Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet VICTOR

(getauft am 26.09.2017)

 

Ende September entwickelte sich eine Wellenstörung über Nordostkanada mit dem Zug nach Osten zu einem Tiefdruckgebiet, das anhand der Prognosekarte für den 27.09.17 um 01 Uhr MEZ von den Meteorologen der Berliner Wetterkarte auf den Namen VICTOR getauft wurde.

Infolge der starken Höhenströmung in 5,5 km Höhe und der Westwinddrift, der typischen Luftzirkulation in den mittleren Breiten, die sich zwischen den Subtropen und den Polargebieten aufgrund des Druckgefälles einstellt, befand sich das Zentrum von Tief VICTOR um 01 Uhr MEZ dieses Tages bereits 650 km östlich von Neufundland. Im Kern wurde ein minimaler Druck von etwa 999 hPa gemessen. Die Warmfront verlief in einem Bogen vom Zentrum südost- bzw. südwärts über 800 km über dem Nordwestatlantik. Die Kaltfront erstreckte sich ebenfalls bogenförmig vom Kern nach Südwesten und Süden bis zum amerikanischen Festland nach Nova Scotia über eine Länge von ungefähr 1400 km.

Mit dem weiteren Zug nach Osten lag das Zentrum des Tiefs VICTOR einen Tag später etwa 1050 km westlich von Irland. Mit einem Kerndruck von rund 979 hPa hatte es sich im Vergleich zum Vortag deutlich verstärkt. Die Mischfront, auch Okklusion genannt, erstreckte sich wenige Kilometer nordöstlich des Zentrums in einem leichten Bogen nach Südosten bis zum Okklusionspunkt, welcher sich 1200 km nördlich der Azoren befand. Eine Okklusion entsteht, wenn die schneller ziehende Kaltfront die vorlaufende, langsamere Warmfront einholt und vom Boden anhebt. Der Punkt, an dem dies geschieht, heißt Okklusionspunkt. Ab diesem verlief die Warmfront ebenfalls bogenförmig über eine Länge von circa 800 km. In einem engeren Bogen lag die Kaltfront quer über dem Nordatlantik.

Am 29.09.17 um 01 Uhr MEZ befand sich der Kern der Zyklone VICTOR mit einem Druck von ungefähr 978 hPa 600 km nordwestlich von Irland. Die Okklusion erstreckte sich 700 km bogenförmig nach Nordwesten und ging an der Nordküste Irlands sofort in die Kaltfront über, weil diese die kurze Warmfront bereits eingeholt hatte. Die Kaltfront des Tiefs VICTOR erstreckte sich von Nord nach Süd über Irland und anschließend in einem großen Bogen bis zu den Azoren. Im Einflussbereich der Kaltfront betrug zum Beispiel die 6-stündige Regenmenge bis 01 Uhr MEZ in Mullingar 3 l/m² oder an der Station Johnstown Castle 5 l/m². Beide Stationen befinden sich in Irland. Im weiteren Verlauf dieser Front regnete es nicht mehr so stark. Auf den Azoren kamen innerhalb von 12 Stunden bis 07 Uhr MEZ in Lajes nur 0,2 l/m² zusammen. Die Temperatur sank hinter der Kaltfront nur unwesentlich. Während zum Beispiel in Crosby bei Liverpool noch maximal 17°C erreicht wurden, stieg die Temperatur in Cork nur auf 14,2°C oder an der irischen Station Knock/Connaught auf 13,1°C. Mit dem ausgeprägten Hochdruckkomplex ROSI über Osteuropa und Skandinavien, sowie dem kräftigen Tief VICTOR bildete sich ein großer Druckgradient aus, der durch starken Wind ausgeglichen wurde. An der westirischen Küste betrug die stärkste Böe 80 km/h in Belmullet oder 76 km/h in Mace Head, was Windstärke 9 auf der Beaufort-Skala entspricht.

Mit einem Kerndruck von etwa 983 hPa hatte sich das Tief VICTOR bis zum nächsten Tag leicht abgeschwächt und befand sich mit dem Zentrum ca. 110 km südlich von Island. Von der Nähe des Kerns erstreckte sich die Okklusion zuerst nach Norden über den Westen Islands, dann in einem Bogen zwischen dem Inselstaat und Jan Mayen und anschließend nach Südosten quer über das Europäische Nordmeer, entlang der Südwestküste Norwegens bis zur Nordsee, wo sich der Okklusionspunkt befand. Von dort verlief die Warmfront südwärts über die Nordsee und Westdeutschland bis zum Bodensee mit einer Länge von etwa 1000 km. Die Kaltfront verlief ebenfalls in südlicher Richtung über die Nordsee, dann jedoch über die Benelux-Länder und in einem leichten Bogen über Frankreich und Portugal bis rund 500 km nordwestlich von Madeira. Entlang der Mischfront kamen teilweise beachtliche Regenmengen zusammen. Bei Dauerregen betrug die Niederschlagsmenge bis 07 Uhr MEZ in Stavanger 26 l/m², am Leuchtturm Lindesnes Fyr ganz im Süden Norwegens 49 l/m² oder in Eik Hove zwischen Stavanger und Kristiansand 78 l/m². Im weiteren Verlauf der Okklusion regnete es zum Beispiel an der isländischen Station Kalfholl 9,8 l/m² in der selben Zeit. Aufgrund starker Hebungsvorgänge durch die sich unter die Warmluft schiebende Kaltluft und der damit verbundenen Entstehung von Wolken und Niederschlag kamen an der Kaltfront bis zu 17,6 l/m² in Emden, 23 l/m² in Lelystad am Ijsselmeer oder 24 l/m² in Bad Salzuflen bis 07 Uhr MEZ zusammen. Weiter südwestlich regnete es in dieser Zeit lediglich 7 l/m² in Cognac oder 6 l/m² an der Station Santander-Papayas. Mit dem Durchzug der Kaltfront sank auch deutlich die Temperatur. Während im Süden Deutschlands noch teils das Kriterium für einen Sommertag, nämlich mindestens 25°C, erreicht wurde, wie in Metzingen mit 25,1°C oder 25,7°C in Bad Mergentheim-Neunkirchen, wurden hinter der Front in einer maritimen Polarluftmasse nur noch Werte zwischen 14,1°C in Bierset bei Lüttich und 18,5°C in Saarbrücken gemessen. Weil die erwähnten Luftdruckgegensätze weiterhin bestanden, wehte der Wind kräftig, vor allem in Island, wo im Osten der Insel erneut Stärke 9 erreicht wurde, wie in Oddsskard, und in Schottland. In der schottischen Stadt Lerwick hatte die stärkste Böe an diesem Tag eine Geschwindigkeit von 79,7 km/h, was ebenfalls Windstärke 9 entsprach.

Bis zum nächsten Tag verlagerte sich die Zyklone VICTOR nur wenig nach Norden. Mit einem minimalen Druck von knapp 988 hPa hatte sie sich weiter abgeschwächt. Das Zentrum lag nun über dem Norden Islands. Die Okklusion verlief von Nordwestisland erst nach Nordosten bis in die südliche Grönlandsee und dann in einem Bogen zwischen Spitzbergen und Jan Mayen. Anschließend erstreckte sich die Mischfront südwärts bis nach Bergen. Im Anschluss ging diese Front in die Okklusion eines kleinen unbenannten Tiefs über dem Skagerrak über. Auf Island, im Bereich der Okklusion, regnete es gebietsweise bis zu 8,3 l/m² in Sata oder 9,1 l/m² in Neskaupstadur bis 07 Uhr MEZ in 12 Stunden. In der Region Bergen kam im selben Zeitraum nur etwas weniger Regen zusammen. Beispielsweise in Bergen selbst und in Vossevangen waren es 6 l/m². Dazu stiegen die Temperaturen auf 11,4°C in Reykjavik oder 10,2°C in Bergstadir im Norden der Insel. Auf Jan Mayen betrug die 24-stündige Regenmenge bis 08 Uhr MESZ 4 l/m² bei maximal 9°C. Das Tiefdruckgebiet WOLFGANG befand sich zu dieser Zeit unweit des Wirbels VICTOR über dem nördlichen Atlantik. Mit dessen Verstärkung löste sich das Tief VICTOR auf und war nicht mehr auf der Berliner Wetterkarte vermerkt. Nur noch kleine Ausbuchtungen der Isobaren über Island und nördlich davon deuteten darauf hin, dass sich dort mal eine Front befunden hatte.

 


Geschrieben von Matthias Janke am 13.10.17

empfohlene Wetterkarte: 30.09.17

Pate: Bram van der Veer