Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet VLADIANA

(getauft am 23.09.2016)

 

Über weite Strecken des Septembers befand sich über dem Nordatlantik ein, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägter Höhentrog, also ein Gebiet niedrigen Luftdrucks und Temperatur in der Höhe. Dem Gegenüber stand ein Gebiet hohen Luftdrucks über dem zentraleuropäischen Kontinent, welches sich wiederholt keilförmig bis nach Nordeuropa ausdehnte. In der Folge konnten die atlantischen Tiefdruckwirbel nicht direkt auf das europäische Festland übergreifen, sondern wurden auf eine nordöstliche Zugbahn in Richtung Nordwest- und Nordeuropa abgelenkt. Für unser Wetter in Mitteleuropa hatte dies durchaus positive Effekte, da zum einen mit den Wirbeln Warmluft aus subtropischen Breiten herantransportiert wurde und sich zum anderen die Ausläufer der Tiefs nur noch in abgeschwächter Form bei uns bemerkbar machten. Sommerliches Wetter mit Temperaturen von über 25°C, allein vom 07. bis 16. September an zehn aufeinander folgenden Tagen, darunter zwei Tage über 30°C, war die angenehme Folge für Deutschland.

Am 22. September ereignete sich an der Westflanke des Höhentroges über dem ostkanadischen Raum eine weitere Tiefdruckneuentwicklung. Der entstehende Wirbel sollte auf ganz ähnlicher Zugbahn wie oben beschrieben ziehen und an den Folgetagen maßgeblich Einfluss auf das Wettergeschehen über Nordwesteuropa und zum Teil auch Mitteleuropa nehmen. Daher wurde das Tief am Morgen des 23. September auf den Namen VLADIANA getauft.

Zu diesem Zeitpunkt befand es sich mit Zentrum über dem mittleren Nordatlantik, etwa 1500 km süd-südwestlich von Island. Der Kerndruck lag bei knapp unter 990 hPa. Die Ausläufer spannten sich südöstlich des Kerns als Warmfront fast bis zu den Azoren und in südwestliche Richtungen als langgezogene Kaltfront bis nahe der Bermuda-Inseln. Eine weitere Front, in Form einer sogenannten Okklusion, reichte dagegen in westliche Richtungen und bildete die Grenze zur Kaltluft im Norden. Eine Okklusion beschreibt eine Mischfront, bei welcher die schneller ziehende Kaltfront die langsamere Warmfront einholt und anhebt. Unter rascher Weiterentwicklung und Verstärkung der Zyklone VLADIANA erreichte das mit dem Frontensystem verknüpfte Niederschlagsband bereits in den Nachmittags- und Abendstunden die Britischen Inseln. Nach Analyse des britischen MetOffice erreichte die Zyklone zu diesem Zeitpunkt mit 977 hPa bereits den niedrigsten Luftdruck in ihrer Entwicklung. Der aufkommende Regen fiel vor allem im Westen Irlands und Norden Schottlands mitunter recht ergiebig aus. Bis zum darauf folgenden Morgen regnete es etwa im schottischen Skye 20 l/m² in 12 Stunden und im irischen Belmullet 28 l/m², während es weiter östlich in England und Wales noch trocken blieb. Gleichzeitig lebte der aus südlichen Richtungen kommende Wind stark auf, vor allem entlang der Küsten und im Bergland wurden verbreitet Sturmböen, an markanten Stellen auch orkanartige Böen, registriert, wie z.B. im nordwestirischen Belmullet mit 104 km/h oder an der schottischen Passstation Glen Ogle auf 564 m mit 109 km/h.

Währenddessen hatte Tief VLADIANA bis zum Morgen des 24. September die Rolle des steuernden Tiefs über dem Nordostatlantik eingenommen. Mit dem Zentrum wenige hundert Kilometer südlich von Island waren weitere Kerne, die sich zu diesem Zeitpunkt südlich, westlich und nordöstlich davon befanden, verbunden. Tagsüber kam das mit der Kaltfront verknüpfte Niederschlagsband nur zögerlich über den Britischen Inseln weiter ostwärts voran. In seinem Bereich kam es zu weiteren, teils ergiebigen Regenfällen, vor allem in einem Streifen zwischen Cornwall-Westwales-Irland-Schottland bis zu den Shetland-Inseln. Zwischen 06 und 18 Uhr UTC regnete es beispielsweise in Belfast 21 l/m² und in Glasgow 18 l/m². Die Abkürzung UTC steht für "Weltzeit" und ist zur MESZ um -2 Stunden versetzt. Auch im Bereich des Tiefdruckzentrums kam es zu Niederschlagsaktivitäten, wobei schauerartiger Regen leichter bis mäßiger Intensität und mit Mengen von 5 bis 10 l/m² in 6 Stunden auf Island übergriff. Der Wind konnte durch die weitere Vertiefung über Großbritannien sogar noch etwas zulegen, mit stürmischen Böen bis ins Flachland und Sturmböen entlang der Küsten und dem Bergland. In den schottischen Highlands, wurden auf dem 1245 m hohen Cairngorm sogar Orkanböen bis 183 km/h registriert. Gleichzeitig drang vor der Front ein Schwall maritimer Subtropikluft über Westfrankreich bis nach England vor, Bordeaux meldete eine Höchsttemperatur von 28,6°C, nach 24,9°C tags zuvor. In London stieg die Temperatur gegenüber dem Vortag um knapp 3 Grad bis auf 23,2°C. Die dazugehörige, nur kurze Warmfront verlagerte sich allerdings ohne nennenswerte Wetteraktivitäten von der Nordsee aus nordwärts Richtung Europäisches Nordmeer.

In der sich anschließenden Nacht erfassten die Regenfälle auch England, sowie den Nordwesten Frankreichs. Bis zum nächsten Morgen um 06 Uhr UTC wurden hier verbreitet zweistellige Regenmengen gemessen. In Leek-Thorncliffe, 40 km südlich von Manchester, fielen zum Beispiel 33 l/m² Regen, in London waren es dagegen nur 2 l/m². Auf französischem Terrain meldete die Station in Quimper mit 21 l/m² die höchste 12-stündige Regensumme.

Am Morgen des 25. September befand sich das Zentrum von Tief VLADIANA nahezu unverändert knapp südlich von Island. Vom Luftdruck her hatte sich das Tief etwas auf knapp unter 990 hPa abgeschwächt. Der gesamte Tiefdruckkomplex, mit weiteren Schwerpunkten nördlich von Irland und nordöstlich von Island, dehnte sich über eine Fläche zwischen den Britischen Inseln und Island sowie vom nahen Nordostatlantik bis zum Nordmeer aus. Den Hauptausläufer des Tiefs bildete nunmehr ein System von zwei aufeinander folgenden Kaltfronten, welche sich von Großbritannien über die Bretagne, die Biskaya und Nordwestspanien bis über das Seegebiet westlich der Iberischen Halbinsel erstreckten. Auch in den folgenden Stunden kam es entlang dieser, nur noch sehr langsam nach Osten vordringenden, Luftmassengrenze zu weiteren Niederschlägen, welche auch von der Intensität her allmählich nachließen. Vor allem über Frankreich und den Benelux-Ländern regnete es zeit- und gebietsweise noch leicht, wie in Paris-Orly mit 5 l/m² oder in Antwerpen mit 4 l/m². Im äußersten Südwesten Frankreichs fiel der Regen zum Teil auch mäßig aus mit bis zu 20 l/m² in
12 Stunden in Biarritz. Großbritannien dagegen befand sich schon auf der Rückseite des Tiefs, was sich zum einen am spürbar nachlassenden Wind, zum anderen am Temperaturrückgang um 2 bis 3 Grad bemerkbar machte. Nichtsdestotrotz entwickelten sich in der postfrontal einfließenden maritimen Polarluft noch einzelne, zumeist leichte Schauer, wobei die Spanne von wenigen Zehntel l/m² bis vereinzelt um 5 l/m² Regen in 12 Stunden reichte. Ähnliche Niederschlagsintensitäten wurden weiterhin auch im Bereich des Tiefdruckzentrums über Island beobachtet. Nachts erreichten die Ausläufer schließlich den Nordwesten Deutschlands, doch bis auf dichtere Wolkenfelder blieb es vielerorts trocken. Anders dagegen weiter nördlicher, wo schauerartiger Regen entlang der Westküste Norwegens aufzog und zwischen 18 und 06 Uhr UTC z. B. in Bergen für 14 l/m² Niederschlag sorgte.

Im Laufe des 26. September verlagerte sich der Tiefdruckkomplex mit seinem Schwerpunkt allmählich nordwärts von Island Richtung Nordmeer und büßte dabei weiter an Stärke ein. Folglich kam auch die Kaltfront kaum mehr weiter ostwärts voran. Dagegen lebte die Schauertätigkeit über den Britischen Inseln, die in der Nacht nachgelassen hatte, in der maritimen Polarluft erneut auf. Kräftige Regengüsse mit verbreitet zweistelligen Mengen zwischen Cornwall, Wales und Zentralengland waren die Folge. So wurden am Flughafen Pembrey bei Swansea 22 l/m² zwischen 06 und 18 Uhr UTC gemeldet. Auch im Bereich des Tiefdruckzentrums über dem Nordmeer regnete es zeit- und gebietsweise weiter. Einer der wenigen Wetterstationen in diesem Gebiet, auf der Nordmeer-Insel Jan Mayen, registrierte innerhalb eines 12-stündlichen Messintervalls bis zum Abend 7 l/m².

Über eben jener Insel wurde Tief VLADIANA in den Frühstunden des 27. September ohne nennenswerte Luftdruckänderung analysiert. Die Ausläufer des Tiefs reichten zu diesem Zeitpunkt vom Zentrum aus bis nach Spitzbergen und von dort als kurze Warmfront bis zur Kola-Halbinsel bzw. als Kaltfront quer über Skandinavien südwärts bis nach Mitteleuropa. Während sich die Wetteraktivitäten entlang der Fronten über dem nordeuropäischen Kontinent quasi auf Vorhandensein lockerer Wolkenfelder beschränkten, kam es über dem nördlichen Nordmeer noch zu länger anhaltendem Regen. Auf Spitzbergen registrierten die Messstationen in der Nacht zum 27.09. bis zu 17 l/m² Regen in 12 Stunden in Hornsund, tagsüber regnete es weitere 10 l/m², wie z.B. in Ny-Ålesund.

Die weitere Entwicklung der Zyklone VLADIANA wurde schließlich durch den ehemaligen Tropensturm KARL bestimmt. Als außertropisches Tief ex-KARL zog es bis zum 28. September vom Atlantik Richtung Nordwesteuropa und nahm Tief VLADIANA in seine Zirkulation mit auf.

Letztmalig in der Berliner Wetterkarte analysiert werden konnte Tief VLADIANA in den Frühstunden des 28.09. als Randtief eben jenen Wirbels, mit einem Luftdruck von nur noch wenig unter 995 hPa über Jan Mayen.

 


Geschrieben am 06.10.2016 von Gregor Pittke

Berliner Wetterkarte: 25.09.2016

Pate: Mark & Ines Benecke