Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet VERENA

(getauft am 02.07.2020)

 

Die Vergabe von Namen an Hoch- und Tiefdruckgebiete wird von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte nur für solche Druckgebilde durchgeführt, welche einen Einfluss auf die Großwetterlage in Europa haben. Am 02.07.2020 befand sich ein Tiefdruckgebiet etwa 1000 km südlich von der grönländischen Stadt Ammassalik mit einem Druck von unter 995 hPa. Da diese Zyklone bereits als markanter Höhenwirbel in der mittleren Troposphäre auf der 500 hPa-Karte zu sehen war und sich das Tief im weiteren Verlauf intensivieren und nach Europa verlagern sollte, beschlossen die Meteorologen der Berliner Wetterkarte dieses Tief bereits frühzeitig auf der Analysekarte vom 02.07. um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, auf den Namen VERENA zu taufen.

 

Das Entwicklungsstadium von Tief VERENA war zu diesem Zeitpunkt vorangeschritten, da sich bereits eine Okklusion ausgebildet hatte. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem sich eine Mischfront bildet, welche durch den Zusammenschluss von Warm- und Kaltfront entsteht und die Eigenschaften beider Typen in sich vereint. Warm- und Kaltfront bezeichnen hier die Grenze zwischen zwei unterschiedlich temperierten Luftmassen. Die Okklusion erstreckte sich mit einer Länge von 500 km um das Tiefdruckgebiet VERENA nach Südosten bis zum Okklusionspunkt, welcher die Front in eine Warm- und Kaltfront aufspaltete. Von dort verlagerte sich die Warmfront nach Südosten. Die Kaltfront machte einen konvexen Bogen nach Südwesten bis nach Neufundland und weiter bis zur nordamerikanischen Küste. An diesem Tag hatte die Zyklone VERENA zunächst nur einen schwachen Einfluss auf das Wettergeschehen in Europa. Allerdings erreichten am Abend und in der Nacht zum Folgetag die ersten Ausläufer Irland und Schottland, sodass dort leichter Regen einsetzte. Bis zum Hauptobservationstermin um 08 Uhr MESZ am 03.07. registrierten die Messstationen in der Nacht insgesamt Niederschlagssummen von bis zu 11 l/m² in Portglenone und 10 l/m² in Malin Head, dem nördlichsten Punkt auf dem Festland Irlands. Zuvor hatte es in Island bereits wiederholt geregnet, sodass an den Stationen Setur, Lónakvísl und Laufbali zwischen 19 l/m² und 24 l/m² vermerkt wurden. Diese Niederschläge wurden nicht durch die Ausläufer der herannahenden Fronten verursacht, sondern durch die angeströmte feuchte Luft, welche durch die großräumige Rotationswirkung des Tiefs VERENA zustande kam.

 

Am 03.07. befand sich der Wirbel VERENA mit unter 990 hPa 700 km südwestlich von Island, sodass sich der Kerndruck nochmals etwas gesenkt hatte. Die Okklusion breitete sich weiterhin aus und hatte nun eine Länge von ca. 2000 km. Im Tagesverlauf überquerte die Okklusion sowie ein Teil der Kaltfront Schottland und Irland, sodass das Tief VERENA für diese Regionen wetterbestimmend war. Insbesondere auf der walisischen Erhebung Capel Curig regnete es über längere Zeit, wobei die Niederschläge dort aufgrund der Niederschlagsintensität oftmals schauerartig verstärkt waren. Die Region Capel Curig ist bekannt für anhaltende Starkniederschläge und wird daher auch als nassester Ort der Britischen Inseln angesehen, wobei die gemessenen Niederschlagssummen von 69 l/m² innerhalb von 12 Stunden und 92 l/m² innerhalb von 24 Stunden durchaus bemerkenswert waren.  Vor allem registrierten die umliegenden Stationen meistens nur Werte um 10 l/m² bis maximal 14 l/m². Weitere Niederschläge über einem Zeitraum von 24 Stunden fielen in Schottland wie beispielsweise in Glasgow mit 15 l/m² und an der Royal Air Force Spadeadam, einem militärischen Testgelände in England, mit 33 l/m². Dazu wehte verbreitet stürmischer Wind von 8 Beaufort im Flachland. Vereinzelt erreichte der Westwind ebenfalls 10 Beaufort auf dem Great Dun Fell, wobei die stärkste Windböe bei 96 km/h lag. Die Temperaturen stiegen in Wales und Schottland zum Teil auf nur 13°C im Flachland, was deutlich unter dem langjährigen Mittel für Juli lag.

 

Bis zum Samstag, den 04.07., verlagerte sich das Tief VERENA nur um wenige Kilometer, sodass es nahezu stationär auf dem Nordatlantik blieb. Das lag daran, dass das Tief VERENA nördlich der Westwinddrift lag und in diesem Bereich die Strömungsgeschwindigkeiten in der mittleren Troposphäre nur gering ausgeprägt waren. Allerdings entwickelten sich entlang der Okklusion und in weiterer Folge am Okklusionspunkt weitere Tiefdruckkerne, welche das Wetter in Mitteleuropa ebenfalls signifikant bestimmten. Daher entschied sich die Berliner Wetterkarte dazu, die vorliegenden Tiefdruckkerne anhand von den römischen Ziffern I bis III zu nummerieren und zu benennen. Neben dem Kern VERENA I existierten somit zwei weitere Tiefdruckkerne: VERENA II, 500 km nordwestlich von Schottland sowie VERENA III, 500 km westlich von Dänemark über der Nordsee verortet.

An diesem Tag bestimmte die Warmfront den nassen und kühlen Witterungscharakter für Norddeutschland und den südlichen Teil Skandinaviens. In der Nordhälfte Deutschlands und den westlich angrenzenden Benelux-Ländern regnete es zeitweise bei starker Bewölkung, sodass die Temperaturen auf maximal 16°C bis 18°C an der deutschen Nordseeküste anstiegen. Des Weiteren vermeldeten einige Stationen Schleswig-Holsteins größere Niederschlagsmengen an der Grenze zu Dänemark von über 30 l/m² in Joldelund und Weesby. Vereinzelt waren die Regengüsse auch konvektiv verstärkt, was anhand der steigenden Niederschlagsintensität, wie in Weesby um 14 Uhr MESZ, erkennbar ist. Dort betrug die stündliche Niederschlagsintensität über 10 l/m², obwohl die sonstige stündliche Niederschlagsmenge bei lediglich 2 l/m² bis maximal 4 l/m² lag. Weitere Niederschläge fielen im Süden Norwegens und Schwedens sowie an allen Stationen Dänemarks. Zudem warnte der Deutsche Wetterdienst großflächig vor Windböen der Stärke 6 bis 7 Beaufort, wobei am Brocken vereinzelt auch Sturmböen auftraten.

 

Am 05.07. löste sich die okkludierte Front auf, welche die verschiedenen Kerne VERENAs miteinander verbunden hatte. Allerdings blieben die ersten zwei Kerne weiterhin stationär um Schottland herum liegen. Lediglich der dritte Kern VERENA III hatte sich bis in den Norden Finnlands fortbewegt und besaß weiterhin eine markante Front, welche mit dem nachfolgenden Tief WENDY, mit Kern über Edinburgh, verknüpft war. Da mehrere kleinere Tiefdruckgebiete Einfluss auf das Wetter in Nordeuropa nahmen, ist es schwer abzugrenzen, welches Tief genau für welchen Wetterzustand verantwortlich war, da in der Regel ein Zusammenspiel der verschiedenen Druckgebilde entscheidend ist. Die Folge davon waren ständig wechselnde Windrichtungen im Bereich von Skandinavien und kleinräumige Konvergenzzonen von entgegengesetzten Strömungsrichtungen. Daher war es wenig verwunderlich, dass im Westen Norwegens starke Niederschläge verortet wurden. In der niederschlagsreichsten Großstadt Europas, Bergen, fielen beispielsweise bis zu 66 l/m² innerhalb von 24 Stunden an der Station Fossmark. Weiter südlich betrug die gemessene Niederschlagsmenge in Liarvatn sogar 81,9 l/m². Auffällig waren dabei die wechselnden Niederschlagsarten von Regen und Regenschauern. Allgemein war die Witterung an der gesamten Westküste Norwegens nass, windig und zu kühl. Auf den höheren Bergen wie dem Juvvasshøi auf 1893 Meter stieg die Maximaltemperatur nur knapp über den Gefrierpunkt an, wobei in der Nacht meist leichter Frost herrschte. Darüber hinaus war es an der Steilküste Norwegens verbreitet stürmisch bei 96 km/h an der Südküste. Gleiches galt auch für die Station Kiel/Leuchtturm mit bis zu 98 km/h um 20 Uhr MESZ. An der Freien Universität Berlin regnete es zeitweise leicht bei Windböen bis 6 Beaufort. Zusätzlich dazu vermeldeten die isländischen Stationen Setur, Lónakvísl und Laufbali ebenfalls zweistellige Niederschlagsmengen zwischen 36 und 48 l/m². In Setur registrierte die Station alleine zwischen 15 und 18 Uhr MESZ 29 l/m².

Am nachfolgenden Tag wurden die Kerne VERENA I und II durch ein herannahendes Hochdruckgebiet namens XABI verdrängt, sodass nur noch der östliche Kern auf der Analysekarte des 06.07. markiert wurde. Dort lag der Wirbel VERENA mit einem Kern von unter 990 hPa an der Nordküste Norwegens. Dabei endete die Okklusion, ausgehend vom Tiefdruckkern, im Okklusionspunkt, welcher zu dem steuernden Tief WENDY gehörte. Daher war vor allem die Zyklone WENDY wetterbestimmend für diese Region. Somit können nur wenige Wetterzustände dem Tief VERENA zugeordnet werden. An einigen schwedischen und finnischen Stationen regnete es zeitweise, wie beispielsweise in Föllinge und Lycksele, einer Stadt in Lappland. Hier registrierten die Meteorologen zwischen 8 und 23 Uhr MESZ 15 und 14 l/m². Ansonsten beruhigte sich das Wetter zunehmend, was sich auch am nachfolgenden Tag fortsetzte, da sich das Tief VERENA weiter nach Norden verlagerte und sich abschließend am Nachmittag des 07.07.  auflöste bzw. von dem Frontensystem des Tiefs WENDY mit aufgenommen wurde. Infolgedessen war die Zyklone VERENA am nächsten Tag nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte vorzufinden.