren nicht mehr erreichbar, zum Beispiel das Tuxertal. Die oben genannten Niederschlagswerte der Stationen können wegen ihrer punktuellen Messungen gar nicht die Spitzenwerte erfassen, welche örtlich nach Auswertung von Radarbildern bei über 250 mm gelegen haben könnten. Am 28.10. erreichten die Windböen auf der Vorderseite, also in Österreich und Italien, auch Sturmcharakter. Die höchste gemessene Böe lag bei 157 km/h auf der Südtiroler Rossalm in 2300 m Höhe, was der Stärke 12, also Orkanstärke, auf der Beaufortskala entspricht. Hierbei muss erwähnt werden, dass die Daten an dieser Station nach dieser Messung ausfielen, sodass möglicherweise auch höhere Böen auftraten.

Zum 29.10. verlagerte sich der Wirbel VAIA wiederum nach Süden und lag um 01 Uhr MEZ mit einem Kerndruck von knapp 995 hPa ungefähr zwischen der Südwestküste Sardiniens und der Küste Algeriens. Durch die weitere zyklonale Rotation wurde viel Sahara-Staub nach Europa und vor allem Italien transportiert. Die Kaltfront des Tiefdruckgebietes VAIA verlief Richtung Süden bis über Nordafrika, die Warmfront veränderte ihre Ausrichtung nach Überquerung der Alpen nach Nordosten und endete etwa über Wolgograd in der Kaltfront des Tiefs UTA.  In Österreich spiegelte sich ein ähnliches Bild wie an den Vortagen wider, wobei am Abend der höchste Abfluss erwartet wurde. Im Drautal regnete es wiederum dreistellige Niederschlagswerte, am Alpenhauptkamm wurden nun auch vereinzelt größere Schneemengen festgestellt. In Obergurgl auf 2000 m im Ötztal fielen 96 mm Niederschlag, in Gipfelnähe dementsprechend deutlich mehr und vor allem in fester Form. Somit konnten auf den Gletschern auf 3000 m über 2 m Neuschnee gemessen werden. Durch die steigende Schneefallgrenze mit Temperaturen von knapp über 0°C am Tag, beispielsweise auf 2900 m auf dem Pitztaler Gletscher, waren die durch Schnee geprägten Gebiete allerdings begrenzt. Der höchste Niederschlag innerhalb einer Stunde wurde mit einem unglaublichen Wert von 85 mm auf 3300 m auf dem Piz Corvatsch verzeichnet. Zum Vergleich: Für Berlin-Dahlem liegt der Rekord innerhalb eines Tages bei 124 mm. Doch auch in Italien regnete es weiter, selbst in Städten wie Genua regnete es innerhalb von zwei Tagen über 150 mm. Neben dem nassen Drautal und dem Hochgebirge wurden selbst in Tälern in der Südostschweiz hohe Niederschlagsmengen gemessen. In Mosogno fielen im 24-stündigen Intervall 180 mm bis zum nächsten Morgen. Dabei waren die Mengen örtlich sehr verschieden. So wurden an der nur 20 km entfernten Station Cimetta trotz ihrer Höhe von 1700 m „nur“ 66 mm im gleichen Zeitraum verzeichnet. Am gesamten Tag wehte der Wind auf den exponierten Gipfeln wieder in Orkanstärke. In Prags, Rossalm, in Norditalien erreichte der Wind 130 km/h, auf der Zugspitze 128 km/h und auf dem Feuerkogel, der bei Nordwestlagen oft die höchsten Böen der Alpen misst, 126 km/h. Der Südtiroler Zaufenkofel vermeldete an diesem Tag eine Böe von 187 km/h. Am Abend spitzte sich die Hochwasserlage in Kärnten zu, gegen Mitternacht wurde der Pegelhöchsstand erwartet. An der Drau und der Möll wurde der HQ30 an vielen Messstationen übertroffen, vereinzelt gab es in kleineren Flüssen auch HQ100. An der Messstation Dellach an der Drau entspricht der mittlere Abfluss normalerweise knapp 60 m³/s. Während dieses Ereignisses wurde jedoch ein Abfluss von 730 m³/s erreicht. Ähnliches galt für die Station Rabland an der Drau flussaufwärts. Hier wird der mittlere Abfluss mit 9 m³/s angegeben, der Höchstwert wurde gegen Mitternacht mit 140 m³/s erreicht. Glücklicherweise ließ der Niederschlag daraufhin zunächst nach, sodass sich die Lage im Folgenden etwas entspannte.

Im Tagesverlauf zog die Zyklone VAIA nach Norden und lag am Folgetag um 01 Uhr MEZ mit einem Kerndruck von unter 985 hPa etwa 100 km westlich von München. Zudem hatte das Tiefdruckgebiet VAIA begonnen zu okkludieren. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem eine Mischfront entsteht, welche durch den Zusammenschluss von Warm- und Kaltfront zustande kommt und die Eigenschaften beider Typen in sich vereint. Warm- und Kaltfront bezeichnen stets die Grenze zwischen zwei unterschiedlich temperierten Luftmassen. Die Okklusion war am Morgen des 30.10. noch nicht sehr ausgeprägt und zog sich nur über eine Länge von ca. 300 km von Mailand bis zum Okklusionspunkt östlich von München. Von dort spaltete sich die Warmfront über die Städte Prag, Warschau und Wolgograd ab und löste sich über Russland auf. Die Kaltfront beschrieb einen Bogen nach Süden über die Alpen, das Dinarische Gebirge und Apulien bis über die Küste Libyens. Durch die deutliche Verlagerung der Zyklone VAIA nach Norden nahm der Niederschlag in den Alpen merklich ab. Im Südosten der Schweiz wurden meist nur noch um die 40 mm am Tag gemessen, in vielen Kantonen sowie auch in Österreich blieb es sogar bei geringen Niederschlagsmengen. Dafür wirkte sich das Tiefdruckgebiet VAIA umso stärker auf das Wettergeschehen in Deutschland aus. Besonders im Bereich der westlichen Mittelgebirge war es an diesem Tag sehr nass, wobei der Niederschlag aufgrund der geringen Regenmengen im Sommer dringend benötigt wurde. Besonders der Pegel des Rheins war im Oktober zeitweise auf ein Rekordtief gefallen, sodass sich dessen Pegelstand durch Einfluss des Tiefs VAIA ansatzweise regenerieren konnte. Die höchsten Niederschläge fielen ganztägig im Sauerland und der Eifel mit bis zu 18 mm, dies teilweise als Schnee. Verbreitet fielen besonders im Westen Deutschlands um die 5 mm der advektiven Niederschläge. Ganz vereinzelt waren auch eingelagerte konvektive Prozesse vorhanden, welche in Baden-Württemberg im Schwarzwald zu punktuellen Messwerten bis zu 68 mm auf dem Feldberg führten. Außerdem frischte der Wind in vielen Regionen Deutschlands auf, wobei wie immer der Brocken wieder den Tagesrekord mit 156 km/h um 23 Uhr MEZ hielt, deutlich über der Orkanschwelle von 118 km/h. Wie auch an den Vortagen wurden ostseitig durch den Warmlufttransport aus Süden durch den Föhn sehr hohe Temperaturen erreicht. In Dresden-Hosterwitz herrschten um 05:30 Uhr MEZ Temperaturen von 19,7°C und in Cottbus wurden über 21°C erreicht, wodurch dort ein neuer Tagesrekord aufgestellt wurde.

In den nächsten Tagen zog das Tief VAIA recht schnell nach Norden ab. Am 31.10. lag der Wirbel mit einem Kerndruck von unter 990 hPa und einem komplexen Frontensystem über der Nordsee. Hierbei hatten sich zwei Okklusionsfronten ausgebildet. Eine der beiden verlief nach Norden bis über Trondheim, die andere nach Nordosten bis zum Okklusionspunkt nördlich von Stockholm. Hier spaltete sich die Front in eine Kaltfront bis über Griechenland und in eine Warmfront mit Ausrichtung nach Osten und Südosten auf. Das Wetter des vergangenen Tages in Deutschland war nun in ähnlicher Weise auf Skandinavien übertragbar. In Küstennähe wurde maximal 10 mm Niederschlag auf dem Osloer Stadtberg Tryvannshøgda gemessen. Die Temperatur erhöhte sich ebenfalls deutlich auf bis zu 10,8°C in Gävle nördlich von Stockholm um 06 Uhr MEZ.

Zum 01.11. war Tief VAIA dann mit einem Kerndruck von unter 995 hPa über dem Europäischen Nordmeer zu verorten. Das Frontensystem bestand um 01 Uhr MEZ hauptsächlich noch aus einer langgestreckten Okklusion vom Tiefkern nach Osten bis zum Okklusionspunkt etwa über Murmansk. Von dort verlief die Warmfront weiter nach Osten bis über das Weiße Meer und die Kaltfront im konvexen Bogen nach Süden bis etwa über Minsk. Die Fronten waren dabei nur noch geringfügig wetterwirksam und die Zyklone VAIA verlor immer weiter an Bedeutung.

In den folgenden zwei Tagen lag das Tiefdruckgebiet VAIA mit knapp 990 hPa zwischen Island und der Insel Jan Mayen, wobei sich das Frontensystem immer weiter zurückbildete. So wurde das Tief mit Herannahen des ehemaligen Hurrikans OSCAR aus Südwesten mit in das Tiefdrucksystem ex-OSCAR aufgenommen und wurde somit ab dem 04.11. nicht mehr namentlich auf der Berliner Wetterkarte verzeichnet.