Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet VINCENT
(getauft am 07.07.2017)
Am 7. Juli 2017 wurde in der Prognose für den
Folgetag ein Tiefdruckgebiet über Nordwesteuropa auf den Namen VINCENT getauft.
Zuvor hatte sich ein Tief über Nordostkanada gebildet und war über den
Nordatlantik mit einer westlichen Höhenströmung nach Osten gezogen. Zudem hatte
sich in höheren Luftschichten ein eigenständiges Tief gebildet. Dieses
unterstützte die Entwicklung des Bodentiefs, das außerdem in den für die
Berliner Wetterkarte relevanten Bereich, nämlich nach Europa, zog und somit
getauft wurde.
Die Bodenwetterkarte vom 8. Juli zeigt das
Tiefdruckgebiet VINCENT mit seinem Zentrum über dem Nordosten Islands, wo der
Kerndruck unter 1000 hPa lag. Nach Südwesten bis Westen zog sich eine
Okklusionsfront, eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften, bis etwa
150 km vor die südostgrönländische Küste. Auch östlich bis südöstlich an das
Zentrum des Tiefdruckgebietes schloß sich eine Okklusionsfront an. Diese
verlief teils nördlich des Polarkreises, zog sich in einem Bogen in südliche
Richtung und erreichte das norwegische Festland südlich von Trondheim. Weiter
südlich bis südwestlich folgte eine Kaltfront, die über Südnorwegen und die
Nordsee bis über das südliche England führte. Dort ging sie in eine Warmfront
über, die den östlichen Teil einer verwellten Luftmassengrenze darstellte, die
zu einem zwischen den Azoren, Irland und Island liegenden, unbenannten
Tiefdruckgebiet gehörte. Vormittags kam es im schottischen Bealach na Ba zu
Böen der Stärke 9. Später wurden auch an den ebenfalls in Schottland gelegenen
Wetterstationen in Cairngorn und auf Sule Skerry
Sturmböen registriert. In Bealach na Ba verstärkte
sich der Wind zum Abend, sodass dann dort schwere Sturmböen der Stärke 10 bis
93 km/h auftraten. Nachts erreichte der Wind in Böen in Cairngorn Orkanstärke.
Die maximale Windgeschwindigkeit lag dort bei 161 km/h.
Bis zum Morgen des Folgetages kamen im norwegischen
Bergen 3 l/m² an Niederschlag zusammen, in der Hauptstadt Oslo fielen 4 l/m²
und im schottischen Stornoway auf den Äußeren Hebriden summierte sich der Regen
auf 9 l/m². Mittlerweile befand sich das Tiefdruckgebiet VINCENT mit einem
Kerndruck von unter 1000 hPa nördlich der Faröer-Inseln. In einem Bogen
verlief, vom Zentrum der Zyklone VINCENT ausgehend, eine Okklusionsfront, die
die nördlichen Küstenbereiche Schottlands streifte und etwas weiter westlich in
eine Kaltfront überging, welche etwa auf einer geographischen Länge, die Island
entspricht, von einer westlich verlaufenden Warmfront abgelöst wurde. Diese
gehörte zu einem unbenannten Tief etwa 800 km südöstlich der Südspitze
Grönlands. Die zuvor beschriebenen Fronten des Tiefdruckgebietes VINCENT
entstanden aus der für den 8. Juli beschriebenen, westlich des Tiefdruckkerns
liegenden Okklusionsfront. Sie waren es auch, die zusammen mit dem Luftdruckgradienten
für die erwähnten Böen in Schottland sorgten. Vom kräftigen Höhenwind wurde ein
beträchtlicher Teil bis in Bodennähe transportiert und gerade bei
Niederschlägen mit Schauercharakter sowie in exponierten Lagen, also im
Bergland und an der Küste, traten als Folge die beschriebenen Böen auf. Morgens
erreichten am 9. Juli die ersten Sturmböen mit bis zu 81 km/h Norwegen, genauer
die Wetterstation Krakenes nördlich der westlichsten Stadt des Landes, Florö.
Im südnorwegischen Landvik, wo am Vortag mit einer Höchsttemperatur von 25°C
noch ein Sommertag nach meteorologischer Definition erreicht wurde, stieg die
Temperatur am 9. Juli noch auf 21°C.
Bis zum Morgen des 10. Juli kamen aufgrund teils
schauerartigem Regen in Glasgow Niederschlagsmengen von 8 l/m² und in Bergen 5
l/m² zusammen. Der Kern des Tiefs VINCENT lag nun mit einem Luftdruck von unter
1000 hPa im Vergleich zum Vortag etwas weiter nordöstlich und befand sich ungefähr
500 km von der norwegischen Küste entfernt. Nördlich des Zentrums des Wirbels
VINCENT und nördlich des Polarkreises begann eine Okklusionsfront, die in einem
Bogen zu einem unbenannten Tief über der Inselgruppe der Lofoten und weiter
über Skandinavien bis nach Südwestnorwegen verlief. Dort ging sie in eine
Kaltfront über, die über die Nordsee und den Norden Großbritanniens und weiter
über Irland verlief. Ungefähr 500 km westlich von Irland schloß sich in
westlicher bis nordwestlicher Richtung eine Okklusionsfront an, die sich bis
etwa 300 km südöstlich der Südspitze Grönlands zog. Die Temperatur in Landvik stieg in Folge der kühleren Luftmassen in
Verbindung mit gelegentlichem Regen nur noch auf 16°C.
Am Morgen des 11. Juli lag das Tiefdruckgebiet im Vergleich
zum Vortag weiter nordöstlich und befand sich mit einem Kerndruck von unter
1005 hPa nördlich des Polarkreises etwa auf halbem Wege zwischen dem
norwegischen Festland und dem ebenfalls zu Norwegen gehörenden Jan Mayen.
Nordöstlich bis östlich schloß sich eine Okklusionsfront an, die bis zu einem
unbenannten Tief westlich des Nordkaps reichte. Von dort setzten sich nach
Osten und Süden bis Südwesten die teils verwellten Frontensysteme fort, die nun
aber nicht mehr in erster Linie zum eigentlichen Tief VINCENT gehörten.
Deswegen ist auch eine eindeutige Zuordnung der 24-stündigen
Niederschlagsmengen aus Skandinavien und von den Britischen Inseln zum
Tiefdruckgebiet VINCENT schwierig bis unmöglich. Dazu kommt die in dieser
Region Nord- und Nordwesteuropas geringe Wetterstationsdichte, gerade über dem
Meer mit fehlenden oder nur spärlichen Schiffsmeldungen. Zumindest läßt sich
sagen, daß es im Bereich der zuvor beschriebenen Fronten des Tiefs VINCENT auch
vom 10. Juli zum 11. Juli gebietsweise zu Niederschlag kam, der meist
einstellige Summen gebracht haben dürfte.
Am 12. Juli war das Tiefdruckgebiet VINCENT zum
letzten Mal als eigenes Druckgebilde auf der Berliner Wetterkarte zu erkennen.
Der Kerndruck lag bei unter 1005 hPa. Vom Zentrum des Tiefs VINCENT, etwa in
der Mitte des Dreiecks Jan Mayen – Spitzbergen – Lofoten gelegen, verlief eine
Okklusionsfront in östlicher Richtung südlich an Spitzbergen vorbei bis vor die
Südinsel von Nowaja Semlja, wo sich der Okklusionspunkt befand. Dort liefen
eine bis zum nordrussischen Festland reichende Warmfront und eine Kaltfront wie
bei einem Reißverschluß zusammen. Dabei ging die westlich folgende Kaltfront
auf halbem Wege zwischen der Südinsel von Nowaja Semlja und dem Nordkap in eine
Warmfront über, die sich über Skandinavien als verwellte Luftmassengrenze zog
und aus den bei den Vortagen beschriebenen Fronten des Tiefs VINCENT entstand. In
erster Linie war die zum Tiefdruckgebiet VINCENT gehörende Okklusionsfront in
Form eines Wolkenbandes zu sehen. Nachfolgend wurden die Luftdruckunterschiede
am nördlichen Rand Europas aufgefüllt, womit Zyklone VINCENT von den Karten
verschwand.
Geschrieben am 05.10.2017 von Heiko Wiese
Berliner Wetterkarte: 09.07.2017
Pate: Heinrich-Vincent Gawel