Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet VIOLA
(getauft am 27.04.2016)
Um den 22. bis 24. April 2016 kam es zu einem mächtigen Kaltluftvorstoß
aus dem arktischen Raum über das Nordmeer und Skandinavien in Richtung
Zentraleuropa. Hieraus entwickelte sich ein umfangreicher Höhentiefkomplex über
Island, Skandinavien, Britische Inseln und Mitteleuropa, welches das Wetter der
darauf folgenden Tage und Wochen über weiten Teilen Europas maßgeblich
beeinflussen sollte. Die mit dem Höhentief korrespondierende Zone tiefen
Luftdruckes am Boden wies gleich mehrere Tiefdruckkerne auf, die um einen
gemeinsamen Mittelpunkt, der sich etwa über Dänemark und Südnorwegen befand,
kreisten und sich gegenseitig beeinflussten, abschwächten und verstärkten.
Während in den Frühstunden des 27. Aprils das mit Tief UTA kräftigste Zentrum noch
über der Deutschen Bucht lag, führten dynamische Prozesse bis zum 28. April zur
Bildung eines neuen Schwerpunkts im Bereich der Britischen Inseln. Nach
Prognose verschiedener Wettermodelle sollte dieser Wirbel unter Verstärkung
über die Nordsee ziehen und mit seinen Ausläufern bald schon Deutschland
erreichen. So wurde das in Entstehung begriffene Tief am 27. April in der
Prognose für den Folgetag von der Berliner Wetterkarte auf den Namen VIOLA
getauft.
Erstmals analysiert werden konnte das Tief VIOLA in den Frühstunden des
28. April als schwaches Randtief über den Shetland-Inseln. Dabei wurde in Lerwick um 00 Uhr UTC, was 02 Uhr MESZ entspricht, ein
Luftdruck von 1008,1 hPa gemessen. Zum Tiefdruckgebiet gehörte eine Kaltfront,
die sich in west bis nordwestliche Richtungen über das isländische Seegebiet
erstreckte. In den darauf folgenden Stunden setzte sich die Tiefdruckentwicklung
weiter fort, sodass sich bis in die Mittagsstunden eine abgeschlossene Zyklone
mitsamt vorgelagerter kurzer Warmfront bilden konnte.
Durch die Zyklogenese traten über Großbritannien und
Irland kräftige Niederschläge auf, die teils auch als Schnee oder
Graupelschauer fielen und vereinzelt von Blitz und Donner begleitet waren. Bis
zum Abend wurden verbreitet 5 bis 10 l/m² in 12 Stunden gemessen, auf der
schottischen Hebrideninsel Skye sogar 17 l/m². In der
sich anschließenden Nacht überquerte das Frontensystem die Britischen Inseln
südwärts, wobei durchschnittlich weitere 2 bis 5 l/m² Niederschlag registriert
wurden.
Die Kaltfront des Tiefs VIOLA verlief am frühen Morgen des 29.04.
entlang der britischen Ostküste, dem Ärmelkanal bis über den Ostatlantik. Die vorgelagerte, kurze Warmfront hingegen erstreckte sich über
Belgien und Nordfrankreich. Im Zentrum hatte sich die Zyklone auf knapp unter
1000 hPa verstärkt und war bis vor die schottische Ostküste gezogen. Während
sich das Tief im weiteren Verlauf über der Nordsee eindrehte und dabei langsam
abschwächte, verlagerten sich dessen Ausläufer weiter ost- und südwärts und
erfassten so mit Regenschauern neben Großbritannien auch Südnorwegen, Dänemark,
Norddeutschland, die Benelux-Staaten und Nordfrankreich. Aus dem bretonischen Brest
wurden zwischen 06 und 18 Uhr UTC z.B. 9 l/m² gemeldet, in Schleswig fielen 8
l/m² und im südnorwegischen Kragerø 9 l/m².
Großbritannien hingegen befand sich bereits auf der Rückseite des Tiefs
im Einfluss maritimer Arktikluft, wobei es bei kühlen
5 bis 10°C zu weiteren Schnee-, Schneeregen-, Regen und Graupelschauern kam,
die beispielsweise in Bingley, 20 km westlich von
Leeds, bis zum Abend weitere 10 l/m² brachten. In der sich anschließenden Nacht
setzten sich die Niederschläge entlang der nun kaum noch weiter ostwärts
vorankommenden Kaltfront zwischen Südskandinavien, Nordwestdeutschland und den Benelux-Ländern
fort, in Essen regnete es z.B. 7 l/m², in Lüttich 9 l/m² und im dänischen Roesnaes 7 l/m², und im Raum Oslo waren es bis zu 13 l/m². Anders
gestaltete sich die Entwicklung über dem Nordwesten Frankreichs, wo sich im
Bereich der Kaltfront ein Randtief bildete. Dies führte auf kleinem Raum zu
einer deutlichen Intensivierung der Regenschauer, wobei in Nantes bis zum
Morgen 16 l/m², auf der vorgelagerten Insel Le Talut gar 21 l/m² Regen fielen.
Das Randtief verlagerte sich im Laufe des 30. April unter leichter Verstärkung
über Südwestfrankreich in Richtung westliches Mittelmeer. Dagegen löste sich der
Hauptkern über der Nordsee allmählich auf. Gerade über Südnorwegen, speziell
dem Osloer Raum, kam es allerdings noch bis zum Folgetag zu weiteren, teils
kräftigen Regenfällen mit bis zu 25 l/m² Niederschlag in 12 Stunden. Zeitgleich
breiteten sich die Niederschläge über Zentral- und Südfrankreich bis in die
Schweiz und nach Westitalien aus. Dabei wurden zwischen 06 und 18 Uhr UTC
vielerorts 5 bis 10 l/m² Regen, stellenweise auch an 20 l/m² beobachtet. Im
zentralfranzösischen Avord fielen beispielsweise 18
l/m², in Turin waren es bis zum Abend 12 l/m². In den Abend- und Nachtstunden
kam es dann zu der Entwicklung eines weiteren Tiefdruckkerns über Norditalien. Dabei
löste sich in den höheren Luftschichten ein Kaltluftanteil in Richtung
westliches Mittelmeer ab. Dieser Prozess führte zur Entstehung dieses neuen
Tiefdruckzentrums über dem Golf von Genua. Dabei kam es zu einer Intensivierung
der Niederschläge, die mehr und mehr auf den gesamten Alpenraum und die
Apenninen-Halbinsel übergriffen. Bis zum darauf folgenden Morgen wurden
verbreitet zweistellige Regensummen registriert. In Turin fielen etwa 28 l/m²,
in Mailand 33 l/m², 26 l/m² waren es im Schweizer Tessin und gar 70 l/m² auf
dem 2469 m hohen Grand St. Bernard-Pass im Kanton Wallis.
Am 01. Mai um 00 Uhr UTC wurde das über dem Golf von Genua neu
entstandene Tief mit einem Luftdruck von 1010 hPa VIOLA benannt. Die Ausläufer
in Form einer Kaltfront reichten südwärts über Korsika und Sardinien bis vor
die afrikanische Küste. Dagegen erstreckte sich nördlich von Tief VIOLA eine in
Auflösung begriffene Warmfrontokklusion über den
Alpenraum in nördliche Richtungen bis nach Skandinavien. Eine Okklusion stellt
dabei eine Mischfront mit Warm- und Kaltfronteigenschaften dar. In den
folgenden Stunden dehnten sich die Niederschläge rasch weiter bis zum
Westbalkan aus, wobei der Schwerpunkt am 01. Mai über Österreich, Slowenien und
Kroatien zu finden war. Dabei wurden in einem 24-stündigen Messintervall bis
zum darauf folgenden Morgen um 06 Uhr UTC stellenweise um oder über 50 l/m²
Niederschlag beobachtet. Beispielsweise fielen in Graz 42 l/m², im slowenischen
Maribor 58 l/m² und in Ogulin
an der dalmatinisch-kroatischen Adriaküste bis zu 63 l/m². In Preitenegg, 40 km westlich von Graz, wurden sogar 95 l/m²
gemessen. Daneben kam es aber auch über großen Teilen Italiens und der Schweiz
zu verbreitet zweistelligen Regenmengen von 10 bis 20 l/m². Auch an den
kommenden Tagen setzten sich die teils kräftigen Niederschläge über Südeuropa
fort und erfassten dabei mehr und mehr auch die Balkanhalbinsel. Gesteuert
wurden die Prozesse im Wesentlichen von einem Höhentief in 5,5 km Höhe, welches
sich sehr langsam weiter ostsüdostwärts über die
Adria in Richtung Ägäis und bis zum 04. Mai zum Schwarzmeerraum verlagerte.
So befand sich das Niederschlagszentrum am 02. Mai etwa zwischen
Süditalien, Serbien und Albanien. An der sich ebenfalls langsam ostwärts
verlagernden Kaltfront bildeten sich teils kräftige Gewitterschauer. Dabei
fielen zum Beispiel 44 l/m² im montenegrinischen Podgorica,
40 l/m² im kalabrischen Bonifati
und gar 55 l/m² im albanischen Korça innerhalb von 24
Stunden.
Im Laufe des 03. Mai verschob sich dann der Schwerpunkt der Zyklone VIOLA
von der Adria über das Ägäische Meer bis zum Tagesende zum Schwarzen Meer. In
der Folge zogen sich die Niederschläge rasch aus den Alpen und Italien zurück,
griffen stattdessen aber mehr und mehr auf Rumänien, Bulgarien und die Türkei
über. Dabei wurden zwischen 06 Uhr UTC und 06 Uhr UTC des Folgetages etwa 25
l/m² in Bukarest gemessen, ebenso viel wie im bulgarischen Mussala.
Vor allem über Griechenland und der Türkei entwickelten sich auch wieder
zahlreiche Gewitter, wobei im südwesttürkischen Muğla 36 l/m², in Dalaman 29 l/m² und 24 l/m² auf der griechischen Insel Lesbos fielen.
Schließlich befand sich am Morgen des 04. Mai der gesamte südosteuropäische
Raum, von der Apenninenhalbinsel im Westen bis zur Türkischen Halbinsel im
Osten unter Tiefdruckeinfluss. Der Tiefdruckkern des Wirbels VIOLA hatte sich
in eine recht flache und ausgedehnte Tiefdruckzone mit einem Luftdruck von
knapp unter 1005 hPa über dem Schwarzem Meer gewandelt. Die ohnehin nur noch
schwachen Tiefausläufer verliefen zumeist über das offene Meer und lediglich
noch über den Osten der Türkei. Trotz alledem hielten auch an diesem Tage die
örtlich auftretenden kräftigen Regenfälle über der Balkanhalbinsel weiter an.
Dabei wurden verbreitet zweistellige 24-stündige Regenmengen erreicht, im
bosnischen Zenica waren es 18 l/m² und im rumänischen
Schwarzmeerort Tulcea 20
l/m². Vor allem über der Ägäis und der Westtürkei bildeten sich erneut auch
Gewitter, die in Izmir weitere 17 l/m², in Anamur 23 l/m² und auf der
griechischen Insel Kos gar 48 l/m² bis zum darauf folgenden Morgen brachten.
Letztmalig analysiert werden konnte das Tief VIOLA dann in den
Frühstunden des 05. Mai mit dem niedrigsten Druck von knapp unter 1005 hPa über
dem Schwarzen Meer. Zwar verblieb Südosteuropa auch an den Folgetagen noch
unter Tiefdruckeinfluss, allerdings verschwanden sowohl die frontalen
Strukturen, wie auch der Tiefdruckkern selbst bis zum Ende des Tages aus dem
Bodendruckfeld. Nichtsdestotrotz setzten sich die teils gewittrigen
Regenschauer in der Schwarzmeerregion fort. Über der Türkei konnten sich die
Niederschläge gegenüber dem Vortag sogar noch etwas intensivieren. Dabei wurden
zwischen dem 05. und 06. Mai um jeweils 06 Uhr UTC aus Alanya weitere 34 l/m²
Niederschlag, aus Samsun gar 46 l/m² gemeldet. Dass
das Wetter auch an den folgenden Tagen über der Schwarzmeerregion und der
Balkanhalbinsel wechselhaft und unbeständig mit weiteren Schauern und Gewittern
blieb, lag letztendlich an einem von Osteuropa her aufziehenden neuen Höhentief.
Geschrieben
am 28.06.2016 von Gregor Pittke
Berliner Wetterkarte: 29.04.2016
Pate: Christian Widera