Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
VOLKER
(getauft
am 19.06.2021)
Der Nordatlantik wird nicht zu
Unrecht als Geburtsstätte neuer Tiefdruckgebiete bezeichnet, die das Wetter in
Europa, speziell Mitteleuropa maßgeblich mitbestimmen. Auch im Juni 2021 hatten
sich ein gutes Duzend Zyklonen über dem Meeresgebiet zwischen Nordamerika und
Europa gebildet. Eine davon war Tief VOLKER, welche um den 17./18. Juni
entstanden war und im Satellitenbild des darauf folgenden Tages als
Wolkenspirale über dem atlantisch-europäischen Raum erstmals sichtbar wurde. Zu
diesem Zeitpunkt befand es sich noch etwa 900 km westlich von Irland, mit einem
niedrigsten Druck von knapp unter 1005 hPa. Der Höhenströmung folgend griff das
sich weiter kräftigende Tief jedoch nicht etwa auf die Britischen Inseln über,
sondern driftete nach Süden ab. So erreichten Ausläufer in der Nacht zum 20.06.
zuerst Portugal und den Nordwesten Spaniens. Hier und da regnete es etwas (Vigo
5 l/m², Porto 9 l/m² in 12 Stunden), direkt an der Atlantikküste auch kräftiger
und länger anhaltend (Casa do Porto 25 l/m²).
Während sich der Wirbel am Morgen des
20. Juni mit Zentrum weiterhin mehrere hundert Kilometer westlich des
Europäischen Festlands über dem Atlantik befand (etwa 600 km westlich der
Bretagne), spannten sich die Ausläufer südwärts bis vor die Iberische Halbinsel
und darüber hinaus als Warmfront bis nahe der portugiesischen Insel Madeira,
bzw. als Kaltfront bis zu den Azoren. In den folgenden Stunden überquerte das
Frontensystem mit weiteren Regenfällen Portugal und Spanien ostwärts (z.B.
Lissabon 3 l/m², Valladolid 4 l/m²) und drang gleichwohl bis nach Frankreich
vor. Die teils schauerartigen Niederschläge waren gerade über dem Land der
Baguettes und Croissants sehr ungleichmäßig verteilt, so wurden am Flughafen
Paris-Orly gerade mal 2 l/m² gemessen, dagegen fielen in Nantes zwölfstündlich
18 l/m², in Bordeaux blieb es sogar gänzlich trocken. Mit Annäherung des Tiefs
VOLKER lebte auch der Wind über der Iberischen Halbinsel spürbar auf. Bereits
in der Nacht hatte es einzelne stürmische Böen und Sturmböen an der spanischen
Atlantikküste gegeben (laut amerikanischem GFS-Modell bis 83 km/h). Im
Tagesverlauf wehte über Spanien und Portugal ein vielfach frischer Südwest- bis
Westwind mit Böen von 50-70 km/h. In den Regionen Galizien und Kastilien-Léon
wurden etwa an der Messstation in A Coruna Böen bis 54 km/h, in
Salamanca-Malacan bis 63 km/h und in Estanca De Bares 70 km/h gemessen.
Unterdessen zog Tief VOLKER an den
folgenden 1-2 Tagen über die Biskaya langsam in Richtung Frankreich, wobei es
im Bodendruckfeld in mehrere Kerne zerfiel, die aber weiterhin durch ein
Frontensystem miteinander verbunden waren. Da das Tief mittlerweile bis in
höhere Luftschichten reichte, hatte dies jedoch kaum Auswirkungen auf die damit
verbundenen Wetterphänomene. Im Gegenteil, nun griffen schauerartige Regenfälle
vom Atlantik verstärkt auch auf Frankreich und den Süden Englands über, während
der Regen im Norden Spaniens anhielt.
Am 21. Juni etwa wurden über
Westeuropa teils zweistellig Regenmengen registriert, beispielsweise im
nordfranzösischen Abbeville 20 l/m² in 12 Stunden, wobei der Großteil in nur
einer Stunde zwischen 08 und 09 Uhr fiel. Ähnliche Mengen wurden auch im
südenglischen Plymouth (19 l/m²) und im baskischen San Sebastian (21 l/m²)
gemessen. Weiterhin blieb es in Nähe zum Tiefdruckzentrum windig, in Küstennähe
auch stürmisch (Windböen bis 54 km/h in Brest). Der Regen erfasste bald auch
die Benelux-Staaten, Deutschland und die Schweiz. Aber die Ausläufer des Tiefs
VOLKER drangen nicht nur weiter nach Osten voran, sondern mit der Zyklone wurde
nun zunehmend auch mäßig-warme und feuchte Meeresluft nach West- und
Mitteleuropa gelenkt. Über weiten Teilen Frankreichs lagen beispielsweise die
Höchstwerte bei nur noch 20-25°C. Im Übergangsbereich zu schwülwarmen
Luftmassen über dem Süden Deutschlands und dem Alpenraum (Maxima 25-30°C)
entwickelten sich in der Nacht zum und am 22. Juni mitunter kräftige Schauer
und Gewitter, die von Frankreich aus mit der Strömung nordwärts nach Benelux,
aber auch die Schweiz und den Südwesten und Westen Deutschlands zogen. In
diesem Zusammenhang wurden meist einige Liter pro Quadratmeter Niederschlag
registriert, gebietsweise, so wie in Paris-Montsouris (17 l/m²) oder
Basel-Binningen (11 l/m²) gab es zweistellige Regenmengen, in Spitzen wurden
über 30 l/m² in 12 Stunden ermittelt (z.B. Saarbrücken 34 l/m²). Einhergehend
mit den Gewitterschauern frischte auch der Wind böig auf, in Paris etwa bis 56
km/h, ähnliche Geschwindigkeiten wurden auch im belgischen Zeebrügge (54 km/h)
und in Innsbruck (57 km/h) gemessen. Im Bayrischen Fürstenzell wurde ein
kräftiger Gewitterschauer neben Starkregen und Hagel gar von Sturmböen bis 87
km/h begleitet. Aus meteorologischer Sicht auffällig war die zunehmend
verflachende, indifferente Druckverteilung über West- und Mitteleuropa, wodurch
sich das Tief im Bodendruckfeld bis zum Tagesende nahezu auflöste und der
Luftdruck auf Werte von 1010 und 1015 hPa stieg. Eine Lage, die im Sommer
prädestiniert ist im Zusammenspiel mit feuchtwarmer Luft und kräftiger Junisonne
für kräftige Gewitterschauer zu sorgen.
Da sich gleichzeitig ein
Hochdruckkeil von den Azoren in Richtung Britischer Inseln und Westfrankreich
schob, blieb von Tief VOLKER in den Frühstunden des 23. Juni mehr oder weniger
nur noch eine flache Tiefdruckrinne übrig, die sich vom Baltikum über das
östliche Mitteleuropa bis zu den Alpen und den Süden Frankreichs erstreckte. Entlang
dieser wetteraktiven Luftmassengrenze setze sich die Schauer- und
Gewittertätigkeit fort, vor allem in einem Streifen zwischen Südfrankreich, der
Schweiz und Südtirol, bis in den Süden und Osten Deutschlands. Wie man es von
Gewitterlagen kennt, regnete es nicht überall gleich stark, sondern es kam zu
großen Unterschieden auf kleinem Raum. Die stärksten Gewitterschauer gingen
einher mit Starkregen, Hagel und starken bis stürmischen Böen von 50-75 km/h
und brachten teils 30-40 l/m² Niederschlag innert kürzester Zeit.
Beispielsweise wurden zwischen 06 und 18 UTC (also 08 Uhr bis 20 Uhr MESZ) in
Amberieu bei Lyon 33 l/m² gemessen, im schweizerischen Mervelier 34 l/m², in
Weissbach, westlich von Stuttgart gar 48 l/m² oder aber im italienischen Trento
19 l/m². In den Abendstunden schlossen sich, wie übrigens auch am Vortag, über
Frankreich und dem Alpenraum eine Vielzahl von Schauern und Gewittern zu einem
riesigem Cluster zusammen, welches in den Nachtstunden mit der Höhenströmung
nord-nordostwärts zog. Reste dieses
sogenannten "Mesoskaligen Konvektiven Systems" (MCS) befanden sich am
darauf folgenden Morgen 06 UTC über den südwestdeutschen Mittelgebirgen
(Rheinland-Pfalz-Südhessen-Unterfranken) und über Westpolen. Bei solchen
meteorologischen Phänomenen spielt vor allem flächiger, lang anhaltender,
ergiebiger Dauerregen eine große Rolle. So verwundert es nicht, dass nächtens
Mengen von z.B. 35 l/m² in Prag-Kebely, 46 l/m² in München-Stadt oder auch 50
l/m² in Zürich-Kloten gemessen wurden. Am meisten kam im Südschwarzwald runter,
in Bad-Saulgau fielen 98 l/m² in nur 12 Stunden, dabei 58 l/m² zwischen 19 und
20 UTC. In der ersten Nachthälfte kam es örtlich zu, z.T. schweren Sturmböen
(z.B. Konstanz 91 km/h, München Stadt 65 km/h, Kresin-Kramolin 76 km/h), am
Flughafen Salzburg wurden sogar Böen bis Orkanstärke (119 km/h) registriert.
Auch am darauffolgenden 24. Juni
setzte sich die Schauer- und Gewitterlage über Teilen Mitteleuropas fort, wobei
sich der Schwerpunkt mehr in Richtung Tschechien, Ungarn und der Slowakei schob.
Die Ursache war neben einem weiter nur indifferenten Bodendruckfeld und dem
Vorhandensein eines Höhentiefs über Frankreich, in den großen
Temperaturunterschieden über Zentraleuropa zu finden. Während die Höchstwerte
über Frankreich, Benelux, aber auch Teilen Deutschlands meist nur 18-22°C
erreichten (z.B. Paris Charles de Gaulle 21°C), lagen sie über Süddeutschland,
dem Alpenraum und Tschechien bei 20-25°C (z.B. Ingolstadt 25°C, Prag 24°C).
Sommerlich heiß war es dagegen weiter östlich über Teilen Österreichs,
Norditaliens, Ungarn, Slowenien und Polen mit Maxima von über 30°C, teils sogar
über 35°C (Wien 32°C, Budapest 37°C). In diesem Umfeld konnte sich das gewitterbringende
Tief VOLKER im Bodendruckfeld neu generieren und lag in den Mittagsstunden mit
Kern über Zentralösterreich, mit niedrigstem Druck knapp unter 1010 hPa. Gerade
im Übergangsbereich zwischen mäßigen warmen und heißen Luftmassen und ostwärts
mit Zentrum nach Ungarn verlagert, lebte die Schauer und Gewittertätigkeit in
den späten Vormittags- und Mittagsstunden über dem Alpenraum erneut auf. Die
einzelnen, kräftigen Gewitterzellen zogen mit der Höhenströmung nordostwärts
und erfassten Teile der Schweiz, Südbayern, Niederösterreich, Teile
Tschechiens, Luxemburg und Rheinland-Pfalz. Bis zum Abend wurden nicht selten
Regenmengen zwischen 30-50 l/m² gemessen, in Buchs bei Aarau etwa 49 l/m², in
Idar-Oberstein 47 l/m², in Retz/Niederösterreich 32 l/m², in
Garmisch-Partenkirchen 27 l/m². Besonders tragisch stellte sich die Situation
über Südmähren dar, wo sich in den frühen Abendstunden ein zerstörerischer
Tornado entwickelte, der zwischen den Städten Břeclav und Hodonín eine
Schneise der Verwüstung hinterließ, in über 10.000 Haushalten fiel der Strom
aus. Meteorologen werden später die Stärke des Tornados auf "F4"
beziffern, was maximale Windgeschwindigkeiten von mehr als 300 km bedeutet. Unterdessen
setzten sich in den Nachtstunden die gewittrigen Regenfälle fort, Schwerpunkt
blieb das südöstliche Mitteleuropa, einschließlich des Karpatenbecken und
Siebenbürgen (Buzău/ Rumänien 34 l/m²).
Am Morgen des 25. Juni befand sich
Tief VOLKER aufgespaltet in zwei Kerne einmal über Budapest und einmal über
Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Bei beiden Kernen lag der Luftdruck jeweils bei
circa 1012 hPa. Von VOLKER I, dem südlicheren Kern, reichten Ausläufer als
Okklusion weit nordwärts über Warschau, durch VOLKER II bis nach St.
Petersburg. Südlich vom Kern des Teiltiefs VOLKER I erstreckte sich dagegen die
Kaltfront über den nördlichen Balkan, die Adria und Mittelitalien bis zum
Thyrrhenischen Meer. Weitere Fronten spannten sich bis nach Norditalien, bzw.
quer über Süddeutschland. In den folgenden Stunden drang das Frontensystem mit
neuerlichen Niederschlägen langsam ostwärts nach Osteuropa voran, gleichzeitig vereinten
sich die Kerne wieder zu einem Kern, als VOLKER betitelt, welcher über Ungarn
und die Westukraine nach Weißrussland wanderte. Frontale Reste brachten über
dem Süden und der östlichen Mitte Deutschlands noch einige, aber nicht überall
mehr Regengüsse von teils mehreren Litern pro Quadratmeter (z.B. Nürnberg 6
l/m²). Selten entwickelten sich hier, wie auch über Teilen von Österreich,
Schweiz und Südtirol noch unwetterartige Ereignisse, im württembergischen
Notzingen fielen etwa 36 l/m² und in Graz gingen 38 l/m² nieder. Ansonsten
wurde die Heißluft wie auch die Niederschläge mit dem Tief aus Deutschland und
den Alpen weg in Richtung Osteuropa abgedrängt, wobei es auch dort insgesamt
seltener regnete, blitze und donnerte. Stärkere Gewitterschauer wurden aus
Lemberg mit 28 l/m², wie auch aus Pésc mit 12 l/m² gemeldet, dagegen blieb es
etwa in Budapest trocken und in Belgrad fielen lediglich wenige Tropfen (0,2
l/m²). Bemerkenswert war auch der Temperatursturz über Teilen des östlichen
Mitteleuropas, z.B. erreichten die Höchstwerte im polnischen Lublin nur noch
22°C, nachdem es tags zuvor noch knapp 32°C heiß gewesen war.
Unterdessen entwickelte sich Tief VOLKER
einmal mehr weiter, während der ursprüngliche Kern sich über dem südlichen
Weißrussland auflöste, bildete sich weiter nördlich entlang der Ausläufer über
dem Baltikum ein neuer Schwerpunkt heraus. Zum Tagesende befand sich dieser
Kern im Raum St. Petersburg, um 24 UTC wurde hier ein Druck von nahe 1010 hPa
gemessen. Während sich an den folgenden 2 Tagen über Mitteleuropa Hoch AFRA
etablierte und für eine Wetterberuhigung sorgte, drang Tief VOLKER langsam über
Ostfinnland und Karelien (am 26.06.) nach Nordwest-Russland vor (am 27.06.).
Ausläufer überqueren nun auch die Ukraine, Weißrussland und den Westen
Russlands. Der Schwerpunkt der weiter konvektiv geprägten Schauer und Gewitter
war am 26. Juni über Weißrussland (Minsk 37 l/m²), tags darauf über dem Westen
Russlands (Brjansk 50 l/m²) und Süden Finnlands (Varkaus 35 l/m²) zu finden.
In den Frühstunden des 28. Juni wurde
Tief VOLKER schließlich letztmalig in der Berliner Wetterkarte im Raum
Archangelsk analysiert, ehe es in die Zirkulation eines Nordmeertiefs
aufgenommen wurde und damit seine Lebensgeschichte endete.