Lebensgeschichte
Tiefdruckgebiet
WICCA
(getauft am
22.09.2020)
Bereits am
22.09.2020 tauchte am oberen Rand der Berliner Wetterkarte (BWK), von der
Nordwestpassage hereinziehend, ein Tiefdruckgebiet auf, welches um Mitternacht
einen für ein Tief noch recht verhaltenen Kerndruck von knapp unter 1005 hPa
aufwies. In den darauffolgenden Tagen sollte diese Zyklone mit Hilfe der
westlichen Höhenströmung, auch Jetstream oder Starkwindband genannt, über den Atlantik
in Richtung Europa gelangen und dort das Wettergeschehen beeinflussen, so dass
sich der Meteorologe vom Dienst bereits am 22.09. entschied dieses Druckgebilde
in der Prognose für den 23.09. auf den Namen WICCA zu taufen. Am Tag nach der
Taufe wurde Tief WICCA dann auch erstmals namentlich auf der 00 UTC, also um 02
Uhr MESZ, Bodenwetterkarte der BWK erwähnt. Die Zyklone befand sich zu diesem
Zeitpunkt mit einem ungefähr gleichgebliebenen Kerndruck von etwas unter 1005
hPa über dem Atlantischen Ozean zwischen dem 60. und 50. Breitengrad sowie dem
30. und 20. Längengrad. In diesem, noch sehr jungen Stadium der Frontogenese, also dem Prozess der Frontenbildung,
erstreckte sich ausgehend vom Tiefdruckkern von WICCA vorlaufend eine kurze
Warmfront und nachfolgend eine Kaltfront nach Süden bzw. Südwesten. Zwar hatte
die Zyklone noch keinen unmittelbaren Einfluss auf das Wettergeschehen in
Europa, die großräumige Verteilung von Tiefdruckgebieten über Nordeuropa im
Zusammenspiel mit hohem Luftdruck im Süden ließ jedoch bereits jetzt auf eine
wichtigere Rolle in der Zukunft schließen.
Bis zum
24.09. entstand an der Kaltfront eines mit Kern über Nordeuropa befindlichen,
unbenannten Tiefdrucksystems aufgrund einer Wellenstörung ein weiteres Tief
namens VALENTINA mit einem Kerndruck von knapp 990 hPa. Auf der Rückseite
dieser Zyklone rückte ihr Tief WICCA mit weiterer Ostverlagerung auf die Pelle
und positionierte sich schließlich nahe der Westküste Irlands. Wie schon Tief
VALENTINA verstärkte sich auch die Zyklone WICCA auf der Vorderseite eines
Höhentroges, also eines Kaltluftvorstoßes nach Süden, so dass sich deren
Gradient weiter intensivieren konnte, was man auch gut an den
dort enger aneinander liegenden Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks)
erkennen kann. Auf der Westseite des „WICCA-VALENTINA-Tandems“ wurde weiterhin
ungestört kühlere Luft nach Süden herangeführt. Diese maritime Arktikluft traf in südlicheren Gefilden zunächst auf
maritime Subpolarluft und schließlich noch auf maritime Subtropikluft über dem
spanischen Raum. Ausgehend vom Tiefdruckkern erstreckte sich die Kaltfront von
Tief WICCA zunächst nach Südosten etwa bis zur Nordostspitze Frankreichs und
dann bogenförmig weiter nach Südwesten bis zum östlichen Rand des
Hochdruckgebietes, das sich über dem Atlantischen Ozean ausgebreitet hatte.
Derweil verlief die Warmfront vom Kern abgehend nach Norden, wo sie südlich der
Färöer-Inseln in eine Kaltfront eines unbenannten Tiefs, knapp nördlich davon,
überging. Wie bereits erwähnt, wurde gemeinsam mit dem Tiefdruckgebiet
VALENTINA etwa entlang des 20. Längengrades über Island und der nahen
Ostatlantikluft mit Ursprung nördlich des Polarkreises bis nach Mitteleuropa
herangeführt. Während in Großbritannien bereits vom 22.09. zum 23.09. besonders
in den östlichen Regionen ein Temperatursturz von fast 9 Kelvin festgestellt
wurde (in Nottingham am 22.09.: 23,9°C und am 23.09.: 15,1°C), konnte am 24.09.
auch aus Frankreich fast flächendeckend eine Temperaturabnahme von 2,0 bis 8,8
Kelvin im Vergleich zum Vortag vernommen werden. Die Wetterstation in Avrée in der gleichnamigen französischen Gemeinde
verzeichnete sogar einen Temperaturabfall von 10,0 Kelvin. Im weiteren Verlauf
begann bei Tief WICCA durch das Einholen der Warmfront von der Kaltfront
teilweise der Okklusionsprozess. Zur Erklärung: Eine Okklusion ist eine
Mischfront, welche entsteht, wenn die schnellere Kaltfront die vorlaufende,
jedoch etwas langsamere Warmfront einholt und so die wärmere Luft aufsteigen
lässt, wodurch dann die Wolkenbildung begünstigt wird und in der Folge Schauer
und Gewitter entstehen können. Diese Okklusionsfront zog nur sehr langsam nach
Südosten und Schauer, teils gewittrig durchsetzt und stärker ausfallend,
brachten besonders im Bereich des Ärmelkanals erhöhte Niederschlagssummen. So
kamen in Shoreham-by-Sea bis zum Morgen des 25.09.
24-stündig 20,2 l/m² und in der französischen Küstenstadt Le Touquet sogar 41,4 l/m² zusammen. Auch Weybourne,
ein Dorf an der Küste von North Norfolk registrierte im gleichen Zeitraum
beachtliche 37,6 l/m². Derweil vermeldete das unweit entfernte London keine
messbaren Niederschlagsmengen, was deutlich zeigt wie lokal Schauer und
Gewitter auftreten können. Auch die Nordküste Spaniens blieb von hohen
Regenmengen nicht verschont. Nach doppeltem Kaltfrontdurchgang, zunächst die
Kaltfront von Tief VALENTINA und nachfolgend die Kaltfront von Tief WICCA, gab
es den meisten Regen im Stau des spanischen Berglandes und der Pyrenäen. Da die
beiden Kaltfronten aus Norden kamen, wurden die Wolken quasi an die Berge
gedrückt, wo sie sich dann zwangsläufig ausregnen mussten und dadurch auch die
höchsten Regenmengen im Küstenbereich, also nördlich der Gebirgsketten,
verursachten. Von der spanischen Küstenstadt Santander bis zur südfranzösischen
Stadt Tarbes, am Fuße der Pyrenäen, fielen vermehrt
zwischen 25 und 35 l/m², in Tarbes sogar 36 l/m². San
Sebastián, eine Stadt am Golf von Biskaya im bergigen Baskenland, erreichte
fast die doppelte Niederschlagsmenge mit 52,2 l/m² innerhalb 24 Stunden.
Das
Tiefdruckgebiet VALENTINA verlagerte sich auf der Analysekarte vom 25.09.
weiter nach Norden und konnte den Kerndruck sogar auf etwas weniger als 985 hPa
intensivieren. Zudem hatte sich an der verwellenden
Kaltfront der Zyklone ein neues Tief gebildet, welches anfangs zwar noch recht
schwach auf den Beinen war, mit einem Kerndruck von nur 1005 hPa, in der Folge
sich allerdings verstärken und die Rolle des steuernden Tiefs nach VALENTINA und
WICCA einnehmen sollte und aus diesem Grund von den Meteorologen der Berliner
Wetterkarte auf den Namen XYLA getauft wurde. Um 00 UTC befand sich Tief XYLA
in etwa über der Lombardei. Derweil verlagerte sich Tief WICCA im großzügigen
Windschatten der beiden Tiefdruckgebiete VALENTINA und XYLA etwas weiter nach
Südosten über den Ärmelkanal sowie die Nordsee und konnte so den Einfluss über
Mitteleuropa nicht nur weiter festigen, sondern auch ausbauen. Kurzzeitig
bestand Tief WICCA aus 2 Kernen, die beide durch eine Okklusionsfront verbunden
waren, welche dann knapp östlich des Kerns nahe Amsterdam als Kaltfront
fortgesetzt in einem Bogen über Frankreich, die Pyrenäen und Nordspanien hinweg
bis an die portugiesische Atlantikküste führte. Eine solch vertikale Anordnung
der drei Tiefdruckgebiete, VALENTINA über der Westküste Norwegens, WICCA über
dem Ärmelkanal und der Nordsee sowie XYLA über Norditalien sorgte auf der
Vorderseite sowohl für eine von Süd nach Nord laufende Strömung mit
feucht-warmen und energiereichen Luftmassen, als auch für eine ungehinderte und
zugleich rasche Zufuhr polarer und vor allem maritimer Luftmassen auf der
Rückseite, ausgehend vom Polarkreis bis in die westlichen Teile Mitteleuropas
hinein. In unmittelbarer Nähe des tiefen Luftdrucks über Deutschland, als auch
rückseitig entlang des 10. Längengrades sorgte die herangeführte feuchte Luft in
Verbindung mit der Okklusionsfront für zahlreiche Wolkenfelder und häufig lang
anhaltenden Regen, mitunter Starkregen und in Staulagen teils unwetterartig
ausfallende Regenmengen. Im Zusammenspiel mit dem Frontensystem von Tief XYLA
kamen besonders in der Südosthälfte Bayerns häufig Niederschlagssummen im
höheren zweistelligen Bereich zusammen. Besonders im Stau der Alpen, also an
der Alpennordseite brachte der Regen zwischen 50 l/m² und fast 80 l/m².
Spitzenreiter bildeten u.a. Bergstationen wie z.B. die obere Firstalm, ein Berggasthof in 1368 m Höhe, welcher 75,4 l/m²
registrierte. Das konnte nur noch der Ortsteil Seehaus bei Ruhpolding mit 76,8 l/m²
toppen. Ohne das Zuspiel eines anderen Tiefdruckgebietes, war der Wirbel WICCA
für die ebenfalls hohen Regenmengen in den Benelux-Ländern dieses Mal allein verantwortlich,
welche unmittelbar im Kernbereich der Zyklone auftraten. Wo sich der Kern bis
zum 26.09. positionierte, gaben auch die Niederschlagssummen gut wieder:
während es im Norden der Niederlande trocken blieb, kamen im Kernbereich in Hoek van Holland, einem Stadtbezirk von Rotterdam bis 06
UTC des 26.09. 24-stündig 35,3 l/m² zusammen. Ebenso zwischen Middelburg und
Antwerpen fielen Regenmengen im 30-iger Bereich. Die höchste Niederschlagssumme
in diesem Zeitraum kam jedoch in dem kleinen Dorf Wilheminadorp
mit 45,9 l/m²
zustande.
Bis zum
26.09. war Tief WICCA dann vollständig okkludiert und lag mit einem Kerndruck
von etwas weniger als 995 hPa, wie bereits erwähnt über den Benelux-Ländern,
genauer gesagt über Belgien. Von dort bewegte es sich auch im Verlauf des Tages
kaum von Ort und Stelle weg, verhielt sich also stationär, was letztendlich die
eh schon hohen Regenmengen vom Vortag im Kernbereich noch weiter erhöhte. Bis
zum Abend fielen innerhalb von 12 Stunden in Dourbes,
in der Nähe von Lüttich, 30,0 l/m², im belgischen Melle 39,0 l/m² und dem
kleinen Dorf Wilheminadorp wurden nochmals 45,0 l/m²
beschert. Innerhalb 36 Stunden belief sich die Gesamtniederschlagsmenge dort
auf knapp über 90 l/m². Durch die Drehrichtung des Tiefdruckgebietes gegen den
Uhrzeigersinn wurden feuchte Luftmassen aus Nordwesten nach Deutschland
transportiert, die insbesondere in der Schwarzwald-Region zu ergiebigen
Stauniederschlägen führten. So gab es besonders in den hohen bis
mittelhohen Lagen meist zweistellige Niederschlagssummen. Die 700 m hoch
gelegene Gemeinde Todtmoos vermeldete dabei 46,7 l/m² und der 915 m hohe
Ruhestein, dessen Name daher stammt, weil er den Reisenden nach dem Anstieg als
Rastplatz diente, registrierte im selben Zeitraum sogar 67,4 l/m². Entlang der
sich bereits abgeschwächten Okklusionsfront von Tief WICCA, welche sich längs der
Nordseeküste über Dänemark bis nach Südschweden schlängelte, kamen derweil nur
geringe oder kaum messbare Niederschlagssummen zustande.
Östlich des
Wirbels WICCA baute sich ein Frontensystem mit mehreren Tiefdruckkernen auf,
einer war dem Tief XYLA zugehörig, welches dem Osten Deutschlands ebenso
ergiebige und langanhaltende Niederschläge brachte. Nordöstlich Berlins fielen
dabei sogar über 50 l/m². Aber das soll zumindest in dieser Lebensgeschichte
keine weitere Rolle spielen, da Tief WICCA nicht unmittelbar mit diesen
Regenfällen in Verbindung stand. Nachdem die Zyklone WICCA nun mittlerweile das
Endstadium der Entwicklung erreicht hatte, löste sich das Tief bis ca. 18 UTC
am selben Tag noch vollständig auf. Nachfolgend übernahmen Tief XYLA und das an
dessen Kaltfront entstandene Tiefdruckgebiet YOUNGME das Wetterregime in
Mittel-, Ost und Nordeuropa.