Lebensgeschichte

 

Tiefdruckgebiet WENDY

(getauft am 04.07.2020)

 

Anfang Juli wurde durch die intensive Zyklone VERENA I über dem Nordatlantik vergleichsweise kalte Luft, mit Ursprung nördlich des 60. Breitengrades, nach Süden geführt. Zur gleichen Zeit strömte mit der Drehung des Azorenhochs im Uhrzeigersinn warme Luft in den Norden. Infolgedessen verschärften sich die thermischen Gegensätze im Lee-Bereich des großräumigen Tiefdruckkomplexes VERENA I – III, sodass sich dort eine Wellenstörung ausbildete, welche das Anfangsstadium eines jungen Tiefdruckgebietes implizierte. Da es abzusehen war, dass mit weiterer Ostverlagerung die Welle in den nächsten Tagen Einfluss auf das Wettergeschehen in Europa nehmen würde, wurde sie von dem Meteorologen der Berliner Wetterkarte in der Analyse am 04.07.2020 auf den Namen WENDY getauft.

Zu diesem Zeitpunkt besaß die Welle WENDY einen Kerndruck zwischen 1005 hPa und 1010 hPa und befand sich knapp südlich des 50. Breitengrades über dem Atlantischen Ozean. Die vom gestauchten Kern ausgehende Warm- und Kaltfront der Zyklone bildeten in diesem jungen Wirbelstadium die Fortsetzung des Frontensystems von Tief VERENA III über der Nordsee.

Zum Folgetag entwickelte sich die Welle WENDY weiter zu einem Randtief, dessen Kern zwar noch nicht von einer abgeschlossenen Isobare – auch als Linie gleichen Luftdrucks bezeichnet – umgeben war, jedoch ein gut ausgeprägtes Frontensystem mit einer kleinen Okklusion vorhanden war. Eine Okklusion ist eine Mischfront, welche durch das Einholen der Warmfront durch die schneller ziehende Kaltfront entsteht und folglich die Eigenschaften beider Fronttypen in sich vereint. Randtiefs werden wie so häufig mit in die Zirkulation des Muttertiefs mit einbezogen und bewegen sich auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn um das Haupttief, in dem Fall also um den Tiefdruckkomplex VERENA I und II, herum. So auch auf der Analysekarte vom 05.07.: Während sich das Tief VERENA III weiter nordostwärts verlagerte, nahm das Randtief WENDY, nunmehr mit einem Kerndruck von ca. 995 hPa den Platz über Schottland ein. Die Warmfront erstreckte sich ostwärts über dem Nordmeer bis knapp an die Südspitze Schwedens, wo sie sich der Kaltfront von Tief VERENA III anschloss, während die Kaltfront entlang der Westküste Englands bis über den nahen Ostatlantik verlief. Im Zusammenspiel mit den ebenso intensiven Tiefdruckteilzentren VERENA I und VERENA II, mit jeweilig einem Kerndruck von etwa 995 hPa, bildete das Dreigestirn über Nordeuropa den Gegenspieler zum meist hohen Luftdruck über Südeuropa, beeinflusst durch die Antizyklone WINFRIED.

Zwischen diesen beiden Gegensätzen stellte sich knapp nördlich des 50. Breitengrades eine Westwindlage, oder auch Westwinddrift ein, die sich von den Britischen Inseln, dem Ärmelkanal und Nordfrankreich bis nach Norddeutschland und der Ostsee erstreckte. Sowohl an der Nord- (Lister Ellenbogen), als auch an der Südspitze (Hörnum) von Sylt wurden an den Stationen in den frühen Morgenstunden des 05.07. einstündige Böen von 10 Beaufort registriert. Dies entspricht „schwerem Sturm“, also Windstärken in einem Bereich von 89 bis 102 km/h.

Auf der Analysekarte vom 06.07. wurde das großräumige, aus mehreren Tiefdruckkernen bestehende Cluster, hauptsächlich bestehend aus VERENA I-III etwas vereinfacht. Während, nunmehr mit nur noch einem Kern, Tief VERENA den unmittelbaren Einfluss auf Zentraleuropa verlor, konnte sich die Zyklone WENDY, inzwischen als eigenständiges Druckgebilde, etwa 1000 km weiter nach Nordosten, knapp nördlich von Oslo über Norwegen positionieren. Der Kerndruck intensivierte sich auf etwas weniger als 985 hPa, zudem verlief die Okklusion ausgehend vom Zentrum weiter nach Nordosten bis zum sogenannten Okklusionspunkt, an dem sie sich in Kalt- und Warmfront aufteilte. Dabei bildete die Warmfront des Wirbels WENDY die natürliche Fortsetzung des Tiefs VERENA, während sich die Kaltfront hingegen nach Südwesten, an der Ostseeküste Polens entlang über Deutschland und Frankreich bis zum nahen Ostatlantik erstreckte. Infolgedessen breitete sich in Deutschland von Nordwesten her teils schauerartig durchsetzter Regen aus, vereinzelte Stationen, wie zum Beispiel der Bremer Flughafen meldeten um 12 Uhr UTC (Universal Time Coordinated) sogar Gewitter. Die größte 24-stündige Niederschlagsmenge, welche durch die Kaltfront von Tief WENDY verursacht wurde, wurde mit 14,3 l/m² von der Station Lübbertsfehn im Landkreis Aurich erfasst.

Die immensen Luftdruckgegensätze zwischen der Zyklone WENDY und der Antizyklone WINFRIED resultierten zudem in eine Isobarendrängung, welche ein Indiz für hohe Windgeschwindigkeiten in der entsprechenden Region darstellt. Der Abstand zwischen zwei Isobaren fiel auf der Analysekarte vom 06.07. über Norddeutschland erneut recht gering aus, dies spiegelte sich auch in den einstündigen Böen wieder. Verbreitet traten starke bis stürmische Böen (40-74 km/h) auf, entlang der Küsten Sturmböen (75-88 km/h) oder sogar schwere Sturmböen (89-102 km/h).

Während ein Teil der Zyklone WENDY weiterhin dem Tief VERENA folgte, verblieb der andere Teil quasistationär, nur etwa 200 km weiter östlich, über der Ostsee. So konnten in der Analysekarte der Berliner Wetterkarte vom 07.07. gleich zwei Tiefdruckzentren namens WENDY I und WENDY II ausfindig gemacht und betitelt werden. WENDY II befand sich mit einem Kerndruck von 990 hPa knapp nördlich des 70. Breitengrades über der Barentssee und bildete weiterhin den Gegenpol zur sich parallel verlagernden Antizyklone WINFRIED südlich davon. Das Frontensystem von WENDY II umfasste zu diesem Zeitpunkt, ausgehend vom Ursprung eine kurze Okklusion nach Osten bis zum Okklusionspunkt. Der Okklusionspunkt befand sich über der sogenannten Juschny-Insel, übersetzt Südinsel, im Nordpolarmeer, etwa über dem zu Russland gehörigen ländlichen Ort Krasino. Davon ausgehend schloss sich nach Osten die kurze Warmfront und nach Süden die langgestreckte Kaltfront an.

Zyklone WENDY I, ebenfalls in einer leicht abgeschwächten, doch weiterhin stattlichen Form von 990 hPa, manifestierte sich indes über dem Bottnischen Meerbusen zwischen Schweden und Finnland. Ihr konnte in der Analysekarte kein signifikantes Frontenmuster zugeordnet werden. Während das Tiefdruckgebiet WENDY I im Zusammenspiel mit Tief VERENA in Norddeutschland weiterhin sehr frische Meeresluft heranführte, setzte in der Südhälfte, durch Hochdruckgebiet XABI über Frankreich, bereits die Zufuhr etwas wärmerer und trockenerer Luftmassen ein. Dies wurde auch an der Zweiteilung der Bewölkung sichtbar. Während im Süden Deutschlands selten Wolken und häufig mehr als 10 Stunden Sonnenschein registriert wurden, gab es in der Nordhälfte, besonders in der Norddeutschen Tiefebene häufig dichte Wolkenfelder und kaum mehr als 5 Sonnenstunden. Die Station March im Südwesten Baden-Württembergs verzeichnete mit insgesamt 15,2 Stunden am meisten Sonnenschein, wohingegen die Station Webershausen im ostfriesischen Landkreis Wittmund mit lediglich 2,1 Sonnenstunden durch die kalte und feuchte Luft doch sehr benachteiligt wurde.

Am 08.07. hatten sich sowohl WENDY I, als auch WENDY II abgeschwächt und ihren unmittelbaren Einfluss auf Zentraleuropa weiter verloren. Das großräumige, über dem russischen Festland weiterhin stagnierende Hochdruckgebiet WINFRIED blockierte die sonst übliche, nordöstliche Route der beiden Zyklonen. Mit einem Kerndruck von 995 hPa verlagerte sich WENDY II gezwungenermaßen nach Norden, nördlich des 70. Breitengrades zwischen dem Europäischen Nordmeer und der Grönlandsee. Aufgrund fehlender Verlagerungsmöglichkeiten verblieb auch WENDY I knapp nördlich des Bottnischen Meerbusens mit einem Kerndruck zwischen 1000 und 1005 hPa. Im Lee des Tiefdruckkomplexes WENDY I-II schaufelte die nördliche bzw. nordwestliche Anströmung weiterhin feuchte und vergleichsweise kalte Meeresluft nach Nordeuropa. In den skandinavischen Ländern blieb der Himmel häufig komplett bedeckt und immer wieder kam es zu Regen und/oder Schauern von leichter bis mäßiger Intensität. Interessanter gestaltete sich der Wetterverlauf jedoch auf der kleinen Insel Jan Mayen mit ihrer gleichnamigen Station, etwa 550 km nordöstlich von Island und 500 km östlich von Grönland gelegen. Um 06 Uhr UTC vermeldete die Station zunächst leichten Sprühregen in Kombination mit Regen, drei Stunden später, bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, bereits leichten Schneeregen und um 12 Uhr UTC Schneegriesel. In der zweiten Tageshälfte kamen schließlich noch unterbrochener mäßiger Sprühregen sowie mäßiger oder starker Sprühregen mit Regen hinzu, was sich im Freien sehr unangenehm angefühlt haben muss.

In den Analysekarten vom 09.07. und 10.07. änderte sich vergleichsweise wenig an der großräumigen Druckverteilung über Europa. Aufgrund der blockierenden Wirkung des, weiterhin mit einem Zentrumsdruck von über 1015 hPa ausgestatteten Hochdruckgebildes WINFRIED, verblieben die beiden Tiefdruckteilzentren WENDY I sowie WENDY II über Skandinavien und nördlich bzw. nordwestlich davon.

Am Folgetag wurden diese beiden Wirbel erneut zu einem Kern zusammengefasst. Das Zentrum wies noch einen Kerndruck von etwas weniger als 1005 hPa auf und befand sich zu diesem Zeitpunkt über der oben bereits beschriebenen Insel Jan Mayen. Die unmittelbare Nähe zum Tiefdruckzentrum von WENDY spiegelte sich an der gleichnamigen Station sowohl in einer deutlichen Windabnahme, als auch in der raschen Änderung der Windrichtung wider. In der Nacht zum 12.07. wehte der Wind vor 00 Uhr UTC konstant aus nordwestlicher Richtung, drehte sich in den folgenden sechs Stunden jedoch rasch um 180° und wehte am 12.07. um 06 Uhr UTC bereits aus der entgegengesetzten Richtung, aus Südost.

Innerhalb der kommenden 48 Stunden sollte das Tiefdruckgebiet WENDY zwar stationär zwischen dem 60. und 70. Breitengrad nordwestlich von Skandinavien verweilen, jedoch schwächte es sich nun vollends auf einen Kerndruck von etwa 1015 hPa ab. Bis zum 14.07. erfolgte eine weitere Abschwächung, respektive Druckzunahme. Infolgedessen konnte dem Wirbel WENDY, nach einer beachtlichen Lebensdauer von insgesamt 10 Tagen, von der Berliner Wetterkarte kein abgeschlossenes System tiefen Luftdrucks mehr zugeordnet werden, sodass es zum letzten Mal am 13.07. in dem Analysebereich der Bodenwetterkarte vorkam.